David Stern: 30 Jahre als Commissioner - Das Gesicht der NBA tritt ab

Ole FrerksMax Marbeiter
02. Januar 202008:48
30 Jahre lang prägte David Stern die NBA. Am 1. Februar tritt sein Nachfolger angetty
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Am 31. Januar geht David Stern in den Ruhestand. Er hinterlässt eine Liga, die fast nichts mehr mit der NBA zu tun hat, die er vor 30 Jahren übernommen hat. Ein Blick auf die wichtigsten Entscheidungen, Wandel und Kontroversen, die sich in der Ära des größten Commissioners aller Zeiten zugetragen haben.

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Draft: Die Ära David Stern begann mit dem Draft 1984. Er sollte eine neue Zeitrechnung in der Liga einleiten - nicht nur wegen Stern, sondern aufgrund der Spieler. Schließlich kamen an diesem Tag Hakeem Olajuwon, John Stockton, Charles Barkley und - allen voran - das spätere Zugpferd der Liga, ein gewisser Michael Jeffrey Jordan, in die NBA.

Für Stern wurde es am Draft-Day in der Folge zur Tradition, nach Kräften ausgebuht zu werden. Er zelebrierte diese Rolle als vermeintlicher Bösewicht, gewöhnte sich ein maliziöses Lächeln an und machte den Abend immer wieder zum Highlight der Offseason.

Wie sehr er diese Rolle genoss, wurde beim Draft 2013, dem letzten seiner Ägide, noch einmal mehr als deutlich. Er sog die Buhrufe ein, streute zwischen Draftpicks immer wieder besonders lange Pausen ein und stachelte das Publikum sogar noch an: "Ich kann euch nicht hören!"

Besagter Draft fand für Stern indes noch ein versöhnliches Ende. Nachdem alle Picks verlesen wurden, kam mit Olajuwon noch einmal der erste Spieler aufs Podium, den Stern jemals in der NBA begrüßen durfte. In einem Anzug, "der aussah wie der, den er vor 30 Jahren getragen hat", kommentierte Stern. In einem etwas ernsteren Moment gab er später zu, dass dies ein "sehr, sehr bedeutender Moment für mich" war.

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TV-Deals: Als Stern zum Commissioner wurde, hatte die Liga nur wenig Strahlkraft in der amerikanischen Sportlandschaft. Die Leute sahen lieber Football, Baseball oder sogar College-Basketball als die NBA, die in den Augen der Mehrheit eine Ansammlung von drogensüchtigen Millionären war.

Als Magic Johnson 1980 in Spiel 6 der Finals für den verletzten Kareem Abdul-Jabbar als Center einspringen musste und mit 42-15-7 ein Spiel für die Ewigkeit ablieferte, lief das nicht etwa live im Fernsehen. Es wurde zeitversetzt ausgestrahlt. Immerhin. Diverse Spiele der Playoffs und auch einige Finals-Spiele der 70er und frühen 80er wurden überhaupt nicht gezeigt...

Mal ehrlich: Kann sich heute noch irgendjemand vorstellen, dass Michael Jordans letztes Spiel als Bull in den 98er Finals oder die 2011er Championship der Mavericks nicht einmal in Amerika live zu sehen gewesen wären?

Stern schaffte es - natürlich mit Hilfe der etablierten Stars Magic und Larry Bird sowie dem elektrisierenden Rookie Jordan - die Liga Schritt für Schritt nach vorne zu bringen. Natürlich hatte er Glück, zu genau dieser Zeit ans Ruder zu kommen, allerdings sind sich die Experten einig, dass Stern das Schiff in dieser Zeit meisterhaft gesteuert hat.

Zur Einordnung: 1984 unterschrieb die Liga einen Vertrag mit TBS über zwei Jahre und 20 Millionen Dollar für die Übertragungsrechte. Der aktuelle Deal mit TNT, ABC und ESPN bringt der Liga über acht Jahre 7,44 Milliarden ein. Die Spiele sind in 215 Ländern der Welt live zu sehen.

"Ich hätte nicht arrogant genug sein können, um mit sowas zu rechnen oder auch nur darauf zu hoffen", sagt Stern heute. "Damals ging es nur ums Alltagsgeschäft, darum, sich über Wasser zu halten."

Drogentests: Die geringe Popularität der Liga hing Ende der 70er, Anfang der 80er entscheidend mit ihrem Image zusammen. Die NBA bestand aus überbezahlten Ghettokindern mit Drogenproblem, so war in etwa die Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu dieser Zeit.

In den 70ern breitete sich eine wahrhafte Kokain-Epidemie aus und zerstörte die vielversprechenden Karrieren von Spielern wie Michael Ray Richardson, David Thompson, Bernard King und natürlich Marvin "Bad News" Barnes. Schätzungen besagten damals, dass "mindestens die Hälfte" der Spieler regelmäßig weißes Puder konsumierte. Zwar besteht Stern darauf, dass diese Zahlen völlig überzogen waren, trotzdem erkannte die Liga, dass sie handeln musste.

Und so wurde die NBA zur ersten professionellen Liga in Amerika, die regelmäßig Drogentests durchführte, betroffenen Akteuren Entzugsprogramme anbot und sie bei wiederholten Vergehen sperrte. Eine Handlung, die für das Image der Liga von entscheidender Bedeutung war, auch wenn es für Stern "mit das Schlimmste war, jemandem das Spielen zu untersagen, weil er Drogen genommen hatte", wie er selbst sagt.

Globalisierung: Am Anfang hielt Stern noch nicht viel von der Idee, statt den besten College-Spielern die besten Profis zu Olympischen Spielen zu schicken. Allerdings erkannte er, ganz der Geschäftsmann, mit der Zeit das Potenzial für seine Liga, die besten Spieler auf der größtmöglichen Sportbühne auflaufen zu lassen, und willigte ein.

1989 half er dabei, "USA Basketball" zu formieren, und legte damit einen Grundstein für das beste Basketball-Team der Geschichte. Als das "Dream Team" um Jordan, Bird und Magic 1992 Barcelona und den Rest der Welt verzauberte, löste das einen Basketball-Boom aus, den die Welt so noch nicht gesehen hatte.

Stern erkannte spätestens damals die Marketing-Möglichkeiten auf den internationalen Märkten und trieb in der Folge Programme wie die Global Games oder Freundschaftsspiele auf fremdem Boden an, zudem denkt er seit Jahren offen über die Möglichkeit nach, eine NBA-Franchise in Europa zu positionieren. 1995 kamen mit den Vancouver Grizzlies und den Toronto Raptors immerhin zwei Teams aus Kanada hinzu.

Kämpfe: In den 70ern waren Prügeleien in der Liga noch Usus. Die sogenannten Enforcer, also die harten Jungs, die die Schläge austeilten, wurden sogar gewissermaßen glorifiziert. Vieles, aber längst nicht alles, änderte sich mit einer Aktion, die als "The Punch" in die Geschichte einging und bei der Rudy Tomjanovich durch einen Schlag von Kermit Washington beinahe gestorben wäre.

Stern, der schon seit 1966 als externer Berater und ab '78 als Angestellter für die Liga arbeitete, setzte sich dafür ein, die brutale Komponente aus dem Spiel zu nehmen. Allerdings dauerte es letztendlich bis 1993, dass eine automatische Sperre ausgesprochen wurde, wenn die Spieler während der Partie einen Schlag austeilten. Eine Tatsache, die er heute bereut.

Malice at the Palace: Der schwärzeste Tag in seinen 30 Jahren als Commissioner, wie Stern selbst sagt. Es ist der 19. November 2004, die Indiana Pacers sind bei den Detroit Pistons zu Gast. Aus einer Rangelei zwischen Ron Artest und Ben Wallace entwickelt sich ein Tumult, in dem Fans und Spieler gleichermaßen austeilen und einstecken.

Der schlimmste Alptraum für Stern, der eine faire, familienfreundliche Liga haben will. Mit drakonischen Strafen setzt er ein Zeichen: Artest wird für den Rest der Saison aus dem Verkehr gezogen, insgesamt werden 146 Spiele Sperre auf neun Spieler verteilt.

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Kontroversen: Die Lakers hätten kaum glücklicher sein können. Das Front Office hatte es tatsächlich geschafft, dem damals besten Shooting Guard der Liga den besten Point Guard der Liga an die Seite zu stellen. Kobe Bryant plus Chris Paul - mal wieder schien Lila und Gelb auf bestem Wege in Richtung Dynastie zu sein.

Bis, ja bis die Liga einschritt. 2012 war die NBA nämlich faktisch Eigentümer der New Orleans Hornets. Jener Hornets, die Chris Paul an die Lakers verloren hätten. David Stern informierte die drei in den Trade involvierten Teams (Lakers, Hornets und die Houston Rockets), dass der Deal "aus basketballerischen Gründen" nicht durchgeführt werden dürfe und griff damit massiv ins Tagesgeschäft ein.

So sehr, dass Lakers-GM Mitch Kupchak dem Commissioner bis heute nicht wirklich verziehen hat: Stern habe viel für die Liga getan, deshalb werde er ihn auch vermissen - die "einzige Ausnahme ist dieser eine Moment." Doch auch abseits der Lakers stand Stern im Nachhall ebenso stark in der Kritik, wie aufgrund der Geschehnisse rund um den Umzug der Seattle Sonics Richtung Oklahoma City.

Alles begann mit dem Verkauf des Teams 2006. Eine Investorengruppe aus Oklahoma City erwarb die Sonics von Starbucks-Gründer Howard Schultz und setzte damit ein beinahe zweijähriges Schauspiel aus Unwahrheiten, falschen Beteuerungen und Streitereien in Gang.

Clay Bennett, Vorsitzender der Investorengruppe, versicherte, alles dafür tun zu wollen, die Sonics im Nordwesten der USA zu halten. Natürlich. Am Ende bekam OKC die Thunder, Seattle ging leer aus. Stern muss sich bis heute Kritik für seine Rolle während des Prozesses gefallen lassen. Zumal alte Wunden aufrissen, als die Kings doch in Sacramento blieben und nicht, wie von vielen erwartet, nach Seattle zogen.

Noch während die Verhandlungen über den Umzug der Sonics liefen, musste sich der Commissioner gleich dem nächsten Brandherd widmen. Im Juli 2007 wurde bekannt, dass Schiedsrichter Tim Donaghy auf von ihm selbst geleitete Spiele gewettet hatte. Dazu habe er Insider-Informationen weitergegeben, die Bekannte zum Wetten nutzten, und im Gegenzug Geld erhielten.

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Der Kongressabgeordnete Bobby Rush sah damals bereits "den schlimmsten Skandal in der amerikanischen Sportgeschichte" auf die NBA zurollen. Der ganz große Schaden für die Liga konnte jedoch abgewendet werden. Donaghy bekannte sich schuldig und wurde zu einer Haftstrafe verurteilt.

Auch David Stern zog Konsequenzen: Schiedsrichter werden seit 2007 erst am Morgen des Spiels und nicht bereits 90 Stunden vor dem Tipoff bekanntgegeben, um Insider-Informationen über die Offiziellen ihren Wert zu nehmen. Zudem werden seither vermehrt Background-Checks durchgeführt.

Seine letzten Kontroverse sah sich der Commissioner schließlich im Juni 2012 ausgesetzt. Damals hatte Radiomoderator Jim Rome David Stern zum Interview geladen und seinen Gast mit der Nachfrage nach einer möglichen Bevorzugung der New Orleans Hornets bei der Draft-Lottery aus der Fassung gebracht.

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Stern antworte zunächst mit einem bestimmten "Nein. Eine Schande, dass sie das überhaupt fragen." Als Rome erneut nachhakte, verlor der Commissioner jedoch die Contenance. "Haben sie denn aufgehört, ihre Frau zu schlagen", fragte Stern schnippisch zurück und trat damit eine Lawine der Entrüstung los.

Dresscode: Allen Iverson stand sinnbildlich für vieles, was der Liga missfiel. "The Answer" war laut, unangepasst - und in den Augen der Oberen schlecht gekleidet. Anfang der 2000er hielt die Baggy und das Bling Bling Einzug in die Hallen der NBA. Ein Trend, dem David Stern entschieden entgegentrat.

2005 führte die NBA schlussendlich einen Dresscode ein, der den Spielern klar vorgab, wie sie sich vor, während und nach Spielen sowie während offizieller Auftritte der Liga zu kleiden haben. Weite Hosen, Sportrikots, Mützen und Brillanten sind seither tabu. Business und konservativ lauten die Zauberwörter. Verstößt ein Spieler dagegen, muss er mit einer Strafe rechnen.

Fehlgeschlagene Regeländerungen: Drei Jahre lang durfte man sich als NBA-Profi wieder ans College zurückversetzt fühlen. Zwischen 1994 und 1997 hatte die Liga die Dreipunktlinie nämlich bis auf 6,7 Meter an den Ring herangerückt. Natürlich sollte in einer Liga, in der immer weniger Punkte fielen, das Scoring erleichtert und damit das Spektakel gefördert werden.

Doch das Experiment verlief nicht wie erhofft. Teams pflasterten die Weakside plötzlich mit ansonsten beinahe unbeteiligten Schützen zu. Die Attraktivität wurde so kaum gefördert, die Dreierlinie nach nur drei Jahren wieder auf 7,24 Meter verlegt.

Ein Schicksal, das auch den 2006 mit ordentlich Wirbel vorgestellten, neuen Spielball ereilte. Dank neuem Material und Design sollte er besseren Grip und ein konstanteres Flugverhalten bieten als sein lederner Vorgänger. Das Problem: Die Spieler wurden vor der Einführung nicht nach ihrer Meinung gefragt und konnten mit ihrem neuen Arbeitsgerät so gar nichts anfangen.

Käme er in Kontakt mit Schweiß, würde der Ball schnell rutschig und wäre kaum noch zu kontrollieren, hieß es. Shaquille O'Neal, wer auch sonst, fand noch deutlichere Worte: "Er fühlt sich wie einer dieser billigen Bälle an, die man im Spielwarenladen kauft", gab "The Big Aristoteles" zum Besten. Sogar eine Klage reichten die Spieler ein. So hatten auch David Stern und die Liga schnell ein Einsehen und gaben ihnen bereits im Dezember ihren geliebten Leder-Spalding zurück.

Expansion: In 30 Jahren tat sich einiges. So durfte David Stern während seiner Amtszeit nicht nur zahlreiche neue Spieler in der NBA begrüßen, er hieß auch gleich sieben Expansion-Franchises willkommen. Ob Miami Heat, Charlotte Hornets (beide 1988), Minnesota Timberwolves, Orlando Magic (beide 1989), Vancouver Grizzlies, Toronto Raptors (beide 1995) oder die Charlotte Bobcats (2004) - alle kamen sie unter Sterns Ägide in die Liga.

Eigentlich war auch gemutmaßt worden, der Commissioner wolle Seattle noch vor seinem Rücktritt ein Team zurückgeben, daraus dürfte allerdings nichts mehr werden. Zumal die NBA wohl auch nicht endlos erweitert werden kann. Stichwort: Klasse statt Masse.

Magic Johnson HIV-Diagnose: Am 7. November 1991 wurde die NBA in ihren Grundfesten erschüttert. Magic Johnson, einer der absoluten Superstars der Liga, unterrichtete die Welt während einer Pressekonferenz über seine HIV-Infektion und gab gleichzeitig seinen Rücktritt bekannt.

An Magics Seite: David Stern. Der Commissioner begleitete Johnson in dessen vielleicht schwerster Stunde und lobte ihn für sein Engagement zur AIDS-Aufklärung. "Magic hat die HIV-Debatte weltweit verändert, da es plötzlich einen weltweit beliebten Athleten erwischt hatte", so Stern. "Wir dachten alle, er würde bald sterben."

Doch auch heute, 20 Jahre später, ist Magic noch quicklebendig, führt seinen Kampf gegen AIDS fort und hatte sogar noch drei Auftritte auf der großen Basketballbühne. Den wohl denkwürdigsten beim All-Star Game in Orlando 1992: Obwohl er seit seinem Rücktritt kein einziges Spiel mehr absolviert hatte, wählten ihn die Fans in die Starting Five des Westens. Johnson dankte es mit 25 Punkten, 9 Assists und 5 Rebounds und erhielt schließlich die MVP-Trophäe aus den Händen von, natürlich, David Stern.

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