"Insekten können nicht schaden"

Bastian Strobl
15. Juni 201514:08
Nick Hein trifft beim UFC-Event in Berlin auf Lukasz SajewskiJeff Sainlar / Tiger Muya Thai Gym
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Die UFC ist zurück in Deutschland - und Nick Hein steht dabei erneut im Fokus. Vor seinem Kampf in Berlin gegen Lukasz Sajewski spricht der 31-Jährige über sein hartes Trainingslager im Tiger Gym, Süßigkeiten für 300 Dollar und eine ganz besondere Latex-Matratze.

SPOX: Nick, am Samstag steht Ihr dritter UFC-Kampf bevor. Mit welchen Erwartungen gehen Sie in das Duell mit dem ungeschlagenen Polen Lukasz Sajewski?

Nick Hein: Ich würde lügen, wenn ich sage, dass mich das Ganze kalt lässt. Ich habe eine lange und anstrengende Vorbereitung hinter mir, mit dem einen oder anderen Stimmungstief. Das Trainingslager im Tiger Gym in Thailand war eine unglaublich intensive Zeit. Ich habe mich schon manchmal gefragt, was ich dort eigentlich mache, nachdem ich mal wieder verhauen wurde. Dazu kommt der Druck, der viel größer ist als beim letzten Event in Berlin. Ich will die Leute nicht enttäuschen, die in mir eine Art Vorbild sehen. Auf der anderen Seite finde ich den Druck auch irgendwie geil.

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SPOX: Haben Ihre Stimmungsschwankungen auch mit der umstrittenen Niederlage im November 2014 gegen James Vick zu tun?

Hein: Nein, ich bin zwar durchaus sensibel und nehme mir gewisse Sachen zu Herzen, aber dieser Kampf hat sich gar nicht wie eine Niederlage angefühlt. Es hat natürlich auch geholfen, dass die UFC mir danach sofort gezeigt hat, dass sie weiter Bock auf mich haben. Ich weiß, dass ich helfen kann, unseren Sport bekannter zu machen. Mit meinen sportlichen Leistungen, aber auch mit meiner großen Klappe.

SPOX: Sie Sind also nicht in ein Loch gefallen?

Hein: Als Loch würde ich das nicht bezeichnen. Ich habe die Niederlage auf meine Art verdaut: Für 300 Dollar habe ich mir in Texas noch Süßigkeiten gekauft und keine zwei Wochen später waren sie quasi weg. Ich wusste mir also zu helfen (lacht).

SPOX: Diese Pfunde dürften mittlerweile wieder runter sein. Sie haben das harte Training in Thailand angesprochen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Hein: Das Trainingslager hat mich an meine Grenzen gebracht. Es ist eigentlich verrückt, ich habe mich phasenweise gefühlt, als würde ich wieder zur Schule gehen. Die physischen Herausforderungen, die Arbeit an der Technik, das Niveau meiner Trainingspartner, das war mit nichts zu vergleichen, was ich bislang erlebt habe. Ich musste mich wieder hinten anstellen.

SPOX: Sie waren nicht der einzige UFC-Fighter, der sich im Tiger Muyai-Thai Gym auf Phuket vorbereitet hat. Alan Omer, der in Berlin ebenfalls ins Octagon steigt, trainierte auch dort. Was macht diesen Ort besonders?

Hein: Man trainiert in einer verschworenen Gemeinschaft. Deswegen war es am Anfang auch nicht einfach, richtig Fuß zu fassen. Entweder man schafft es nicht und kommt nie wieder, oder man bleibt für immer. Ich habe mich an eine Szene aus "Rocky" erinnert gefühlt: Nachdem Stallone von Mr. T auf die Fresse bekommen hat, geht Apollo auf ihn zu und fordert ihn auf, das Auge des Tigers wiederzufinden. Dafür nimmt er ihn mit in sein Gym, quasi in die Höhle des Löwen, in dem er sich erst mal Respekt verdienen muss. Genauso war es bei mir im Tiger Gym, ich habe mich quasi wie Rocky gefühlt.

SPOX: Wie schwer ist es, bei so viel Testosteron auf einem Fleck einen kühlen Kopf zu bewahren? SPOX

Hein: Sehr schwer! (schmunzelt) Ich kann nicht in Details gehen, aber es gab Momente, in denen ich gar nicht mehr zum Training gehen wollte. Wenn man sich dann auch noch irgendwelche Reportagen über Leute anschaut, die ein normales Leben und beispielsweise erfolgreich eine Bäckerei führen, fängt man schon an zu zweifeln. Aber genau in diesen Augenblicken muss man auf die Zähne beißen. Seit meinem UFC-Debüt im letzten Jahr habe ich von vielen Kämpfern gehört: Was der Hein kann, kann ich schon lange! Aber so ist es eben nicht. Nicht jeder lässt sich mit 31 Jahren noch mal durch die Mangel drehen und akzeptiert, dass man eben nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Alleine deswegen war Thailand ein ganz wichtiger Schritt in meiner Karriere, den ich meistern musste. In Berlin wird man dann sehen, ob sich die Quälerei gelohnt hat.

SPOX: Quälen ist ein gutes Stichwort. Auf Ihrer Facebook-Seite gibt es ein Video, in dem Ihre Bauchmuskeln mit sogenannten Thai-Pads malträtiert werden.

Hein: Ich weiß, das sieht schmerzhaft aus. Aber das ist gang und gäbe, jeder Fighter absolviert diese Übung eigentlich einmal pro Woche. Das dient einerseits der Abhärtung, andererseits übt man dabei, seine Atmung trotz der gegnerischen Schläge zu kontrollieren.

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SPOX: Wie sah Ihre Ernährung aus? Haben Sie auch mal Insekten probiert?

Hein: Klar, das gehört dazu. Das finde ich aber auch richtig schön an den Thailändern. Sie sind ein sehr geselliges Volk, alle drei, vier Kilometern ist ein Markt mit unzähligen Essensmöglichkeiten. Ich muss aber zugeben, dass nicht alles zu meiner Leibspeise wurde. Aber ab und zu mal ein paar Insekten, gebraten oder frittiert, können ja nicht schaden. Mal im Ernst: Ob ich jetzt Schweine-Popo esse oder gegrillte Heuschrecken, das ist alles reine Gewohnheitssache.

SPOX: In Thailand sollen Sie aber nicht nur zum Essen eine besondere Beziehung aufgebaut haben. Was hat es mit Ihrer Matratze auf sich?

Hein: Ich bin ein absoluter Perfektionist. Wenn ich noch irgendwie zwei, drei Prozente rausholen kann, mache ich das auch. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich nicht so gut schlafen kann. Also bin ich mit meiner Frau losgefahren und habe mir eine teure Latex-Matratze gekauft. Und seitdem fühle ich mich am Morgen einfach viel besser. Daran sieht man meine Einstellung zum Sport. Ich tue alles für den Erfolg. Deswegen finde ich das Olympische Motto auch schrecklich. Ich will nicht nur dabei sein. Das war schon früher in der Schule so, wenn es hieß: Das ist alles nur ein Spiel. Für mich war es eben immer mehr als das.

SPOX: Diese bedingungslose Leidenschaft erklärt wohl auch, warum Sie Ihren Job bei der Bundespolizei aufgegeben haben, oder? Immerhin waren Sie Beamter auf Lebenszeit.

Hein: Ich musste mich entscheiden: Auf der einen Seite war die berufliche Sicherheit, auf der anderen Seite stand mein Traum. Ich habe mein Leben auf die UFC ausgerichtet. Ich bin kein Workaholic, aber jemand, der die wichtigen Entscheidungen seines Lebens an seinem Traum orientiert. Als ich von meinem Vorgesetzten bei der Polizei vor die Wahl gestellt wurde, entweder Job oder die UFC, war die Entscheidung eigentlich schon gefallen. Ich hätte mir nie verziehen, wenn ich den Schwanz eingezogen hätte.

SPOX: Ihre Schwester dürfte Ihnen für die Verwirklichung Ihres Traumes auch dankbar sein. Immerhin ist sie mittlerweile verheiratet - ausgerechnet mit Drew Dober, dem Sie 2014 in Ihrem ersten UFC-Kampf gegenüberstanden.

Hein: Das stimmt, solche Geschichten schreibt nur der Sport. Manchmal muss man einfach auf sein Bauchgefühl und sein Herz hören. Deswegen habe ich mich eben auch gegen die berufliche Sicherheit entschieden, weil ich überzeugt bin, dass es die richtige Wahl ist, auch wenn ich manchmal vielleicht nicht weiß, warum. Aber ohne meine UFC-Karriere hätte meine Schwester beispielsweise nie Drew kennen gelernt. Meine Mutter hätte es zwar besser gefunden, wenn ich Arzt geworden wäre. Aber wer weiß, vielleicht hätte sie dann keine verheiratete Tochter. (lacht)

SPOX: Lassen Sie uns noch auf zwei Themen zu sprechen kommen, die derzeit die UFC-Szene beschäftigen. Jon Jones musste in Folge mehrerer Vergehen, unter anderem dem Vorwurf der Fahrerflucht, seinen Titel abgeben. Wirft er leichtfertig sein Talent weg? SPOX

Hein: Jones ist mit unglaublich viel Talent gesegnet. Sicherlich mit viel mehr als die meisten anderen Kämpfer. Aber er ist nun mal auch ein junger Kerl, der bei weitem noch nicht im echten Leben angekommen ist. Sein Aufstieg ging sehr schnell, vielleicht muss er sich dessen erst mal bewusst werden. Ich war nie ein großer Jon-Jones-Fan, aber ich respektiere ihn und verurteile ihn nicht, auch wenn seine Taten natürlich falsch waren. Und denjenigen, die jetzt mit dem Finger auf ihn zeigen, sage ich: Leute, fasst Euch an die eigene Nase!

SPOX: Für andere Schlagzeilen sorgte das neue Anti-Doping-Gesetz der UFC. Pro Jahr soll es 2750 Tests geben, Sperren bis zu vier Jahren sind offenbar möglich. Wie schätzen Sie die neuen Regeln ein?

Hein: Ich kenne ein ähnliches System schon vom Amateursport, wobei es damals noch strenger war. Wir mussten immer erreichbar sein und Monate zuvor angeben, wo wir sein werden. Darunter hat das Privatleben gelitten. Das neue UFC-Gesetz ist nichtsdestotrotz eine positive Entwicklung. Komplett wird man Doping allerdings nie ausradieren können, auch deswegen, weil jeder immer Superstars haben will, die ihre Gegner dominieren und reihenweise ausknocken. Dasselbe sehen wir ja auch bei Olympia, es soll immer höher, schneller und weiter gehen. Aber es ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

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