"Willkommen zurück, Bruder. Ich bin froh, dass du bei uns bleibst." Mit diesen Worten reagierte LeBron James bei Twitter auf den neuen Cavs-Vertrag von J.R. Smith. Fünf Millionen Dollar bringt ihm der neue Kontrakt die nächsten beiden Jahre jeweils ein.
Nach Adam Riese ist der Deal für den exzentrischen 29-Jährigen nicht gerade vorteilhaft. Zu Beginn der Offseason entschied er sich, seine Spieleroption in Höhe von 6,4 Millionen Dollar nicht zu ziehen. Der Grund? Die Hoffnung auf einen lukrativen, langfristigen Vertrag.
Doch Smith überschätzte seinen Marktwert und lernte die harte Seite der Free Agency kennen. Er hatte sich verzockt - oder um es mit den seinen Worten zu sagen: Er "wollte die Landschaft der NBA kennen lernen und schauen, wo er am besten hinpasst." Ja nee, is klar. Kein Team wollte ihn an sich binden, kein Team wollte Cap Space für ihn opfern. Denn Smith ist ein Grenzgänger - taumelt immer zwischen Genie und Wahnsinn.
Smith, der Gute
Einen wie Smith wünscht sich jede Franchise. Einen Spieler, der von der Bank kommen und ein Spiel entscheiden kann. Zu Recht wurde The Prodigy in der Saison 2012/2013 bei den New York Knicks zum Sixth Man of the Year gewählt. Instant Offense - das ist seine große Stärke.
Smith ist einer der besseren Shooter der Liga, aus der Mitteldistanz (vergangene Saison 42,5 Prozent) wie vom Perimeter (39 Prozent). Am liebsten per Isolation mit dem Verteidiger direkt vor der Nase. Und: Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Dion Waiters kann er sich in jeder Situation seinen eigenen Wurf kreieren.
Smith strotzt selbst in den wichtigsten Momenten der Crunchtime vor Selbstbewusstsein und scheut den entscheidenden Wurf nicht. Seine beiden Gamewinner innerhalb von drei Wochen Ende 2012 belegen das recht eindrucksvoll. Doch dann ist da noch seine andere Seite.
Smith, der Verrückte
Einen wie Smith wünscht sich keine Franchise. Einen Spieler, der mit einer dämlichen Aktion das Momentum auf die Seite des Gegners bringen kann. Hin und wieder brennen ihm die Sicherungen durch - zuletzt in den Playoffs gegen Boston, als er Jae Crowder mit einem Schlag ins Gesicht niederstreckte. Zwei Spiele Sperre waren die direkte Konsequenz, doch die indirekten Folgen bekam Smith in der Offseason zu spüren.
Vorfälle wie dieser sind es, die an seiner Charaktereinstellung zweifeln lassen und die ihm die Chance auf einen besseren Deal verbauten. Doch in seinem Kerbholz ist auch die jüngste Sperre nur ein Kratzer unter vielen.
Immer Ärger mit J.R.
Da wäre beispielsweise die Weigerung, in New York Phil Jacksons Triangle Offense zu lernen bzw. die nicht vorhandene Fähigkeit, sie zu verstehen. Da wäre die fehlende Bereitschaft, durchgehend zu verteidigen. Da wären die Anschuldigungen seines ehemaligen chinesischen Teams, für das er während des Lockout-Jahres spielte. So soll Smith, der in der Liga Topscorer wurde, über die Saison insgesamt 80 Trainingseinheiten geschwänzt haben.
Seine Beteiligung am Brawl zwischen den Nuggets und Knicks brachte ihm 2006 zehn Spiele Sperre ein. Nach einem Autounfall wurde er sieben Spiele suspendiert, wegen eines Verstoßes gegen die Drogen-Regularien der Liga musste er vier Partien aussetzen. Dazu kommen etliche Geldstrafen für kleinere Vergehen wie zum Beispiel unangebrachte Veröffentlichungen in den Sozialen Medien oder letztes Jahr das kindische Shoegate (er öffnete mehrfach auf dem Feld Schnürsenkel von Gegenspielern).
In den Finals überfordert
Auch sonst lässt Smith keine Gelegenheit aus, um seine zweifelhafte Attitüde zur Schau zu stellen. Vor Spiel 4 der Finals gegen die Warriors betrat er die Arena in Cleveland nicht wie jeder normale Mensch zu Fuß, sondern fuhr auf einem Hovertrax, einem futuristischen Segway, ein. Vor Spiel 4 der NBA Finals!
Smith ist vieles, aber kein Alphatier. Nach den Verletzungen von Kevin Love und Kyrie Irving war er nicht in der Lage als zweite Option Verantwortung zu übernehmen. Gegen die Warriors kam er nur auf 11,5 Punkte pro Spiel und war mit einer Quote von schwachen 31 Prozent aus dem Feld nicht die erhoffte Entlastung für LeBron.
Bein-Akrobatik
Trotz aller Eskapaden ist der neue Deal ein Coup für die Cavs. Man weiß zwar nie, mit welchem Bein J.R. am Morgen aufgestanden ist, doch wenn es seine gute Seite ist, kann er für Cleveland auf dem Weg zum lang ersehnten Titel noch extrem wertvoll werden.
Ein Beispiel sind die Eastern Conference Finals gegen die Atlanta Hawks, in denen er im Schnitt 18 Punkte (50 Prozent FG, 47 Prozent 3FG) und 7,5 Rebounds auflegte. Das ist die Version von Smith, die sich die Cavs gewünscht hatten, als sie ihn im Paket mit Iman Shumpert Anfang Januar aus New York holten.
Vertrag mit Tücken
Eine wirkliche Alternative zu J.R. Swish gab es für Cleveland im Sommer nicht, einzig Jamal Crawford hätte man wohl als Ersatz von den Clippers loseisen können. Dass die Cavs Smith nun auch noch zu geringeren Bezügen verpflichten konnten, ist bei der aktuellen Payroll von knapp 90 Millionen Dollar (exklusive Tristan Thompson) ein nicht zu unterschätzender Bonus.Allerdings hat The Prodigy im kommenden Sommer wieder eine Player Option, mit der er die Franchise verlassen könnte. Traden können die Cavs ihren Harakiri-Shooter aufgrund der CBA-Regeln in der nächsten Saison zudem nicht ohne sein Einverständnis.
Back to the roots
Mit der Verpflichtung von Mo Williams und Richard Jefferson hat das Front Office ein gutes Händchen bewiesen und die Second Unit verstärkt. Die Abhängigkeit von Smith ist somit geringer als im Vorjahr. Erster Guard von der Bank wird wohl Williams sein, der im Gegensatz zu J.R. auch den Ball bringen kann. Smith bekommt dafür endlich seine Rolle wieder: die des X-Faktors - unberechenbar, exzentrisch, anstachelnd.
Jetzt kann man für Cleveland nur hoffen, dass Smith in dieser Rolle wie in New York aufblüht und dass er sein aufbrausendes Temperament etwas besser in den Griff bekommt. An der Seite der - hoffentlich gesunden - Big Three sollte er in den Playoffs 2016 weniger Verantwortung übernehmen müssen. Dass es die Cavs dahin schaffen, steht wohl außer Frage.
Doch in der Postseaon und auch auf dem Weg dorthin werden sie ihren Grenzgänger brauchen. Einen, der nicht mit dem Strom schwimmt und in aussichtslosen Situationen an sich und das Team glaubt. Einen, der die Massen in Cleveland mitreißt. Und einen, der den Gamewinner treffen kann, wenn LeBron verhindert ist. All das ist J.R. Smith.