NBA

NBA Legenden-Serie: Chris Mullin - Gottes Modellspieler

Von Martin Gödderz
Chris Mullin (2.v.l.) spielte zwölf Jahre bei den Golden State Warriors
© getty
Cookie-Einstellungen

"Ich musste die Kontrolle über mein Leben wiederfinden. Diesen Schritt hätte ich ohne Coach Nelson niemals gewagt", beschreibt Mullin die schwierige Situation. Doch das Talent stürzte sich mit demselben Ehrgeiz in die Behandlung, mit dem es sonst Wurf um Wurf im Gym nahm. Das Ergebnis war beeindruckend.

Ein Wendepunkt war Mullins erstes Spiel nach dem Entzug, an das er sich noch lebhaft erinnert: "Ich war noch ein wenig fragil, gerade noch dabei, mein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Dann bin ich rausgegangen und die Menschen in der Arena sind für mich aufgestanden. Ich habe Ovationen erhalten. Da wusste ich: Okay, ich habe hier die Chance, es zu packen."

Neues Frisur, neues Leben

Mullin rasierte sich die Haare, verpasste sich seinen bis heute markanten Militärschnitt, trainierte noch mehr als zuvor und spielte fortan den besten Basketball seines Lebens.

"Vor dem Entzug war er ein Scorer. Er hatte schon immer eine enorme Range. Aber danach, als er wieder Kontrolle hatte, gab es nichts, was er nicht konnte. Er wollte den Ball, er penetrierte, er passte", meinte Don Nelson.

In seiner ersten vollen Saison nach dem Entzug (88/89) legte Mullin durchschnittlich 26,5 Punkte auf, verwandelte 50,9 Prozent seiner Würfe und schnappte sich 2,1 Steals. Mit der statistisch besten Saison seiner Karriere legte er den Grundstein für eine der bis dato populärsten Ären der Association: Run TMC.

Run TMC erobert die Liga

Gemeinsam mit seinen Teamkollegen Tim Hardaway und Mitch Richmond lehrte Mullin seinen Gegnern drei Jahre lang von 1989 bis 1991 das Fürchten. Im berühmten Run-and-Gun-Stil von Don Nelson trumpfte das Trio auf, verzückte dabei mit durchschlagender Offensivpower und Scoring die eigenen Fans sowie die gesamte Liga.

"Es war eine faszinierende Phase. Als wir das Feld betraten, fanden wir auf eine besondere Art zusammen. Es war genau die Zeit, als sich mein Spiel und mein Leben in perfektem Einklang befanden", beschreibt Mullin selbst die einzigartige Zeit, die mit dem 162:158 gegen die Denver Nuggets, dem bis heute punktreichsten NBA-Spiel ohne Overtime, am 2. November 1990 ihren Höhepunkt fand.

Während Richmond das Team 1991 verlassen musste, hielt Mullin den Warriors zwölf Jahre lang die Treue. Zum großen Erfolg reichte es nie. Dreimal war in den Western Conference Finals Schluss, weiter zogen die Warriors mit Mullin nie in den Playoffs, auch wenn höchst attraktiver Basketball in Oakland gespielt wurde und der Flügelspieler selbst hohes Ansehen in der Liga besaß.

Dream-Team-Triumph für Miniatur-Bird

Jim O'Brien, damaliger Assistant-Coach der New York Knicks, verglich Mullin dabei sogar mit einem ganz Großen seines Fachs. "Er ist ein Abbild von Larry Bird. Keiner von beiden ist schnell, doch sie werfen perfekt, benutzen ihre Körper extrem gut und sind dabei so hervorragende Passgeber", beschrieb der Trainer den Warriors-Star damals.

Während es für Mullin in der Liga auch während seiner drei Jahre bei den Indiana Pacers trotzdem nicht für den Titel reichte, wurde ihm in der Zwischenzeit auf internationaler Ebene höchste Ehre zuteil.

So war Mullin als viertbester Scorer elementarer Bestandteil des Dream Teams, das bei Olympia 1992 nicht nur die Goldmedaille, sondern auch weltweiten Ruhm erlangte. Nach dem Triumph 1984 war es bereits das zweite olympische Gold für Mullin.

Neben den internationalen Erfolgen stehen fünf All-Star-Nominierungen und vier Auftritte in All-NBA-Teams in der Karriere des 2011 in die Hall of Fame aufgenommenen Mannes, der mit seinem außerordentlichen Wurf und dem beeindruckenden Offensiv-Repertoire die Bay Area zu einer Zeit verzauberte, als Dell Curry seinen kleinen Sohn namens Stephen gerade noch die Windeln wechselte.

Genialer Shooter, noch besserer Mensch

Mullin selbst blickt sehr reflektiert zurück auf seine bewegte NBA-Karriere, die 16 Spielzeiten lang andauerte. "Natürlich habe ich es geliebt, im All-Star-Game zu spielen, ins All-NBA-Team gewählt zu werden und all diese Dinge. Doch was mir mehr bedeutet hat als alles andere, war der Respekt. Der Respekt der Coaches, der Mitspieler und der Menschen auf der Straße", stellt er heraus.

Dabei wird deutlich, dass Mullin nicht nur ein besonderer Basketballer war, sondern auch ein besonderer Mensch ist. Der ehemalige Warriors-Coach Mark Jackson, der mit Mullin zusammen am College in St. John spielte, meint nicht ohne Grund: "Er ist auf jeden Fall einer der besten Shooter, der jemals einen Basketball angefasst hat. Aber er ist ein noch besserer Mensch. Ich verdanke ihm viel von meinem Erfolg, denn er hat mir damals am College unfassbar viel beigebracht."

So kehrte Mullin mit 51 Jahren und nach einiger Zeit im Front Office der Golden State Warriors sowie der Sacramento Kings wieder zu seinen Wurzeln zurück. Im März 2015 nahm er den Job als Coach der St. John's Red Storm an, bevor er 2019 aus persönlichen Gründen zurücktrat. Nebenbei engagiert er sich in etlichen karitativen Projekten seiner Heimatstadt.

Dennoch, der Basketball vermisst Mullin und keiner brachte es einst so gut auf den Punkt wie Lakers-Legende Magic Johnson. Seine Meinung zum Dream-Team-Kollegen? "Als Gott einen perfekten Basketballspieler erschuf, hat er Chris Mullin geschnitzt und gesagt: Das ist dieser Spieler."

Artikel und Videos zum Thema