Auf der Jagd nach dem Thron

Steff Oswald
15. Oktober 201518:01
Unstoppable: Ohne Anthony Davis (M.) wären die Pelicans ein Lottery-Teamgetty
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Anthony Davis führte die New Orleans Pelicans in der letzten Saison etwas überraschend in die NBA-Playoffs. Neben dem 22-Jährigen gibt vor allem der Wechsel auf der Trainerbank Anlass, auf eine noch erfolgreichere Saison 2015/16 zu hoffen. Auf "The Brow" wird dabei eine neue Rolle zukommen.

1,2 Sekunden auf der Shotclock, Einwurf Pelicans. Anthony Davis löst sich von seinem Gegenspieler Steven Adams und bekommt gut einen Meter hinter der 3-Punkt-Linie den Spalding in die Hände. Kevin Durant übernimmt, kommt zu spät und fliegt ins Leere, während AD hochsteigt, abdrückt, und dem Ball zu Boden fallend hinterherschaut.

Sekundenbruchteile, die später über eine ganze Saison entscheiden. Bei gleicher Bilanz entscheidet der direkte Vergleich - und beide Teams kämpfen um Platz acht in der Western Conference. Der Ball fliegt, die Schlusssirene ertönt - Swish! Vorteil Pelicans. Totenstille in der Chesapeake Energy Arena zu Oklahoma. Mal wieder Anthony Davis.

Die Pelicans können sich auf ihren Superstar verlassen. Im Alleingang hat er seine Mannschaft geschultert und nicht ganz absehbar in die Playoffs der knüppelharten Western Conference geführt. Jene Playoffs, die Russell Westbrook wegen des verlorenen Tiebreakers vorm Fernseher verfolgen musste. Und wo er, genau wie der Rest der Basketball-Welt, über die erste Playoff-Serie von AD staunen durfte.

Auf Augenhöhe mit Chamberlain

Zwar ging die Serie gegen den späteren Meister aus Golden State mit 0:4 verloren, doch "die Braue", wie Davis aufgrund seiner markanten Augenbraue(n) genannt wird, schrieb trotzdem Geschichte. Über die Serie gesehen, legte er im Schnitt 31,5 Punkte, 11 Rebounds, 2 Assists, 3 Blocks und 1,3 Steals auf. Und verwandelte 33 er seiner 36 Freiwürfe. Damit reihte sich Davis als erst vierter Spieler in eine illustre Runde ein, die in ihren ersten vier Playoff-Spielen mindestens 30 Punkte und 10 Rebounds aufgelegt hatten. Die ersten drei waren Wilt Chamberlain, Kareem Abdul Jabbar und Bob McAdoo, wobei Davis mit 61,3% den besten Wert in der Kategorie "True Shooting" aufweisen konnte.

Davis hat nach anfänglichen Schwierigkeiten in seiner Rookie-Saison an den richtigen Stellschrauben gedreht und seine Schwächen ausgemerzt. In der letzten Spielzeit führte er seine Pelicans in seinem erst dritten NBA-Jahr nahezu im Alleingang in die Playoffs und sich selbst in den Kreis der MVP-Kandidaten. 24.4 Punkte, 10.2 Rebounds, 2.2 Assists, 1.5 Steals und 2.9 Blocks im Schnitt. Dazu mit 30,8 den ligaweiten Bestwert im Player Efficiency Rating (PER) und 14 Win Shares - mit 22 Jahren!

Noch sechs Jahre Pelicans?

Der Sommer in New Orleans verlief ruhig. Davis unterzeichnete zu Beginn der Free Agency den bisher höchstdotiertesten Vertrag in der NBA-Geschichte: 145 Millionen Dollar über fünf Jahre. Trotz der beängstigenden Höhe wohl ein Schnäppchen, denn die Dienste des Jungspunds wären den Pelikanen vermutlich noch deutlich mehr wert gewesen. Warum das so ist, liegt auf der Hand. Davis macht aus einer grauen Maus, bzw. einem grauen Pelikan, langfristig gesehen mit den richtigen Assets einen ernst zu nehmenden Contender, sollte er seine Entwicklung fortführen. Er könnte die NBA über viele Jahre dominieren.

In die Saison 15/16 gehen die Pelicans nahezu unverändert. Dante Cunningham, Ömer Asik, Alexis Ajinca und Luke Babbitt unterzeichneten neue Mehrjahresverträge. Norris Cole bleibt den Pelikanen ebenfalls erhalten. Namhafte Verstärkungen blieben aus, Kendrick Perkins kam nach seinem erfolglosen Intermezzo in Cleveland nach New Orleans, Chris Douglas-Roberts wurde zuletzt von den Clippers gewaived, und Alonzo Gee war letzte Saison für Denver und Portland aktiv. Alles keine klangvollen Namen, die den schnellen Erfolg versprechen.

Neuer Coach, neuer Spielstil

Die wichtigste Neuverpflichtung wurde allerdings abseits des Parketts getätigt. Alvin Gentry, letzte Saison Assistenz-Trainer beim Meister aus Golden State, beerbt Monty Williams auf der Trainerbank und könnte die Pelicans sofort nach vorne bringen. Gentry gilt als Liebhaber von schnellem, offensivem Basketball - geprägt durch die Zeit als Assistant Coach unter Mr. "7-Sekunden-pro-Angriff" Mike d'Antoni -, und damit das genaue Gegenteil seines Vorgängers.

Unter Williams spielten nur drei Teams langsamer als die Pelicans. Gentry dagegen führte die Suns 2010 mit seinem schnellen Spielstil bis in die Western Conference Finals und hatte großen Anteil am letztjährigem Offensivfeuerwerk der Warriors. Für die Stärkung der Defense wurde aus Boston mit Defensiv-Guru Darren Erman einer der besten seiner Zunft verpflichtet.

Der schnellere Up-Tempo-Basketball von Gentry sollte den Pelicans auf jeden Fall neuen Esprit verleihen. "Ich denke, dass uns der Stil liegen wird, weil wir dafür geeignet sind, sehr schnell zu spielen. Das passt gut zu unseren Fähigkeiten. Es sollte ein extrem spaßiges Jahr werden", sagte Guard Eric Gordon.

Kris Humphris noch vor AD

Vor allem dürften so die Qualitäten von Anthony Davis noch besser zum Tragen kommen. Denn bei der Auswahl des neuen Trainers lag das Hauptaugenmerk darauf, wie man The Brow weiterentwickelt. Gentry lieferte die überzeugendsten Argumente und darf sich nun höchstpersönlich der Königsaufgabe annehmen, das Potenzial des Superstars voll auszuschöpfen.

Unter Vorgänger Williams berührte der geschmeidige Big Man das runde Leder nämlich nur 58,9 Mal pro Spiel - viel zu wenig für den unumstrittenen Go-To-Guy der Pelicans. Das waren nicht einmal zwei Minuten Ballbesitz pro Spiel - vergleichbar mit Kevin Love, Tobias Harris, Josh Smith oder Draymond Green. Blake Griffin etwa kam auf fast 82 Touches pro Partie.

Noch deutlicher macht es eine weitere Statistik. Davis berührte den Ball nur bei 53% aller Angriffe seines Teams, während er auf dem Feld stand. Unter 218 Spielern, die für mindestens 2.000 offensive Possessions ihres Teams auf dem Parkett standen, macht das für den MVP-Anwärter Davis gerade mal Rang 118.

Ganze 36 Power Forwards und Center befinden sich in dieser Wertung vor Davis. Sogar Kris Humphries durfte den Ball in 56,1% der Wizards-Possessions berühren. Richtig gehört. Kris Humphries, mit 8 Punkten und 6,5 Rebounds pro Spiel, kömmt öfter in Besitz der Kugel als ein waschechter MVP-Kandidat.

Das soll sich ändern - genau wie der Aktionsradius von Davis.

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Aus "AD" mach "KD"

Die letzten großen Schwachstellen der Nummer 23 waren das Low-Post-Game und der nichtvorhandene Dreier. Gute Nachricht für die Pelicans-Fans: AD hat im Sommer an beidem gearbeitet. Vor allem die erweiterte Range sollte den Gegnern den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Die haben nun die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Entweder Davis bekommt von seinem Gegenspieler zu viel Platz und kann von draußen unbedrängt abdrücken. Oder er geht mit seinem schnellen ersten Schritt am Gegenspieler vorbei, zieht in die Zone und stopft die Murmel durch die Reuse. Mit seiner Schnelligkeit ist er kaum zu verteidigen. In seinen bisherigen drei NBA-Jahren nahm Davis bis jetzt lediglich 27 Dreier, von denen nur drei das Ziel fanden. Zu dieser Zahl dürften einige hinzukommen, da Gentry bereits angekündigt hat, dass er Davis von Downtown werfen sehen will.

"Mechanismen, die man nicht lernen kann"

Dass das Experiment Davis als Dreierschütze scheitern könnte, ist unwahrscheinlich. Immerhin ist er zu Highs-School-Zeiten noch als Guard aufgelaufen, bevor er von einem späten 15-Zentimeter-Wachstumsschub profitierte, und dabei das Glück hatte, seine Athletik, Beweglichkeit und Koordination zu behalten. Anthony Davis: Der Guard im Körper eines Big Man.

Und auch seine Wurfbewegung profitiert noch heute von seinem damaligen Spielstil. So schnell wie er seinen wackligen Jumpshot nach der Rookie-Saison zu einer verlässlichen Waffe geformt hatte, könnte es auch aus 7,24 Meter Entfernung gelingen. Zuzutrauen wäre es ihm jedenfalls - was kein geringerer als Steph Curry ebenfalls so sieht:

"Wenn man Davis' Wurf anschaut, dann weiß man dass er früher mal ein Guard war, weil er diese Mechanismen hat, die du nicht wirklich erlernen kannst. Ich sage voraus, dass wir nach seinem Karriereende wahrscheinlich auf einen 40%-Dreierschützen zurückschauen werden. Wenn er das in sein Spiel aufnimmt, weiß ich nicht wie er zu stoppen ist."

Roster 2015/16

Als Pelicans-Center Omer Asik im Sommer einen neuen 5-Jahresvertrag über saftige 58 Millionen Dollar unterschrieb, stellte sich die Frage, wie der - sagen wir es mal durch die Blume - offensiv limitierte Türke in das schnelle Spiel von Alvin Gentry passen sollte. Auf den zweiten Blick verfolgen die Pelicans mit der Weiterverpflichtung von Asik aber einen Plan: Davis soll mehr von außen agieren und zu einer Art Kevin Durant als Power Forward mutieren. So kann sich Asik ausschließlich um die Zone kümmern und Davis hat Narrenfreiheit.

Die Erfolgschancen für dieses Projekt stehen deutlich besser als es bei den Houston Rockets mit Asik und Dwight Howard der Fall war. Beide Center standen sich gegenseitig auf den Füßen, während Davis in der Lage ist, um Asik herum zu spielen.

Den Frontcourt komplettieren der neu verpflichtete Routinier Kendrick Perkins und, der vier bis sechs Wochen verletzte, Alexis Ajinca. Beide werden sich - wie Asik auch - auf die Defensive beschränken. Auf der Position des Power Forwards ist Scharfschütze Ryan Anderson die erste Option von der Bank, Dante Cunningham kämpft ebenfalls um Minuten als Davis-Ersatz. Tyreke Evans, Rookie of the Year von 2010, wird auf der Drei beginnen, Quincy Pondexter hat seinen Platz als 3&D-Spieler in der Rotation sicher.

Den Ballvortrag übernehmen soll auch in diesem Jahr Ex-All-Star Jrue Holiday. Die Hoffnung im Front Office ist, dass er an vergangene Tage anknüpfen kann und endlich von Verletzungen verschont bleibt. Als Backup-Point-Guard wird Norris Cole auflaufen. Der langjährige Kollege von LeBron James wurde im Februar zu den Pelicans verfrachtet und erkämpfte sich durch ansprechende Leistungen bei den Pelicans nun einen neuen Einjahresvertrag.

Gute erste Fünf, dünne Bank

Auf der Shooting-Guard-Position hoffen die Pelikane, dass Eric Gordon seine ansteigende Form konservieren kann und für zusätzliches Spacing sorgt. Der siebte Pick aus dem Jahr 2008 befindet sich im letzten Vertragsjahr, das ihm stolze 15 Millionen Dollar einbringt.

Sitzt Gordon zwischenzeitlich auf der Bank, könnte Tyreke Evans von der Drei auf die Zwei rutschen, da die Shooting-Guard-Position recht dünn besetzt ist. Ex-Clipper Chris Douglas-Roberts will mit guten Leistungen die missratene Zeit in Hollywood vergessen machen.

Alles in allem sind die Pelicans auch in der Saison 15/16 nur leicht überdurchschnittlich besetzt. Dass sich daran etwas ändert, wird insbesondere vom Gesundheitszustand der Starting Five abhängen, da die Bank dünn bestückt ist. Holiday, Anderson, Davis und Gordon verpassten letzte Saison zusammen 98 Spiele.

Bleiben die Pelicans jedoch gesund und können Holiday und Gordon die großen Erwartungen erfüllen, kann New Orleans eine erfolgreiche Saison bevorstehen. Die erste Fünf (Holiday, Gordon, Evans, Davis und Asik) braucht sich - wenn gesund! - vor keinem Gegner verstecken.

Ein Pelikan als MVP?

Das Erreichen der Playoffs sollte für die Pelicans kein Hindernis darstellen, da sich mit Portland und Dallas zwei Teams aus dem Playoff-Rennen verabschieden könnten. Auch dieses Jahr liegt aber die ganze Last wieder einmal auf den Schultern von Anthony Davis. Gute Nachricht: die Schultern sind den Sommer über wieder einmal breiter geworden - Davis hat den Sommer über zwölf Pfund reinste Muskelmasse zugelegt. Sein Athletiktrainer drohte der Konkurrenz mit der Ankündigung, dass Davis "stärker, schneller und explosiver sein wird als letztes Jahr."

Wichtig sein wird, dass der Backcourt um Holiday und Gordan Davis den Ball öfter in die Hände spielt. In welche Sphären die Stats von AD dann schießen, will man sich jetzt noch nicht einmal vorstellen. Für Davis gilt nur ein Motto: The sky is the limit.

Shaquille O'Neal meldete sich kürzlich zu Wort und bezeichnete Davis als aktuell besten Spieler auf seiner Position. Doch diese Frage stellt sich mittlerweile gar nicht mehr. Die Frage, die es eher gilt zu beantworten, ist, ob Anthony Davis in der neuen Saison an King James' Thron sägen kann. Es scheint bei seinen Möglichkeiten nur eine Frage der Zeit zu sein.

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