1,2 Sekunden auf der Shotclock, Einwurf Pelicans. Anthony Davis löst sich von seinem Gegenspieler Steven Adams und bekommt gut einen Meter hinter der 3-Punkt-Linie den Spalding in die Hände. Kevin Durant übernimmt, kommt zu spät und fliegt ins Leere, während AD hochsteigt, abdrückt, und dem Ball zu Boden fallend hinterherschaut.
Sekundenbruchteile, die später über eine ganze Saison entscheiden. Bei gleicher Bilanz entscheidet der direkte Vergleich - und beide Teams kämpfen um Platz acht in der Western Conference. Der Ball fliegt, die Schlusssirene ertönt - Swish! Vorteil Pelicans. Totenstille in der Chesapeake Energy Arena zu Oklahoma. Mal wieder Anthony Davis.
Die Pelicans können sich auf ihren Superstar verlassen. Im Alleingang hat er seine Mannschaft geschultert und nicht ganz absehbar in die Playoffs der knüppelharten Western Conference geführt. Jene Playoffs, die Russell Westbrook wegen des verlorenen Tiebreakers vorm Fernseher verfolgen musste. Und wo er, genau wie der Rest der Basketball-Welt, über die erste Playoff-Serie von AD staunen durfte.
Auf Augenhöhe mit Chamberlain
Zwar ging die Serie gegen den späteren Meister aus Golden State mit 0:4 verloren, doch "die Braue", wie Davis aufgrund seiner markanten Augenbraue(n) genannt wird, schrieb trotzdem Geschichte. Über die Serie gesehen, legte er im Schnitt 31,5 Punkte, 11 Rebounds, 2 Assists, 3 Blocks und 1,3 Steals auf. Und verwandelte 33 er seiner 36 Freiwürfe. Damit reihte sich Davis als erst vierter Spieler in eine illustre Runde ein, die in ihren ersten vier Playoff-Spielen mindestens 30 Punkte und 10 Rebounds aufgelegt hatten. Die ersten drei waren Wilt Chamberlain, Kareem Abdul Jabbar und Bob McAdoo, wobei Davis mit 61,3% den besten Wert in der Kategorie "True Shooting" aufweisen konnte.
Davis hat nach anfänglichen Schwierigkeiten in seiner Rookie-Saison an den richtigen Stellschrauben gedreht und seine Schwächen ausgemerzt. In der letzten Spielzeit führte er seine Pelicans in seinem erst dritten NBA-Jahr nahezu im Alleingang in die Playoffs und sich selbst in den Kreis der MVP-Kandidaten. 24.4 Punkte, 10.2 Rebounds, 2.2 Assists, 1.5 Steals und 2.9 Blocks im Schnitt. Dazu mit 30,8 den ligaweiten Bestwert im Player Efficiency Rating (PER) und 14 Win Shares - mit 22 Jahren!
Noch sechs Jahre Pelicans?
Der Sommer in New Orleans verlief ruhig. Davis unterzeichnete zu Beginn der Free Agency den bisher höchstdotiertesten Vertrag in der NBA-Geschichte: 145 Millionen Dollar über fünf Jahre. Trotz der beängstigenden Höhe wohl ein Schnäppchen, denn die Dienste des Jungspunds wären den Pelikanen vermutlich noch deutlich mehr wert gewesen. Warum das so ist, liegt auf der Hand. Davis macht aus einer grauen Maus, bzw. einem grauen Pelikan, langfristig gesehen mit den richtigen Assets einen ernst zu nehmenden Contender, sollte er seine Entwicklung fortführen. Er könnte die NBA über viele Jahre dominieren.
In die Saison 15/16 gehen die Pelicans nahezu unverändert. Dante Cunningham, Ömer Asik, Alexis Ajinca und Luke Babbitt unterzeichneten neue Mehrjahresverträge. Norris Cole bleibt den Pelikanen ebenfalls erhalten. Namhafte Verstärkungen blieben aus, Kendrick Perkins kam nach seinem erfolglosen Intermezzo in Cleveland nach New Orleans, Chris Douglas-Roberts wurde zuletzt von den Clippers gewaived, und Alonzo Gee war letzte Saison für Denver und Portland aktiv. Alles keine klangvollen Namen, die den schnellen Erfolg versprechen.
Neuer Coach, neuer Spielstil
Die wichtigste Neuverpflichtung wurde allerdings abseits des Parketts getätigt. Alvin Gentry, letzte Saison Assistenz-Trainer beim Meister aus Golden State, beerbt Monty Williams auf der Trainerbank und könnte die Pelicans sofort nach vorne bringen. Gentry gilt als Liebhaber von schnellem, offensivem Basketball - geprägt durch die Zeit als Assistant Coach unter Mr. "7-Sekunden-pro-Angriff" Mike d'Antoni -, und damit das genaue Gegenteil seines Vorgängers.
Unter Williams spielten nur drei Teams langsamer als die Pelicans. Gentry dagegen führte die Suns 2010 mit seinem schnellen Spielstil bis in die Western Conference Finals und hatte großen Anteil am letztjährigem Offensivfeuerwerk der Warriors. Für die Stärkung der Defense wurde aus Boston mit Defensiv-Guru Darren Erman einer der besten seiner Zunft verpflichtet.
Der schnellere Up-Tempo-Basketball von Gentry sollte den Pelicans auf jeden Fall neuen Esprit verleihen. "Ich denke, dass uns der Stil liegen wird, weil wir dafür geeignet sind, sehr schnell zu spielen. Das passt gut zu unseren Fähigkeiten. Es sollte ein extrem spaßiges Jahr werden", sagte Guard Eric Gordon.
Kris Humphris noch vor AD
Vor allem dürften so die Qualitäten von Anthony Davis noch besser zum Tragen kommen. Denn bei der Auswahl des neuen Trainers lag das Hauptaugenmerk darauf, wie man The Brow weiterentwickelt. Gentry lieferte die überzeugendsten Argumente und darf sich nun höchstpersönlich der Königsaufgabe annehmen, das Potenzial des Superstars voll auszuschöpfen.
Unter Vorgänger Williams berührte der geschmeidige Big Man das runde Leder nämlich nur 58,9 Mal pro Spiel - viel zu wenig für den unumstrittenen Go-To-Guy der Pelicans. Das waren nicht einmal zwei Minuten Ballbesitz pro Spiel - vergleichbar mit Kevin Love, Tobias Harris, Josh Smith oder Draymond Green. Blake Griffin etwa kam auf fast 82 Touches pro Partie.
Noch deutlicher macht es eine weitere Statistik. Davis berührte den Ball nur bei 53% aller Angriffe seines Teams, während er auf dem Feld stand. Unter 218 Spielern, die für mindestens 2.000 offensive Possessions ihres Teams auf dem Parkett standen, macht das für den MVP-Anwärter Davis gerade mal Rang 118.
Ganze 36 Power Forwards und Center befinden sich in dieser Wertung vor Davis. Sogar Kris Humphries durfte den Ball in 56,1% der Wizards-Possessions berühren. Richtig gehört. Kris Humphries, mit 8 Punkten und 6,5 Rebounds pro Spiel, kömmt öfter in Besitz der Kugel als ein waschechter MVP-Kandidat.
Das soll sich ändern - genau wie der Aktionsradius von Davis.
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