Tausche Zukunft gegen Vergangenheit

Ole Frerks
23. November 201506:42
Paul Pierce (l.) und Kevin Garnett sollten den Nets eigentlich eine Meisterschaft bescherengetty
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2013 gingen die Nets volles Risiko, um die Meisterschaft zu holen: Per Trade wurden Paul Pierce, Kevin Garnett und Jason Terry von den Celtics losgeeist. Das Experiment scheiterte kläglich - und mit der Zeit wird es immer offensichtlicher, wie verheerend dieser Deal für die Nets-Zukunft war.

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Aus heutiger Sicht ist folgende Aussage schwer zu verstehen, aber es gab tatsächlich mal eine Zeit, da waren die Brooklyn Nets eins der interessantesten Teams der Liga.

Es ist nicht einmal lange her! Genau genommen handelt es sich um das Jahr 2013. Damals waren die Nets nach einer mehr als produktiven Offseason noch in aller Munde. Auf dem Papier verfügte das Team des exzentrischen Milliardärs Mikhail Prokhorov über einen der stärksten Kader der Liga und wurde von vielen als größter Konkurrent der Heat im Osten gesehen.

Neben einigen Verpflichtungen wie Shaun Livingston, Andray Blatche oder Andrei Kirilenko war dafür vor allem ein Trade ausschlaggebend. Ein Trade, der damals als eine Art Homerun gesehen wurde. Ein Trade, der Nets-GM Billy King heute wahrscheinlich noch regelmäßig schlaflose Nächte bereitet.

Meisterträume in Brooklyn

Es war King gelungen, Kevin Garnett, Paul Pierce und Jason Terry (und D.J. White) von den Celtics loszueisen. Drei Champions, drei immer noch produktive Veteranen, drei Spieler, die als Anführer im Locker-Room das bereits vorhandene Star-Trio Brook Lopez, Deron Williams und Joe Johnson ergänzen würden, so die Hoffnung.

Insbesondere Pierce galt als absoluter Coup. Eigentlich galt es als sicher, dass The Truth seine Karriere bei den Celtics beenden würde, wo er spätestens seit dem Titel 2008 absoluten Legenden-Status innehatte. Es war auch eigentlich immer der Plan von Danny Ainge - allerdings wurde Bostons GM schwach bei dem Angebot, das er aus Brooklyn bekam.

Nicht aufgrund der Spieler - keiner von ihnen spielt heute noch in Boston. Sondern wegen der Picks. Ainge hatte realisiert, dass der alte Kern um KG, Pierce und Rajon Rondo wohl keine ernsthafte Konkurrenz für die Heat mehr darstellen würde. Also begann er damit, Assets anzuhäufen, um den Rebuild einzuleiten. Und da kam ihm King gerade recht.

Insgesamt drei First-Round-Picks gingen an Boston (2014/16/18), zudem dürfen die Celtics im Jahr 2017 ihren First-Rounder mit dem der Nets tauschen. Spätestens in dieser Saison wird es immer deutlicher, wie haushoch Boston diesen Trade "gewonnen" hat.

"Situation war schrecklich"

Die Saison 2013/14 war nämlich alles andere als ein Triumphzug. Die Rädchen griffen nicht so gut ineinander, wie man es gehofft hatte. Der gerade erst vom Spieler zum Coach gewechselte Jason Kidd musste sein Handwerk erst noch lernen. Und auch im Locker-Room passte es nicht.

"Die Situation in Brooklyn war schrecklich", sagte Pierce im Sommer 2015 rückblickend. "Es war ja nicht so, dass dort nur junge Spieler gewesen wären. Es waren Veteranen, die keine Lust hatten, zu spielen oder zu trainieren. Ich habe KG angeguckt und gefragt: 'Was ist denn hier los?' Ohne Kevin und mich wäre dieses Team völlig zusammengebrochen."

Insbesondere Williams und Johnson wurden von Pierce im Nachhinein als "sekundäre" Spieler bezeichnet, als eher zurückhaltende Profis, die das Rampenlicht scheuten. Für die Playoffs reichte es zwar, nachdem sich die Mannschaft Mitte der Saison endlich etwas zusammenraufte - gegen die Heat war in Runde zwei trotzdem Endstation.

Rasant den Bach runter

Und danach brach das Team rapide auseinander. Zunächst ging Kidd, da ihm in Milwaukee eine reizvollere Aufgabe winkte. Mit Pierce wurde gar nicht erst groß gesprochen, der Forward schloss sich den Wizards an (und ist mittlerweile bei den Clippers gelandet). Livingston ging nach einer starken Saison nach Golden State und wurde als wichtiger Bankspieler Meister.

Während der Saison ging es munter weiter. Kirilenko wurde getradet, kurz vor der Trading Deadline stimmte auch KG einem Trade zu und ist wieder in seiner Basketball-Heimat Minnesota. Im Sommer wurde dann auch noch Williams aus seinem Maximalvertrag rausgekauft. Nur aufgrund des in der Breite so schwachen Ostens stolperten die Nets noch irgendwie rückwärts in die Playoffs.

Das wird in dieser Saison wohl kaum passieren. Die Nets sind mit 2-11 gestartet und lassen fast alles vermissen, was ein vernünftiges Basketball-Team ausmacht. Sie bringen das zweitschlechteste Offensiv-Rating und das drittschlechteste Defensiv-Rating mit - das ist schon eine Klasse für sich. Wenn es die absichtlich erbärmlichen Sixers nicht gebe, wäre das Net-Rating mit -9,4 das schlechteste der Liga.

Kein eigener Pick bis 2019

Am Beispiel der Sixers wird indes noch einmal deutlich, warum die Lage für Brooklyn so bitter ist. Sie fiebern ja nicht wie die Kollegen aus Philadelphia tankend einem hohen Lottery-Pick entgegen - sie haben schlichtweg überhaupt keine Rechtfertigung dafür, so mies zu sein. Der Pick gehört schließlich Boston.

Der Trade ist aus Nets-Sicht ein Paradebeispiel dafür, wie man sich mit einem einzigen All-In-Move die komplette Zukunft zerschießen kann. Erst im Jahr 2019 (!) haben die Nets wieder ihren eigenen Pick. Zwar läuft nach dieser Saison endlich der katastrophale Johnson-Vertrag aus - nur Kobe Bryant verdient mehr als dessen 24,9 Millionen Dollar -, bisher rissen sich Free Agents aber nicht gerade darum, nach Brooklyn zu wechseln.

Das wird sich auch im kommenden Sommer kaum ändern. Brooklyn ist nicht in der Lage, einen natürlichen Neuaufbau einzuleiten, zumindest nicht in den nächsten Jahren. Was den Nets Edelmetall verschaffen sollte, hinterließ im Endeffekt nur verbrannte Erde - und jede Menge Häme aus den Celtics-Fankreisen.

Simmons nach Boston?

Celts-Edelfan Bill Simmons etwa lässt nahezu jeden Tag per Twitter verlauten, wie glücklich ihn die Nets-Bilanz macht - und garniert das Ganze mit Grüßen an Namensvetter Ben Simmons, den vermeintlich talentiertesten Youngster des kommenden Drafts. Die Aussichten in Beantown sind mehr als rosig.

Per Draft könnte der potenzielle Franchise Player kommen, der Boston noch fehlt - aber auch jetzt sind die Celtics schon ein durchaus kompetentes Team. Im Gegensatz zu den Nets ist ihnen schließlich fast alles gelungen, was sie seit dem Deal mit Brooklyn angepackt haben.

Zunächst wurde Doc Rivers als Coach durch Brad Stevens ersetzt, der mit seiner Kreativität so langsam in die Riege der Top-Coaches aufsteigt - und in der Lage ist, aus einem limitierten Kader einiges rauszuholen. Aus Rondo wurden Jae Crowder und weitere Picks aus Dallas, zudem wurde mit Isaiah Thomas auch der derzeitige Topscorer der Celtics per Trade geholt.

Nur die Dubs sind besser

Die Saison ist noch jung, aber die Resultate sind schon jetzt sehr vielversprechend. Die Bilanz von 7-5 ist ordentlich, hätte mit etwas Glück aber auch schon deutlich besser ausfallen können - nur Golden State legt aktuell ein besseres Defensiv-Rating auf als die 97,6 von Boston. Beim Net-Rating sind im Osten sogar nur die Heat besser als die Celtics (+6,6).

Boston hat ein gutes Team, einen guten Coach und jede Menge Talent. Mehr noch: Ainge verfügt über ein Arsenal an Extra-Picks, das dem von Philly gleichkommt. Falls ein Superstar aus irgendeinem Grund verfügbar wird, sind die Celtics vermutlich besser aufgestellt als jedes andere Team. Und die prachtvolle Historie versprüht auch heute noch ihren Glanz.

Kurz gesagt: Sie sind in einer komplett anderen Situation als die Nets. Am Sonntag könnten sie zum zweiten Mal hintereinander dafür sorgen, dass ihre Chancen auf einen Lottery-Pick - und einen Playoff-Platz ansteigen. Das gibt es auch nicht so oft.

Brooklyn vs. Boston im Vergleich