In seinen ersten vier Jahren in der NBA kam Christian Wood auf insgesamt 503 Minuten. Fünfmal wurde er entlassen, selbst in China. Nach seinem Durchbruch 2019/20 scheint er nun der perfekte Big Man an der Seite von James Harden bei den Houston Rockets zu sein - nur wie lange noch?
In der derzeitigen Gemengelage der Rockets-Baustellen fällt es manchmal schwer, sich auf das Sportliche zu fokussieren. Mehrere Coronafälle und die dazugehöre Kontaktverfolgung sorgen für einen aktuell ausgedünnten Kader, der Saisonstart der Texaner fiel bereits ins Wasser. Es standen schlicht zu wenig Mann zur Verfügung, unter anderem John Wall und DeMarcus Cousins werden wohl noch bis Mitte der Woche in Quarantäne feststecken.
Über all dem schwebt weiterhin die ungewisse Zukunft von James Harden, der im Sommer seinen Unmut zum Ausdruck brachte, einen Trade forderte und seither reihenweise Schlagzeilen abseits des Courts produziert. Am Wochenende sorgte The Beard endlich auch wieder auf dem Court für Furore.
Der MVP von 2018 setzte den Blazers mit 44 Punkten und 17 Assists zu, Portland wiederum wehrte sich mit ebenfalls 44 Zählern von C.J. McCollum, der den Hausherren in der Overtime den Sieg bescherte. Dessen Dreier 6,9 Sekunden vor dem Ende avancierte auch deshalb zum Gamewinner, weil Harden im finalen Ballbesitz den Ball wegschmiss.
Entsprechend lag nach der Partie das komplette Scheinwerferlicht auf dem Bärtigen, deutlich weniger Aufmerksamkeit wurde Christian Wood zuteil. Dabei lieferte der Big Man ein starkes Debüt im Rockets-Trikot ab, präsentierte sich als Lichtblick für die angeknackste Rockets-Zukunft und lieferte weitere Argumente, warum manche Experten ihn bereits kurz nach seiner Unterschrift in Houston als den Steal der Free Agency 2020 bezeichneten.
Nachdem Wood in seinen ersten vier Jahre in der Liga ganze 503 Minuten absolviert hat, ist der 25-Jährige endlich in der besten Basketballliga der Welt angekommen. Bis zu diesem Punkt hat es allerdings einige Weckrufe benötigt.
gettyChristian Wood: Ungedraftet und in China entlassen
Der erste erfolgt am 25. Juni 2015, der Tag des NBA Drafts. Wood hat sich mit Familie und Freunden in einem Raum im Caesar's Palace in Las Vegas eingemietet, um seinen Sprung von UNLV zu den Profis gebührend zu feiern. Nach mehreren Stunden des bangen Wartens sackt Wood jedoch deprimiert in seinem Stuhl in sich zusammen. Kein Team hält ihn für einen der 60 besten Spieler seines Jahrgangs.
Das hat natürlich Gründe. Seine 15,7 Punkte und 10 Rebounds im zweiten Jahr am College machen nicht den Ruf als unreifes und undiszipliniertes Talent wett. Wood erscheint des Öfteren zu spät zu Workouts - und liefert dann nicht ab. Der Draft-Abend sei eine der "härtesten Nächte" seines Lebens gewesen, wie er später gegenüber The Ringer verrät. Sogar die Beziehung mit seiner Freundin endet an diesem Abend.
In der Summer League empfiehlt sich Wood für einen Vertrag bei den Sixers, verbringt aber einen Großteil der Saison in der G-League. Gleiches gilt ein Jahr später bei den Charlotte Hornets, viel Spielzeit springt für den Power Forward weiterhin nicht heraus. Stattdessen verfestigt sich sein zweifelhafter Pre-Draft-Ruf, als sich in NBA-Kreisen herumspricht, dass Wood trotz Minimal-Gehalt mit einem nigelnagelneuen Bentley protzt.
Neue Möglichkeiten in der Association bieten sich Wood so im Sommer 2017 nicht. Also entscheidet er sich für eine Unterschrift bei den Fujian Sturgeons in China - und wird entlassen, noch bevor er überhaupt ein Spiel in Asien absolviert. "Ich steckte fest. Ich war verloren. Ich habe nicht mehr daran geglaubt, einen Job zu bekommen", erinnert sich Wood bei The Ringer. "Als ich in China entlassen wurde, hat es Klick gemacht. Da wusste ich, dass ich den Spieß umdrehen, jeden Tag arbeiten und ein neuer Spieler sein muss. Nicht der, für den mich jeder hielt."
Christian Wood: Lob von Giannis - Durchbruch in Detroit
Für Wood ist es der finale Schlag vor den Bug, den er gebraucht hat. Zurück in der G-League dominiert er in der Saison 2017/18 bei den Delaware Blue Coats und in der Folgesaison bei den Wisconsin Herd. Die Milwaukee Bucks befördern ihn für mehrere Partien von ihrem Farmteam in die NBA, entlassen den Big im März 2019 jedoch trotz Lobpreisungen von Giannis Anteteokounmpo, um einen Kaderplatz für einen weiteren Guard freizuschaufeln.
In den letzten acht Saisonspielen legt er im Trikot der Pelicans immerhin drei 20-Punkte-Spiele auf, vollends überzeugen kann er die Verantwortlichen, die nach den Abwanderungsgedanken von Anthony Davis eigentlich einen Big Man gebrauchen können, aber nicht. Wood wird schon wieder entlassen, zum fünften Mal in seiner Karriere.
Vorerst, und wahrscheinlich für eine ganze Weile, aber auch zum letzten Mal. Im Sommer 2019 setzt er sich bei den Detroit Pistons gegen Joe Johnson im Kampf um den letzten Kaderplatz durch, erarbeitet sich schnell einen Platz in der Rotation und legt spätestens nach dem Trade von Andre Drummond als neuer Pistons-Starter seinen Durchbruch hin.
"Ich habe nie eine Chance bekommen", sagt Wood. "In Detroit war das endlich anders. Und danach war es vorbei." Nach der Trade Deadline legt der Big in elf Starts im Schnitt 22,9 Punkte und 9,3 Rebounds bei 56,8 Prozent aus dem Feld auf. In einer eher überschaubaren Free-Agency-Klasse geht er als einer der dicksten Fische in die Offseason und wird von den Rockets mit einem Vertrag über drei Jahre und 41 Millionen Dollar belohnt.
Die Karrierestatistiken von Christian Wood in der NBA
Saison | Teams | G / MIN | Punkte | Rebounds | Blocks | FG% | 3FG% |
2015/16 | Sixers | 17 / 8,5 | 3,6 | 2,2 | 0,4 | 41,5 | 36,4 |
2016/17 | Hornets | 13 / 8,2 | 2,7 | 2,2 | 0,5 | 52,2 | - |
2017/18 | nur G-League | - | - | - | - | - | - |
2018/19 | Bucks/Pelicans | 21 / 12,0 | 8,2 | 4,0 | 0,5 | 52,1 | 34,6 |
2019/20 | Pistons | 62 / 21,4 | 13,1 | 6,3 | 0,9 | 63,6 | 38,6 |
Christian Wood bei den Rockets: Der neue Porzingis?
Was Wood ausmacht, ist seine Variabilität in der Offense. Er ist groß (2,08 Meter), kann werfen, aus dem Dribbling für sich selbst kreieren oder mit seiner Athletik der Poster-Industrie einen Gefallen tun. Gerade im Pick'n'Roll macht ihn diese Kombination zu einer ungemeinen Gefahr. Als abrollender Blocksteller versenkte er 2019/20 71 Prozent seiner Abschlüsse, der viertbeste Wert unter allen Spielern mit mindestens 2 solcher Possessions.
"Meine Mentalität ist, in Ringnähe alles zu dunken", erklärt Wood seinen Spielstil. Aber er kann eben noch viel mehr. In Detroit versenkte er vergangene Saison 38,6 Prozent seiner Dreier bei immerhin 2,3 Versuchen pro Spiel, mit seinem soliden Ballhandling und der Athletik kann er zudem Closeouts attackieren. Seine neuen Rockets-Teamkollegen lassen sich sogar bereits zu Vergleichen mit AD hinreißen.
Head Coach Stephen Silas hat einen anderen Vergleich parat: Kristaps Prozingis. Wood soll eine ähnliche Rolle bei den Texanern übernehmen wie der Mavs-Big. "In der Offensive bedeutet das, seine Fähigkeiten als Shooter zu benutzen, um das Feld breitzumachen, gegen Closeouts zum Korb zu ziehen und für die anderen zu kreieren", erklärte Silas kurz vor dem Saisonstart bei The Athletic.
In der Defense soll Wood als Shotblocker auftreten, der mit seiner Länge (2,23 Meter Spannweite) als gute Präsenz unter dem Korb und als Anker der Defense gedacht ist. Zwar ist der Big Man für den ein oder anderen Block gut und auch nach Switches am Perimeter nicht komplett hilflos, doch er leistet sich in der Verteidigung noch zu oft mentale Aussetzer. An diesem Teil seines Spiels muss er noch am meisten arbeiten, auch in Sachen Physis, wenn es als Starter auf der Fünf gegen bulligere Center geht.
Rockets: Wood ein wichtiger Baustein der neuen Zukunft
Für die meisten Schlagzeilen wird Wood aber ohnehin mit seiner Offense sorgen. Als Shooter und Finisher am Ring - die perfekten Qualitäten eines modernen Bigs - ist er der perfekte Pick'n'Roll-Partner für Harden (oder auch John Wall), was bereits im ersten Spiel gegen die Blazers gut zu sehen war. 31 Zähler (14/22 FG) und 13 Bretter standen am Ende zu Buche, sieben seiner Treffer ging ein Assist von Harden voraus.
"Mit diesen beiden zusammenzuspielen wird mich zu einem Star machen", ist sich Wood sicher. "Wir haben schon in den ersten gemeinsamen Trainingseinheiten eine Chemie gespürt. Für uns gilt: The sky is the limit."
Möglicherweise endet das Limit für die Rockets aber schon deutlich früher, wenn Harden früher oder später doch getradet wird. Bis es soweit ist, können Harden und Wood eins der dynamischsten Pick'n'Roll-Duos der kompletten Liga bilden. Und auch nach einem Harden-Abgang sollte Wood ein wichtiger Baustein einer neuen Rockets-Zukunft sein.
Dafür muss er aber erst einmal die geringe Stichprobe aus dem starken Vorjahr bestätigen, sein Dreier fiel in seiner Karriere beispielsweise nur 19/20 auf einem elitären Niveau. Womöglich haben die Pistons ihn auch deshalb ziehen lassen, auch wenn die Offseason der Franchise noch ganz andere Fragen aufgeworfen hat.
Zudem bleibt abzuwarten, ob Wood nach seinem Zahltag weiter die nötige Arbeit in sein Spiel steckt oder sich nun auf den Lorbeeren ausruht. "Ich habe mein Ziel immer noch nicht erreicht", betont Wood aber. "Ich will ein All-Star werden. Ich habe das Gefühl, dass ich ein Top-Spieler in dieser Liga werden kann." Und schließlich weiß kaum jemand besser, was passiert, wenn man in der NBA nicht hart genug arbeitet.