Die Nordische Ski-WM im schwedischen Falun ist Geschichte. Höchste Zeit für SPOX, zurückzublicken. Severin Freund besteigt den Skisprung-Thron, Norwegen läuft alles in Grund und Boden. Zudem: Exoten, Super Rydzek, Langlauf-Debakel und Eric Frenzels Enttäuschung.
Tops
Freund endlich emanzipiert: Es war ein langer Weg, doch mit seinem Einzel-Gold von der Großschanze in Falun ist Severin Freund endgültig auf dem Skisprung-Thron angekommen. Oder um es mit den Worten von Bundestrainer Werner Schuster zu sagen: "Er hat sich endgültig emanzipiert und ist in die Top-Kategorie aufgestiegen. Im Moment ist er der beste Springer der Welt."
Keine Frage: Das erste deutsche Skisprung-Einzel-WM-Gold seit 14 Jahren bringt Freund, der außerdem das Mixed-Springen sowie Silber von der Normalschanze gewann, in eine Riege mit Martin Schmitt, Sven Hannawald und Jens Weißflog. Seine ungewollt komische Einlage mit Youtube-Potential war da schnell vergessen: Beim ersten Sprung (134 Meter) setzte Freund schon zum Jubel an - und hätte sich beinahe vor der Tribüne hingelegt. Gerade so konnte er sich noch abstürzen.
"Das braucht ein bisschen Zeit, bis ich das begriffen habe", so der überglückliche frisch gebackene Weltmeister nach dem Sieg, den er mit einem Schanzenrekord im zweiten Sprung (135,5 Meter) betoniert hatte: "Es war ein absolut geiler Wettkampf, in dem alles für mich gespielt hat und alles aufgegangen ist. Ich hatte zweimal brutal viel Spaß, einfach unglaublich." Viel mehr gibt es da nicht hinzuzufügen.
Apropos Skispringen und Top: Natürlich muss hier auch Carina Vogt erwähnt werden, die nach ihrem Olympiasieg WM-Gold im Einzel und im Mixed gewann. Prompt wurde im schwäbischen Degenfeld ein Carina-Vogt-Weg aus der Taufe gehoben.
Im Norden nichts Neues: Pure Dominanz, Zweiklassengesellschaft, oder, wie eine österreichische Zeitung schrieb, die "Norwegische Tyrannei" - wie man den Auftritt der Norweger bei der Nordischen Ski-WM auch bezeichnen müsste, in jedem Fall war es eines: Ski-Sport vom Allerfeinsten. Mit 20 Medaillen, darunter elf Mal Gold, sicherten sich die Norweger im Nachbarland den Sieg im Medaillenspiegel und holten damit häufiger Gold als irgendein anderes Land insgesamt an Medaillen verzeichnen konnte.
Während das deutsche Team im Langlauf ohne Medaille blieb, brillierten die Norweger vor allem hier und eilten im wahrsten Sinne des Wortes von Sieg zu Sieg. Ob Teamsprint, Staffel, Massenstart oder auch dem klassischen Sprint - an den Norwegern führte, um metaphorisch zu bleiben, kein Weg vorbei. Gleichzeitig gilt damit: Im Norden nichts Neues! Seit 1997, als Russland ausgerechnet in Trondheim dominierte, hat Norwegen bei jeder nordischen WM den Medaillenspiegel am Ende angeführt.
Björgen sammelt weiter: Bleiben wir noch für einen kurzen Moment bei den Norwegern und schauen auf die neue Rekordhalterin. Als Schlussläuferin hatte Marit Björgen der Langlaufstaffel nach dem verpatzten 10-Kilometer-Rennen den WM-Titel gesichert und dabei persönlich einen Rekord eingestellt.
Mit ihrem 14. WM-Titel zog die 34-Jährige mit der Russin Jelena Wälbe gleich. Ein anderer Rekord gehört der notorischen Edelmetall-Sammlerin bereits alleine: 31 Medaillen, davon 21 bei Weltmeisterschaften, hat Björgen bislang eingesackt.
Superman, bevor es cool war: Damit reicht es aber auch mit den Abo-Siegern aus Norwegen, immerhin gab es auch aus deutscher Sicht einiges zu feiern. Da wäre beispielsweise der zweite Platz im Medaillenspiegel mit insgesamt acht Medaillen (fünf Mal Gold), gleichbedeutend mit dem besten deutschen Ergebnis seit 41 (!) Jahren, als die DDR das Skispringen und die Nordische Kombination dominierten.
An der Aufteilung hat sich seither wenig geändert, wieder waren die Skispringer und die Kombinierer obenauf - während die Langläufer enttäuschten. Doch dazu später mehr. "Unsere Erwartungen und Ziele wurden noch getoppt. Das waren die erfolgreichsten nordischen Weltmeisterschaften, die es je für den Verband gab", frohlockte DSV-Präsident Franz Steinle anschließend.
Johannes Rydzek räumte gleich vier Medaillen ab - und machte ganz nebenbei den Superhelden-Jubel, bevor er durch den BVB cool wurde. Nach seinem Einzelsieg im Sprint zeigte Rydzek sein Erfolgsgeheimnis: Ein blaues Superman-Shirt, das er unter dem Trikot trägt. "Ich bin ein alter Comic-Fan, und bislang war es ein Glücksbringer", grinste der 23-Jährige.
Die Feel-Good-Stories: Kein sportliches Großereignis ohne die Außenseiter und Exoten, die zwar sportlich keine Chance haben, aber dennoch die Herzen der Zuschauer berühren. Da war beispielsweise Callum Watson, der beim Langlauf über 15 Kilometer auf Rang 72 eingelaufen war, 5:38 Minuten hinter Sieger Johan Olsson. Der Australier wäre per se schon ein Farbklecks in der Wintersport-Welt, doch dazu kommt seine dramatische Geschichte.
Bei einem Sprint im August war Watson unfassbar unglücklich gestürzt und der Ski seines Nebenmannes bohrte sich durch seine Rippen in die Lunge. Der rechte Lungenflügel kollabierte sofort, es gab später erneut Komplikationen - der Sunnyboy verlor seinen Optimismus, kämpfte sich aber zurück. "Es war zwar nicht im Ansatz das, was ich wollte, aber ich bin glücklich, überhaupt bei den Weltmeisterschaften zu laufen. Das hätte ich vor einem halben Jahr nicht für möglich gehalten", betonte er. Nächstes Ziel: Top 30 bei der WM 2017.
Noch schiefer als Watson dürfte Makeleta Stephan in ihrem Heimatland angeschaut werden, wenn sie von ihrer Leidenschaft berichtet. Stephan kommt aus Tonga und nahm als erste Sportlerin für das Inselkönigreich bei einer Nordischen Ski-WM teil. Kein Wunder - Tongas Skiverband wurde erst im Herbst 2014 offiziell anerkannt, ganze sechs Wochen bereitete sich die 36-Jährige vor, die zuvor mit Wintersport nichts am Hut hatte. "Ich hätte fast geweint, die Leute haben mich so sehr angefeuert", strahlte sie anschließend.
Flops
Frenzel enttäuscht trotz Gold: Gold und Silber in den Team-Wettbewerben, im Einzel aber trotz der Favoritenrolle leer ausgegangen: Aus Sicht von Eric Frenzel war es eine WM, die man anschließend nur schwer auf einen Nenner bringen kann. "Es war diesmal eine durchwachsene WM", betonte der 26-Jährige und gab zu: "Über die Einzelergebnisse bin ich schon ein wenig enttäuscht, weil meine Erwartungen höher waren."
Dabei hätte ihn seine extrem enttäuschende Einzel-Vorstellung, Frenzel war am Donnerstag nur Zehnter geworden, beinahe sogar die Chance auf die Silbermedaille im Teamsprint gekostet. Intern wurde ernsthaft darüber diskutiert, Tino Edelmann oder Fabian Rießle statt Frenzel starten zu lassen. Am Ende rechtfertigte er aber das Vertrauen und konnte sich zumindest noch mit Teamsprint-Silber trösten.
Langläufer - Tristesse hinter Japaner: Es klang wie eine Drohung, als DSV-Sportdirektorin Karin Orgeldinger mit Blick auf die Langläufer ankündigte: "Wir werden Maßnahmen ergreifen, um uns im Hinblick auf kommende Großereignisse weiterzuentwickeln. Wir werden uns genügend Zeit nehmen, die WM zu analysieren." Überraschend kamen die klaren Worte nicht, wie vor zwei Jahren kehrten die Langläufer ohne Medaille heim.
In der Königsdisziplin über 50 Kilometer gab es die totale Ernüchterung: Sebastian Eisenlauer wurde bester Deutscher auf Rang 41 - mit über zehn Minuten Rückstand. Thomas Bing landete einen Platz dahinter, war restlos bedient und fluchte auf das Material: "Wer schon einmal Fahrrad ohne Reifen gefahren ist, weiß, wie ich mich gefühlt habe. Als mich dann auch noch ein Japaner abgehängt hatte, hatte ich keinen Bock mehr."
Nachsichtigkeit mit den Gastgebern? Es war ein packendes Finish, auf der Zielgerade schoben sich die Schweden im Teamsprint der Langläufer noch an Polen vorbei auf den zweiten Platz. Wie schon in Sotschi verpassten Nicole Fessel und Denise Herrmann die Medaillen mit dem vierten Rang denkbar knapp.
Allerdings kam die schwedische Aufholjagd nicht ohne Beigeschmack: Stina Nilsson war in einer Rechts-Links-Kombination von der Strecke abgekommen, doch statt der möglichen Disqualifikation gab es nur die Gelbe Karte. Aus Sicht der beiden Deutschen ohne Frage doppelt bitter.
Langlauf hui, Rest pfui: Wer im Wintersport-Land Schweden frenetische Stimmung, tobende Fans und Lärm wie in der Bundesliga erwartet hatte, sah sich bestätigt - allerdings nur, wenn es um die Langläufer ging. Das Interesse an Skispringen und Nordischer Kombination ging gegen null, die Sportarten mussten aufgrund des mangelnden Interesses teilweise in den Zeitungen erklärt werden.
Entsprechend mau war die Stimmung bei nahezu allem, was nichts mit Langlauf zu tun hatte. Und das, obwohl die anderen Wettbewerbe in gewisser Weise im Preis mit inbegriffen waren. Umgerechnet zwischen zehn und 70 Euro kostete ein Tagesticket, doch wenn die Langläufe vorbei waren, strömten die Massen nach Hause. Nur selten blieben Zuschauer auf dem Heimweg kurz mal an der Schanze stehen und schauten zu. Ein insgesamt enttäuschendes Bild der Fans.
Kofler geht wieder vorzeitig: Es klingt fast wie ein erster Abgesang auf die eigene Karriere. "Ich sehe derzeit keine Chance, mich kurzfristig steigern zu können", erklärte Andreas Kofler bei seinem Abschied aus Falun. Ohne Einsatz packte der Tiroler seine Koffer, um sich auf den Weltcup vorzubereiten, anstatt ohne Einsatzchance in Schweden zu bleiben.
Gedanken an ein Karriereende wies der 30-Jährige entschieden zurück, musste aber zugeben: "Natürlich würde ich mir eine andere Situation wünschen. Das ist nicht das Gelbe vom Ei. Ich nehme es aber so hin, wie es jetzt ist. Ich habe hier noch einmal versucht, vorwärtszukommen, das ist mir aus meiner Sicht nicht gelungen." Unterm Strich steht letztlich ein weiteres Großereignis zum Vergessen für den Vize-Weltmeister von 2011, der nach gutem Saisonstart deutlich abgebaut hat.