CJ2K: Auf Marshawns Spuren?

Von Adrian Franke
13. November 201514:29
CJ2K erlebt in Arizona gerade seinen zweiten Frühling - ähnlich wie Lynch einst in Seattlegetty
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Die Seattle Seahawks(4-4) empfangen in Week 10 die Arizona Cardinals(6-2) zum NFC-West-Showdown, beide Teams wollen unbedingt gewinnen und ein Statement in der eigenen Division abgeben. Eine vor der Saison unerwartete Storyline ist das Running-Back-Duell: Arizonas Chris Johnson scheint, wenn auch mit ein paar Jahren Verspätung, auf den Spuren von Marshawn Lynch - und könnte zum X-Faktor werden. SPOX zeigt den Kracher in der Nacht zum Montag (2.30 Uhr) im LIVESTREAM FOR FREE!

Chris Johnson war auf dem knallharten Boden der Tatsachen angekommen. Bei den Jets hatte es nie wirklich gefunkt, er musste nach nur einer Saison sowie lediglich 663 Rushing-Yards wieder gehen - ein Jahr nachdem er von Tennessee, seiner langjährigen Heimat, entlassen worden war. Im März folgte dann der Schock: Johnson war abends mit einigen Freunden in Orlando unterwegs, als plötzlich von einem anderen Auto aus das Feuer eröffnet wurde.

Der Fahrer starb, Johnson wurde von einer Kugel an der Schulter erwischt. Sechs Wochen lang, eine Ewigkeit für einen NFL-Spieler, der sich für ein neues Team empfehlen will, durfte er nicht einmal an Training denken und konnte seine rechte Hand lange nicht benutzen. Drei Knochen in seiner Schulter waren genauso gebrochen wie eine Rippe. 25 Pfund verlor er über diese Zeit. "An diesem Punkt habe ich mich wirklich gefragt, in welche Richtung mein Leben jetzt gehen würde", berichtete er jüngst rückblickend.

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Doch Johnson gab sich nicht auf: Er stieg, der Arm noch in einer Schlinge und der Kugel nach wie vor in der Schulter, wieder ins Training ein und arbeitete wie ein Besessener. "Ende Juli bekam ich grünes Licht für Kontakt. Ich konnte dann wieder Routes laufen, den Ball fangen und all das", erzählte der Running Back, "aber ich musste mich an vieles wieder neu gewöhnen, nicht nur an meine Schulter: Beispielsweise daran, den Ball zu fangen und ihn richtig zu greifen."

Knallharte Ansage zum Start

Dennoch dauerte es bis August, ehe der Mann, dem 2009 das seltene Kunststück einer 2.000-Rushing-Yard-Saison gelungen war, ein neues Team fand. In Arizona hatte CJ2K langjährige Bewunderer: Offensiv-Guru und Co-Trainer Tom Moore hatte Johnson 2012 in Tennessee selbst erlebt und sprach intern nach wie vor in höchsten Tönen vom 30-Jährigen. Head Coach Bruce Arians verriet Mitte August, als Arizona Johnson schließlich verpflichtete, dass er dessen Karriere seit Jahren aufmerksam verfolgt hatte.

Trotzdem machten die Cards kein Geheimnis um die Rolle, die der Routinier zunächst einnehmen würde. "Ich habe ihm gesagt, dass ich Andre Ellington, Kerwynn Williams und Stepfan Taylor liebe und dass wir ihn nicht brauchen, um Spiele zu gewinnen", erzählte Running-Backs-Coach Stump Mitchell offen: "Ich habe ihm gesagt: Wir werden dich so behandeln, wie du behandelt werden willst - fair. Das heißt, dass du andere Spieler hinter dir lassen musst. Wenn dir das nicht gelingt, wird es hier keine Rolle für dich geben."

Die Idee war in der Theorie klar: Johnson sollte, hinter Andre Ellington und Rookie David Johnson, als Komplementärspieler fungieren und dafür sorgen, dass auch spät im Spiel ein frischer Running Back rein kommen kann. Er stimmte letztlich einem Vertrag mit dem Minimum-Gehalt und mehreren Boni-Stufen zu. Aber es sollte ganz anders kommen, als gedacht - denn es ist der langjährige Tennessee Titan, der das Running Game in der Wüste dominiert.

Neue Bestmarken in der Wüste

Als sich Ellington früh in der Saison verletzte und David Johnson ebenfalls noch angeschlagen war, bekam CJ2K die große Chance, sich festzubeißen und, nach wie vor mit kleinen Stücken der Kugel in seiner Schulter, nutzte er diese Gelegenheit eindrucksvoll. Johnson steht nach acht Spielen bei 676 Rushing-Yards und 4,8 Yards pro Run-Versuch. Arizona hat bereits 998 Rushing-Yards auf dem Konto, eine seit 1988 nach acht Spielen nicht mehr erreichte Franchise-Bestmarke.

Die absolute Explosivität, über Jahre Johnsons Markenzeichen, hat er im Alter von 30 Jahren zweifellos nicht mehr. Stattdessen hat er sein Spiel, wenn auch nicht gänzlich freiwillig, umgestellt: Die Schussverletzung zwang Johnson, der mit 4,24 Sekunden nach wie vor den Combine-Rekord für den 40-Yard-Dash hält, dazu, den Fokus auf andere Dinge zu richten. So konzentrierte er sich über Wochen auf Bein-und Rumpf-Workouts, um mehr Power zu entwickeln. Das zahlt sich jetzt aus.

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CJ2K ist, verglichen mit den vergangenen Jahren, merklich schwerer zu tackeln und macht so viel mehr aus den harten Inside Runs. "Er ist nicht mehr so schnell wie früher", weiß auch RB-Coach Mitchell, "aber es ist sein Ziel und unser Ziel, dass er die Liga zum Saisonende was Rushing-Yards angeht anführt. Er ist auf einem guten Weg."

Eine weitere Team-Bestmarke stellte Johnson bereits vor der Bye Week ein: Seit 1985 hatte Arizona keinen einzigen (!) Running Back mit mindestens vier 100-Rushing-Yard-Spielen in einer Saison gehabt. Diese Bestmarke, die Mitchell selbst einst noch aufgestellt hatte, ist schon jetzt zur Saisonmitte Geschichte.

Die Lynch-Parallele

Dabei hilft Johnson zweifellos, neben einer guten Run-Blocking-O-Line und dem explosiven Passing Game, das außerplanmäßige Training im Frühjahr: Johnson hat bislang bei allen vier seiner Third-Down-Runs neue First Downs herausgeholt und führt die Liga in Yards nach dem ersten Gegnerkontakt an.

Am Sonntag könnte er damit zum X-Faktor werden: Seattle steht in dieser Saison bei nur zwei Siegen, wenn der Gegner mindestens 20 Laufversuche verzeichnet - der knappe Erfolg über die Dallas Cowboys und die Demontage der Chicago Bears, die ohne Jay Cutler und Alshon Jeffery antreten mussten.

Gleichzeitig kommt man nicht drum herum, gewisse Parallelen zu Arizonas Nemesis der vergangenen Jahre (und dem nächsten X-Faktor für den Division-Kracher) zu ziehen: Marshawn Lynch kam nicht nur 2010 für einige Mittrunden-Draft-Picks ebenfalls als Schnäppchen nach Seattle und konnte seine Karriere in der NFC West wiederbeleben - er tat das auch mit einem unglaublich physischen Laufstil.

Der Name "Beast Mode" kommt nicht von ungefähr, Lynch sucht sprichwörtlich den Kontakt mit dem Gegner. In der Vorsaison verzeichnete er 2,72 Yards nach Gegnerkontakt, der drittbeste Wert in der NFL. Zudem gelingt es ihm, wie auch Johnson in Arizona, die von der Offensive Line bereiteten Lücken zu finden und effektiv zu nutzen. Nun wird Johnson nicht, wie Lynch in Seattle, für sechs, sieben Jahre Arizonas Offense prägen. Doch die Gespräche über eine vorzeitige Vertragsverlängerung laufen bereits, um ihn zumindest für einige weitere Jahre zu halten.

Die packende Standortbestimmung

Allerdings wissen die Hawks, dass es nicht nur auf das gegnerische Running Game zu achten gilt: Im Gegensatz zu den Duellen der Vorsaison steht Quarterback Carson Palmer den Cards wieder zur Verfügung und Seattles Coach Pete Carroll betonte: "Carson spielt phänomenal. Er hat diese Offense komplett unter Kontrolle und ich glaube nicht, dass ich ihn schon einmal habe besser spielen sehen." Das Aufeinandertreffen der Legion of Boom mit Arizonas Passing-Offense wird besonders spannend, genau wie umgekehrt ein mögliches Duell zwischen Safety Tyrann Mathieu und Russell Wilson - es ist ein echter Schwergewichtskampf.

Doch für die Seahawks ist eine Niederlage in jedem Fall verboten: Während die NFC West bei eigenem Sieg komplett offen bleibt, würde sich Arizona mit dem Auswärtserfolg ein kleines Polster verschaffen. Dafür hatten die Hawks jetzt, genau wie Arizona, die Bye Week um an einigen Schrauben zu drehen und um fit in die zweite Saisonhälfte zu gehen - über die vergangenen Jahre eine große Stärke für Carrolls Team.

"Es geht nicht darum, wie man die Saison beginnt. Es geht darum, wie man sie beendet und darum, länger als der Gegner dran zu bleiben", mahnte Carroll daher nochmals eindringlich. Linebacker Bobby Wagner fügte hinzu: "Viele Teams gewinnen am Anfang viele Spiele und brechen dann am Ende ein. Wir wollen einfach immer im Rennen bleiben, in die Playoffs einziehen, und dann für einen Knall sorgen." Ein Rezept, das zuletzt mehrfach gut funktioniert hat und der Kader ist weiterhin exzellent besetzt.

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So ist es für beide Teams eine Standortbestimmung. Die Cardinals wollen zum ersten Mal in dieser Saison ein echtes Schwergewicht schlagen, die Seahawks wollen zeigen, dass die Division nach wie vor nur über sie läuft. Dass dabei Chris Johnson eine Schlüsselrolle zukommen könnte, hat vor zwei Monaten wohl niemand gedacht. "In der Offseason war viel Negativität um mich herum. Viele Dinge sind passiert. Aber letztlich bin ich einfach dankbar dafür, dass die Cardinals mich wollten", stellte er weiter klar. Am Sonntag kann er dem Team ein großes Stück dieses Vertrauens zurückzahlen.

Week 10 im Überblick