Ohne David Stern wäre Basketball nie zum globalen Phänomen geworden. Bevor der NBA-Boss am 1. Februar das Zepter an seinen Nachfolger Adam Silver weiterreicht, gibt der erfolgreichste Commissioner aller Zeiten bei SPOX ein letztes Exklusivinterview und gewährt überraschende Einblicke. Sein Highlight: "Die Kombination aus Beatles, New York Philharmonic und Bolschoi-Ballett".
SPOX: Herr Stern, in Ihren letzten Monaten als NBA-Commissioner bekommen Sie Zuspruch wie nie. Bei Ihrem letzten Draft im Sommer 2013 wurden Sie am Ende sogar gefeiert und nicht wie sonst ausgepfiffen. Und Ihr Erzfeind Mark Cuban, Besitzer der Dallas Mavericks, sagt ohne Sarkasmus: "Ich liebe David." Wie gehen Sie damit um?
David Stern: Ich finde es fast schade. Natürlich ist es schön, nettes Feedback zu bekommen, aber in letzter Zeit wurde es wirklich langweilig. Ich habe es immer bevorzugt, andere Leute auf Trab zu halten und sie zu extremen Meinungen zu pushen - egal in welche Richtung. Deshalb ist es jetzt seltsam, dass alle so positiv gestimmt sind. Wobei: Ich war mir sicher, dass mich Mark und die Zuschauer beim Draft immer gemocht haben. Sie hatten nur eine seltsame Art, die Zuneigung zu zeigen. (lacht)
Das Gesicht der NBA tritt ab: Das bewirkte David Stern
SPOX: Sie treten nach exakt 30 Jahren an der NBA-Spitze ab. Was bereuen Sie?
Stern: Es ist schlimm: Ich bereue nichts. Ich kann mir vorstellen, dass es furchtbar klingt, doch Reue ist definitiv nichts, was ich kenne. Was allerdings nicht bedeuten soll, dass ich mit allem zufrieden wäre. Ich wünschte mir, dass es nie zu Lockouts gekommen wäre. Ich wünschte mir, dass wir nie einen Spieler wegen Drogendelikten hätten bestrafen müssen. Ich wünschte mir, dass wir Tim Donaghy (Wegen Manipulation verhafteter NBA-Schiedsrichter, Anm.d.Red.) früher erwischt hätten. Ich wünschte mir, dass wir nach der Einführung der Development League nicht alle acht Gründungsteams aus dem Südosten der USA umlokalisiert hätten, so dass es dort seitdem komplett verwaist ist, obwohl die Liga auf 17 Mannschaften anwuchs. Ich wünschte mir, dass in der WNBA mehr als zwölf Teams spielen würden. Und ich wünschte mir, dass ich früher erkannt hätte, wie viel Gutes man mit dem Basketball erreichen kann. Deswegen möchte ich mich zukünftig noch intensiver um unsere Programme wie "NBA Cares" oder "Basketball without Borders" kümmern.
SPOX: Sie sagten einst: "Ich erinnere mich mehr an die Krisen als an die Erfolge." Sind Sie ein Pessimist?
Stern: Pessimist ist vielleicht das falsche Wort. Diese - sagen wir - vorsichtige Grundhaltung entspricht meiner Einstellung: Wer still steht, geht rückwärts. Was gestern gut war, reicht morgen nicht. Nur wer sich hinterfragt und bereit ist, sich neu zu erfinden, wird auf Dauer erfolgreich sein. Daher versuche ich, nicht nur andere, sondern auch mich zu pushen. Und das geht nur, wenn man sich aller Misserfolge und Gefahren für die NBA bewusst ist.
SPOX: Stellverstretend dafür steht die Episode nach Ihrem ersten Draft 1984, als Hakeem Olajuwon an eins gezogen wurde.
Stern: Daran erinnere ich mich, als ob es gestern gewesen wäre. Nach dem Draft hatten wir eine Feier organisiert für Hakeem, seine wunderbare Mutter und seinen Bruder. Das Problem: Wir hatten einen Raum in einem sehr kleinen italienischen Restaurant reserviert, in dem die Decke so niedrig war, dass sich Hakeem andauernd bücken musste. Wie ich mich damals geschämt habe. Aber schon damals zeigte Hakeem, wie bescheiden er ist. Es ist einer der besten Menschen, die ich kenne. Umso mehr freute es mich, dass er als Überraschungsgast bei meinem letzten Draft im vergangenen Sommer auf die Bühne kam.
SPOX: Der Draft 1984 bedeutete eine Zäsur: Mit den Rookies Olajuwon, Michael Jordan, Charles Barkley und John Stockton läutete die NBA eine goldene Ära ein. Vom Draft-Jahrgang 2014 werden ähnliche Wundertaten erwartet. Dennoch sagen Sie: "Vielleicht ist die Lage der NBA so gut, wie sie sein soll. Vielleicht haben wir die natürliche Grenze des Wachstums erreicht. Vielleicht ist es nicht immer besser, größer und größer zu werden." Woher die Vorsicht?
Stern: Das Zitat wurde aus dem Kontext gerissen. Es ging um das Thema, ob die Liga noch mehr Teams benötigt beziehungsweise verkraftet. Sind 32 Teams automatisch besser als 30 Teams? Ich bezweifele es. Das ist natürlich eine Entscheidung, die mein Nachfolger Adam Silver und die NBA treffen müssen, doch ich warne davor. Es wird auf jeden Fall politische Kräfte geben, die Druck ausüben und eine Expansion fordern werden.
SPOX: Neben der Zufuhr von neuen Superstars im Draft 2014 könnte eine Expansion allerdings helfen, dass die NBA den Rückstand zur NFL und MLB aufholt?
Stern: Die Frage möchte ich zweigeteilt beantworten. Erste Antwort: Der NBA-Draft ist ein wichtiges Instrument, um die Attraktivität der Liga zu stärken, nur darf man von einem speziellen Jahrgang nie zu viel erwarten. Der Draft 2003 war ebenfalls großartig mit LeBron, Melo, Chris Bosh, Dwyane Wade. Später kamen nahtlos Kevin Durant, John Wall oder Kyrie Irving hinzu. Nur: Hat die NBA so die NFL überholt? Nein. Zweite Antwort: Egal, was passiert, ich glaube nicht, dass die NBA jemals zur Nummer-eins-Sportart in den USA werden wird. Die NFL ist dominant, sie wächst ebenfalls und erledigt einen fantastischen Job. In Europa und Südamerika werden wir wiederum den Fußball nie verdrängen können. Das ist vollkommen in Ordnung. Denn: Ich bin überzeugt, dass wir in allen Ländern der Welt mindestens die Nummer-zwei-Sportart sein können. Das sollte unser Ziel sein. Mal hinter NFL, mal hinter Fußball, mal hinter Badminton oder Rugby. Wenn uns das gelingt, müssen wir nirgendwo die Nummer eins sein und sind trotzdem einzigartig positioniert.
Teil II: Stern über 30 Jahre NBA-Wahnsinn und ein Treffen mit Uli Hoeneß
SPOX: Unter Ihnen wurde die NBA zu eine der stärkten globalen Marken des Sports. Wo rangiert das Olympia-Gold 1992 des Dream Teams in Ihren persönlichen Best-of?
Stern: Ganz weit vorne. Ich habe eine Menge schöner Erinnerungen, aber zwei Momente stechen besonders heraus. Wie erwähnt das Dream Team 1992. Es markierte das Comeback des Basketballs auf der größten Bühne, die man sich vorstellen kann. Vor den Augen der gesamten Welt. Die Spieler wurden bejubelt, als ob sie große Künstler wären. Als eine Kombination aus den "Beatles", dem New York Philharmonic und dem Bolschoi-Ballett. Besser geht es nicht. Der zweite Moment war einige Monate davor das All-Star-Game in Orlando, als Magic Johnson trotz der Veröffentlichung seiner HIV-Erkrankung von den Fans in die Starting Five gewählt wurde und jeder Mensch sehen konnte, dass man trotzdem fit und gesund sein kann. Damit setzte die gesamte NBA-Familie ein Zeichen.
Das Gesicht der NBA tritt ab: Das bewirkte David Stern
SPOX: Wie soll Ihr Vermächtnis lauten?
Stern: Der Begriff Vermächtnis ist mir zu überfrachtet. Wenn ich ein Vermächtnis an die NBA weitergebe, dann sind es die Kollegen, mit denen ich so lange arbeiten durfte. Denn diese Leute werden in den nächsten Jahren bestimmen, wie die Liga sich entwickelt. Allen voran Adam Silver.
SPOX: Welchen Rat geben Sie Silver mit, bevor er am 1. Februar offiziell als neuer Commissioner beginnt?
Stern: Mein Gedanke an meinem ersten Arbeitstag vor 30 Jahren lautete: "Kämpf dich irgendwie bis zum Feierabend durch!" (lacht) Adam ist im Vergleich viel besser vorbereitet auf die Aufgaben. Wir arbeiten seit 22 Jahren zusammen und das Amt des Commissioners wird sein sechster Job innerhalb der NBA sein. Er kennt alle Facetten und braucht keine Ratschläge von mir. Ich weiß ohnehin nicht, ob er mehr von mir oder nicht ich mehr von ihm gelernt habe. Alle Entscheidungen der letzten zehn, 15 Jahre werden zwar mit mir in Verbindung gebracht, doch diese tragen genauso Adams Handschrift.
SPOX: Silver ist der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Wie ist er privat?
Stern: Das Wichtigste: Er besitzt einen großartigen Sinn für Humor. Außerdem verkauft er sich selbst immer noch viel zu sehr unter Wert. Er lief zwei Marathons. Er hat einen wunderschönen Golden Retriever. Oder ist das ein gelber Labrador? Auf jeden Fall heißt sie Edie. Und er arbeitet zu lange und zu hart - wobei sich das für mich als recht praktisch erwies. (lacht)
SPOX: In welchen Bereichen wird die NBA angreifen?
Stern: Adam trieb in der Vergangenheit die digitale Revolution an. Ohne zu übertreiben, ist die NBA ein Pionier in der Welt des Sports. NBA.TV, NBA.com, der League Pass, die mittlerweile 20 internationalen NBA-Destinationen wie in Deutschland mit SPOX - diesen digitalen Weg werden wir fortführen. Mittlerweile kennen wir die Wünsche der Fans so gut wie nie. Wir wissen, auf welchen Endgeräten sie welche Produkte bevorzugen und wie Technik-affin der NBA-Interessierte ist. Deswegen bieten wir auf NBA.com gefühlt vier Milliarden Daten, damit jeder Fan selbst alles hoch und runter analysieren kann. Wenn alles sinnvoll miteinander vernetzt wird, könnte mittelfristig ein extrem spannendes Sporterlebnis entstehen.
SPOX: Was passiert mit der von Ihnen immer wieder ins Gespräch gebrachten Europa-Expansion?
Stern: Es ist und bleibt ein nettes Thema zum Diskutieren, dennoch wird eine europäische Franchise nicht umzusetzen sein. Dennoch macht es Spaß, ein bisschen darüber zu sprechen und zu spekulieren. Nur leider ist in den letzten Jahren nicht genug passiert, von den O2-Arenen in London und Berlin mal abgesehen. Die Arena in Paris-Bercy soll renoviert werden, aber das dauert wohl noch bis zur Fertigstellung. In Mailand wiederum versprach mir der Bürgermeister, dass eine neue Arena gebaut wird im Rahmen der EXPO 2015. Das ist leider kein Thema mehr. Ähnliches geschah in Rom.
SPOX: Wie bewerten Sie die Bemühungen des FC Bayern im Basketball?
Stern: Ich traf letztes Jahr Uli Hoeneß und wir sprachen über die Entwicklungsmöglichkeiten des Basketballs. Die Bayern zeigen der Sport-Welt, wie man gewinnt und wie man dabei Profit macht. Daher sind sie für jeden ein Vorbild, auch für die NBA. Mich freut es daher, dass sich die Bayern mit ihrem Knowhow jetzt im Basketball engagieren und dazu noch erfolgreich sind: Respekt! Die Euroleague wird dank der Bayern weiter wachsen.
SPOX: Uli Hoeneß zog sich aus dem operativen Bereich bereits zurück. Wie sehen Ihre Planungen aus?
Stern: Ich werde nur noch den Titel Commissioner Emeritus tragen und Adam und die Liga beraten, wenn mal Bedarf ist. Ansonsten werde ich einige Reisen unternehmen und die NBA repräsentieren, geplant sind Südafrika, China, Indien und Europa. Parallel werde ich ein eigenes Büro eröffnen, das nichts mit der NBA zu tun hat. Außer einige Auftritte als Redner habe ich mich allerdings für nichts verpflichtet und in den nächsten Monaten werde ich keine Äußerungen abgeben, was ich genau machen werde. Fakt ist, dass ich es liebe, mich vor einem Puzzle zu setzen und die Einzelteile zusammenzufügen. Ich bin ein Problemlöser. Das möchte ich weiter fortsetzen.
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