Er dominierte den College-Football und die NFL wie kaum ein zweiter Athlet vor oder nach ihm. Jim Brown war eine Naturgewalt auf dem Platz und ließ gegnerische Verteidiger häufig wie Statisten aussehen. Der legendäre Fullback der Cleveland Browns trug mit seinen Leistungen in einer gesellschaftlich schwierigen Zeit auch dazu bei, dass Afro-Amerikaner anders gesehen wurden - und doch ging auch Brown nicht ohne Fehler durchs Leben.
GettyAb und zu kommt ein Athlet in einen Sport, der seiner Zeit voraus ist. Ein Spieler, der physisch und psychisch über derart großes Potential verfügt und die Disziplin hat, dieses auch abzurufen, so dass er auf dem Spielfeld wie ein Roboter wirkt, den zu stoppen nahezu ein Ding der Unmöglichkeit scheint. Der schneller, stärker und schlicht besser als jeder andere auf dem Platz ist.
Genau so jemand war Jim Brown. "Er war ein Biest. So hart wie ein Ziegelsteinhaus, außerdem schnell und stark", beschrieb der legendäre Lawrence Taylor Brown vor einigen Jahren und der einstige Bills-, Panthers- und Colts-Geschäftsführer Bill Polian fügte hinzu: "Paul Brown sagte mal, dass er der beste Footballspieler war, den er je gesehen hat. Ich bin der gleichen Meinung."
Dabei war sich Paul Brown, Clevelands Coach von 1946 bis 1962, anfangs noch gar nicht so sicher, nachdem er den Back mit dem sechsten Pick im 1957er Draft gewählt hatte. Jahrelang musste er sich die Sticheleien seines Fullbacks Ed Modzelewski anhören, der seine Karriere 1957 eigentlich beenden und als College-Trainer beginnen wollte.
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"Ed erzählte Paul von der Coaching-Chance, aber der wollte, dass er bleibt, denn er war sich wegen dieses jungen Fullbacks nicht sicher", berichtete der damalige Browns-Defensive-End Paul Wiggin: "Dieser Fullback war Jim Brown." Doch war Jim Brown so viel mehr als ein Fullback - auf wie abseits des Platzes und im positiven wie im negativen Sinne.
Glücklich auch ohne die Eltern
Die Geschichte des Hall-of-Famers beginnt im tiefsten Süden der 1930er Jahren, eine Zeit, in der Restaurants oder öffentliche Plätze in den Südstaaten noch in Bereiche für Weiße und Bereiche für Afro-Amerikaner aufgeteilt waren. Nur zwei Wochen nach seiner Geburt auf St. Simons Island vor der Küste Georgias verließ sein Vater Swinton, ein Profi-Boxer, die Familie und als er zwei Jahre alt war zog auch seine Mutter Theresa in den Norden, um Geld zu verdienen.
Brown wuchs, da seine Oma Alkoholikerin war, bei der Urgroßmutter auf, und hat viele positive Erinnerungen an seine Kindheit: "Wir waren nicht arm. Wir hatten Krabben, Fisch und Gemüse, so viel wir essen konnten. Das Haus war klein und vom Wetter gezeichnet, aber es ging mir gut. Die ganze Gemeinde dort hat sich umeinander gekümmert. Das war mein Ursprung und ich fände es schlimm, hätte ich ohne das aufwachsen müssen."
"No one could run like Jim Brown"
In der Grundschule lernte er ebenfalls noch die Rassentrennung kennen, ehe er schließlich als Achtjähriger zu seiner Mutter nach Manhasset, New York zog. Brown stieg an der dortigen High School innerhalb kürzester Zeit zum Vorzeigeathleten auf und spielte Football, Basketball, Baseball und Lacrosse, darüber hinaus war er Teil des Leichtathletik-Teams.
Manchmal kombinierte er dabei auch mehrere Sportarten auf einmal: So lief Brown während manchen Lacrosse-Spielen in der Halbzeit die 400 und die 800 Meter für das Leichtathletik-Team und immer wieder geisterte ein Satz durch die Stadien: "No one could run like Jim Brown." 1956 hatte er sich so auch für den Zehnkampf bei Olympia qualifiziert, sagte aber ab, um sich auf seine letzte College-Football-Saison zu konzentrieren.
Der Umzug als Lebensretter
Dabei weiß er bis heute, dass sein Leben ohne den Umzug in den Norden und zu seinen ambitionierten Lehrern und Coaches wohl ganz anders verlaufen wäre. Im Gespräch mit dem Journalisten Steve Rushin gab Brown einst zu: "Ohne Manhasset, ohne Dr. Collins und Ken Malloy und Mr. Dawson und Ed Walsh wäre das alles nicht möglich gewesen. Diese Leute haben mein Leben gerettet. Ohne sie wäre aus mir nie etwas geworden."
Auch im College wurde Brown stets gefördert und gefordert und entwickelte sich zum absoluten Überflieger - und auch zum Botschafter eines Umbruchs. Zu Browns College-Zeit gab es noch Universitäten, die keine schwarzen Sportler zuließen und bei Auswärtsfahrten in den Süden mussten die Athleten in getrennten Hotels übernachten. "Man hatte noch immer häufig den Eindruck, als wäre einem ein Gefallen gewährt worden", erzählte Brown: "Das gab dir das Gefühl, dass du viel, viel mehr leisten musstest."
Viel mehr zu leisten war in gewisser Weise sein Motto. Das Multi-Talent verzeichnete in seinem letzten Schuljahr im Football unfassbare 14,9 Yards pro Carry sowie im Basketball 38 Punkte pro Spiel. Und doch gilt noch heute trotz seiner unglaublichen Leistungen auf dem Gridiron das Lacrosse als sein größtes Talent. "Ich war größer als die meisten anderen Jungs, dadurch hatte ich einen Vorteil", grinste Brown mit Blick auf seine Lacrosse-Karriere: "Wir hatten ein tolles Team und in meinem Senior-Jahr in Syracuse gelang uns eine Saison ohne Niederlage."
College-Abschluss mit einem Knall
Zwar wurde Brown 1983 auch in die Lacrosse-Hall-of-Fame aufgenommen, doch eine Zukunft in dem Sport gab es nach dem College nicht - Profi-Lacrosse existierte schlicht nicht. Und doch gab es für Clevelands Boss Paul Brown eigentlich keinen Grund zur Sorge, denn wie kaum ein zweiter Spieler vor ihm hatte der Fullback auch den College-Football dominiert. Obwohl Syracuse nur acht Spiele absolvierte, gelangen Brown in seiner letzten Saison 986 Yards (6,2 Yards pro Run) sowie 14 Touchdowns.
Würde man Browns College-Karriere in zwei Partien zusammenfassen, wären es darüber hinaus wohl seine finalen beiden Spiele gewesen. Bei der 61:7-Demontage von Colgate erlief Brown 197 Yards und sechs Touchdowns und kickte sieben Extra-Punkte, im Cotton Bowl gegen TCU erlief er 132 Yards, drei Touchdowns und kickte drei Mal den Extra-Punkt.
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Dass der physische Ausnahmesportler auch auf der nächsten Ebene überzeugte, kam zu diesem Zeitpunkt kaum mehr überraschend. Brown führte die Liga in acht seiner neun NFL-Jahre in Rushing-Yards an, stellte diverse neue Rushing-Rekorde auf und war der erste schwarze Superstar der aufstrebenden NFL - für viele Menschen in den 50er Jahren noch immer ein Eklat.
"Man konnte damals nicht einfach spielen und die sozialen Umstände im Land ignorieren", erzählte Brown später: "An jedem Tag deines Lebens hast du daran gedacht. Du musstest dich fragen, warum sie nur farbige Spieler auf bestimmten Positionen eingesetzt haben, und warum Farbige für manche Positionen als nicht schlau genug galten. Da gab es unglaublich viele Regeln. Es gab immer eine gerade Anzahl an farbigen Spielern in einem Team, damit sie sich Zimmer teilen konnten. Es gab immer sechs oder acht. Fünf waren nicht möglich."
Fabelzahlen trotz Sonderbewachung
Brown war in den 50er und 60er Jahren einer der wichtigsten Athleten der USA, da er mithalf, Vorurteile durch den Sport zu beseitigen. Leute kamen aus dem ganzen Land nach Cleveland, um die Sensation der NFL live zu sehen, und meistens wurden sie nicht enttäuscht. Brown war nicht nur unfassbar schnell und physisch viel stärker als der Großteil seiner Gegner, er war dabei auch beweglich und unglaublich schwer zu tackeln.
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40 Touchdowns erzielte er alleine von der gegnerischen 2-Yard-Line, wo er quasi unaufhaltsam war, und der Fullback erlief zu einer Zeit, in der sich gegnerische Defenses primär auf den Run konzentrierten, 104,3 Yards pro Spiel und 5,2 Yards pro Versuch. Absolute Fabelzahlen, die über eine derart lange Karriere nie wiederholt wurden.
Folgerichtig wurde Cleveland mit Brown erfolgreich: Das Team erreichte die Playoffs in seiner neunjährigen Karriere vier Mal und gewann den Titel 1964 mit einem 27:0-Sieg über die Baltimore Colts. Bis heute ist es der letzte NFL-Titel für die Traditions-Franchise. "Ich habe neun Jahre lang gespielt und kein einziges Spiel verpasst", brachte Brown selbst seine Karriere einst auf den Punkt: "Eines steht fest: Wenn es darauf ankam, war ich da."
Und dennoch bröckelte es schon in den 60ern hinter den Kulissen. Die Differenzen mit Paul Brown, dessen Entlassung der Fullback 1962 forcierte, wuchsen und schon 1964 sorgte er mit seinem Film-Debüt in "Rio Conchos", der Veröffentlichung seiner ersten Autobiographie sowie dem Anschluss-Vertrag für "Das dreckige Dutzend" für Verstimmungen - und bereitete schließlich damit seinen Ausstieg aus der NFL vor. Dieser sollte dennoch auf kuriose Art und Weise zustande kommen.
Das Wetter als Schlussstrich
Brown war in der Offseason 1966 in Europa bei den Dreharbeiten zu "Das dreckige Dutzend". Wegen schwieriger Wetterlage verzögerte sich sein Rückflug allerdings und der Star verpasste den Start des Training Camps. Teameigentümer Art Modell, der sich vier Jahre zuvor noch für seinen Fullback und gegen seinen Coach entschieden hatte, war es daraufhin leid.
Nach einigen Streitigkeiten, während welchen Modell Strafen über 1.500 Dollar pro Woche androhte, machte Brown schließlich eine vorherige Drohung war und beendete seine Karriere noch vor seinem 30. Geburtstag und ein Jahr vor Ende seines Vertrages, der ihm 60.000 Dollar im Jahr einbrachte. Fünf Jahre später folgte die Aufnahme in die Hall of Fame.
"Als ich aufgehört habe, war ich glücklich. Ich hatte neun gute Jahre, ich hatte all die Dinge gemacht, die ich tun wollte. Ich ging dann zum Film, hatte hübsche Frauen um mich rum - ich habe nie zurückgeblickt", berichtete er später: "Ich ging als MVP und im Alter von 29 Jahren. Ich wollte eine Karriere auf höchstem Level haben und dann andere Dinge machen."
Und andere Dinge machte er: Brown tauchte seither in über 50 Filmen auf, darunter auch im Football-Klassiker "An jedem verdammten Sonntag" oder dem etwas aktuelleren "Draft Day", genoss sein Leben als Hollywood-Star und blieb gleichzeitig auch abseits davon in seiner wichtigen Rolle aktiv. Brown half afro-amerikanischen Geschäftsgründern über die Gründung der BEU (Black Economic Union), erschuf das Amer-I-Can-Programm, das Gang-Mitgliedern hilft, ihre Banden zu verlassen und blieb stets ein offener Gesellschaftskritiker.
Die dunkle Seite der Medaille
Allerdings wäre das Bild von Jim Brown nicht komplett, wenn man nicht auch die dunkle Seite seiner Vergangenheit und damit gewissermaßen den Fleck seiner sonst so schillernden Karriere auf dem Platz und vor der Kamera beleuchten würde. Brown fiel immer wieder durch seinen respektlosen Umgang mit Frauen auf, überstand aber mehrere Skandale.
So hielten sich Vorwürfe gegen ihn, wonach er 1968 das Model Eva Bohn-Chin vom Balkon im zweiten Stock geworfen haben soll. Doch Bohn-Chin bestand darauf, ausgerutscht zu sein und Brown musste lediglich eine Strafe über 300 Dollar zahlen, weil er während der Festnahme einen Beamten geschlagen hatte. Über ein halbes Dutzend weitere Vorwürfe folgten in den 80ern und 90ern, darunter vor allem vermeintliche Sexualstraftaten. 2002 musste er schließlich für vier Monate ins Gefängnis.
"Ich behaupte nicht, dass ich immer das richtige getan habe. Aber die Medien stellen mich häufig so dar, als wäre ich die brutalste Person aller Zeiten", erklärte Brown in einem Interview Anfang der 90er und fügte Jahre später im Gespräch mit dem Journalisten Don Yaeger hinzu: "Ich kann wütend werden und habe meinen Ärger in der Vergangenheit falsch raus gelassen. Mit mehr Weisheit werde ich nie wieder meine Hände in der Art benutzen."
Heldenstatus auf Lebenszeit
Es scheint, als habe Brown diesen Teil seines Lebens wirklich hinter sich gelassen, in den vergangenen Jahren ist es ruhiger geworden um Clevelands Helden. Vielmehr schloss er mit seiner Rückkehr zum Football gewissermaßen den Kreis. 2008 kehrte Brown als Berater zu den Cleveland Browns zurück und gibt seither seine Erfahrungen außerdem an junge Spieler weiter.
Brown war auf und abseits des Platzes Zeit seiner Karriere ein Vorreiter. Dem sportverrückten Cleveland einen Titel zu bringen hat ihm einen Legendenstatus eingebracht und wer weiß, was möglich gewesen wäre, hätte es in den 50er Jahren schon 16 Spiele pro Saison gegeben - und hätte das Wetter seine Karriere nicht vorzeitig beendet.
Klar ist: Auf dem Platz konnte niemand Brown das Wasser reichen. Am besten drückte das wohl einst Hall-of-Fame-Coach Bill Parcells aus: "Er war ein Freak, jeder war damals ganz ehrfürchtig. Er war der Typ Spieler, der seiner eigenen Zeit voraus ist."