SPOX: Würden Sie trotzdem den meisten Experten folgen und Peter Prevc als Topfavorit nennen?
Weißflog: Jein. Klar, er war zuletzt meistens vorn. Demzufolge kommt man um ihn natürlich nicht herum, wenn man über die Favoriten spricht. Aber wir haben in den letzten Jahren doch gesehen, dass nicht immer der gewonnen hat, der vor der Tournee die beste Form hatte. Es geht doch darum: Wie sind die Bedingungen an den einzelnen Tagen jeweils für den einzelnen Springer? Und da gibt es eben, wie angesprochen, unglaublich viele Unwägbarkeiten. Favoriten sind in den vergangenen Jahren teilweise nicht aufgrund von eigenen Fehlern, sondern wegen schlechter Bedingungen gescheitert.
SPOX: Wen muss man außer Prevc und Freund noch auf dem Zettel haben?
Weißflog: Schreibt mir die Österreicher nicht ab. Stefan Kraft war zuletzt wieder stärker, auch Michael Hayböck hat mir teils gut gefallen. Und die Norweger sind ohnehin brutal stark. Da ist mal der Eine, mal der Andere ganz vorne mit dabei. Es gibt also eine ganze Reihe von Springern, die zumindest an einem Tag ein Ergebnis komplett durcheinanderwirbeln können.
SPOX: Was geht für die anderen DSV-Adler?
Weißflog: Neben Freund sehe ich nur noch Richard Freitag, der ganz weit vorne landen könnte - zumindest was die Tagesergebnisse betrifft. Gelingt ihm gleich in Oberstdorf ein starkes Ergebnis, kann sich daraus natürlich so etwas wie ein Lauf entwickeln. Mal sehen, wie er seinen Sturz verdaut hat. Es kann sich mit der Zeit nämlich bei so etwas im Kopf etwas festsetzen, was man jetzt noch gar nicht auf dem Schirm hat.
SPOX: Apropos Psychologie. Wie groß ist während einer Tournee eigentlich der Einfluss des Bundestrainers auf den einzelnen Athleten?
Weißflog: Der Einfluss wird, je länger die Tournee dauert, immer wichtiger und auch größer. Wenn man beispielsweise vor dem Schlussspringen in Bischofshofen in der absoluten Spitze dabei ist, muss der Bundestrainer psychologische Hilfe leisten. Der Druck wird dann immer größer, die Gesamtwertung zeichnet ein relativ klares Bild. Es ist nicht leicht, mit so einer Situation ganz alleine fertig zu werden. Man hat bei den letzten beiden Tourneesiegern gesehen, wie wichtig eine entsprechende Hilfe ist. Ich erinnere mich noch, wie Thomas Diethart 2014 und Stefan Kraft 2015 bei den Trainingssprüngen in Bischofshofen die eine oder andere Schwäche zeigten. Da kommen bei einem Springer ganz schnell Zweifel auf. In so einer Phase ist die Erfahrung des Trainers enorm wichtig.
SPOX: Gibt es eine Tournee-Schanze, die besonders kompliziert ist?
Weißflog: Mittlerweile sind die Unterschiede nicht mehr ganz so groß. Aber am meisten unterscheidet sich ganz klar Bischofshofen von den anderen Schanzen. Wegen der Naturschanze und dem flachen Anlauf. Man kann sie mögen oder nicht. Ich habe drei Mal in Bischofshofen gewonnen, aber es gab auch Tage, an denen ich dort einfach nicht zurechtkam und die Tournee abgegeben habe. Früher war der Unterschied zwischen Innsbruck und Bischofshofen extrem. Heute ist er nicht mehr extrem, aber immer noch existent.
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SPOX: Traditionell steigt in Garmisch das Neujahrsspringen. Nervt es die Springer eigentlich, an Silvester nie die Sau rauslassen zu können?
Weißflog: Für mich persönlich wird Silvester grundsätzlich überbewertet. (lacht) Deshalb hatte ich damit nie ein Problem. Es war eigentlich immer so, dass ich darauf gewartet habe, dass es endlich Mitternacht ist, man kurz anstoßen kann und es dann endlich vorbei ist. Aber klar: Als Skispringer muss man sich an diesem Abend auch dann unter Kontrolle haben, wenn man Silvester toll findet. Es gab zu meiner Zeit schon den einen oder anderen Springer, der zu lange im Peaches, was damals so etwas wie eine In-Kneipe in Garmisch war, unterwegs war. Da soll es schon mal länger als bis 0.30 Uhr gegangen sein. Aber wie gesagt: Mich hat das nie interessiert.