Moritz Wagner sorgt derzeit mit der University of Michigan bei der March Madness für Furore. Im Interview spricht der 19-jährige Forward aus Berlin über seine Fabel-Leistung gegen Louisville, den ersten Titel, Dirk Nowitzki, seinen Traum NBA und einen Flugzeug-Crash mit Folgen. Michigans nächstes Duell gegen Oregon gibt es am Freitag um 0:09 Uhr auf DAZN zu sehen.
SPOX: Moritz, Sie haben mit Louisville einen der Favoriten aus dem NCAA Tournament geworfen und hatten daran mit Career High 26 Punkten (9/13 FG) großen Anteil. War es das Matchup, das Frühstück, die Tagesform? Oder wie erklären Sie Ihre herausragende Leistung?
Moritz Wagner: Es lief einfach bei mir. Man weiß halt nie, wer einen guten Tag hat. Von den fünf Jungs, die starten, kann jeder explodieren. Dieses Mal war ich es. Der Start war super, ich hatte ein paar einfache Körbe zu Beginn und dadurch hatte ich das Selbstbewusstsein, das ich brauchte, um dann auch die schwierigeren Würfe zu nehmen. Zusammenfassend könnte man sagen: Es war schon ein recht guter Tag. (lacht)
SPOX: So richtig gerechnet hat damit irgendwie niemand, schließlich lief bei Ihnen im Spiel zuvor gegen Oklahoma State nicht viel zusammen. War das eine besondere Motivation?
Wagner: Stimmt, wir haben gegen Oklahoma State zwar gewonnen, aber ich persönlich war nicht so aggressiv. Die Mentalität ist wirklich wichtig. In dem Spiel hat einiges nicht geklappt und ich habe mich davon recht schnell frustrieren lassen. Da macht der Kopf dann zu und dann kann es natürlich erst recht nicht klappen. Daher war es wichtig, dass ich mich gegen Louisville wieder auf das Positive fokussiert und schlechte Aktionen direkt abgehakt habe. Ich habe einfach mit einem Lächeln auf den Lippen gespielt und das hatte sicherlich Einfluss auf meine Leistung.
gettySPOX: Emotionen waren bei Ihnen gerade während der starken Performance eine Menge zu sehen. Wie schwer ist es für Sie, die richtige Balance zwischen Motivation und Übereifer zu finden?Wagner: Ehrlich gesagt, ist das für mich wirklich nicht leicht. Ich würde sogar sagen, es war lange eines meiner größten Defizite. Als Motivation sind Emotionen natürlich hilfreich, gerade auf so einer großen Bühne wie beim NCAA Tournament. Aber wenn es ins Negative umschlägt, kann das auch das gesamte Team runterziehen. Und einen selbst erst recht. Ich bin immer noch im Lernprozess und habe noch einen langen Weg vor mir. Aber ich habe mich in der Hinsicht schon verbessert und freue mich, wenn ich dem Team Energie geben kann. So wie gegen Louisville.
SPOX: Gibt es jemanden, dem Sie in Sachen Einsatz und Mentalität besonders nacheifern?
Wagner: Ich war schon immer ein großer Fan von Kevin Garnett. Seine mitreißende Art auf dem Feld hat mich fasziniert. Es ging ihm nie primär darum, wie viel er scort oder wie viele Rebounds er holt. Sondern darum, was er dem Team mit seiner Intensität und seiner Einstellung geben kann. Diese Energie, dieses Feuer - da möchte ich auch hinkommen. Auch wenn wir uns spielerisch jetzt nicht besonders ähnlich sind.
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SPOX: Sie haben sich selbst einmal mit Grayson Allen verglichen. Macht es Ihnen Spaß, in fremden Hallen der Staatsfeind Nummer Eins zu sein?
Wagner (lacht): Also schön ist es jetzt nicht immer. Aber ich genieße es schon. Ich bin jemand, der sehr extrovertiert ist und spielt, das ist mir bewusst. Und das spiegelt sich manchmal in der Stimmung der Fans wider. Aber mir ist egal, was andere von mir denken. So lange wir gewinnen und erfolgreich sind.
SPOX: Hat es Druck von der Mannschaft genommen, dieses Jahr vom Setzungs-Komitee nur als 7-Seed eingestuft zu werden?
Wagner: Ich bin generell kein Fan dieser ganzen Einteilung, das ist mir zu amerikanisch. Die guten Teams werden hochgespielt, andere, meist kleinere, runter. Und es gab bisher noch kein Jahr, in dem sich am Ende auch genau die Teams durchgesetzt haben, das Seeding also berechtigt war. Ich verstehe ja, dass die Thematik gerade in den USA Stories produziert, aber wir als Team sehen uns nicht als 7-Seed. Ich will das Ding gewinnen. Genau wie jeder andere aus dem Team. Deshalb fahren wir dort hin. Denn jeder, der dabei ist, hat die Möglichkeit dazu. Es ist egal, gegen wen wir spielen. Es geht vielmehr um uns. Wir wollen uns die nächsten 40 Minuten verdienen. Und das geht nur mit einem Sieg.
SPOX: Mitte Februar waren Ihre Aussichten auf die Teilnahme am March Madness mit einer Bilanz von 17-10 nicht wirklich rosig, nun steht das Team plötzlich im Sweet 16. Was ist in diesen letzten Wochen passiert?
Wagner: Das ist schon verrückt. Wir sind diese Saison durch ein paar Täler gegangen und hatten zwischenzeitlich eine harte Zeit. Wir wussten, dass wir mit dem Rücken zur Wand standen, da wir noch nicht genug Siege gegen starke Teams auf dem Konto hatten, um ins Tournament zu kommen. Jedes Spiel war ein Must-Win, doch dann haben wir erst in Overtime gegen Minnesota und dann durch einen späten Gamewinner gegen Northwestern verloren. Das war definitiv ein Weckruf. Und dann hat es auf einmal Klick gemacht. Beim Big Ten Tournament griffen plötzlich alle Rädchen ineinander, wir haben ein Spiel nach dem anderen gewonnen und den Titel geholt. Das war ein Wahnsinns-Gefühl.
SPOX: Dabei hatten Sie zuvor bei der Anreise einen Unfall mit dem Flugzeug. Wie haben Sie die Geschehnisse erlebt?
Wagner: Krass. Das war einfach nur krass. Das Flugzeug war komplett voll, alle waren mit an Bord. Die Kapelle, die Cheerleader, die Familien der Spieler. Es war ein sehr windiger Tag und wir wollten gerade abheben, aber der Pilot musste den Start abbrechen und hat plötzlich gebremst. Man hatte das Gefühl, irgendetwas läuft schief, und im nächsten Moment waren wir auf dem Feld hinter der Landebahn. Das war unfassbar laut. Wir hatten Glück, dass direkt ein Graben kam, der uns das Fahrwerk weggerissen hat. So sind wir nur noch weitergerutscht und nicht weitergefahren, denn direkt dahinter lag ein See. Nicht auszudenken, was da hätte passieren können. Selbst jetzt noch, wenn ich darüber rede, bekomme ich ein mulmiges Gefühl im Magen. Man kann sagen: Das war eine Nahtod-Erfahrung. Und ich merke es noch jedes Mal, wenn wir in einen Bus steigen. Das wacklige Gefühl ruft sofort Erinnerungen hervor. Oder auch, wenn man im Auto sitzt und stark bremst. Das fühlt sich dann sofort wieder so an wie im Flugzeug. Das war schon echt heftig und es ist definitiv ein Trauma. So ein Erlebnis vergisst man so schnell nicht.
SPOX: War danach überhaupt an Basketball zu denken?
Wagner: An dem Tag natürlich nicht. Und um das Spiel am nächsten Tag haben uns kein bisschen geschert. Wir haben zusammen gebetet und uns gefreut, dass wir am Leben waren.
SPOX: Am nächsten Tag sind Sie dann hingeflogen, haben wie entfesselt gespielt und das Tournament gewonnen. Wie verrückt ist das bitte?
Wagner: Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wie das möglich war. Wir wurden am Abend des Crashs psychologisch betreut und der Psychologe meinte zu uns: 'Ihr habt jetzt genau zwei Möglichkeiten: Entweder Ihr gebt auf und nehmt nicht am Turnier teil - oder Ihr fliegt morgen dahin und holt einen Ring.' Das hat uns ziemlich inspiriert. Alle haben haben sich total reingehängt und dank der starken Mannschaftsleistung haben wir schließlich wirklich gewonnen. Das ist eine Geschichte, die man mit einem bisschen Abstand vielleicht seinen Kindern oder Enkeln erzählt.
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SPOX: Ist es ein besonderes Gefühl für jemanden aus Europa, den Sprung über den großen Teich zu wagen und dann für ein College den ersten Titel seit fast 30 Jahren zu gewinnen?
Wagner: Auf jeden Fall. Und dazu noch mit Michigan! Nach der Ära um Nik Stauskas und Tim Hardaway Jr. ging es bei uns fast nur noch um Football. Basketball war zweitrangig und auch eher mittelmäßig. Im vergangenen Jahr sind wir beim NCAA Tournament ja auch in der ersten Runde ausgeschieden. Aber wir wussten die ganze Zeit, dass wir nur ein paar Zentimeter vom Erfolg entfernt waren. Zu sehen, wie nun alles geklickt hat und endlich erfolgreich zu sein, fühlt sich richtig gut an.
SPOX: Sie haben Coach John Beilein nach dem Spiel gegen Louisville in den höchsten Tönen gelobt. Was ist er für ein Typ?
Wagner: Coach Beilein ist einer sehr teamnaher und ein emotionaler Mensch. Er kommt häufig auf uns zu und ist niemand, der künstlich versucht, eine Distanz zu wahren. Die Siege haben natürlich dazu beigetragen, dass die Stimmung bei uns allgemein sehr locker ist und er macht auch hin und wieder Späße. Nach dem Sieg gegen Louisville kam er zum Beispiel mit einer Wasserpistole in die Umkleidekabine. So etwas gab es im letzten Jahr nicht. (lacht)
SPOX: Apropos letztes Jahr: Wie war der Start für Sie in Michigan? Hatten Sie Anpassungsschwierigkeiten?
Wagner: Der erste Sommer war schon ein bisschen hart. Hauptsächlich, weil ich so weit von zu Hause weg bin. Mutti kocht nicht mehr jeden Tag Essen. (lacht) Die Sprache war natürlich auch ein Faktor. Und ich musste mich erst daran gewöhnen, dass man keine eigene Wohnung mehr hat, sondern mit anderen zusammen in einem Raum wohnt. Auch an die Schule war ich nicht mehr gewöhnt, da mein Abi ja schon ein Jahr zurücklag. Also es gab schon hin und wieder kleinere Schwierigkeiten, aber nach dem Sommer hatte ich mich eigentlich ganz gut umgestellt.
SPOX: Beilein sagte kürzlich, Sie würden sehr europäisch spielen. Haben Sie das Gefühl, dass der europäische Stil langsam am College ankommt?
Wagner: Es wird zumindest immer mehr sichtbar, ja. Nicht nur in der NBA, sondern auch am College gibt es immer mehr Europäer, das macht sich natürlich bemerkbar. Lauri Markkanen von Arizona ist ein Spieler, der so ähnlich spielt wie ich und für Furore sorgt. So ganz übernommen haben die Colleges es sicher noch nicht, aber man spürt, dass es eine Annäherung gibt. Der Basketball in den Staaten verändert sich. Gerade hier in der Big Ten Conference wird sicher noch einmal ein bisschen europäischer gespielt als in anderen Conferences.
SPOX: Im Sweet 16 in der Nacht zum Freitag wartet 3-Seed Oregon. Wie bereitet man sich bei so einem engen Turnier-Zeitplan überhaupt auf einen neuen Gegner vor?
Wagner: Das ist schon schwieriger als in der Saison. Es ist eine Ausnahmesituation, wenn man nach 48 Stunden schon wieder ran muss und manchmal nicht mal 24 Stunden vorher weiß, wer der Gegner sein wird. Die Coaches teilen sich natürlich auf, scouten verschiedene Teams und stellen die Informationen vor. Wir haben am Tag mehrere Meetings, in denen wir uns spezielle Aspekte des gegnerischen Spiels vornehmen und anschließend bestimmte Dinge durchlaufen. Gerade die Defense steht dabei natürlich im Fokus.
SPOX: Nach Ihrem starken Spiel haben Sie die ersten US-Journalisten schon als als einen der 30 besten Spieler des Jahrgangs bezeichnet. Denken Sie schon manchmal an den Draft?
Wagner: Ja, das geht in den USA extrem schnell. Es ist natürlich schön, dass die Leistung, die man zeigt und die Arbeit, die man da hineingesteckt hat, anerkannt werden. Und was das ganze Profi-Thema angeht, natürlich hat man das als junger Spieler im Hinterkopf und die NBA ist ein Traum, den ich seit vielen Jahren habe. Aber aktuell beschäftige ich mich damit wenig, auch ein bisschen zum Selbstschutz. Ich bin kaum in Sozialen Netzwerken unterwegs und lese mir auch im Netz kaum Sachen zu dem Thema durch. Ich lasse die Dinge lieber einfach ihren Lauf nehmen.
SPOX: Sie hatten vor kurzer Zeit die Möglichkeit, Dirk Nowitzki zu treffen. Was war das für eine Erfahrung?
Wagner: Das war ziemlich cool, er ist so entspannt. Er nimmt nichts selbstverständlich und ist enorm bescheiden. Dirk ist ein total netter Kerl und ich konnte mich mit ihm über alles Mögliche unterhalten, nicht nur über Basketball.
SPOX: Haben Sie sich für Ihr Spiel auch etwas von Dirk abgeschaut?
Wagner: Was den Wurf angeht und die Technik in der Offensive ist er schon unfassbar gut. Als ich jünger war, habe ich versucht, seine hohe Flugkurve nachzuahmen. Das ist inzwischen auch zu einem echten Merkmal meines Wurfs geworden. Aber natürlich werde ich mich hüten, meinen Wurf mit seinem zu vergleichen. (lacht)
SPOX: Wie intensiv ist Ihr Kontakt mit der alten Heimat Berlin und Ex-Klub Alba noch?
Wagner: Sehr intensiv. Mit meinem Individualtrainer von früher schreibe ich täglich und mit Konstantin Lwowsky, der jahrelang mein Headcoach in der Alba-Jugend war, auch regelmäßig. Und ich stehe noch in Kotakt zu Niels Giffey, mit dem ich früher zusammengespielt habe und der hier in den USA zwei NCAA-Titel geholt hat. Wir sind echte Homies. Wenn ich in Berlin bin, treffen wir uns immer zum Essen.
SPOX: Bekommen Sie inzwischen tagtäglich zu spüren, dass Ihr Name in den USA in jedem Haushalt ein Begriff ist?
Wagner: In der Form natürlich noch nicht, aber auf dem Campus ist es schon enorm. Gerade nach dem Spiel gegen Louisville hat das nochmal zugenommen. Im Abstand von wenigen Minuten kommen Leute auf mich zu, geben mir einfach so High Five und fragen, wie es mir geht. Oder sie rufen einfach nur 'Go Blue!' Es ist schon cool, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen.
SPOX: Wie ist es die Wahrnehmung in Deutschland? Bekommen Sie davon etwas mit?
Wagner: Gerade ist es richtig viel. In den letzten 24 Stunden ist mein Handy explodiert. Ich habe Nachrichten von Leuten bekommen, von denen ich seit Jahren nichts mehr gehört habe. Von ehemaligen Kollegen aus dem Trainingskader bis zu Klassenkameraden aus der Grundschule. Mir war nicht bewusst, dass das für die Menschen in Deutschland so eine Rolle spielt. Aber es ist sehr cool. (lacht)