Die Mavericks-Matrix

Haruka Gruber
10. Dezember 201014:14
Coach Rick Carlisle (r.) hat mit den Dallas Mavericks den elften Sieg in Folge gefeiertspox
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Mit dem elften Sieg in Serie ist es offiziell: Die Dallas Mavericks stellen das heißeste Team der NBA. Der Erfolg gegen die New Jersey Nets darf zwar kein Maßstab sein, doch auch sonst lief es zuletzt beinahe erschreckend gut. Die Taktik-Analyse in vier Teilen.

Mit einer Bilanz von 18 Siegen und 4 Niederlagen liegt Dallas ligaweit gemeinsam mit Boston nur hinter San Antonio (18-3), noch beeindruckender liest sich jedoch das Abschneiden gegen die stärksten Mannschaften: 8 Siege, 2 Niederlagen.

Ob das sonst notorisch nervenschwache Dallas diese Form bis in die Playoffs halten kann, ist zweifelhaft. Aber was bleibt, sind erstaunliche Leistungen gegen Titelkandidaten wie etwa Boston, San Antonio, Utah, Miami und Oklahoma City - und die Frage: Worin liegt das Geheimnis der Mavs?

Vorweg: Die Texaner haben den Basketball nicht neu erfunden. Vielmehr wurden alt bekannte Spielzüge in der Vorbereitung offenbar so oft einstudiert, dass Dallas die Basics wesentlich besser umsetzt als die meisten Konkurrenten. Ein Indiz: Coach Rick Carlisle muss selten etwas aus dem Playbook vorgeben, weil vieles aus dem "Flow" passiert.

Teil I (Offensive): Isolation

Es mag nicht gerade der Spielzug für Basketball-Feinschmecker sein - aber warum sollte Dallas auf Isolation Plays verzichten? Es wäre fahrlässig, denn immerhin verfügen die Mavs mit Dirk Nowitzki über eine der gefährlichsten Eins-gegen-eins-Waffen der NBA.

Der Spielzug ist denkbar simpel: Spielmacher Jason Kidd trägt den Ball vor, die Mitspieler stellen für Nowitzki mehrere Screens, damit dieser so unbedrängt wie möglich zur linken oder rechten Freiwurfecke, seinen "Komfortzonen", laufen kann.

Dort bekommt er den Ball, gleichzeitig bewegen sich alle Teamkollegen in Richtung der entgegengesetzten Seitenlinie, um die Gegenspieler mit nach außen zu ziehen und Nowitzki so möglichst viel Freiraum zu geben.

Zwischen Nowitzki und dem Korb steht demnach nur sein direkter Gegenspieler im Weg, so dass der Deutsche aus seinem Arsenal an Offensivaktionen frei auswählen kann.

Variante A: Wenn der Gegenspieler zu weit absinkt, um nicht von Nowitzkis erstem Schritt überrascht zu werden, sollte dieser zum Korb ziehen wollen, hat der Mavs-Star ausreichend Platz für seinen Sprungwurf.

Variante B: Wenn der Gegenspieler an Nowitzki richtiggehend klebt, um einen offenen Wurf zu verhindern, geht dieser mit einer normalen Körperfinte vorbei und trifft per Korbleger.

Variante C: Wenn der Gegner derart auf Nowitzki fixiert ist und ihm zwei Bewacher zur Seite stellt, wird er selbst nur schwer punkten können, weswegen er - so einfach es klingt - seine Mitspieler in Szene setzt. Dabei vertraut er seinen mittlerweile sehr respektablen Pass-Qualitäten und gibt den Ball weiter an die verlässlichen Spot-Up-Dreierschützen (Kidd, Terry, Stevenson) oder zumindest ordentlichen Mitteldistanzschützen (Butler, Marion), alles in dem Wissen, dass durch das Doppeln mindestens ein Teamkollege frei sein muss.

Wenn sich Nowitzki zurücknimmt oder auf der Bank sitzt, werden am häufigsten für Butler Isolation Plays angesagt. Diese sind jedoch bei weitem nicht so effektiv, weil sich der Small Forward fast ausschließlich auf seinen starken Mitteldistanzwurf verlässt und so für seinen Gegenspieler berechenbar ist.

Immer wieder zu beobachten: Butler bekommt den Ball, lässt sich bis zur Grundlinie abtreiben, von wo er statt zu passen den schwierigen Jumper versucht. Dabei wäre Butler mit seinem guten Ballhandling und der Athletik geradezu prädestiniert, aus der Isolation heraus beständig die gegnerische Zone zu attackieren.

Teil II (Offensive): Pick'n'Roll / Pick'n'Pop

Teil III (Defensive): Zonenverteidigung

Teil IV (Defensive): Der Tyson-Chandler-Effekt

Teil II (Offensive): Pick'n'Roll / Pick'n'Pop

Der von Dallas nach der Isolation am meisten genutzte Angriffsspielzug, bei dem Jason Terry eine entscheidende Rolle zukommt. Er wird nie den strategischen Weitblick eines Floor Generals besitzen, aber es gibt wohl kaum einen besseren Spieler, wenn es darum geht, durch Pick'n'Roll oder Pick'n'Pop zu einfachen Punkten zu kommen.

Warum? Terry sieht schneller als andere, von welcher Seite sein bevorzugter Pick-Partner Nowitzki einen Screen für ihn stellt, und weiß im Bruchteil einer Sekunde, welcher weitere Schritt der erfolgversprechendste ist. Dabei verläuft die Verständigung der beiden nach sieben gemeinsamen Jahren beinahe intuitiv.

Der nicht ballführende Nowitzki stellt einen Screen für den ballführenden Terry. Der entscheidet: Den Switch, also das Übergeben der Gegenspieler nutzen und den Ball zu Nowitzki passen, damit der Deutsche entweder die Größenvorteile gegenüber Terrys ursprünglichem Bewacher nutzt und sofort schießt (Pick'n'Pop), oder sich von diesem abrollt und zum Korb sprintet (Pick'n'Roll).

Eine andere Möglichkeit: Terry behält den Ball und attackiert selbst den Korb, indem er an Nowitzkis ursprünglichem Gegenspieler, der größer aber eben auch schwerfälliger ist, mit einem flinken Dribbling vorbeizieht. Sollte dieser genau das vermeiden wollen und absinken, bestraft ihn Terry mit einem Dreier ins Gesicht.

Nowitzki läuft ebenfalls mit Kidd einige Pick-Spielzüge, doch sie sind in der Regel nicht so wirkungsvoll, weil der Point Guard anders als Terry aus dem Dribbling heraus nicht besonders gut trifft und sein erster Schritt beim Drive selbst für einige Big Men zu langsam ist.

Teil I (Offensive): Isolation

Teil III (Defensive): Zonenverteidigung

Teil IV (Defensive): Der Tyson-Chandler-Effekt

Teil III (Defensive): Zonenverteidigung

Jeder Nachwuchsspieler in Deutschland oder an einem US-College muss die Grundregeln der Zonenverteidigung verinnerlichen, wenn er nicht den Ärger seines Trainers auf sich ziehen will. Obwohl deswegen fast alle Basketball-Profis mit dieser grundlegenden Defensivtaktik vertraut sein müssten, wird in der NBA wesentlich seltener Zone verteidigt als in der NCAA oder im europäischen Basketball.

Dallas-Coach Rick Carlisle ist eine Ausnahme, kein anderes NBA-Team praktiziert so häufig die Zonen-Defense wie die Mavs. "Wir haben damit vor zwei Jahren angefangen und mittlerweile gehört sie zu unserer Persönlichkeit. Wir sind in der Zonenverteidigung fast konkurrenzlos", sagt Terry.

Dass Dallas mit nur 92,6 zugelassenen Punkten des Gegners und mit einer Wurfquote des Gegners von 43,1 Prozent jeweils auf Platz vier in der NBA rangiert, ist vor allem der Mischung aus Zonen- und klassischer Manndeckung zu verdanken. Erstaunlich, wie flexibel das Team sogar von Spielzug zu Spielzug zwischen beiden Systemen variieren kann.

Besonders wenn der Gegner einen Lauf hat und kaum zu stoppen scheint, stellt Dallas auf die Zone um und sorgt so für Verwirrung, etwa bei den Atlanta Hawks, die damit vollkommen überfordert waren.

Das Grundprinzip der Zonenverteidigung in Schnellform: Das Hauptaugenmerk liegt - wie der Name schon sagt - darauf, den Gegner vom Eindringen in die eigene Zone abzuhalten. Deswegen postieren sich alle Spieler am Rand der Zone. Die von Dallas genutzte Formation heißt "2-3", sprich: Die zwei kleinsten Spieler postieren sich je an einer der Freiwurfecken, die drei größten Spieler an der Grundlinie. Wichtig: Die einem anvertraute Position darf wenn überhaupt nur minimal verlassen werden, damit die Grundordnung nicht verloren geht.

Der größte Vorteil liegt darin, dass es dem Gegner auf diese Weise schwer gemacht wird, in der Nähe des Korbs abzuschließen, weil die Zone abgeschirmt ist. Es gibt jedoch auch Schwächen: Die Zonenverteidigung tendiert dazu, die Dreierlinie zu vernachlässigen, da jeder Spieler vor allem versucht, das Ziehen in die Zone zu unterbinden.

Daher gilt es als Patentrezept gegen die Zone, wenn ein athletischer Guard mit Schmackes zum Korb zieht, zwei Gegenspieler an sich bindet und den Ball dem draußen freistehenden Mitspieler zu passt, der nur noch den freien Wurf zu versenken hat.

Nicht verwunderlich, dass Dallas bei den gegnerischen Dreierquoten mit 36,9 Prozent im Ligavergleich enttäuschender 19. ist. Außerdem erschwert die Zone die Reboundarbeit am eigenen Brett, weil beim Ausboxen die direkten Gegenspieler und damit die klaren Zuständigkeiten fehlen. 10,9 gegnerische Offensivrebounds bedeuten den schwachen 18. Platz.

"Die Zone ist schwieriger als die Manndeckung. Du musst immer aufpassen, alles ist sehr komplex. Das Wichtigste ist die die Kommunikation", sagt Carlisle. Doch bislang überwiegen eindeutig die Vorzüge. Kings-Coach Paul Westphal: "Die Mavs haben einen sehr guten Weg gefunden, durch die Zone ihre Schwächen zu kaschieren."

Teil I (Offensive): Isolation

Teil II (Offensive): Pick'n'Roll / Pick'n'Pop

Teil IV (Defensive): Der Tyson-Chandler-Effekt

Teil IV (Defensive): Der Tyson-Chandler-Effekt

In der Geschichte der Mavs hat wohl noch kein Neuzugang in solch einer kurzen Zeit die defensive Identität des Teams so verändert wie Center Tyson Chandler. Dass er eine Verstärkung sein könnte, sofern er fit bleibt, wurde erwartet. Aber die Art und Weise, wie Chandler mit seinem Verteidigungsgeschick und seiner Leidenschaft die Mannschaft in der Defense auf ein neues Level gehoben hat, bleibt bemerkenswert.

Es sind nicht einmal die Zahlen, die beeindrucken. 9,3 Rebounds und 1,4 Blocks in 26,7 Minuten sind gut, aber nicht herausragend. Dennoch hat sich Chandler neben Nowitzki zur unersetzbarsten Kraft der Mavs entwickelt. Es ist spürbar, dass allein durch seine Präsenz Angst und Zweifel im Kopf der Kontrahenten gesät werden, weil sie wissen, welch guter Verteidiger Chandler ist.

Der 28-Jährige hat die nötige Größe, bringt trotz sehniger Physiognomie genug Muskeln im Infight mit, ist schnell auf den Beinen, verfügt über eine hohe Basketball-Intelligenz, rotiert exzellent und springt jederzeit ein, wenn einem Kollegen der Gegenspieler entwischt ist.

Diese Bereitschaft zur Help-Defense ist vermutlich seine wertvollste Eigenschaft. Nur dank Chandler können Terry (1,7 Steals sind zweitbester Karrierewert) und Kidd (1,6 Steals) in der Defense hohes Risiko gehen und auf Ballverluste des Gegners spekulieren, da sie wissen, dass Chandler ein aufmerksamer Beobachter ist und bereitsteht, sollte ein Gegenspieler den Mavs-Guards entschlüpfen.

Das abschließende Urteil von Kings-Trainer Westphal: "Die Mavs zwingen einen dazu, genau dort hin zu dribbeln, wo Chandler nur darauf wartet, einzugreifen. Sie machen das sehr clever."

Teil I (Offensive): Isolation

Teil II (Offensive): Pick'n'Roll / Pick'n'Pop

Teil III (Defensive): Zonenverteidigung