Als Nicolas Batum zum ersten Mal auf CJ McCollum traf, zeigte sich der Franzose nicht allzu beeindruckt. "Dieser dünne Typ aus einer kleinen Schule, ich ging davon aus, dass ich ihn verteidigen könnte, wie alle anderen Spieler in der NBA. Und dann ging er an an mir vorbei und ich dachte mir "Oh, ich hätte vielleicht etwas Abstand halten sollen."
Batum dürfte wissen, wovon er redet. Der Franzose spielte seine ersten sieben NBA-Jahre für die Portland Trail Blazers, viele davon als bester Flügelverteidiger des Teams, einige sogar als einer der besten in der gesamten Liga. Auf einen Gegner mit den Fähigkeiten McCollums war er dennoch nur selten getroffen. Und Batum sollte nicht der Letzte sein, der vom jungen Guard überrascht wurde.
Die Saison 2015-2016, McCollums dritte in der NBA, kann bereits jetzt, nach knapp über 30 Spielen, als Breakout-Jahr für den 24-Jährigen bezeichnet werden. Seine Minuten und Rebounds pro Spiel haben sich mehr als verdoppelt, sein Scoring und seine Assist-Zahlen gar verdrei- und vervierfacht.
Das Ende einer Ära
Der Aufstieg McCollums kommt jedoch nicht völlig aus dem Nichts. Auch aufgrund von Verletzungen steigerte sich die Rolle des Shooting Guards in der vergangenen Saison zunehmend, im April kam er bereits auf 15,6 Punkte pro Spiel, in den Playoffs legte McCollum dann zusätzlich eine Schippe drauf: Mit 17 Punkten pro Spiel hatte er den kleinsten Anteil am Playoff-Aus der Blazers. Mit drei 15-Punkte-Spielen von der Bank in Serie gelang ihm sogar etwas, was es in Portland Teamgeschichte seit 30 Jahren nicht mehr gegeben hatte.
Dass McCollum eine größere Rolle im Team einnehmen würde, war somit bereits vor dem Sommer klar. Der größte Anteil an seinem Aufstieg in der teaminternen Hackordnung ist dennoch nicht auf ihn zurückzuführen. Portlands Off-Season verkam zu einer kleinen Katastrophe, der Sommer 2015 markierte das Ende einer Ära.
Plötzlich Leistungsträger
Acht Jahre in Serie hatten die Blazers mindestens 40 Prozent ihrer Spiele gewonnen. Zunächst war Brandon Roy der Star der Franchise, doch selbst nach dessen verletzungsbedingtem Niedergang fand Portland schnell zurück in die Spur, schaffte es erneut in die Playoffs und gewann dort sogar seine erste Serie des noch jungen Milleniums.
Der Abgang von LaMarcus Aldridge markierte im Sommer jedoch das Ende dieses Teams. Mit Aaron Afflalo, Wes Matthews und Robin Lopez unterschrieben drei weitere Eckpfeiler des Teams bei der Konkurrenz, Nicolas Batum und Steve Blake wurden anschließend getradet, um den kompletten Rebuild einzuleiten. Im Herbst 2015 stand Portland somit nur noch mit einem seiner fünf Starter da. Und der zweitbeste Spieler im Kader hieß plötzlich CJ McCollum.
Zwei Jahre Vorbereitung
"Auch jetzt ist es wichtig, sich daran zu erinnern, wo ich hergekommen bin", zeigt sich McCollum trotz seines rasanten Aufstiegs geerdet. "Sich daran zu erinnern, wie es war ein DNP zu kassieren oder in die Arena zu kommen, zu werfen, die Treppenstufen der Ränge hoch und runter zu laufen und zu wissen, dass ich nicht spielen werde, wenn das Spiel um halb acht losgeht."
McCollums Rookie- und Sophomore-Jahr mögen nicht zu einhundert Prozent den Traum eines jeden College-Stars abgebildet haben, doch der Shooter ist sich sicher, dass sie die perfekte Vorbereitung auf seine heutige Rolle dargestellt haben: "Ich habe mich physisch und psychisch vorbereitet und einfach sichergestellt, dass ich bereit sein würde. Ich wusste, ich würde keine Gelegenheit verpassen und wenn die Zeit reif wäre, würde ich bereit sein."
Extralob von James
Im Herbst 2015 war die Zeit reif. Und McCollum war bereit. Im ersten Saisonspiel schlugen die Blazers New Orleans überraschend und deutlich mit 112:94. Der Matchwinner? CJ McCollum. Der Shooting Guard traf 14 seiner 22 Würfe aus dem Feld, verwandelte 6 von 9 Dreiern und war mit 37 Punkten natürlich Topscorer. Nach knapp über 30 Spielen ist er einer von nur zwölf Spielern im 20-3-4-Klub der NBA und obendrein der einzigen darin, der weniger als drei NBA-Saisons in der NBA auf dem Buckel hat,
Das zweitjüngste Mitglied dieser Liste? McCollums Teamkollege Damian Lillard. Mit zusammengerechnet nicht mal 50 Jahren gehört der Backcourt der Blazers somit (zumindest offensiv) bereits zur Creme de la Creme der Liga und stellt den Kern der Zukunftspläne Portlands dar. "Nur wenige Backcourts in der Liga können so aufspielen, wie das zweiköpfige Monster, das sie haben", zeigte sich sogar LeBron James vor dem Aufeinandertreffen mit den Blazers vor drei Wochen beeindruckt. "Auf die Schnelle fallen mir John Wall und Bradley Beal, Stephen Curry und Klay Thompson und CJ McCollum und Damian Lillard ein. Diese Jungs liefern jede Nacht ab."
Der King sollte Recht behalten. Auch wenn die Blazers sich den Cavaliers knapp mit 100:105 geschlagen geben mussten, lieferten die Jungs ab. 33 und 24 Punkte hatten Lillard und McCollum am Ende des Spiels auf dem Konto, beide trafen mehr als 50 Prozent ihrer Würfe aus dem Feld.
Nie da gewesener Luxus
"Vom ersten Tag an konnte jeder sehen, dass er scoren kann", bekommt McCollum auch von Lillard Lob. "Er weiß, wie man den Ball im Korb unterbringt. Jeder außerhalb unseres Teams bekommt das nun zu sehen." Die Konstanz mit der der Meister und der Schüler in Portland Nacht für Nacht zu Werke gehen, sticht dabei besonders heraus. In den letzten zwölf Spielen legte McCollum immer mindestens 16 Punkte auf. Lillard kam durchgängig auf mindestens 18 Zähler.
Vor allem McCollum profitiert dabei besonders von seiner neuen Rolle. Der Guard ist ein geborener Shooter, rund 80 Prozent seiner Abschlüsse erfolgen nach Sprungwürfen, zum Korb oder an die Freiwurflinie geht er vergleichsweise selten. McCollums Abende sind viele, kleine Serien. Mal trifft er drei Würfe in Folge, mal setzt er vier in Serie daneben. Das ist nichts Neues für ihn. Neu ist jedoch das Wissen, dass der nächste Wurf kommen wird. Ein Luxus, den McCollum in der vergangenen Saison nicht nicht hatte. Damals hatte eine Negativserie meist schnell einen Platz auf der Bank zur Folge.
Großer Star auf der kleinen Schule
"Spieler wie CJ... Wenn da ein Wurf getroffen wird, dann gehen die nächsten vier womöglich auch rein", erklärt Lillard. "Ich denke, er hatte nie ein Problem mit Selbstvertrauen. Seit er in der Liga ist, war er immer von sich überzeugt." Ein Umstand, der auch auf Lillard zutrifft. Beide Spieler waren die Stars ihrer College-Teams, mehr noch als viele andere NBA-Spieler.
McCollum machte seinen Abschluss in Lehigh, Lillard in Weber State. Kleine Schulen, die selten einen Spieler im Draft stellen. Bei McCollum stellte sich diese Frage jedoch nicht. In seinem ersten NCAA-Tournament-Auftritt 2010 erzielte er 26 Punkte, zwei Jahre später schaltete der Shooter mit 30 Punkten in einem Sensationserfolg das haushoch favorisierte Duke aus.
Sixth Man oder Star?
Dass McCollum auch auf NBA-Niveau scoren kann, hat er bereits gezeigt. "Er wird sich weiter verbessern", zeigt sich mit Kobe Bryant ein weiterer Superstar voll des Lobes, "Er entwickelt sich mit enormer Geschwindigkeit. Dieses Jahr scheint sein Durchbruch zu sein" Die nächste Frage, die sich in McCollums Karriere stellen wird, ist wohin ihn diese Entwicklung tragen kann.
Ein Combo-Guard mit streaky Shooting, gutem Ballhandling, enormen Selbstbewusstsein und defensiven Problemzonen ist nichts Außergewöhnliches in der NBA. Ihre Namen sind Jamal Crawford, Jason Terry und Lou Williams. Gute Scorer und wichtige Spieler - aber keine Stars.
McCollum wird zeigen müssen, dass zu seinem Spiel mehr gehört, als "nur" das Scoring von außen. Bislang können die Blazers zufrieden mit der Entwicklung ihres Erstrundenpicks von 2013 sein. Diese muss allerdings weitergehen. Dann wird McCollum noch so manchen Gegenspieler in der NBA überraschen können - wie schon Batum in seinem ersten Training.