Vom Ski-Zirkus auf die Showbühne - Armin Assinger hat es geschafft. Er ist Österreichs Antwort auf Günther Jauch: schnell, lustig, kultig. Im SPOX-Interview spricht der 50-Jährige über die Millionenshow, die Kunst der Verdrängung, Kicken im Zielraum sowie berüchtigte Kamerafahrten. Plus: Die Sorgen einer Downhill-Mom und die deutsche Slalom-Armada.
SPOX: Herr Assinger, was haben Jauch und Sie gemein?
Armin Assinger: (lacht) Außer unseren Beruf eher wenig. Wir beide sind so unterschiedlich, womöglich kann man uns gerade deshalb vergleichen. Er verfolgt bei "Wer wird Millionär?" jedenfalls seinen eigenen Ansatz, ich bei der "Millionenshow" meinen. Der größte Unterschied ist wohl die gemeinsame Sprache. Obwohl ich mit meinem Dialekt in Köln bislang zurechtkomme.
SPOX: Kennen Sie einander?
Assinger: Nein, tatsächlich nicht. Einmal telefonierten wir. Das war eine kuriose Geschichte. Moderatorin Miriam Weichselbraun saß bei der Promi-Millionenshow auf dem Stuhl und sagte zu mir, sie würde gerne ihren Freund Günther anrufen. Ich begrüßte ihn und fragte: "Günther, woher kommen sie?" Ich wusste nicht, dass es Günther Jauch ist. Plötzlich war er Joker. Als er sich zu erkennen gab, brach im Studio Gelächter aus. Es sollte der einzige Kontakt bleiben, obwohl wir das gleiche Studio, die gleiche Garderobe nutzen.
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SPOX: Wie viele Kandidaten räumten bei Ihnen den Jackpot ab?
EcowinAssinger: Ich meine, es waren sechs oder sieben - und lediglich ein Mann. Sie durch die Sendung zu führen, ist etwas Besonderes. Zumal ich die Schicksale kenne und mehr weiß, als ich dem Zuschauer preisgebe. Wenn ein 50-Jähriger, der ob seines Alters keinen Job findet, 150.000 Euro gewinnt, denke ich mir: "Halleluja, es hat den Richtigen erwischt!" Für mich ist es schön, dass Fortuna hin und wieder Herz zeigt.
SPOX: Also ist das lockere Fragestellen mit Nervenkitzel verbunden?
Assinger: Ja, ich zittere wirklich mit. Jeder, der das Glück hat, bei mir in der Mitte zu sitzen, erlebt da eine Ausnahmesituation. Diese 20 bis 30 Minuten können alles auf den Kopf stellen. Auch wenn man sich fest vornimmt, sich vom Geld nicht beeinflussen zu lassen, der Alltag ändert sich trotzdem. Um eine Million Euro auf dem Konto zu haben, musst du im Berufsleben erst zwei verdienen. Bei uns kriegst du sie auf einen Schlag. Wobei ich glaube, die Gefahr des Durchdrehens, des Größenwahns, ist bei Lotto-Gewinnern höher. Für die Millionenshow musst du ein gewisses Maß an Intelligenz mitbringen.
SPOX: Inwiefern vermag ein Rennen, ein großer Triumph nachhaltig das Leben zu beeinflussen?
Assinger: Ein Einzelsportler ist zu bodenständig dafür. Du lernst sehr früh, nicht himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt zu reagieren. Man hebt durch Erfolge nicht so schnell ab, wenngleich der Rummel um dich eklatant steigt. Es heißt allerdings nicht umsonst: Olympiasieger bist du ein Leben lang. Die Spiele umgibt der Ewigkeits-Nimbus. Man sieht es bei Franz Klammer. Dessen Triumph 1976 in Innsbruck lenkte seine Karriere in ungeahnte Bahnen. Er ist ein ewiger Held.
SPOX: Wie sehr prägte Sie die Laufbahn?
Assinger: Für mich ist Leistungssport eine der besten Lebensschulen. Engagierst du dich dort, lernst du bald zu verlieren, lernst zu gewinnen und damit umzugehen. Ich möchte das nicht missen. In sehr kurzer Zeit machte ich Erfahrungen, für die andere 30 bis 40 Jahre benötigen. Du musst um alles kämpfen, deine Ziele verfolgen, denn dir wird gar nichts geschenkt. Hast du erkannt, dass du nicht liegen bleiben darfst, wenn du hinfällst, ist es leichter. Das Hinfallen ist übrigens nicht das Problem. Heutzutage ist das Liegenbleiben die Krux.
SPOX: In "Bergab und doch bergauf" vergleichen Sie das Leben nicht ohne Grund mit einer Abfahrt.
Assinger: Genau, und zwar mit der schwersten Abfahrt, der schönsten und ruhmreichsten, der Streif. Auf ihr werden Legenden geboren. Mir gelang es in Kitzbühel, auf das Podium zu fahren. Andere hat diese Piste übel abgeworfen. Sie ist ein Mythos.
SPOX: Ein angsteinflößender Mythos. Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch mit Furcht sowie Selbstzweifeln. Plagten Sie nie solche trivialen Gefühlsregungen, bevor sie sich auf die Streif katapultierten?
Assinger: Die Angst war allgegenwärtig. Ein aktiver Rennfahrer spricht nicht darüber, er spricht dann von Respekt. Erst nach dem Rücktritt gesteht er sich ein, dass ihm der Stift ging. Grundsätzlich denkst du am Start nicht nach. Gerade beim Skifahren würden dir tausend Gründe einfallen, warum etwas schief gehen könnte. Als Neuling beschäftigt dich das sowieso nicht. Irgendwann kommt eine Phase, in der man sich mit Eventualitäten auseinandersetzt. Bist du darüber hinweg, findest du zu dir. So war es bei mir gegen Ende. Ich konnte zwar ob der schweren Verletzungen meine Knie nicht ganz abbiegen, aber das musste ich nicht. Angriff ist die beste Verteidigung, also gab ich Gas, Gas, Gas. Das mulmige Gefühl blendete ich aus.
SPOX: Geht das?
Assinger: Es gibt zwei Arten von Angst. Die eine lähmt dich, wie die Maus, die vor der Schlange erstarrt und gefressen wird. Die andere lässt dich wachsam sein. Wachsam heißt bewegungsbereit, aktiv. Je schlechter die Sicht, desto angriffslustiger fuhr ich, um sicher auf meinen Brettern zu stehen. So lehrte es mir Pirmin Zurbriggen, einer der Besten seiner Zunft.
SPOX: Die Kunst der Verdrängung.
Assinger: Sportler sind in einem geschützten Bereich und zimmern sich ihre Welt zurecht. Manchmal geht das nicht anders und du musst dir was vormachen, aus Selbstschutz. Bist du erfolgreich, heiligt der Zweck die Mittel. Viele Fußballer lesen keine Zeitungen. Greift Manuel Neuer bei einer Flanke daneben, wird er den Aussetzer erkennen. Dafür braucht er nicht die Medien. Lieber vertraut er auf seine Stärke und geht in das nächste Training konzentrierter. Beim Skifahrern ist es ähnlich. Sie bauen eine Hülle auf, um sich nicht verunsichern zu lassen und mit dem Selbstverständnis ranzugehen, alles niederzureißen. Als Sportler bin ich Egomane. Ich alleine habe die Leistung zu maximieren. Siegertypen verstehen das und schalten im entscheidenden Moment den Kopf aus.
Die alpine Ski-WM im Überblick
Seite 1: Assinger über Jauch und den Mythos Kitzbühel
Seite 2: Assinger über die neue Generation und deutsche Hoffnungen
SPOX: Funktioniert das immer?
Assinger: Nein. Nehmen wir Toni Polster als Beispiel: War er in Form, hat er nicht gefackelt. Er ist dort gestanden, wo er stehen musste, hat den Ball gesehen und automatisch gehandelt. Annahme, Haken, und versenkt! War er nicht in Form, hat er gegrübelt. Soll ich die Bewegung nach rechts machen? Oder besser die nach links? Womit rechnet der Gegner? Als er sich entschieden hatte, war der Ball weg. Es geschehen zu lassen, ist das Rezept. Bei vier Weltcups gelang mir das perfekt. Die vier Siege gehören mir. Meine Medaille erfuhr ich mir schließlich mit der Millionenshow.
SPOX: Wie verlief Ihr Profi-Dasein dazumal - entspannter als heutzutage?
Assinger: Früher und heute sind schwer zu vergleichen. Zu meiner Zeit kickten wir Athleten mit Journalisten gemeinsam im Zielraum. Und es gab wirklich gefürchtete Eisenfüße - Karl Schranz war einer davon. Er ist dir nicht nur einmal mit den Stollenschuhen über das Schienbein radiert, sodass du am nächsten Tag kaum in den Skischuh gepasst hast. Oder wir spielten Volleyball im Neuschnee. In Übersee hattest du mitunter mal die Möglichkeit, zusammen auf ein Frustbier zu gehen, Erfolge zu feiern. Wir ließen es schon krachen, ohne uns wegzuschießen.
SPOX: Und heute ...
Assinger: ... da sitzen die Stars im Zimmer und posten auf Facebook, Twitter oder Instagram sofort, was passiert ist. Durch das dauerhafte Online-Sein und neue Trainingsmethodik kommen zwischenmenschliche Sachen zu kurz. Ausradeln ist nicht gemeinsam Fußball spielen. Bei mir entstanden wirklich Freundschaften, etwa mit Leonhard Stock. Wir hatten riesigen Spaß. Heutzutage rennt zwar der Schmäh, jedoch weniger offensichtlich für die Medien.
SPOX: Manch erfolgreicherer Kollege verschwand in der Versenkung, während Sie zum Showstar reiften. Wie kam es dazu?
Assinger: 1989 durfte ich das erste Mal beim ORF reinschnuppern. Nachdem ich verletzt war, fragte ich, ob ich die Übertragungen als Co-Kommentator begleiten könne. Dadurch blieb ich nah an der Mannschaft und sammelte erste Erfahrungen. Jahre später erlebte ich mit, wie zwei Amerikaner in Aspen kommentierten. Sie standen im Zielhaus und schrien sich die Seele aus dem Leib. Das taugte mir. In Europa gab es das nicht, dieses lockere Hin und Her zwischen Reporter und Experte, wo der eine dem anderen eine Frage stellt, um ihm Kompetenz zuzuschanzen. Nach dem Rücktritt wollte ich das in Österreich umsetzen.
SPOX: Und Sie revolutionierten die Live-Übertragung.
Assinger: Ich bestritt sicher um die 300 Kamerafahrten. Ich erinnern mich, als ich in den Anfängen mit einer Kamera runtergerast bin, die andere auf der Schulter trugen. Dazu wurden mir Batterien an den Körper geschnallt. Ich hatte knapp 25 Kilogramm mehr - und danach unglaubliche Kreuzschmerzen. Für mich war das der Einstieg. Obwohl es nicht leicht war, Robert Seeger von meiner Idee zu überzeugen. Letztlich rauften wir uns zusammen und stellten was Einzigartiges auf die Beine.
SPOX: DasYoutube-Video zur olympischen Abfahrt 2006 ist in unserer Redaktion Kult. Was schwirrte Ihnen bei der Fahrt von Antoine Deneriaz durch den Kopf?
Assinger: (lacht) Alle redeten vom Olympiasieger Michael Walchhofer. Die Top 3 machten sich sogar bereit für das Siegerfoto. Ehe dieser Hundling kam. Deneriaz hatte die Nummer 30 und ich dachte mir schon, der würde gefährlich. Er zauberte eine gnadenlos gute Fahrt hin. Das Schicksal meinte es danach nicht gut mit ihm. Nach einem schweren Sturz zog er einen Schlussstrich. Er machte mich in Turin fast sprachlos, und das passiert selten. Wenn man sich in die Rolle versetzt, fiebert man eben extrem mit, leidet mit, wenn jemand stürzt. Meine Gedanken gehen immer an die Eltern, die vor dem Fernseher alles mitansehen. Ich bin froh, dass sich unsere Kinder nicht für den Job entschieden haben. Das würde ich nicht aushalten. Meine Mama weiß ein Lied davon zu singen. Ich und mein Bruder Roland fuhren beide Rennen - das war eine psychische Belastung. Sie verdrückte ein paar Schnapserl zur Beruhigung.
SPOX: Ein Gros der TV-Zuseher liebt Sie für Ihre Emotionen, der Rest hasst Sie. Wie geht man damit um?
Assinger: Einem jeden Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann, heißt es. Mir ist klar, dass nicht alle den Assinger hören können. Mir gefällt auch nicht alles, was ich sehe und höre. Bei einigen schwingt der Neid unterschwellig mit. Neid ist eine zutiefst menschliche Regung, die es hinzunehmen gilt. Der Mensch nörgelt ohnehin im deutschen Sprachraum lieber, als er lobt. Da muss man drüberstehen. Michael Douglas sagte einst: Erfolg ist die schönste Form der Rache.
SPOX: Selbst mit Hermann Maier gingen Sie auf Konfrontationskurs.
Assinger: Davon weiß ich nichts mehr (lacht). Es war bei der WM in Are 2007 und höchst lächerlich. Von den Medien wurde das hochgespielt. Ich habe mich längst mit Hermann ausgesprochen, das Thema ist durch.
SPOX: Ich verbinde mit dem Herminator unter anderen die Szene, als er in Beaver Creek mit dem Gesicht ein Abfahrtstor niedermähte und Gold erzwang. Sie?
Assinger: Das war eine verrückte Aktion. Ich dachte mir, er ist die Vorhut der Pistenarbeiter und hilft ihnen beim Abräumen. Er stieß in neue Dimensionen und zeigte uns Skifahren von einem anderen Stern. Er war besessen vom Erfolg und ein ausgeprägter Charakter, wie es Marc Girardelli oder jetzt Marcel Hirscher sind. Solche Typen ticken eben anders. Hermann wurde außerdem von seiner Vorgeschichte angetrieben. Als Jugendlicher flog er aus den Kadern - das motivierte ihn. Er wollte es allen zeigen und versenkte die Konkurrenz geradezu mit Rekordvorsprüngen. Er fuhr Linien, die keiner für möglich hielt. Wie in Beaver Creek.
SPOX: Nun kehrt die WM zurück nach Vail. Was ist von den Deutschen zu erwarten?
Assinger: Österreichs Einser-Bock heißt Marcel Hirscher. Dahinter fehlt der Nachschub. Läuft es blöd, sind drei Deutsche im Slalom voran (lacht). Im Fußball seid ihr schon unbezwingbar und jetzt im Winter stark. Beim DSV sieht man jetzt, welche Wirkung ein Zugpferd wie Felix Neureuther hat. In seinem Windschatten pirschen sich Junge heran. Ein Fritz Dopfer, ein Stefan Luitz, oder ein Linus Strasser, der es drauf hat. Für sie ist alles möglich.
SPOX: Welche Chancen hat Josef Ferstl?
Assinger: Weltmeisterschaften schreiben ihre eigenen Gesetze. Oft schlägt jemand zu, den wir nicht auf der Rechnung haben. Warum nicht Ferstl? Geht ihm ein Licht auf, holt er vielleicht eine Medaille. Gerade in der Abfahrt und im Super-G wird es unglaublich eng. Kjetil Jansrud ist der große Favorit. Für ihn wäre alles andere als Gold eine Enttäuschung. Dahinter lauern mitunter wir Österreicher mit Hannes Reichelt und Olympiasieger Matthias Mayer.
SPOX: Ist die "Birds of Prey", auf welcher die Speed-Disziplinen ausgetragen werden, eine der letzten echten Herausforderungen?
Assinger: Es gibt schon noch diese Klassiker, die Athleten fordern. Nur fehlen mittlerweile die Spezialisten - und die braucht der Sport. Sie setzen Maßstäbe, ob in den technischen oder den Speed-Disziplinen. Ich war nie ein Freund dieser Allrounder-Züchtung. Anstatt Stärken zu forcieren, werden zuerst Schwächen ausgemerzt. Man trifft sich in der Mitte und dort ist der Durchschnitt daheim. So nivelliert man das Niveau nach unten.
SPOX: Wie ist die Entwicklung zu stoppen?
Assinger: Früher waren wir auf Rumpelpisten unterwegs. Heute ist alles optimal präpariert. Die Abfahrten mussten entschärft werden. Durch die Material-Entwicklung kamen Kurven-Radien und Geschwindigkeiten zustande, die zu gefährlich waren. Um der Entwicklung Herr zu werden, setzte man zunehmend Ecken rein. Verjagte es dich von der Linie, hingst du im Netz wie ein Fisch. Mittlerweile versucht Hannes Trinkl, der neue Rennleiter, Wellen einzubauen, wo die Athleten aus der Hocke gehen, sich das Tempo reduziert und den Lauf um Kriterium erweitert. Die Klassiker werden in 50 Jahren weiterhin jeden fordern - die Streif ohnehin.
SPOX: Danke für das Stichwort: Sie sagen, jeder Mensch hat seine persönliche Mausefalle. Zu guter Letzt: Was ist Ihre?
Assinger: Man sieht sich ständig mit Mausfallen konfrontiert. Eine meiner Mausfallen ist die Ungeduld: Ich denke mir, warum dauert das Interview so lange (lacht). Nein, es sind Dinge, die dich beschäftigen und nicht immer die großen Schwierigkeiten. Oft sind es alltägliche Herausforderungen, die Kraft rauben. Einst sagte ein Psychologe zu mir: "Armin, warum grübelst du solange über ein Problem. Die gehen dir sowieso nicht aus - es kommen wieder neue." Damit liegt er richtig.
Die alpine Ski-WM im Überblick
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