Sabine Lisicki im Interview: "Wenn du plötzlich keine Kontrolle mehr über dein Bein hast, bekommst du Angst"

Florian Regelmann
15. Juli 202208:18
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Sabine Lisicki ist seit Anfang Mai zurück auf der Tennis-Bühne. Nach 18 Monaten Zwangspause. Nach einer höllischen Knieverletzung. Im Interview mit SPOX erzählt Lisicki von ihrem steinigen Weg zurück und verrät, woher sie sich Inspiration geholt hat.

Am vergangene Wochenende fanden in Wimbledon die Endspiele statt, einst stand Sabine Lisicki dort und verpasste 2013 mit der Finalteilnahme und der Niederlage gegen die Französin Marion Bartoli nur knapp den ganz großen Triumph. Inzwischen ist die ehemalige Nummer 12 der Welt 32 Jahre alt und hat eine bemerkenswerte Reise hinter sich.

Bei SPOX spricht Lisicki offen über den Moment bei ihrem bemerkenswerten Comeback, bei dem sie Angst bekam. Lisicki erklärt außerdem, wie lange sie noch Tennis spielen und welche Botschaft sie gerne senden will.

Frau Lisicki, an wen denken Sie persönlich, wenn Sie das Wort Inspiration hören?

Sabine Lisicki: Ich muss sofort an Lindsey Vonn denken. Jeder Mensch braucht im Leben Inspiration, ganz egal, woher sie auch kommen mag. Ob von einem Prominenten oder aus dem näheren Umfeld. Für mich war Lindsey Vonn in meinem Kampf zurück auf den Court eine ganz wichtige und inspirierende Person. Wir kannten uns vorher persönlich nicht, aber nachdem ich mir im Knie alles kaputt gemacht hatte, was man sich nur kaputt machen kann, hat sie sich bei mir gemeldet. Sie hat selbst eine sehr schwere Knieverletzung überwunden und wenn du so jemanden an deiner Seite hast, auch mal nach Rat fragen kannst, wenn es in der Reha nicht so gut läuft, ist das eine große Unterstützung.

Sie sind durch Ihr Comeback selbst eine Inspiration für viele Menschen geworden.

Lisicki: Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich das freut und wie viel mir das bedeutet, wenn ich das höre oder entsprechende Nachrichten geschickt bekomme. Es ist schön, zu wissen und zu spüren, dass ich Menschen zeigen kann, was man mit viel Arbeit, Fleiß und einem großen Kämpferherz alles schaffen kann.

Wissen Sie, woher dieser Kampfgeist bei Ihnen kommt?

Lisicki: Ich kann es nicht genau sagen, aber ich nehme an, dass mir meine Eltern den Kampfgeist in die Wiege gelegt haben, sie sind bis heute auch beide große Kämpfer. In allen Lebenslagen. Ohne sie hätte ich meine Karriere ohnehin niemals so machen können.

Im Tennis war vor allem Martina Hingis immer ein großes Vorbild und eine große Inspiration für Sie.

Lisicki: Das stimmt. Umso besonderer war es für mich, als ich 2014 zusammen mit Martina das Doppel-Turnier in Miami gewonnen habe. Nachdem ich sie dafür quasi aus der Rente geholt hatte. Aber es war nicht nur Martina, auch Mary Pierce und Andre Agassi haben mich inspiriert.

Sabine Lisicki ist wieder zurück auf dem Court und will zurück in die Weltspitze.imago images

Lisicki: "Bin über Schmerzpunkte drüber gegangen"

Warum gerade Agassi?

Lisicki: Wegen der aggressiven Spielweise.

Das kommt überraschend.

Lisicki: (lacht) Ja, komisch, oder? Generell war es bei allen auch das Feuer, das sie hatten. Die Leidenschaft für den Sport. Bei allen war sie etwas unterschiedlich gelagert, aber alle haben Tennis mit Haut und Haaren gelebt. Ich hoffe und denke, dass man das auch bei mir ein bisschen wiedererkennt. Von den noch aktiven Spielerinnen und Spielern gibt es natürlich auch viele, die zur Inspiration dienen. Es war zum Beispiel immer eine Ehre für mich, mit Serena auf dem Court zu stehen. Ich habe es geliebt, gegen sie zu spielen. Man musste immer sein allerbestes Tennis auspacken, um eine Chance zu haben. Und dann beeindruckt mich auch die Story von Andy Murray.

Haben Sie seine Doku gesehen?

Lisicki: Ja, die Doku hat mir viel gegeben. Sie hat sehr authentisch gezeigt, wie es einem geht auf dem Weg zurück. Dass es gute Tage gibt, mittelgute Tage, aber auch katastrophale Tage, an denen du nicht mehr weiter weißt. Er hat es mit einer künstlichen Hüfte zurück geschafft und spielt wieder richtig starkes Tennis, das kann nur jemand schaffen, der eine unglaubliche Leidenschaft besitzt, sonst geht das nicht. Meine Verletzung war auch so schlimm, dass man in 99,9 Prozent der Fälle danach nicht mehr in den Profisport zurückkommt, auch deshalb war und ist Andys Geschichte für mich sehr inspirierend.

Rafael Nadal ist DER Spieler der Saison und seine gesundheitlichen Probleme sind sehr gut dokumentiert. Könnten Sie sich vorstellen, mit einem tauben Fuß zu spielen?

Lisicki: Das weiß ich nicht. Ich bin in meiner Karriere sicher auch über Schmerzpunkte drüber gegangen, aber dann war ich raus und habe mich auskuriert. Für mich war immer entscheidend, die besten Ärzte zu haben und dann ihnen zu vertrauen, was geht und was nicht. Nach meiner schweren Knieverletzung habe ich den Arzt, der mich operiert hat, gefragt: Bekommen wir es wieder hin, dass ich Profisport machen kann? Und er antwortete: Ja, dafür bist du ja hier. Das war für mich ganz wichtig. Er hat auch eine der ersten Nachrichten bekommen, als ich jetzt mein Comeback gefeiert habe.

Lisicki: "Ich konnte mein operiertes Bein nicht heben"

Haben Sie also nie gezweifelt?

Lisicki: Nein, gezweifelt habe ich nie. Ich wusste immer, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde. Aber das heißt nicht, dass es keine schweren Momente gab. Ich bin ein Mensch, der nicht wirklich viel Geduld besitzt - das war eine der größten Herausforderungen für mich. Und es gab vor allem eine Situation, die sehr schwierig zu meistern war.

Erzählen Sie.

Lisicki: Ich konnte vier Wochen lang mein operiertes Bein nicht heben. Wenn du plötzlich keine Kontrolle mehr über dein Bein hast, bekommst du Angst. Vor ein paar Tagen bist du noch herum gesprintet und plötzlich kannst du dein Bein nicht mehr bewegen - das war der schlimmste Moment. In dem Moment war Tennis so weit weg. Selbst ganz normal zu laufen, war weit weg, ich wollte einfach nur wieder normal gehen können. Generell war mir vor der Reha nicht in vollem Ausmaß bewusst, dass Rückschläge auf dem Weg zurück völlig normal sind. Diese Rückschläge können auch die besten Ärzte nicht verhindern, sie können sie nur so klein wie möglich halten.

Was hat Sie in der Reha am meisten motiviert? Stan Wawrinka hat jüngst erklärt, dass er unbedingt nochmal ein Turnier gewinnen will, egal auf welcher Ebene.

Lisicki: Ich wollte und will zurück auf die größten Plätze der Welt und vor Zuschauern spielen. Das war und ist mein größter Antrieb. Deshalb war es jetzt auch in Bad Homburg so eine unglaubliche Erfahrung, vor ausverkauftem Haus in so einer tollen Atmosphäre spielen zu dürfen. Ich stand echt auf dem Platz und habe in mich hinein gelächelt, weil ich wusste: Genau hierfür habe ich so hart gearbeitet. Und ich habe mir bewiesen, dass ich wieder Matches gewinnen kann auf dem höchsten Niveau. Aber das soll nur der Anfang gewesen sein. Ich will zurück auf die größten Bühnen, ich will wieder bei den Grand Slams dabei sein.

Was ist das konkrete Ziel bis Jahresende?

Lisicki: Das behalte ich für mich, sorry. (lacht) Aber ich habe ein klares Ziel im Kopf, weil ich es auch wichtig finde, sich klare Ziele zu setzen und nicht planlos durch die Gegend zu laufen. Und wenn man seine Ziele im besten Fall schneller erreicht als gedacht, macht es umso mehr Spaß. Generell ist klar, dass das Jahr für mich ganz im Zeichen dessen steht, dass ich mich in der Rangliste wieder Stück für Stück nach oben arbeiten will. Vor nicht langer Zeit war ich komplett aus der Rangliste geflogen, jetzt habe ich schon wieder 600, 700 Plätze gut gemacht und stehe auf 407. Ich muss weiter Punkte sammeln und schauen, was dafür und für meinen Körper die besten Entscheidungen sind. Nicht in Wimbledon zu sein, tat zwar weh, aber ich habe keine Wildcard bekommen, das muss man dann akzeptieren. Ich muss für den Rest des Jahres sehr flexibel sein und schauen, in welche Turniere ich reinkomme und wo vielleicht auch eine Wildcard mal drin ist, wenn ich gut spiele. Was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass ich gerne nochmal vor den deutschen Fans beim Turnier in Hamburg spielen würde.

Das wäre sicher nochmal ein emotionales Erlebnis nach den Events in Berlin und Bad Homburg.

Lisicki: Vor allem Berlin war natürlich unglaublich emotional für mich. Dieses Turnier wieder spielen zu können, in meinem Heimatclub, wo für mich alles losging und wo ich als Kind jeden Tag war, war so ein großes Ziel für mich. Ich wusste lange nicht, ob ich das schaffe, umso schöner war das Erlebnis jetzt, zumal so viele Freunde extra angereist sind, meine Familie war eh dabei - das war schon überwältigend. Auch zu sehen, wie viele Leute nach all den Jahren mich immer noch so unterstützen, das hat sehr gutgetan. Nächstes Jahr will ich wieder dabei sein, dann aber im Hauptfeld. (lacht)

Es war auffällig, wie vor allem auch die Kinder auf Sie reagiert haben. Thema: Inspiration.

Lisicki: Das war Wahnsinn. Kinder sind ja so ehrlich und sagen einem immer, was sie denken. Ich glaube, dass sie spüren, wie wichtig mir Werte wie Bodenständigkeit und Empathie sind. Es ist total schön, diese Verbindung zu haben. Aber nicht nur mit den Kindern. Es ist mir auch wichtig, andere Frauen zu ermutigen, für ihre Träume zu kämpfen. Gerade Frauen erleben es oft, dass ihnen gesagt wird, du kannst dies oder das eh nicht schaffen, lass es doch bleiben, aber nein, wir können das schaffen. Wir können uns durchboxen, wir müssen nur an uns glauben und für unsere Träume kämpfen. Das ist meine Botschaft.

Lisicki: "Solange das Feuer noch in mir brennt"

Wimbledon war ja vor allem wieder ein Fest für alle Traditionalisten, auch wenn jetzt am mittleren Sonntag gespielt wird. Wünschen Sie sich generell Veränderungen für den Tennissport?

Lisicki: Ich muss zugeben, dass ich in der Hinsicht altmodisch bin. Ich finde es großartig, dass in Wimbledon nach wie vor nur in weiß gespielt wird, das soll sich bitte nie ändern, es hat einfach so etwas Schönes und Elegantes. Auch an Formaten würde ich im Tennis nichts verändern. Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, dass wir etwas mehr Atmosphäre zulassen könnten. Ich erinnere mich noch gut an die Olympischen Spiele in London, als ich mit Christopher Kas im Mixed gegen Laura Robson und Andy Murray gespielt habe, dort herrschte eine Stimmung wie im Fußballstadion, das dürfte ruhig öfter so sein, wenn es nach mir geht.

Olympia 2024 in Paris könnte auch nochmal ein Ziel sein... wie lange wollen Sie noch weiterspielen?

Lisicki: Solange das Feuer in mir noch brennt. Ich setze mir kein Limit. Das Leben als Tennisprofi ist manchmal hart, man reist viel, man verzichtet viel, aber noch liebe ich jeden Tag, was ich tue. Wenn ich eines Tages aufwache und merke, dass es nicht mehr so ist, werde ich mir Gedanken machen, aber vorher nicht.

Und was kommt danach? Mit Ihren Erfahrungen müssen Sie eigentlich dem Tennis treu bleiben.

Lisicki: Ich kann mir auf jeden Fall gut vorstellen, nach der Karriere als Expertin fürs Fernsehen zu arbeiten. Ich habe das während der Reha ein paar Mal machen dürfen, es hat mir großen Spaß gemacht und die Resonanz der Zuschauer war vor allem auch sehr gut, was ja am Ende entscheidend ist und was mich besonders gefreut hat. Aus meinem Blickwinkel mit meinen Erfahrungen und mit meinem Wissen den Fans Tennis näher zu bringen, das ist sicher eine Option für mich.