SPOX: In diversen Mock-Drafts taucht Hartenstein ja bereits in den Top 20 auf, unter anderem auch bei ESPN. Sie scheinen aber nicht zu denken, dass er im Sommer den Sprung wagen sollte?
Fraschilla: Ja, meiner Meinung nach käme das zu früh. Zuerst: Man sollte nicht jeden Mock-Draft ernst nehmen, weil nicht immer professionelle Scouts dahinterstecken. Teilweise natürlich schon und ich habe großen Respekt für die Arbeit, die darein investiert wird. Aber sie sind längst nicht immer zutreffend. Ich nutze die Mock-Drafts nur als grobe Orientierung, wenn ich Spieler bewerte. Der Draft ist in den letzten Jahren zudem immer unvorhersehbarer geworden, Potenzial wird viel höher eingeschätzt als das, was der Spieler tatsächlich leistet. Das macht es nicht gerade einfacher, einen Mock-Draft aufzustellen. Von daher: Es ist in Ordnung, Hartenstein so hoch einzuschätzen. Gleiches gilt für Mushidi, der auf einigen Boards ja auch in der zweiten Runde auftaucht. Aber keiner von ihnen wäre jetzt schon so weit, dass er einem NBA-Team helfen könnte. Sie sind noch sehr weit weg. Wenn Hartenstein beispielsweise in der Lottery gedraftet wird, was durchaus sein kann, dann würde ich hoffen, dass sein Team einen wirklich durchdachten Plan für seine Entwicklung hat. Den hatten die Suns, die letztes Jahr Dragan Bender an 4. Stelle drafteten, zum Beispiel nicht.
SPOX: Bevor er sich verletzte, spielte Bender in Phoenix viele Minuten auf der falschen Position, weil die Suns ebenfalls in der Lottery Marquese Chriss holten. Beide sind Power Forwards, Bender wurde aber zumeist auf der Drei eingesetzt. Die Logik hat sich mir auch nicht wirklich erschlossen.
Fraschilla: Richtig. In so einem Fall wäre es besser gewesen, ihn zu draften, aber noch ein Jahr in Europa spielen zu lassen. Ich will es mal so ausdrücken: Bei Porzingis wusste ich zwar nicht, dass er so schnell so gut sein würde, aber ich war zuversichtlich, dass er sich in der NBA durchsetzen könnte - einfach weil er das bereits in der ACB, der zweitbesten Liga der Welt, geschafft hatte. Bender dagegen tat sich in seiner letzten Saison bei Maccabi unheimlich schwer damit, überhaupt auf den Court zu kommen. Da kann es niemanden überraschen, dass er auch in der NBA Schwierigkeiten hat. Deswegen ist meine erste Frage bei so jungen Talenten, die hoch gedraftet werden, immer die gleiche: "Wie genau will das Team den Spieler auf und neben dem Court entwickeln?" Dazu gehören zum Beispiel folgende Fragen: Bringt man ihn gleich rüber? Findet man dann auch Minuten für ihn und kann damit leben, wenn er Fehler macht? Oder lässt man ihn lieber noch ein oder zwei Jahre in Übersee bei einem guten Team an seinen Stärken und Schwächen arbeiten? Über solche Themen muss beim GM und beim Coach Klarheit herrschen, bevor man sich eines dieser Talente schnappt. Und ich hoffe einfach, dass Isaiah in einer solchen Situation landet, denn dann kann ein wirklich guter NBA-Spieler aus ihm werden. Nur eben noch nicht in der nächsten Saison.
SPOX: Dann kommen wir noch einmal zu einem anderen Spieler, den Sie in dieser Saison einige Male sehen konnten: Richard Freudenberg. Wie bewerten Sie sein Talent und - vielleicht noch wichtiger - seine Situation in St. John's?
Fraschilla: Es war schon eine schwere Saison für ihn. Ich habe das Spiel gesehen, als er seinen ersten Dreier getroffen hat, davor hatte er allerdings elf Fahrkarten am Stück geschossen. Er hatte im weiteren Saisonverlauf nicht wahnsinnig viel Spielzeit, trotzdem halten wir hier weiter große Stücke auf ihn - seine Situation ist nicht groß anders als die von Mo Wagner im Jahr davor, und wir wissen ja, wie er sich in Jahr zwei gesteigert hat, nachdem er sich mehr an den Basketball hier gewöhnt hatte. Ich glaube, dass auch Freudenberg sich deutlich steigern wird, wenn er sich mehr an die Geschwindigkeit und Athletik hier angepasst hat.
SPOX: Gibt es noch andere deutsche Spieler, die Sie derzeit im Auge haben?
Fraschilla: Ich bin sehr gespannt, wie sich Makai Mason von seiner Verletzung erholt. Er kam in seiner zweiten Saison ja wirklich etwas aus dem Nichts, Yale ist schließlich nicht gerade als Basketball-Hochburg bekannt, und spielte dann auf einmal für Deutschland. Anscheinend wird er die kommende Saison wieder bestreiten können und dann winkt auch ihm eine professionelle Karriere, wenn er wieder zu seiner Form findet, vermutlich in Europa. Gavin Schilling in Michigan State ist für mich ebenfalls ein interessanter Mann, genau wie Oscar da Silva, der kommende Saison in Stanford spielen wird, einem College mit einem sehr guten Basketball-Programm. Die Deutschen haben wirklich einen guten Talente-Pool für die kommenden Jahre und ich glaube auch, dass der Nationalmannschaft gute Zeiten winken.
SPOX: A propos gute Zeiten: Gibt es in seinem Jahrgang irgendeinen Spieler, der mehr Talent mitbringt als Luka Doncic?
Fraschilla: Nein, meiner Meinung nach auch nicht in den USA, jedenfalls bis jetzt noch nicht. Doncic ist unglaublich. Seinen Namen kennt man ja jetzt schon seit einigen Jahren, obwohl er erst 18 Jahre alt ist. Er ist jetzt schon der beste Spieler, der in diesem Alter jemals in der ACB gespielt hat, und jedes Spiel ist ein Highlight. Es ist eine unglaubliche Freude, ihm beim Spielen zuzusehen. Natürlich gibt es aber auch bei ihm Fragezeichen.
SPOX: Die da wären?
Fraschilla: Wir wissen ja noch nicht, wie sich sein Körper entwickeln wird und was für eine Art von NBA-Spieler er sein wird. Es ist ja noch nicht einmal geklärt, welche Position er übernehmen wird. Spielt er mit 2,01 Meter wirklich Point Guard - und wird er in der Lage sein, die Top-Athleten wie Russell Westbrook, Damian Lillard und Co. zu verteidigen? Das alles muss sich noch klären. Aber was sich festhalten lässt: Er ist vielleicht das aufregendste Talent aus Europa, das ich jemals gesehen habe. Ich freue mich extrem darauf, seinen Weg weiter zu verfolgen.
SPOX: Für sein Alter spielt er bereits unheimlich abgezockt und beherrscht das Spiel in fast allen Facetten. Gibt es irgendjemanden, an den er Sie erinnert?
Fraschilla: Das ist eine gute Frage. Mir fällt nicht wirklich ein guter Vergleich ein. Ein Kollege von mir meinte neulich, dass er ihn an Jiri Welsch erinnert, was für seine NBA-Perspektive vielleicht kein gutes Zeichen ist. (lacht) Aber nicht vergessen: Auch Welsch galt ja einst als revolutionäres Talent, deswegen sollte das auch keine Beleidigung für Doncic sein. Ich glaube, dass aus ihm auf jeden Fall ein ganz Großer werden kann, wenn sich seine Physis entsprechend entwickelt. Er hat ein Gefühl für das Spiel, das man niemandem beibringen kann.