Teil II: Die Wiedergeburt des Jason Kidd
Die Knicks als das taktische Faszinosum - nicht nur wegen Melo und dessen Hybridrolle aus Power Forward und Small Forward, sondern auch wegen Jason Kidd. "New York ist interessant zu beobachten, weil an ihrem Spiel die Weiterentwicklung des Basketballs zu sehen ist", sagt Bauermann.
"Neben der Position des Power Forwards hat sich vor allem die Position des Shooting Guards am meisten verändert. Der Urtypus wie Reggie Miller, der vor allem aus dem Catch-and-Shoot operiert, gibt es kaum mehr. Heutzutage müssen die Shooting Guards Qualitäten eines Point Guards mitbringen. Sie müssen ein gutes Ballhandling mitbringen und Pick'N'Roll-Situationen auflösen können."
Daher entschlossen sich Kidd und Coach Woodson zu einer ungewöhnlichen wie sinnvollen Umpositionierung. Kidd, seit fast 20 Jahren der Inbegriff des Floor Generals, verantwortet nur noch vereinzelt den Ballvortrag und überlässt diese Aufgabe sogar Shooting Guards wie J.R. Smith oder Combo-Guards wie Iman Shumpert. Stattdessen übernimmt er erst den Ball und gibt die Anweisungen, wenn das Setplay im Half Court beginnt. Bauermann: "Der Vorteil liegt auf der Hand: Kidd muss sich nicht um den Ballvortrag kümmern und kann dann im Setplay ausgeruht die Pick'N'Roll-Situationen laufen, so wie es Panathinaikos Athen seit Jahren mit Dimitrios Diamantidis vormacht."
Eine andere Variante: Kidd beschränkt sich in einigen Angriffen komplett darauf, als Spot-Up-Shooter in der Ecke auf den Pass zu warten und den Dreier zu nehmen. In dieser Saison trifft Kidd 41,1 Protent aus der Distanz. "Faszinierend, wie Kidd in hohem Alter als Basketballer noch einmal an einer Schwäche gearbeitet und sich einen guten Dreipunkt-Wurf angeeignet hat", sagt Bauermann.
Besonders wirkungsvoll ist Kidd auf der Shooting-Guard-Position, wenn Schnellangriffs-Situationen entstehen. Nach einem Fehlwurf des Gegners hat New York neben dem Point Guard mit Kidd einen zweiten Spieler, der dank seiner Übersicht den Fast Break sofort einleiten kann. Häufig zu beobachten: Kidd, ohnehin einer der besten Rebounder aller Zeiten unter den Guards, bekommt den Abpraller und blickt sofort nach vorne, um die zum gegnerischen Korb stürmenden Flügelspieler einzusetzen.
Ein Manko allerdings: Kidd verleiht der Knicks-Offense eine Unberechenbarkeit, doch in der Verteidigung fehlt ihm der erste Schritt, um die teils wesentlich schnelleren Gegenspieler vor sich zu halten. "Kidd bedeutet ein defensives Risiko, keine Frage", sagt Bauermann. Dieses Risiko sei aber vertretbar: "Man sollte Kidd nicht unterschätzen: Er hat weiterhin die besten Hände der Liga und die seitliche Beweglichkeit ist immer noch sehr gut. Und als einer der intelligentesten und erfahrensten Spieler kompensiert er die athletischen Defizite mit einem cleveren Stellungsspiel."
So zu sehen bei der knappen Niederlage bei den Lakers am 25. Dezember. In der spannenden Endphase übernahm Kidd die Bewachung des 5 Zentimeter größeren Kobe Bryant und erschwerte diesem derart das Scoring, dass die Knicks das Spiel fast noch gewonnen hätten.
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