Die Saison 2021/22 hätte für Julius Randle bislang kaum schlechter verlaufen können, gefühlt geben sich enttäuschende Auftritte und Buhkonzerte der eigenen Fans die Klinke in die Hand. War die starke Vorsaison womöglich nur ein Ausreißer nach oben? Vor der Trade Deadline ist völlig offen, wie es für Randle und die Knicks weitergeht.
Ob sich Julius Randle während der Verkündung der All-Star-Reservisten wohl irgendwann den seligen Gedanken an den vergangenen Februar hingegeben hat? Gemütlich auf dem heimischen Sofa in Erinnerungen schwelgen, um wenigstens für ein paar Minuten die aktuelle Saison aus der Hölle zu verdrängen. Einen plötzlichen Schwall an Gratulationsnachrichten auf dem Handy hatte er ohnehin nicht zu befürchten.
Vor knapp einem Jahr sah die Basketball-Welt des Julius Deion Randle noch deutlich freundlicher aus, als sie es derzeit tut. Damals, im Februar 2021, erhielt er zahlreiche dieser Gratulationsnachrichten, als er erstmals in seiner Karriere zum All-Star ernannt wurde. Er war inmitten der besten Saison seiner Karriere, wenige Monate später beendete er mit den Knicks deren siebenjährige Playoff-Dürre, wurde als Most Improved Player ausgezeichnet und sogar ins All-NBA Second Team gewählt.
Und heute? Die Spielzeit 2021/22 ist eigentlich das genaue Gegenteil. Vom All-Star Game oder All-NBA-Ehren wie im Vorjahr ist Randle weiter entfernt als JD & The Straight Shot von einem Grammy. Statt regelmäßiger MVP-Sprechchöre schallt es nun Buhkonzerte von den Rängen im heimischen Madison Square Garden.
Mitte Januar hatte der 27-Jährige genug. Genug von dieser Saison, genug von den Basketball-Göttern, die sich offensichtlich gegen ihn verschworen haben, vor allem aber genug von den Fans. Im Spiel gegen die Celtics, als New York einen Comeback-Sieg nach Buhrufen in der ersten Halbzeit einfuhr, signalisierte Randle mit einem fetten Daumen nach unten, was er von der "Unterstützung" der Fans hielt.
Seine Nachricht an die eigenen Fans brachte er im Postgame-Interview unmissverständlich auf den Punkt: "Shut the F*** up!"
Julius Randle und die Knicks: Die Krux mit den Erfolgen
Für eine große Mehrheit der Knicks-Fans ist es aber traditionell schwierig, den Mund zu halten. Sei es in guten Zeiten - Bing Bong! - oder eben in schlechten wie aktuell. Die Resonanz unter den eigenen Fans ist auch deshalb so negativ, da der komplette Big Apple mit riesigen Erwartungen in die Saison ging.
2020/21 starteten die Knicks noch unbeschwert und entfachten Playoff-Euphorie, auf die sollte in den Augen der Fans nun aufgebaut werden. Stattdessen droht New York die Postseason wieder zu verpassen. 24 Siegen stehen 28 Niederlagen und Platz zwölf in der Eastern Conference gegenüber. Logischerweise zentriert sich die Kritik auf den besten Spieler des Teams.
Randle entschuldigte sich am nächsten Tag via Instagram für seine Geste und den anschließenden Kommentar, ein bitterer Nachgeschmack blieb aber. Auch weil seine Körpersprache seine große Frustration weiterhin offenbarte und er anschließend sieben Spiele lang den Medien nicht mehr Rede und Antwort stand. Der Fokus aufs Sportliche verfehlte aber seinen Zweck, aus seinem Slump konnte sich der Big Man nicht befreien.
Julius Randle: Dramatischer Absturz der Zahlen
Die reinen Statistiken zeigen in allen Bereichen einen dramatischen Absturz. Seine Career-Highs aus dem Vorjahr haben sich in die schlechtesten Werte seit vier Jahren (24,1 Punkte auf 18,5) verwandelt, er hat mehr Partien mit weniger als 10 Punkten als Spiele mit 30+ vorzuweisen. In Sachen Effizienz legt er gar die schlechteste Saison seit seinem Rookie-Jahr hin (True-Shooting von 50,7 Prozent). Dazu kommt ein "Karrierebestwert" mit 3,5 Ballverlusten pro Spiel.
Das Problem der Gegner in der Vorsaison hat sich nun zu einem Problem für die Knicks entwickelt. Der Fanliebling zum Buhmann. Im Sommer erhielten die Knicks noch Lob für die faire Vertragsverlängerung für Randle, die erst im kommenden Sommer startet und ihm 117 Millionen Dollar für vier Jahre garantiert, weniger als das Maximum.
Nun sagt ein anonymer Scout gegenüber ESPN: "Sie dachten, sie hätten einen Jungen, um den sie ihr Team aufbauen können und haben auch so gehandelt. Diesen Jungen haben sie aber womöglich gar nicht."
Julius Randle: Horror-Slump oder die neue (alte) Norm?
Doch worauf ist Randles Absturz zurückzuführen? Die einfache Antwort: Er trifft nicht mehr die Würfe, die vergangenes Jahr noch fielen. Aus Isolations etwa generiert er magere 0,87 Punkte pro Play, das ist der drittschlechteste Wert ligaweit unter allen Spielern mit mindestens 4 Isolations pro Partie.
Sein Stepback-Jumper war in der Vorsaison noch eine veritable Waffe, nun hat diese ihn fast komplett verlassen. Selbst bei den von der NBA als offen oder weit-offen deklarierten Würfen steht Randle bei katastrophalen 38,5 Prozent beziehungsweise 26,6 Prozent, vergangene Saison sah dies bei ähnlichem Wurfvolumen noch ganz anders aus (42,4 Prozent bei offenen und 40,8 Prozent bei weit-offenen Würfen).
"Ich werde da rauskommen", zeigte sich Randle vorige Woche unbeeindruckt. "Es ist hart, aber wie J. Cole sagte: Es liegt eine gewisse Schönheit im Kampf. Und gerade ist es ein Kampf. In dieser Zeit entfaltet sich der Charakter eines Teams. Es sind noch viele Partien zu spielen, ich freue mich schon darauf, wie wir uns da durchringen werden."
Das Problem ist nur, dass schon fast zwei Drittel der Saison absolviert sind. Randles Schwächephase scheint schon längst über den Status einer Pechsträhne hinaus zu sein, die man einfach so abschütteln könnte. Vielmehr spricht vieles dafür, dass die starke Vorsaison in die Kategorie "Fluke" fällt.
Bereits in den Playoffs 2021 hatten sich Probleme bei Randle und seinem Team angedeutet, nun ist sein Punkteschnitt über die vergangenen fünf Spielzeiten (19,9) näher an dem der aktuellen (18,5) als an dem der vergangenen Saison (24,1). Seine magere Dreierquote von 30,3 Prozent (bei 5,3 Versuchen) ist tatsächlich noch die drittbeste seiner Karriere.
Trotz der überschaubaren Quoten verlässt sich Randle immer noch viel zu oft auf den Jumper. Dabei schließt er prozentual gesehen bereits häufiger am Ring ab als 2020/21 (32 Prozent zu 23 Prozent), doch ein Großteil seiner Abschlüsse sind eben immer noch die Jumper, die dieses Jahr nicht fallen wollen.
Das liegt auch am System der Knicks. In der Theorie müsste sich Randle viel öfter zum Korb durchtanken, er hat die Statur, um am Ring abzuschließen und Freiwürfe zu ziehen - auch seine Trips an die Linie sind im Vergleich zur Vorsaison stark gesunken. Allerdings ist im Knicks-Angriff in der gegnerischen Zone selten Platz.
Coach Tom Thibodeau lässt meistens einen "echten" Center neben Power Forward Randle auflaufen, Mitchell Robinson oder Nerlens Noel nehmen defensiv eine wichtige Rolle als Ringbeschützer ein. Auf der anderen Seite verstopfen sie aber die Zone - nicht umsonst wurde den Knicks Interesse an einem Trade für Myles Turner vor dessen Verletzung nachgesagt. So wird Randle aber zu schwierigen Stepbacks oder in Double-Teams gedrängt, in denen er zu oft eine schlechte Aktion erzwingt.
Eine Möglichkeit wäre, Randle nach Screens im Pick'n'Roll aggressiver zum Korb abrollen zu lassen. Eine andere wäre mehr Small-Ball mit Randle auf der Fünf, was der ohnehin durchschnittlichen Defense aber nicht guttun würde. Denn wenn es offensiv nicht läuft, lässt der Big defensiv oftmals den Einsatz vermissen. Es gäbe aber auch noch eine dritte, eine radikalere Option.
NBA: Die Saisonstatistiken von Julius Randle in den vergangenen fünf Jahren
Saison | Team | G / MIN | Punkte | Rebounds | Assists | FG% | 3FG% |
2017/18 | Lakers | 82 / 26,7 | 16,1 | 8,0 | 2,6 | 55,8 | 22,2 |
2018/19 | Pelicans | 73 / 30,6 | 21,4 | 8,7 | 3,1 | 52,4 | 34,4 |
2019/20 | Knicks | 64 / 32,5 | 19,5 | 9,7 | 3,1 | 46,0 | 27,7 |
2020/21 | Knicks | 71 / 37,6 | 24,1 | 10,2 | 6,0 | 45,6 | 41,1 |
2021/22 | Knicks | 50 / 35,2 | 18,5 | 9,9 | 5,1 | 41,4 | 30,3 |
New York Knicks: Veränderungen dringend erwünscht
"Sie brauchen bedeutende Veränderungen", forderte ESPN-Experte Jeff Van Gundy, als die Knicks vergangene Woche im nationalen Fernsehen gegen Miami mal wieder komplett untergingen. "Sie bringen es einfach nicht jeden Abend. Ich weiß nicht, wie sie so weitermachen können. Das ist die Definition von Wahnsinn, wenn man immer und immer wieder das gleiche macht, aber ein anderes Resultat erwartet."
Der ehemalige Knicks-Coach spielte damit vor allem auf die Starter an. Die Starting Five um Randle, Kemba Walker, Evan Fournier, R.J. Barrett und Robinson ist mit 411 gespielten Minuten das am dritthäufigsten verwendete Lineup der NBA, legt aber ein katastrophales Net-Rating von -14,5 auf - natürlich der schlechteste Wert unter allen Lineups mit mindestens 300 Minuten. Randles individuelle On/Off-Zahlen sind mindestens genauso verheerend (-17,2!).
So kann es eigentlich nicht weitergehen, vor allem nicht mit der Trade Deadline vor der Tür. Die Knicks werden mit großer Sicherheit in den kommenden Tagen bis zum 10. Februar sehr aktiv sein, beispielsweise soll Platz für Neuzugang Cam Reddish geschaffen werden. Die erst gefeierten, dann krachend gescheiterten Offseason-Signings Walker und Fournier, die eigentlich als Boost für die Offense (Platz 22 ligaweit) gedacht waren, sollen das Team möglichst verlassen.
Doch was ist mit Randle? Sehen die Knicks ihn tatsächlich nicht als den erhofften Franchise-Player, könnte ein Trade Sinn ergeben, um langfristig Platz für eine neue, eine richtige Nr.1 zu machen. Laut SNY.tv sei New York beim richtigen Preis gesprächsbereit. Dass Randle selbst nun in der Nacht auf Freitag der Franchise bei Instagram entfolgte, dürfte die Spekulationen nur noch weiter anheizen. In Anbetracht seiner Leistungen wird aber wohl kein Rivale bereit sein, die Vorstellungen der Knicks zu erfüllen.
Julius Randle: Findet er doch noch zurück in seinen Rhythmus?
Der 27-Jährige und dessen hochdotierter Vertrag werden der Traditionsfranchise also wohl erhalten bleiben. Für Optimisten ist das auch eine gute Nachricht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Randle trotz der düsteren Monate doch noch in seinen Rhythmus findet und sich dem All-NBA-Niveau der Vorsaison zumindest wieder annähert.
"Es ist eine lange Saison. Vergangenes Jahr sind wir ähnlich gestartet", zeigte sich Coach Thibs, offenbar ein Randle-Optimist, entsprechend entspannt. Tatsächlich stand New York zu einem ähnlichen Zeitpunkt in der Vorsaison auch nur bei einer ausgeglichenen Bilanz, bevor mit einer Siegesserie die Playoffs klargemacht wurden.
Damals war aber die Defense deutlich besser - auch deshalb, weil bei der gegnerischen Dreierquote der Glücksfaktor mitgespielt hat. Damals war der Osten schwächer. Damals wartete nicht eines der schwersten Rest-Programme auf die Knicks. Und damals war Julius Randle mitten in einem Career-Year. Im vergangenen Jahr hat fast jedes Rädchen ineinandergegriffen, davon kann mittlerweile keine Rede mehr sein.