Anfang der 2000er verging in Portland kaum eine Woche ohne eine neue Geschichte von Drogenmissbrauch, teaminternen Schlägereien oder illegalen Hundekämpfen - es war die Hochphase der berüchtigten "Jail Blazers". Vom Titelkandidaten stürzte Portland in die dunkelste Stunde seiner Franchise-Geschichte ab - und verscherzte es sich sogar mit den eigenen Fans.
"Nicht schon wieder!"
Als ein neuerlicher Polizeibericht an einem Dienstagmorgen im Dezember 2003 über seinen Fernseher flackerte, konnte es Maurice Cheeks kaum glauben. Wobei, sonderlich überrascht war er wahrscheinlich nicht, vielleicht sprach aus ihm eher das Gefühl von Resignation.
In seiner eigentlichen Rolle als Head Coach der Portland Trail Blazers hatte sich Cheeks schon viel zu oft mit Polizeiberichten auseinandersetzen müssen. Und nun also schon wieder. Zum vierten Mal innerhalb von 13 Monaten. Dieses Mal wurde der aufstrebende Big Man Zach Randolph verhaftet, am Steuer seines Cadillac, umgeben von einer Marihuana-Duftwolke.
Cheeks' Reaktion auf diese Nachricht sprach Bände. Kurz nach der Jahrtausendwende hatte sich sein Team in die Bad Boys der Liga verwandelt, kaum eine Woche verging ohne neue Schlagzeilen aus Portland, meistens nicht die der guten Sorte. 17 Tage am Stück sei in einem Jahr der Rekord gewesen, an denen es um die Blazers ruhig blieb, erinnerte sich der Journalist Jason Quick später bei Grantland. Soll heißen: 17 Tage ausnahmsweise ohne Verhaftung, ohne Suspendierung und ohne Polizeibesuch bei einem Haus eines Spielers.
In diesen Jahren wurden aus den Trail Blazers die "Jail Blazers", die das dunkelste Kapitel der Franchise aus Oregon prägten. Das Team legte bedingt durch zahlreiche Skandale auf und abseits des Courts einen rasanten Abstieg hin, vertrieb die eigenen Fans aus der Halle und besudelte den Ruf von professionellem Basketball in Portland. Dabei stand dieses Team so kurz vor der ultimativen Krönung.
gettyTrail Blazers: Der Traum zerplatzt mit einem Alley-Oop
Gegen Ende der 1990er und zu Beginn der 2000er stellten die Trail Blazers eines der heißesten Teams der Liga. Die Mischung aus vielversprechenden Talenten wie dem jungen Rasheed Wallace, Damon Stoudamire oder Bonzi Wells sowie Veteranen wie Scottie Pippen, Arvydas Sabonis oder Detlef Schrempf machten Portland 1999 und 2000 zweimal in Folge zur Nummer zwei im Westen.
1999 scheiterten die Blazers in den Western Conference Finals per Sweep an den Spurs, ein Jahr später warteten die favorisierten Lakers um Shaquille O'Neal und Kobe Bryant in den West-Finals. Die Star-Truppe aus Hollywood lag bereits mit 3-1 in der Serie vorne, bevor Portland zurückstürmte. Im entscheidenden Spiel 7 lagen Wallace und Co. sogar mit 16 Punkten kurz vor dem Ende des dritten Viertels in Front.
Was dann folgte, war ein kolossaler Einbruch. Portland setzte 14 Würfe in Folge daneben, Kobe warf einen legendären Alley-Oop auf Shaq und der Traum der Gäste aus Oregon zerplatzte auf grausame Art und Weise.
Die ersten drei Viertel der Folgesaison dominierte Portland zwar noch mit einer 42-18-Bilanz, dann fiel das Team aber auseinander. 14 der nächsten 22 Partien gingen verloren, es folgte ein Lakers-Sweep in der ersten Playoff-Runde. Und die Schlagzeilen abseits des Sportlichen begannen für Unruhe zu sorgen.
Portland Trail Blazers: "Nur Namen, die Millionen verdienen"
Die Blazers mussten Wallace für das letzte Spiel der regulären Saison suspendieren, nachdem dieser in der Partie zuvor völlig entnervt sein Handtuch ins Gesicht von Sabonis warf. Letzterer lederte wenige Monate später aufs Übelste gegen seine Kollegen: "Es gibt keine Spieler in diesem Team, nur Namen, die Millionen verdienen. [Head Coach] Mike Dunleavy hat es nicht geschafft, die Spieler auf dem Boden zu halten. Er hätte schon während der Saison entlassen werden sollen."
Sabonis kehrte in der kommenden Spielzeit nicht mehr nach Portland zurück (gab 2002/03 aber nochmal ein Comeback im Blazers-Trikot), Dunleavy ebenfalls nicht. Nach zahlreichen Gerüchten über interne Unstimmigkeiten musste der Coach of the Year von 1999 seine Sachen packen, Cheeks wurde als sein Nachfolger installiert.
Ihm eilte der Ruf eines "Players Coach" voraus, die Verantwortlichen in Portland hofften, er könne eine bessere Verbindung zu den Spielern aufbauen und die teils schwierigen Charaktere in Zaum halten. Diese Hoffnung blieb unerfüllt.
Die "Jail Blazers": Drogen-Vergehen an der Tagesordnung
Im November 2002 wurden Wallace und Stoudamire auf dem Weg von einem Spiel in Seattle in einem knallgelben Hummer mit erhöhter Geschwindigkeit erwischt. Beide gaben zu, Gras geraucht zu haben (der Fahrer war wohl sauber), und mussten in der Folge eine Drogenberatung aufsuchen, damit die Klage fallengelassen wurde.
Im darauffolgenden Sommer wurde Stoudamire erneut im Besitz von Marihuana aufgegriffen - heute in vielen Bundesstaaten der USA legal, damals aber war der Besitz verboten. Dieses Mal am Flughafen, als er versuchte, sein Gras durch die Kontrollen zu schmuggeln. Ausgerechnet in einer Alufolie, was sich beim Gang durch den Metalldetektor als keine schlaue Idee erwies.
Bereits zuvor wurde Blazers-Forward Qyntel Woods in seinem Auto mit erhöhter Geschwindigkeit von der Polizei gestoppt. Auch er hatte Marihuana bei sich, dafür aber weder Führerschein noch Ausweis. Eine Basketball-Sammelkarte mit seinem Gesicht und Namen drauf akzeptierten die Beamten nicht als ausreichenden Ersatz. Doch das war bei Weitem nicht sein schlimmstes Vergehen.
Illegale Hundekämpfe? "Die meisten waren verrückt"
In der Saison 2004/05 geriet Woods erneut ins Visier der Polizei. Tierquälerei lautete die Anklage, nachdem einer seiner Pitbulls mit Bisswunden gefunden wurde und Nachforschungen ergaben, dass er an illegalen Hundekämpfen teilnahm. Woods bekannte sich schuldig, wurde zu 80 Sozialstunden verdonnert und von den Blazers entlassen.
Die Kriminalakte mancher Spieler und deren mittlerweile zweifelhafter Ruf stellte das eigentliche Talent im Kader schnell in den Schatten. Die Entscheidungen des Front Office befeuerten dies jedoch auch. Schnell wurde Kritik an General Manager Bob Whitsitt laut, der große Namen ohne Rücksicht auf den Fit oder die Teamchemie verpflichtete. Dessen Replik: "Ich habe nie Chemie studiert."
So avancierten die Blazers zu einem Team, das entgegen des Sprichworts eher weniger als die Summer seiner Einzelteile zu bieten hatte. Die Fans waren mit dieser Herangehensweise alles andere als glücklich, vor allem als Whitsitt 2001 Ruben Patterson angekarrt hatte. Ein registrierter Sexualstraftäter, der nur wenige Monate zuvor zusätzlich wegen Körperverletzung verklagt wurde.
Nicht nur die Fans hatten Probleme mit Patterson. Angeblich genervt von ständigen Mobbing-Attacken des Flügelspielers auf die jüngeren Teamkollegen, schlug Randolph bei einer Trainingseinheit 2003 Patterson zu Boden. Er brach ihm die Augenhöhle, anschließend soll er sich mehrere Tage bei Teamkollege Dale Davis versteckt haben, aus Angst Patterson könnte ihn umbringen.
Dem jungen Randolph, der erst später in Memphis richtig aufblühen sollte, tat der Umgang mit den unreifen Veteranen alles andere als gut. Selbst Veteran Schrempf, von 1999 bis 2001 in Portland in den finalen Zügen seiner aktiven Laufbahn, hatte keine Lust mehr auf die Blazers, "weil die meisten - gelinde formuliert - ein bisschen verrückt waren", wie er Jahre später im SPOX-Interview verriet.
Portland "Jail Blazers": Der Feind der eigenen Fans
Ähnlich ging es offenbar zahlreichen Fans, die in Scharen dem eigenen Team den Rücken kehrten. "Mehrere tausend" Dauerkarteninhaber habe man in den vergangenen Jahren vergrault, klagte Teampräsident Steve Patterson im Dezember 2003 in der New York Times.
Das Team mit einer der höchsten Gehaltslisten der Liga sammelte ab 2001 trotz regelmäßig 50 Siegen in der regulären Saison nur noch Erstrunden-Pleiten in der Postseason, Technische Fouls in Person von Wallace - der 2003 auch noch für sieben Spiele suspendiert wurde, nachdem er Referee Tim Donaghy im Anschluss an eine Partie bedroht haben soll - und Skandale abseits des Courts.
Das knappe Aus in den Playoffs 2003 gegen die Mavericks, als Portland nach 0-3-Rückstand erst in Spiel 7 verlor, geriet nur noch zur Randnotiz. Genau wie die starken Serien von Randolph, ein Jahr später zum Most Improved Player gewählt, oder Wells, der mit 45 Punkten einen Franchise-Playoff-Rekord aufstellte. Erst elf Jahre später brach LaMarcus Aldridge diesen Bestwert, den heute Damian Lillard (55) hält.
Doch gerade Wells war bei den Blazers-Fans zu diesem Zeitpunkt bereits eine Persona non grata. "Wir scheren uns nicht darum, was zur Hölle die Fans denken. Sie bedeuten uns nichts", hatte Wels zwei Jahre zuvor gegenüber Sports Illustrated klargestellt und damit das Tischtuch zerrissen. "Sie können uns ruhig jeden Tag ausbuhen, aber sie werden uns immer noch nach Autogrammen fragen, wenn sie uns auf der Straße sehen. Deshalb sind sie Fans und wir NBA-Spieler."
NBA: Die Bilanz der "Jail Blazers" von 1998 bis 2006
Saison | Bilanz Regular Season | Playoffs |
1998/99 | 35-15 (Platz 2 im Westen)* | West-Finals (0-4 vs. Spurs) |
1999/2000 | 59-23 (Platz 3 im Westen) | West-Finals (3-4 vs. Lakers) |
2000/01 | 50-32 (Platz 7 im Westen) | Erste Runde (0-3 vs. Lakers) |
2001/02 | 49-33 (Platz 6 im Westen) | Erste Runde (0-3 vs. Lakers) |
2002/03 | 50-32 (Platz 6 im Westen) | Erste Runde (3-4 vs. Mavs) |
2003/04 | 41-41 (Platz 10 im Westen) | - |
2004/05 | 27-55 (Platz 13 im Westen) | - |
2005/06 | 21-61 (Platz 15 im Westen) | - |
*Lockout-verkürzte Saison
Portland: Eine neue Ära nach den "Jail Blazers"
Später zeigte er einem Fan den Mittelfinger, legte sich verbal mit Coach Cheeks an - damit war er nicht der einzige Blazers-Akteur -, wurde vom Team suspendiert und mit Geldstrafen belegt. Wenige Monate nach den Playoff-Heldentaten wurde er in einem Trade mit den Memphis Grizzlies aus der Stadt gejagt, kurz darauf musste auch Wallace die Franchise in Richtung Atlanta und dann Detroit verlassen.
Es war der fast schon verzweifelte Versuch der Blazers, das Image aufzupolieren. Damit einher ging allerdings auch der sportliche Niedergang. Innerhalb von drei Jahren stürzte Portland in den Tabellenkeller ab, 2005/06 stellte die Franchise das schlechteste Team der Association.
Das war gleichzeitig die Chance zum Neuanfang. Im Draft 2006 schnappte sich Portland dank mehrerer Trades sowohl Aldridge (Nr.2-Pick) als auch Brandon Roy (Nr.6-Pick), das Duo sollte die kommenden Jahre in Oregon prägen - nach dem Wunsch der Verantwortlichen sogar die Ära der berüchtigten "Jail Blazers" vergessen machen.
Dieses Kapitel wird allerdings für immer in den Annalen der NBA als das dunkelste der Franchise-Geschichte verewigt sein. Die potenzielle Dynastie um LMA, Roy und den späteren Top-Pick Greg Oden sollte niemals sein, auch mit Lillard wartet Portland immer noch auf die erste Championship seit 1977. Was die neuen Gesichter der Blazers aber zweifelsfrei geschafft haben: Die Beziehung mit den Fans ist wiederhergestellt. Das sah vor 20 Jahren noch ganz anders aus.