Still und heimlich fand eine Ära nach 23 Jahren ihr Ende, als einer der wahrscheinlich besten Trainer der NBA-Geschichte, der jedoch nie einen der begehrten Ringe überstreifen durfte, am 21. April seine Karriere beendete - Rick Adelman. Die Art und Weise, wie sich der 67-Jährige von der großen Bühne verabschiedete, ist nur zu typisch für ihn. In einer knapp vier minütigen Ansprache erklärte "Mister Nice Guy" die Beweggründe für seinen Abschied aus dem aktiven Coaching-Geschäft: " Es ist an der Zeit, beiseite zu treten. Ich bin bereit und möchte einen neuen Lebensabschnitt einleiten."
Er war nie einer der extrovertierten, bellenden "Big Dogs" in der Trainergarde der NBA. Er bewegte sich immer ein wenig unter dem Radar und ging den Medien für den Großteil seiner Karriere so gut es ging aus dem Weg. Sein Einfluss auf die Spielweise zahlreicher Teams ist jedoch unbestritten.
"Pop" outet sich als Dieb
Mit seiner "Corner Offense" stellte der zukünftige Hall of Famer ab Anfang der 90er einen großen Gegenpart zu Phil Jacksons "Triangle Offense". Auch heute werden seine innovativen Spielzüge von Kollegen noch eingebunden. "Ich denke, jeder Trainer in der Liga hat Teile seines Konzeptes übernommen", sagt etwa Bulls-Coach Tom Thibodeau. "Es ist offensichtlich, dass viele Teams die 'Corner Offense' als Waffe in der Offensive nutzen", ergänzt Doc Rivers von den Los Angeles Clippers.
Sogar der große Gregg Popovich gibt mit einem Augenzwinkern zu, von Adelman "gestohlen zu haben". Glaubt man Erik Spoelstra, findet sich in jedem Playbook ein Stück des Rezeptes von "Slick Rick": "Die meisten Mannschaften nennen es einfach nur Sacramento. Er war und ist einer der größten Innovatoren des Spiels", erkennt der Trainer der Miami Heat an.
Das Corner-System
Doch was macht die oft auch als "Elbow Action" titulierte Offensiv-Serie von Adelman so wertvoll, dass sie bis zu zwei Drittel der NBA-Teams in ihr Spiel integrieren? Das System ist ideal für Mannschaften, die auf Shooting Guards mit einem verlässlichen Jumper und passfähige Big Men zurückgreifen können.
In der Theorie übergibt der Point Guard den Ball an den Big Man, der sich im besten Fall am "Elbow" an der Freiwurflinie befindet. Nachdem einer der Guards den Screen für den anderen setzt, kommt es entweder zum Cut oder Split in verschiedene Richtungen, so dass der Center/Power Forward sich eine Anspielstation aussuchen kann. Falls sich keine Option ergibt, geht der Ball in der Regel auf die andere Seite für ein Pick'n'Roll.
Was auf dem Papier simpel aussieht, ist besonders aufgrund seiner Vielseitigkeit so wertvoll. Für nahezu jede Situation gibt es mehrere Ausstiege, weshalb auch die Spielintelligenz der Protagonisten essenziell ist.
Vom Schüler zum Lehrer
Die ersten Eindrücke, die später zu der besagten Strategie führen sollten, sammelte Rick Adelman in seiner Zeit als aktiver Spieler in der NBA bei den Portland Trail Blazers, Chicago Bulls, Utah Jazz und Sacramento Kings. Die Ausarbeitung folgte in seiner ersten Trainerstation am Chemeketa Community College in Oregon. Den Feinschliff übernahm dann Hall-of Fame-Coach Jack Ramsay höchstpersönlich, als er sich den damals 37-Jährigen Adelman als Assistenztrainer bei den Portland Trail Blazers an seine Seite holte.
Dr. Jack trainierte in seiner Laufbahn unter anderem einige der besten Big Men der Geschichte wie Wilt Chamberlain, Bill Walton oder Bob McAdoo, sodass eine auf Big Men ausgerichtete Spielweise immer wieder Teil seiner Arbeit war.
Die entsprechenden Gedankengänge saugte Adelman förmlich auf und baute sie bis zur Übernahme der Mannschaft 1989 weiter aus. Es folgten zwei Finals-Niederlagen mit den Blazers gegen die von Isiah Thomas (1990) angeführten Detroit Pistons und Michael Jordans Chicago Bulls (1992).
Die Jackson-Fehde
Wie viele seiner Kollegen hatte sich Adelman einfach das falsche Jahrzehnt "ausgesucht", um einen Championship-Run mit seinen Mannschaften zu starten, denn die Chicago Bulls bestimmten die 90er unter Phil Jackson wie kein anderes Team.
Es gibt sogar Experten der amerikanischen Medienbranche, die Adelman eine deutlich erfolgreichere Karriere zugetraut hätten, wenn es den "Zen-Master" nie gegeben hätte: "Wenn Phil Jackson niemals Trainer geworden wäre, hätte Rick Adelman einer der besten Trainer der Liga-Geschichte werden können", äußerte TNT-Analytiker Kenny Smith in einer Episode von "Open Court".
Anlass zu dieser Aussage liefert neben Adelmans Engagement bei den Trail Blazers vor allem seine Zeit bei den Sacramento Kings ('98-'06). Mit einem äußerst talentierten Kader um Chris Weber, Jason Williams, Vlade Divac oder Peja Stojakovic wurde aus einem regelmäßigen Lottery-Team ein Meisterschaftsanwärter.
Doch die Blütezeit der Könige der kalifornischen Hauptstadt wäre wohl ohne das ausgefeilte System von Adelman nie so prägnant gewesen. Vermutlich ist es aber auch zum Teil die Art und Weise, wie er sein Team führte, welche zum Erfolg beigetragen hat.
Die lange Leine und der Hitler-Vergleich
Adelman war in der Liga als absoluter "Players Coach" bekannt, der seine Spieler an der langen Leine hielt und im Hintergrund seiner Tüftelei nachging. In acht Jahren bei den Kings erreichte er immer die Playoffs.
Im Jahr des Millenniums kreuzten sich erneut die Wege mit dem Zen-Meister, der mit pikanten Gegenüberstellungen aufwartete: Als Inspiration gedacht, verglich Jackson in einem zusammengeschnittenen Motivationsvideo unter anderem Adelman mit Adolf Hitler und erweiterte die persönliche Fehde somit um ein weiteres Kapitel.
Wie schon '92 scheiterte Adelman an Phil Jackson, die Corner Offense am Triangle und Sacramento an den Los Angeles Lakers. Diesmal sogar in drei aufeinanderfolgenden Jahren, von 2000 bis 2002. In letzterem ging es bis in die Overtime des 7. Spiels der Western-Conference-Finals. Doch dann war wieder Schluss.
Letzter Halt Houston, Endstation Minnesota
In den folgenden Jahren zerbrach das System der Kings aufgrund der Abgänge von Divac, Weber oder Stojakovic allmählich, letztlich auch durch den Abschied von Adelman Richtung Houston.
Anders als bei seiner Station in Sacramento, fand das Basketball-Genie in Texas nicht nur Talent, sondern auch Star-Potenzial in Tracy McGrady und Yao Ming vor. Bereits im ersten Jahr häufte sein Team eine Serie von 22 Siegen in Folge an und avancierte zu einem Titelkandidaten. Doch auch im besten Jahr mit den Rockets ('09) führte kein Weg an Jackson und den neuformierten Lakers vorbei, besonders weil seine beiden Stützen immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen hatten. Es sollte seine letzte ernstzunehmende Chance auf den begehrten Handschmuck bleiben.
Nachdem sein Vertrag nicht verlängert wurde, verließ Adelman die Rockets und wurde von den Minnesota Timberwolves verpflichtet. Mit Ricky Rubio, Derrick Williams, Nicola Pekovic, aber vor allem Kevin Love formierte sich auch in Minneapolis ein Gefüge, das für die "Elbow Action" scheinbar wie gemacht war.
Top-10 der erfolgreichsten NBA-Coaches
Bedingt durch die monatelangen Ausfälle von Love und Rubio konnte der mittlerweile 65-Jährige allerdings nicht an vergangene Erfolge anknüpfen und verpasste mit den T-Wolves Jahr für Jahr die Postseason. Seine letzte Station verleiht der sonst makellosen Karriere eine kleine Delle.
Der Oldtimer war bei seinem 800. Sieg einer von wenigen Trainern, die eine Quote von über 60 Prozent vorweisen können. Insgesamt brachte er es sogar auf 1042 Siege und rangiert damit auf dem achten Platz in der Rekordliste. Außerdem ist er einer von fünf Trainern, die es mit zwei Teams auf mindestens 60 Siege in einer Saison gebracht haben.
Auch wenn Rick Adelman den Playoff-Mountain nie von ganz oben gesehen hat, das von ihm perfektionierte System hat schon eine ganze Schublade voller Ringe eingebracht. Die San Antonio Spurs haben lange Zeit eine Version der "Corner Offense" genutzt, die Dallas Mavericks erreichten unter Mithilfe der Elbow Action ihren einzigen Triumph 2011 und selbst die Miami Heat verdanken ihr zu einem gewissen Teil die Titel der "Big-Three-Ära".
"Slick Rick" ist zwar von der großen NBA-Bühne abgetreten. Sein System wird die Liga jedoch noch über Jahre hinweg bereichern.
Rick Adelman im Steckbrief