SPOX-Sports-Chef Florian Regelmann traf Roger Federer im Rahmen eines Events für seinen Sponsor Gillette am Rande des ATP-Turniers in Gstaad. Der größte Sportler der Welt spricht im Interview über seine zahlreichen Rekorde und den besten Schlag seines Lebens - und er erklärt, in welchem Bereich er ein Schisser ist.
SPOX: Sie haben in Ihrer Karriere viele unglaubliche Rekorde aufgestellt, eine der wahnsinnigsten Marken ist der Streak mit 36 Grand-Slam-Viertelfinal-Teilnahmen in Folge, der erst jetzt in Wimbledon endete. 36 in Folge - für Außenstehende ist das nicht zu fassen. Was ist für Sie der Schlüssel zu dieser brutalen Konstanz? Gillette
Roger Federer: Das Wichtigste ist sicher, dass du gesund bleiben musst. Wir sprechen hier nicht nur über eine Saison, sondern über einen Zeitraum von neun Jahren. Und dann geht es eben über drei Gewinnsätze. Wenn du da mal etwas sehr Schmerzhaftes hast, wenn du da wirklich Probleme bekommst, dann kommst du meistens nicht mehr durch, dann findest du den Weg auf die Siegerstraße nicht mehr. Über fünf Sätze trennt sich dann auch die Spreu vom Weizen. Dass ich immer so konstant spielen konnte, ist für mich selbst auch unfassbar. Ich hatte aber auch manchmal ein bisschen Glück, ich hätte auch vielmals früher verlieren können. Ich hatte in gewissen Jahren Matches in der zweiten oder dritten Runde, die ich hätte verlieren können, an die erinnert sich nur heute niemand mehr. Ich hatte das nötige Glück, aber ich hatte auch gleichzeitig den nötigen Willen. Man muss es aber auch ein wenig relativieren, weil früher ja nur die Top 16 gesetzt waren, heute sind es die Top 32. Das ist natürlich hilfreich, gerade in den ersten Runden, weil du nicht sofort gegen einen aus den Top 30 spielen musst.
Federer & Gillette: Der Beste zu sein erfordert Perfektion. Immer und immer wieder.
SPOX: Ihr Weg in die Weltspitze begann eigentlich, als Sie mit 14 Jahren das Elternhaus verließen, um ins nationale Leistungscenter zu ziehen. Ihre Mutter Lynette erzählte, dass die ersten drei Monate die Hölle gewesen seien. Wenn Sie jeden Sonntag zum Zug mussten...
spoxFederer: ... gab es auch Tränen.
SPOX: Ihre Mutter musste sogar zum Rektor, weil Sie verschliefen und zu spät zur Schule kamen, weil Sie so kaputt vom Tennis waren. Wie haben Sie diese schwierige Zeit überstanden?
Federer: In diesen schwierigen Momenten siehst du einfach, wie gerne du Tennis hast. Du siehst, wie traurig du bist, wenn es nicht so läuft. Wie es ist, wenn du nach einem Match am nächsten Morgen aufwachst und das Match so gerne noch einmal spielen würdest. Wenn du sofort wieder trainieren gehen willst, so in der Art war es bei mir. Ich war damals schon sehr, sehr stark im Charakter. Und ich war auch schon früher sehr emotional. Ich brauchte das, um überhaupt mein bestes Tennis spielen zu können. Tennis ist ein emotionaler Sport. Ich konnte mich in der Zeit im Leistungscenter an viele Sachen gewöhnen und Erfahrungen sammeln, wie es ist, zu gewinnen - und wie es ist, zu verlieren. Das hat mich sehr viel weitergebracht, auch in der Schule.
SPOX: Ab wann hatten Sie den Glauben, dass Sie es an die Weltspitze schaffen würden?
Federer: Ich hatte natürlich als Junge, da war ich 12, 14 Jahre alt, auch die Momente, in denen ich mir vorgestellt habe, wie ich Wimbledon gewinne und die Nummer eins der Welt werde. 'Game, Set and Match, Federer!' Wie man das als Junge eben so macht. (lacht) Den richtigen Glauben, dass ich es weit bringen kann, hatte ich dann vielleicht so ab 16. Da merkst du dann langsam, dass du mithalten kannst. Trotzdem hätte ich mir nicht in meinen wildesten Träumen ausmalen können, dass ich so eine Karriere machen würde. Ich wäre auch mit dem Erreichen der Top 100 glücklich gewesen.
SPOX: Ihren ersten ganz großen Auftritt hatten Sie 2001, als Sie in Wimbledon im Achtelfinale Pete Sampras schlugen. 7:6, 5:7, 6:4, 6:7, 7:5. 12 Jahre ist das her.
Federer: Das Unglaubliche für mich sind die Parallelen zwischen seiner Karriere und meiner. Ich würde nicht sagen, dass dieser Sieg der Startschuss für mich war. Für die Medien war es vielleicht so, aber im Nachhinein denke ich, dass ich auch ohne diesen Sieg den Weg an die Spitze gefunden hätte. Aber natürlich war der Sieg wichtig. Pete und ich sind genau zehn Jahre auseinander. Und wenn wir schauen, was er erreicht hat und was ich, dann sind die Parallelen wirklich erstaunlich. 2001 wollte er zum fünften Mal in Folge Wimbledon gewinnen, und dann gewinne ich fünfmal in Serie in Wimbledon, breche seinen Rekord und überbiete ihn sogar. Es ist schon irgendwie total komisch. Heute bin ich mit ihm befreundet. Für mich bleibt Sampras auch ein Idol. Wenn ich heute mit ihm Tennis spiele, bin ich immer noch nervös und kann es kaum fassen, dass ich mit ihm Tennis spielen darf.
SPOX: Grand-Slam-Turniere zu gewinnen, ist so schwierig. Tiger Woods merkt gerade im Golf, wie schwer es ist, er hängt seit über fünf Jahren bei 14 Major-Titeln fest. Sie stehen jetzt bei 17, welche Ziele setzen Sie sich? 20 wäre doch eine schöne Zahl...
Federer: Klar, das wäre sie. Bei so einer Zahl wie jetzt 17 Grand Slams will ich nicht aufhören. Vor allem nicht, wenn du immer noch das Gefühl hast, dass du noch mehr erreichen kannst. Die Marge an der Spitze ist sehr klein, die Luft ist sehr dünn - da braucht es manchmal nicht viel und du gewinnst nicht mehr so viel wie früher. Vieles hängt vom Selbstvertrauen ab, das habe ich früher total unterschätzt. Es ist einer der wichtigsten Aspekte. Wenn wir überlegen, mit welchem Selbstvertrauen Murray heute spielt im Vergleich zu früher, oder Djokovic in seinem besten Jahr 2011, als er kaum verloren hat.
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SPOX: Vor allem Sie hatten ganz oft diese Aura des Unbesiegbaren.
Federer: Es ist dann wirklich so: Du kommst auf den Platz und stellst dir die Frage fast gar nicht, ob du gewinnst oder nicht. Du weißt genau, dass du immer irgendeinen Weg finden wirst. Das in den Kopf zu bekommen, geht nur über Siege und ist natürlich sehr schwer zu erreichen. Wenn du aber einmal auf dieser Siegerstraße bist, musst du das Niveau solange wie möglich halten und versuchen, so viel wie möglich zu gewinnen.
SPOX: Ihr vielleicht bester Schlag aller Zeiten war der Durch-die-Beine-Shot im US-Open-Halbfinale gegen Djokovic.
Federer: Der war Wahnsinn. Solche Schläge auszupacken in wichtigen Momenten, das war schon immer wahnsinnig für mich, ganz ehrlich. Ich war schon immer ein Spieler, der solche Spezialschläge auspackt und habe schnell gemerkt, dass du sie nicht auf Platz 25 auspacken musst. Who cares? Das interessiert keinen Menschen. Ich habe mir dann gesagt, dass ich zuerst mal Erfolg haben muss, dann kann ich ab und zu einen riskieren. (lacht)
SPOX: Sie spielen seit kurzem mit einem neuen Racket. Wie fühlen Sie sich mit dem neuen Arbeitsgerät?
Federer: Gut, ich bin sehr zufrieden, es ist ein sehr angenehmes Gefühl. Es ist ein Prototyp von Wilson, an dem lange gearbeitet wurde. Ich habe schon ewig Schläger getestet, es gehört dazu. Ich finde auch, dass man nicht sagen darf, 'ich habe das beste Material und es gibt eh nichts Besseres'. Ich wusste immer, dass es sicher auch bei mir mal einen größeren Schlägerkopf geben wird. Jetzt habe ich mir ein Herz gefasst und es probiert. Nach Wimbledon hatte ich endlich auch mal wieder mehr Zeit, um zu trainieren. Ich bin sehr zufrieden, wie ich mich mit dem neuen Schläger fühle.
Seite 2: Federer über Mode, Rucksack-Träume und Verrücktes: "Ich bin ein Schisser"
SPOX: Sie werden im August 32 Jahre alt, haben sich die Prioritäten in den letzten Jahren verändert?
Federer: Die Priorität heiß Tennis. Ich denke ständig über Tennis nach, auch wenn ich im Urlaub bin beispielsweise, ich bin in erster Linie Tennisprofi. Natürlich ist die Familie das Wichtigste im Leben, aber Tennis hat absolute Priorität für mich. Ich weiß, dass meine Karriere nicht ewig gehen wird, deshalb versuche ich, alles zu genießen. Was in meiner Karriere immer besonders wichtig war: Ich hinterfrage mich ständig, auch im Erfolgsfall. Und natürlich besonders, wenn es nicht so läuft. Wenn ich in Wimbledon in der 2. Runde ausscheide, frage ich mich: 'Was ist los? Wie konnte das passieren?' Für gewöhnlich finde ich einen Weg, um wieder in die Spur zu kommen, wenn es nicht so läuft.
SPOX: Wenn ein Aspekt Ihres Spiels nicht so geklappt hat, haben Sie dann versucht, ganz besonders daran zu arbeiten?
Federer: Ich war nie der Typ, der so an die Sache herangegangen ist. Ich war immer der Überzeugung, dass du deine Stärken trainieren musst, nicht deine Schwächen. Deine Stärken sind es, mit denen du das Geld verdienst.
SPOX: Welches Jahr Ihrer Karriere war für Sie am speziellsten? Welcher Rekord bedeutet Ihnen am meisten?
Federer: Das ist eine schwierige Frage. 2006 habe ich über 90 Matches gewonnen, das war etwas Besonderes. Einmal habe ich 24 Finals in Folge gewonnen. Auf die Goldmedaille mit Stan Wawrinka im Doppel in Peking bin ich sehr stolz, weil ich es immer geliebt habe, die Schweiz zu repräsentieren. Und vor allem auch auf die No.1 Trophy, das ist der Gipfel, mehr kannst du nicht erreichen in deinem Sport. 2009 war ein sehr emotionales Jahr für mich mit dem Sieg bei den French Open und dann mit dem Sieg gegen Roddick im Wimbledon-Finale, mit dem ich den Sampras-Rekord knackte. Meine Frau war zu dem Zeitpunkt im achten Monat schwanger, mit Zwillingen, was niemand wusste, das war alles sehr emotional.
SPOX: Sie haben 7 Mal Wimbledon gewonnen, aber der Champion bekommt ja immer nur eine kleine Replica-Version. Das geht doch eigentlich gar nicht, oder?
Federer: Nein, das geht echt nicht. Ich musste deshalb auch unbedingt eine große Trophy haben. Tiger Woods hat mir den Tipp gegeben, weil es im Golf ja auch so ist. Also habe ich gesagt: 'Es ist mir egal, ich zahle auch dafür, aber ich brauche die große Trophy. Schließlich spielen wir doch auch, um die große zu gewinnen!' (lacht)
SPOX: Tennisspieler haben Ihre genaue Routine, die Sie vor jedem Match durchziehen. Was viele nicht wissen: Das 5-minütige Warmup ist eigentlich gar keine Vorschrift.
Federer: Das stimmt, das habe ich auch mal gehört. Man stelle sich vor: Ich komme im Wimbledon-Finale auf den Platz und sage meinem Gegner: 'Hey, ich bin bereit." Dann kann er sich jemanden anderen suchen zum Warmspielen, das wäre großartig. (lacht)
SPOX: Wir wollen aber nicht nur über Sport sprechen, wie sieht es zum Beispiel mit Ihrem Modebewusstsein aus?
Federer: Ich musste da auch eine Entwicklung durchmachen. Am Anfang hatte ich immer ein etwas mulmiges Gefühl, wenn ich einen Anzug anhatte. Ich dachte mir: 'Das bin nicht ich, dafür bin ich auch noch zu jung.' Aber ich wusste, dass ich mich daran gewöhnen muss, weil ich ja auch auf Roten Teppichen unterwegs bin. Also habe ich angefangen, Dinge auszuprobieren, ob es Krawatten waren oder bestimmte Muster. Ich habe dann auch einen Anzug angezogen, wenn ich mit Freunden essen gegangen bin, so wie ein Banker. So habe ich mich daran gewöhnt. Wichtig ist, dass man die Kleider trägt und nicht die Kleider einen tragen.
SPOX: Was ist das Verrückteste, was Sie jemals gemacht haben?
Federer: Ich bin nicht so ein Spinner, der ständig Achterbahn fahren oder Sky Diving machen muss. Was das angeht, bin ich ein bisschen ein Schisser. Mich faszinieren mehr schöne Landschaften, schöne Städte, Kultur. Mal in ein Museum zu gehen, mir Kunst anzuschauen - darin finde ich sehr viel Spannendes. Und die Familie und Freunde sind natürlich das Wichtigste im Leben, das ist meine Energiequelle.
SPOX: Gibt es Träume, die Sie sich nach der Karriere erfüllen wollen?
Federer: Auf jeden Fall noch viele Reisen machen. Und dann lieber im Backpack-Style. Im Moment ist es ja alles sehr luxuriös und darauf ausgerichtet, dass ich mich gut erholen kann. Da kann ich nicht mit dem Rucksack losziehen und mich müde machen. Länder zu bereisen, in denen ich noch nicht war, wäre schön. Oder Städte von einer anderen Perspektive kennenzulernen.
SPOX: Mit der Roger Federer Foundation helfen Sie Kindern im südlichen Afrika. Was sind die wichtigsten Ziele, die Sie mit der Stiftung erreichen wollen?
Federer: Wir wollen Kindern eine Chance geben. Wir wollen ihnen helfen, dass sie in die Schule gehen und eine solide Ausbildung bekommen können. Manchmal hat es 120 Kinder in einer Klasse, da fehlt natürlich dann die Qualität. Wir kümmern uns dann auch um die Ausbildung für die Lehrer. Oder es fehlen Toiletten oder Wasser an den Schulen, was dazu führt, dass die Eltern ihre Kinder lieber bei sich zuhause behalten. Das sind alles Dinge, wo wir mit der Stiftung versuchen zu helfen. Wir wollen ihnen auch helfen, auf eigenen Beinen zu stehen. Abhängig zu sein, ist eine der schlimmsten Sachen im Leben. Für mich ist es auch ganz wichtig, dass wir das nicht ein paar Jahre machen und uns dann wieder verabschieden. Wir feiern 2013 mit der Foundation unser zehnjähriges Jubiläum. Ich hatte immer Glück in meinem Leben, ich bin nicht reich aufgewachsen, überhaupt nicht, aber meine Mutter kommt ja aus Südafrika und ich habe dort sehr viel Armut gesehen. Für mich ist es sehr schön, dass ich in jungen Jahren so viel zurückgeben kann.