"Großbritannien war sehr chaotisch"

Benedikt Treuer
24. Dezember 201412:19
Mathias Berthold ist seit dieser Saison zurück beim DSV und betreut Felix Neureuther und Co.getty
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Österreich, Deutschland, Österreich - und wieder zurück. Langweilig wird es bei Mathias Berthold nicht. Im Interview mit SPOX spricht der 49-jährige Cheftrainer der DSV-Männer über das Hin und Her zwischen den Nachbarländern, seinen exotischen Start auf der Insel und das Finale der Fußball-WM.

SPOX: Herr Berthold, nach vier Jahren in Österreich sind Sie seit dieser Saison zurück beim DSV. Warum verlässt man seine Heimat, in der man sehr erfolgreich ist und zahlreiche Titel gewonnen hat?

Mathias Berthold: Die Arbeit in Österreich war ein riesengroßes Programm mit sehr vielen Mannschaften, Trainern und Athleten. Bei all der administrativen Arbeit kam der Sport leider zu kurz. Ich habe versucht, den Kontakt zu den Athleten so gut wie möglich zu halten. Das ging aber aufgrund all der anderen Aufgaben auch auf Kosten meiner privaten Zeit, sodass ich mich dort leider nicht mehr wohl gefühlt habe. Deswegen habe ich mich entschieden, beim ÖSV aufzuhören.

SPOX: Ist der deutsche Verband denn anders strukturiert?

Berthold: Die Strukturen als solche sind sehr ähnlich. Der DSV ist sehr gut organisiert und steht dem österreichischen Skiverband in keinster Weise nach. Beim ÖSV ist alles aber wesentlich größer.

SPOX: Konnten Ihre Kollegen und Landsmänner Ihre Entscheidung nachvollziehen?

Berthold: Nicht jeder, aber ich gehe meinen eigenen Weg und mache das, wovon ich überzeugt bin. Der DSV war für mich eine Herzensangelegenheit und eine riesige Motivation.

SPOX: Ihre Trainerkarriere ist geprägt vom ständigen Hin und Her zwischen Deutschland und Österreich. Sie waren bereits Trainer beider Damen-Skimannschaften und nun auch beider Herren-Teams. Brauchen Sie diese Abwechslung?

Berthold: Ich wollte das eigentlich nie. Ich habe mir immer Kontinuität gewünscht und war auch lange in Deutschland tätig. Als das Angebot damals aus Österreich kam, war es nicht abzulehnen. Zu dem Zeitpunkt hat es sehr gut gepasst: Österreich war erfolglos und hatte eine Zeit lang keine Olympische Medaille gewonnen. Dieser großen Herausforderung wollte ich mich stellen. Mir geht es nicht um Abwechslung - weder zwischen Damen und Herren, noch zwischen Deutschland und Österreich. Ich fühle mich jetzt bei den deutschen Männern sehr wohl und hoffe, den Trainerjob hier längerfristig auszuüben.

SPOX: Dadurch haben sich die Vorzeichen für Sie drastisch verändert. Während man in Österreich Siege quasi fest einplant, muss man sich in Deutschland über jeden Weltcup-Punkt freuen. Wie gehen Sie mit der neuen Erwartungshaltung um?

Berthold: Eine große Erwartungshaltung darf man im Moment nicht haben. Wir wollen die Technikmannschaft auf breitere Beine stellen. Es darf nicht nur an Felix Neureuther, Fritz Dopfer und Stefan Luitz hängen. Junge Fahrer sollen herangeführt werden, damit wir eine schlagkräftige Mannschaft zusammen bekommen.

SPOX: Sie sprechen von der Technikmannschaft. Was ist mit den Speed-Disziplinen wie der Abfahrt?

Berthold: Im Speed-Bereich waren wir in den letzten Jahren nicht sehr erfolgreich. Das müssen wir von Grund auf neu bearbeiten. Das Ziel ist es auch dort, unsere Fahrer mittel- oder langfristig in die Weltspitze zu bringen.

SPOX: Wieso ist das deutsche Team in der Breite überhaupt so schwach aufgestellt ist? Beim ÖSV ist der Erfolg auf viele Namen geschultert: Hirscher, Matt, Mayer, Raich...

Berthold: Natürlich sind wir nicht so stark besetzt wie Österreich. Aber wir haben es auch damals mit den deutschen Damen geschafft, den Österreicherinnen bis zum letzten Rennen die Stirn zu bieten. Das hätte uns niemand zugetraut. Es ist möglich, konkurrenzfähig zu sein, auch wenn man nicht so breit aufgestellt ist.

SPOX: Es macht vieles aber sicher einfacher?

Berthold: Wenn man, wie Österreich, viele Athleten hat, ist das in erster Linie ein großer Vorteil. Es kann sich innerhalb des Teams aber auch zum Nachteil entwickeln, wenn das Angebot an Fahrern zu groß wird. Für uns ist es wichtig, aus unseren Möglichkeiten das Beste herauszuholen. Dann kann Qualität am Ende die Quantität schlagen. Wir werden nicht in der Lage sein, Österreich im Nationencup Paroli zu bieten, dazu haben wir einfach zu wenige Athleten. Das Ziel ist es aber, in jeder Disziplin mindestens einen Fahrer zu haben, der vorne mitfahren kann.

SPOX: Warum ist es so schwer, Nachwuchs zu rekrutieren? Deutschland müsste doch genügend davon haben, schließlich gibt es zahlreiche DSV-Stützpunkte in Alpennähe.

Berthold: In den letzten Jahren wurde gut gearbeitet. Wir können mittlerweile früher auf junge Leute zurückgreifen. Was die nachkommenden Jahrgänge angeht, sind wir im internationalen Vergleich relativ gut dabei. Wenn wir das weiter verbessern, geht pro Jahrgang vielleicht ein guter Athlet hervor. In Österreich sind das pro Jahr zwar drei oder vier überragende Fahrer, aber letztlich zählt die Qualität der Arbeit. Mit unserem Trainerteam können wir die deutsche Zukunft im Ski Alpin erfolgreich gestalten.

SPOX: Wie kann ein Trainer erfahrene Athleten wie Felix Neureuther oder Fritz Dopfer überhaupt noch weiterentwickeln? Die standen ihr Leben lang auf Skiern. Geht es da mehr um mentalen Zuspruch?

Berthold: Natürlich versuchen wir die Leute mit jedem Training technisch zu verbessern. Niemand ist perfekt, also gibt es überall noch Bereiche, an denen man arbeiten kann. Wären Sie fehlerlos, würden Sie jedes Rennen gewinnen. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt noch Luft nach oben. Das weiß auch ein Felix Neureuther. Wir analysieren anhand von Videos gewisse Fahrfehler und Schwächen und geben den Athleten entsprechende Möglichkeiten an die Hand, diese zu beseitigen.

SPOX: Ein gutes Beispiel Ihrer erfolgreichen Trainingsarbeit ist Matthias Mayer. Den haben Sie in Österreich von der Nachwuchshoffnung zum Olympiasieger gemacht. Wie führt man einen jungen Athleten so schnell in die Weltspitze?

Berthold: Er ist ein Glücksfall. Es ist sehr schwer - gerade in den Speed-Disziplinen - einen jungen Athleten zum Olympiasieger zu machen. Das ist nur mit einem guten Trainerteam und einem Fahrer mit unbändigem Ehrgeiz und riesiger Motivation möglich. Das kann man nicht mit jedem machen. Ein solcher Athlet muss alles mitbringen, um top zu sein. Für Matthias Mayer war das erst der Anfang. Er wird in den nächsten Jahren massiv den Ton angeben und den Speed-Bereich dominieren.

SPOX: Also braucht es auch das gewisse Glück, einen solchen Mann in seinen Reihen zu haben?

Berthold: Glück spielt für mich nur in Zusammenhang mit der Verletztensituation eine Rolle, ansonsten aber kaum. Wenn man Vierter wird, ist das nicht Pech, sondern Unvermögen. Natürlich braucht es Mut, Ehrgeiz und einfach Skifahrer-Gene.

SPOX: Sind Sie da etwas neidisch auf Joachim Löw, der über ein großes Talente-Reservoir verfügt?

Berthold: Man kann die Sportarten schlecht miteinander vergleichen. Es ist schön, dass man in Deutschland so viele Talente im Fußball hat, aber unsere Situation ist nun einmal so, wie sie ist. Ich freue mich für Joachim Löw, wenn er es einfacher hat. Trotzdem haben auch wir Talente, die wir dahingehend formen können, dass sie absolute Weltspitze werden.

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SPOX: Ist die Begeisterung für den Wintersport in Österreich auch eine ganz andere? Man hatte das Gefühl, Sie sind in Österreich fast bekannter als der Fußball-Nationaltrainer Marcel Koller.

Berthold: Auf alle Fälle. Das macht der Umstand, dass in Österreich das Skifahren die Sportart Nummer eins ist. Der Stellenwert ist extrem hoch, jeder kennt die Athleten, Trainer und das ganze Umfeld. Skifahren in Österreich ist vergleichbar mit Fußball in Deutschland.

SPOX: Wie war das denn bei der Fußball-WM? Durften Sie als Österreicher in Deutschland Partei ergreifen?

Berthold: Wir haben das Finalspiel mit der Abfahrtsmannschaft angeschaut, auch wenn wir da auf Kollisionskurs waren: Ich musste meinen Jungs sagen, dass ich für die Gauchos mitfiebere, weil ich Argentinien-Fan bin und mir der Messi taugt. Das hat ihnen natürlich nicht gepasst, aber es war kein Problem. Ansonsten bin ich ein Riesenfan vom deutschen Fußball, die Bundesliga ist zum Zusehen die beste Liga. Nur wenn Österreich gegen Deutschland spielt, ist natürlich klar, dass meine ganze Leidenschaft dem ÖFB gilt - meistens mit einem schlechten Ausgang (lacht).

SPOX: Marcel Hirscher sagte im SPOX-Interview, dass er in Österreich wegen seiner Bekanntheit ständig und überall angesprochen wird. Mittlerweile fühle er sich dabei aber wohl. Können Sie das für sich bestätigen?

Berthold: Ja und Nein. Im Endeffekt ist es immer schön, wenn der Skisport so populär ist. Von daher ist die Bekanntheit überwiegend positiv.

SPOX: Empfinden Sie die Presse in Deutschland denn als weniger kritisch als in Österreich, wenn es um die alpinen Sportarten geht?

Berthold: Wenn wir ein Ergebnis wie in Are erzielen, mit einem zweiten Platz von Felix, einem dritten von Stefan und einem vierten von Fritz, dann ist das cool. Wenn ich in Österreich ein Wochenende habe, an dem nicht mindestens ein Sieg verbucht wird, ist das eine Katastrophe und alle kritisieren die Mannschaft. Das kann man mit Deutschland gar nicht vergleichen.

SPOX: Sie beschäftigen sich aber mit dem, was geschrieben wird?

Berthold: Ich bin lange genug in der Verantwortung, um die Dinge einschätzen zu können. Positive Berichterstattung ist schön, man freut sich darüber. Allerdings weiß ich auch, dass bei einem schlechten Rennen sofort wieder vom Gegenteil die Rede ist. Als junger Trainer oder Athlet hat man damit größere Probleme, weil man dem Ganzen viel mehr Bedeutung zumisst.

SPOX: Zu Beginn Ihrer Trainerkarriere dürften Sie das komplette Gegenteil in Sachen Pressearbeit mitbekommen haben. Sie haben damals zwei Jahre in Großbritannien gearbeitet - ein Land, das man nicht unbedingt mit dem Skisport in Verbindung bringt. Wie kam das eigentlich zustande?

Berthold: Über die Medien habe ich damals kundgetan, dass ich Trainer werden wollte und ich war als ehemaliger Skifahrer kein Unbekannter. Es gab schnell zahlreiche Angebote und die Aufgabe in Großbritannien erschien mir sehr verlockend. Das war aber reine Intuition. Der Weg, den ich dort gegangen bin, war sehr erfolgreich und brachte mich dann später zurück nach Österreich. Es scheint also die richtige Entscheidung gewesen zu sein.

SPOX: Mit Alain Baxter haben Sie damals sogar die erste britische Olympia-Medaille im alpinen Skisport gewonnen, jedoch wurde sie ihm wegen Dopings wieder aberkannt. SPOX

Berthold: Das war schon klasse. Niemand kannte unsere Mannschaft und erst recht hatte keiner daran geglaubt, dass so ein Erfolg möglich ist. Maßgeblich für den Erfolg war Christian Schwaiger, der aktuelle Disziplintrainer unserer Speed-Mannschaft, verantwortlich. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits beim ÖSV, Christian noch bei den Briten. Dass Alain die Bronze-Medaille im Nachhinein wegen angeblichen Dopings aberkannt bekommen hat, war völliger Nonsens. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich nicht noch einmal aufrollen möchte.

SPOX: Würden Sie sich in Großbritannien als Entwicklungshelfer sehen?

Berthold: Als ich dort ankam, gab es bereits gewisse Strukturen, aber es war doch sehr chaotisch. Ich war dafür verantwortlich, den Verband besser und strukturierter aufzustellen - und eben Top-Trainer wie Christian Schwaiger auf die Insel zu holen. Das habe ich dann auch gemacht, es hat mir Spaß bereitet.

SPOX: War früher, als vieles noch nicht ganz so professionell ablief, generell alles lockerer als heute?

Berthold: Natürlich war es locker. Das Training von damals ist mit dem heutigen gar nicht mehr vergleichbar. Heute wird härter gearbeitet und mehr trainiert. Die Sportwissenschaft ist auf einem ganz anderen Stand und wird wesentlich besser mit einbezogen. Es hat sich definitiv einiges verändert.

SPOX: Auch was den Umgang der Athleten untereinander betrifft?

Berthold: Sicherlich ging es da etwas ungezwungener zu. Nach dem Training hat man schon einmal dagesessen und mit seiner Mannschaft etwas getrunken oder einfach erzählt. Aber heute ist das ganz anders: Nach dem Abendessen sind alle Athleten weg. Sie sind dann beim Physiotherapeuten oder schauen im Videostudio vorbei.

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