High Five für Dummies

Martin Gödderz
23. Juni 201512:01
Yao Ming (2. v.l.) musste als Rookie viel lernen, ordentliche High Fives gehörten auch zum Programmgetty
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In seinen beinahe 70 Jahren Geschichte hat der NBA-Draft zahlreiche schräge Stories herausgebracht. Eine Liga zwischen Eiskunstlauf und Fahrschule, zwischen schwangeren Picks und Iren mit einem goldenen Händchen. Stets dabei: Große Gefühle, kleine Witze und die wohl merkwürdigsten High Fives aller Zeiten. Die zehn kuriosesten Draft-Stories der NBA-Historie im Überblick.

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Lieber Eiskunstlauf als Bill Russell: Es gibt keinen erfolgreicheren NBA-Spieler als Bill Russell. Der Center führte die Boston Celtics in den 50er- und 60er-Jahren zu unfassbaren elf Championships, holte sich fünf MVP-Titel und revolutionierte mit seiner Spielweise die Liga. Schon bevor er in die NBA kam, galt er als der beste Spieler im Draft. Doch warum erhielten eigentlich ausgerechnet die Celtics, die im NBA Draft 1956 erst an 13. Stelle ziehen durften (wo sie übrigens Hall of Famer K.C. Jones bekamen), die Chance Russell zu holen? Ganz einfach: Weil NBA-Legende Red Auerbach ein gewiefter Hund war.

Der damalige Trainer, General Manager und Chefscout in Personalunion hatte Russell zwar nie spielen sehen, von College-Coach Bill Reinhart, einem der Begründer des Fastbreaks, wusste er aber, dass Russell sich perfekt eignen würde, um eben jene Spielidee auch in der NBA umzusetzen. Anders als heute waren Spieler nicht derart gläsern. So hatten die Rochester Royals, die den ersten Pick im Draft besaßen, relativ wenige Informationen über Russell, weswegen sie sich auch diebisch freuten, als der damalige Celtics-Besitzer Walter Brown auf Anweisung von Auerbach mit einem besonderen Angebot an sie herantrat. SPOX

Weil der Präsident der Celtics gleichzeitig auch die Ice Capades, eine Eiskunstlaufshow vergleichbar mit dem heutigen Holiday on Ice, besaß, rief er Royals-Besitzer Lee Harrison an und versicherte diesem, dass die Ice Capades für eine Woche nach Rochester kämen, wenn die Royals dafür nicht Russell an erster Stelle im NBA-Draft ziehen würden. Harrison war außer sich vor Freude und willigte direkt ein - in der Gewissheit, einen Mega-Deal getätigt zu haben. Rochester zog folglich Si Green, der in seiner Karriere nie mehr als ein Mitläufer war.

Nun galt es für Boston noch, den zweiten Pick der St. Louis Hawks zu erhalten, was allerdings auch keine sonderlich schwere Aufgabe war. Wegen des in St. Louis noch immer weit verbreiteten Rassismusproblems war klar, dass Russell wohl nie für die Hawks auflaufen würde. Also rief Auerbach bei Hawks-Owner Joe Kerner an, der zufällig auch sein alter Boss und Bekannter war, bot diesem für den zweiten Pick den sechsfachen All-Star Ed Macauley, nebenbei noch ein lokaler Held in St. Louis, und packte Rookie Cliff Hagan drauf. Kerner bestätigte den Deal, der den Hawks 1958 die Championship bringen sollte, den Celtics aber eine ganze Dynastie verschaffte.

Cousy (l.) und Russellgetty

Fahrschule statt NBA: Die Story von Bill Russell hat schon gezeigt, dass der NBA Draft damals nicht ganz so professionell war wie heute. Ein weiteres Phänomen der damaligen Zeit waren die sogenannten Territorial Picks, die es von 1950 bis 1965 gab. So hatten Teams einen Erstzugriff auf einen Spieler aus der näheren Umgebung. Das sollte die NBA-Teams in der Region bekannter und beliebter machen.

Berühmte Beispiele für solche Territorial Picks sind Oscar Robertson oder Wilt Chamberlain. Bob Cousy dagegen ist ein Sonderfall. Der 1,85 Meter große Aufbau kam als College-Star in den 1950er Draft und die Celtics hatten ein Anrecht auf den Territorial Pick. Red Auerbach jedoch hatte keine Lust auf Cousy. Er wollte gewinnen und nicht die Fans mit irgendeinem dahergelaufenen Lokalhelden glücklich machen. So verzichtete Boston auf sein Anrecht, weswegen Cousy an dritter Stelle zu den Tri-Cities Blackhawks ging.

Cousy war allerdings extrem unglücklich mit dieser Entscheidung, weil er gerade dabei war, eine Fahrschule in Massachusetts aufzubauen. Er informierte die Blackhawks, die ihn umgehend zu den Chicago Stags abgaben. Mit diesen konnte sich Cousy, der eben Geld für den Aufbau seiner Fahrschule brauchte, aber nie auf einen Vertrag einigen, weswegen wiederum ein eigener Draft nur für Cousy veranstaltet wurde, um diesen in die NBA zu bringen.

Im sogenannten Dispersal Draft wurde jeder Teamname in einen Hut geworfen. Gezogen wurde ausgerechnet der Name der Celtics. Die hatten Cousy nun doch an der Backe. Besitzer Brown war begeistert, Auerbach reichlich bedient. Doch die Coach-Legende arrangierte sich mit Cousy, dieser wurde als Point Guard der kongeniale Partner von Russell, gewann an dessen Seite sechs Meisterschaften und baute eine hervorragende Fahrschule in der Region auf.

Schwangere? Babies? Alles ist möglich: Schon im heutigen hochprofessionellen Draft wird der zweiten Runde nur noch relativ wenig Beachtung geschenkt. Dabei geht ein NBA-Draft seit 1989, als die Liga beschloss die Veranstaltung auf zwei Runden zu begrenzen, vergleichsweise schnell vorbei. Das war früher anders: 1960 beispielsweise dauerte der gesamte Vorgang unfassbare 21 Runden an.

Natürlich entwickelten sich keine großartigen Karrieren aus Picks, die erst in der 17. oder 18. Runde gezogen wurden. Weil die General Manager dieses Verfahren mit zunehmender Zeit auch lächerlich fanden, machten sie sich aber einen Spaß daraus und vollzogen teils aberwitzige Draft-Picks.

Schon einmal von Lusia Harris gehört? Nein? Nicht schlimm. Die gute Dame wurde 1977 an 137. Stelle in der siebten Runde von den New Orleans Jazz gezogen. Immerhin war sie dreifacher American All-Star am College und Teilnehmerin des Basketball-Olympiateams von 1976. Gleichzeitig war sie zur Zeit des Drafts aber auch schwanger. Kaum zu glauben, doch Harris bestritt kein einziges NBA-Spiel.

Genauso wenige NBA-Spiele absolvierte Caitlyn Jenner, die vor ihrer Geschlechtsumwandlung noch als Bruce Jenner 1976 den Zehnkampf-Olympiasieg feierte und ebenfalls im 77er-Draft an 139. Stelle von den Kansas City Kings gezogen wurde. Noch immer nicht genug? Einer geht noch: In der Nacht des NBA-Drafts 1974 bekam Pat Williams, seines Zeichens General Manager der Hawks, sein erstes Kind. Aus purer Freude zog Williams seinen neugeborenen Sohn in der zehnten Runde. Anders als bei Harris oder Jenner wurde dieser Pick aber für ungültig erklärt. Die Altersgrenze wurde unterschritten. Eine Frechheit.

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Glücksfee Ray Patterson: Die Lottery wurde erst nach dem legendären NBA-Draft 1984 eingeführt. Zwischen 66 und 84 wurde aber per Münzwurf entschieden, welches der beiden schlechtesten Teams der abgelaufenen Saison den ersten Pick erhalten sollte.

Der Experte für diesen sogenannten "Coin Flip"? Ray Patterson. Als Bucks-Präsident gewann dieser den Münzwurf, der Milwaukee einen gewissen Lew Alcindor als First-Pick einbrachte. Der wurde als Kareem Abdul-Jabbar bekanntermaßen zu einer der größten Legenden des Sports. Doch damit nicht genug: Später, als Präsident und General Manager der Rockets, angelte sich Patterson gleich zwei erste Picks hintereinander.

Pattersons Erfolgsrezept: Der Sohn irischer Einwanderer begab sich stets einen Abend vor dem Münzwurf, der in New York abgehalten wurde, mit den Verantwortlichen seines Teams nach Manhattan in das Irish Pub "Jimmy Weston". Dort wurden nicht nur reichlich Irish Whiskeys getrunken. Die Delegation erhielt von Bar-Besitzer Jimmy Weston persönlich auch noch eine Uhr mit irischen Münzen auf jedem Stundenzeiger.

Diese wurde dann mit zum Münzwurf gebracht und schien zu funktionieren. 1983 und 1984 durften die Rockets dank Pattersons glücklichem Händchen nach erfolgreichem Münzwurf an erster Stelle draften. Sie holten sich 1983 Ralph Sampson und ein Jahr später keinen Geringeren als Hakeem Olajuwon. Ein Jahr darauf wurde der Münzwurf zum Leidwesen von Ray Patterson abgeschafft.

"Bitte nicht Vancouver": Ob ein Spieler nun an erster oder an 15. Stelle gezogen wird, seine Reaktion im Green Room sieht zumeist gleich aus. Ein junger Mann umarmt seine gesamte Familie, zieht sich die Cap seines neuen Teams auf, schlendert freudestrahlend zur Bühne und erzählt dann, wie glücklich er sei, die Chance in der NBA zu erhalten.

So hätte im NBA Draft 1999 normalerweise auch Steve Francis reagieren sollen, als er schon an zweiter Stelle von den aufstrebenden Vancouver Grizzlies gezogen wurde. Doch Francis war eher wenig amüsiert darüber, plötzlich in ein ganz fernes Land, fernab aller Medien und weit weg von seiner Heimat Takoma Park in Maryland wechseln zu müssen.

Die meisten Spieler denken sich diesen Teil nur, doch Francis ließ seinen Gefühlen einfach freien Lauf und drückte seine bittere Enttäuschung offen aus. Er schüttelte den Kopf, er schaute zu Boden und immer wieder zog er die Mundwinkel nach unten.

Er hatte doch so fest damit gerechnet an erster Stelle von den Chicago Bulls gezogen zu werden. Der nächste Jordan wollte er werden, eine Dynastie aufbauen, gar nicht fern von seiner Heimat. Und dann das: Vancouver. Auf der Bühne angekommen nahm er verbittert den Handschlag von Stern entgegen und meinte: "Hoffentlich wache ich morgen wenigstens glücklich auf." Tat er nicht, noch vor Saisonbeginn wechselte er nach Houston.

Ein Zeichen des Respekts: Wir schreiben den 27. Juni 2013. Fast 30 Jahre nach seinem ersten NBA-Draft tritt Commissioner David Stern ab. Zu seinem letzten Draft erscheint Hakeem Olajuwon in exakt dem Outfit, das er 1984 trug, als er den ersten Handschlag der Ära Stern erhielt.

Während Olajuwon den langjährigen NBA-Boss noch über den grünen Klee lobte, gab es vom Publikum in Brooklyn die obligatorischen Buh-Rufe für einen Commissioner, der in seiner langen Amtszeit zwar sehr viel bewegt hatte, jedoch nie so richtig mit den Fans warm geworden war.

Doch Stern trug es mit Humor. Er schien jeden einzelnen Buh-Ruf zu genießen. Dabei grinste der abtretende Chef ein wenig in sich hinein und meinte dann nur lapidar: "Ich sollte unsere internationalen Zuschauer vielleicht noch aufklären: Die Buh-Rufe sind hier ein Zeichen des Respekts."

Immerhin dafür erntete Stern viele Lacher, aber noch mehr Buh-Rufe in Brooklyn. Das Twitter-Universum war jedenfalls begeistert vom "Lord of the Trolls".

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Chinesische High Five: Der NBA-Draft 2002 ist reich an netten Anekdoten, außerordentlichen Reaktionen und verrückten Geschichten. Welcher Basketballnerd bringt beispielsweise noch den Namen Nikoloz Tskitishvili mit der besten Basketballliga der Welt in Verbindung? Der Georgier wurde an Position fünf gezogen und gilt als einer der schlechtesten ausländischen Picks überhaupt. Und wer muss nicht lachen, wenn er sieht wie ein junger Brasilianer namens Nene die Bühne hochtanzt?

Wie dem auch sei: Die dominierende Personalie des Drafts war der Riese, der an erster Stelle von den Rockets gezogen wurde: Yao Ming, der beste chinesische Basketballer aller Zeiten. Noch bevor er eine Minute auf dem Parkett stand, war der Mann bereits ein Mythos. Es schien, als entstamme er mit seinen unfassbaren 2,29 Metern einem Basketballlabor in der chinesischen Provinz. Zum Vergleich: Der durchschnittliche chinesische Mann ist in etwa 1,65 Meter klein.

Als der Center 2002, nachdem er in seiner letzten Saison für die Shanghai Sharks mal eben 38,9 Punkte und 20,2 Rebounds im Schnitt geholt hatte, beschloss, in die NBA zu wechseln, bildete sich ein eigenes "Team Yao", bestehend aus Beratern, Marketingexperten und einem Wirtschaftsprofessor. Selten wurde ein Draft-Pick derart professionell betreut. Und trotzdem: Noch am Vorabend des Drafts war nicht sicher, ob Yao überhaupt die Genehmigung erhalten würde, in den USA zu spielen.

Erst als "Team Yao" nach langen Verhandlungen einwilligte, dass der Center für Spiele der Nationalmannschaft stets nach China zurückkehren würde, gab der chinesische Verband den Hünen frei und ebnete den Weg für eine einzigartige Karriere. Als Yao Ming dann auch noch am Anfang gewählt wurde, kannte der Jubel keine Grenzen. Per Video konnte man live beobachten, wie sich Yaos Familie die wohl merkwürdigsten High Fives aller Zeiten gab.

Rollenwechsel auf der Bühne: Die Geschichte des NBA-Drafts ist auch eine Geschichte von verrückten Trades, die in der Nachbetrachtung plötzlich völlig missraten wirken. So gaben die Milwaukee Bucks beispielsweise noch am Draft-Tag 1998 einen gewissen Dirk Nowitzki im Tausch für Robert Traylor zu den Dallas Mavericks ab.

Kurz bevor Nowitzki im 98er-Draft aber an neunter Stelle gewählt wurde, kam es zu einem weiteren kuriosen Trade. So zogen die Toronto Raptors an Position vier Antawn Jamison von der University of North Carolina. Eine Position danach wurde auch sein College-Teamkollege Vince Carter von den Golden State Warriors gezogen.

Anscheinend hatten sich beide Teams aber mit den beiden UNC-Kollegen vertan. Denn noch bevor Jamison die Bühne verlassen hatte, schien er zu den Warriors transferiert worden zu sein. Im Tausch für Kumpel Vince Carter.

Die beiden nahmen es mit Humor. Noch auf der Bühne tauschten sie vor den Augen von David Stern die Caps ihrer neuen Arbeitgeber und sorgten so für eines der kuriosesten Bilder der jüngeren Draft-Historie.

Carter (l.) und Jamison tauschen die Capgetty

Rashard allein zu Haus: Der Draft 1998 schrieb allerdings auch eine fast schon tragische Geschichte. Im Green Room, wo nur die besten Draft-Picks des Abends Platz nehmen, die auf jeden Fall sehr früh gezogen werden sollen, saß auch ein noch ganz junger Highschool-Star.

Der gerade einmal 18-Jährige Rashard Lewis galt als eines der größten Talente des Landes und als beinahe sicherer Lottery-Pick. Das Problem nur: Am Draft-Abend wollte niemand Lewis haben. So saß der Teenager irgendwann völlig alleine im Green Room und heulte wie ein Schlosshund.

Als er in der ersten Runde nicht über die Ladentheke ging und David Stern die Bühne bereits verlassen hatte, musste Lewis von seiner Familie getröstet werden. Später meinte er: "Meine ganze Highschool, alle Leute aus der Heimat hatten zugesehen, weil ich ihnen gesagt hatte, dass ich heute gezogen werde. Das war mir so peinlich."

An 32. Stelle hatten schließlich die Seattle SuperSonics ein Erbarmen. Lewis kam doch noch in der NBA unter, wurde All-Star und unterschrieb später einen der lukrativsten Verträge der Neuzeit. Das war wohl Entschädigung genug.

Alle Macht dem König: Tauschte man früher noch Superstars gegen Eislaufshows, funktioniert das heute im Draft alles ganz anders. Obwohl Scouts mittlerweile wohl jeden Draft-Pick bis ins kleinste Detail beleuchten, gilt trotzdem: Wenn der beste Spieler der Welt gerade Free Agent ist und einen Rookie haben will, dann wird dieser Spieler auch gefälligst geholt.

So geschehen im Draft 2014. Angetan von einem fantastischen Lauf bei der March Madness lobte LeBron James College-Star Shabazz Napier per Twitter gleich mehrere Male in höchsten Tönen. Ob der kleine Guard sein Spiel auch in die NBA übertragen könnte, war da schon mehr als fraglich.

Den Miami Heat war das aber egal. Um den King am South Beach behalten zu können, angelten sie sich im Draft, wie der Zufall es wollte, ausgerechnet Point Guard Napier. Gebracht hat das alles nichts. LeBron James entschied sich bekanntlich kurz darauf gegen Miami und brachte seine Talente zurück in die Heimat nach Cleveland, Ohio.

Die Heat dagegen hatten nun James' Favoriten im Kader. Der brachte es immerhin auf 5,1 Punkte und 2,5 Assists im Schnitt. Dennoch: Ein eher schwacher Trost.

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