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Wie konnte es so weit kommen?!

Chip Kelly musste bei den Eagles nach drei Jahren seinen Hut nehmen - noch vor dem Black Monday
© getty

Die Philadelphia Eagles haben einen Schlussstrich gezogen, Head Coach Chip Kelly wurde noch vor Saisonende entlassen. Somit steht Philly vor einem kompletten Neustart, Kelly könnte womöglich bald anderswo glänzen. Doch was waren die Gründe für die Entlassung? Warum scheiterte das Experiment? Und machen die Eagles vielleicht einen schwerwiegenden Fehler?

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Die Eagles verkündeten am Dienstagabend, dass Kelly vor die Tür gesetzt wird. Wenige Tage vor dem letzten Spiel der Regular Season gegen die New York Giants und somit auch wenige Tage vor dem Black Monday - der erste Montag nach Week 17, wenn die wackligen Stühle mehrerer Head Coaches abgesägt werden. Eine Ehe, die Philly zum Super-Bowl-Contender machen und in Punkto Innovationen an die Spitze der NFL führen sollte, ist nach nur drei Jahren beendet.

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Kelly führte die Eagles, nachdem Andy Reid infolge einer 4-12-Saison gehen musste, zu zwei Spielzeiten in Folge mit jeweils zehn Siegen, darunter ein Division-Titel. Er krempelte den kompletten Kader um, weil er es durfte, und formte zunehmend ein Team nach seinen Vorstellungen. Die Eagles brachten diesen Prozess jetzt zu einem abrupten Ende, und dafür gibt es verständliche Gründe - allerdings auch einige Fragezeichen.

Warum jetzt? "Wir sind für alles dankbar, das Chip Kelly uns gegeben hat und wünschen ihm für die Zukunft allen Erfolg", erklärte Eagles-Geschäftsführer Jeffrey Lurie seine Entscheidung in einem Statement. Viele Spieler wussten von der Entlassung ihres Coaches nichts und erfuhren kurioserweise erst davon, als sie von Reportern angerufen und darauf angesprochen wurden.

Keine Frage: Es war eine enttäuschende Saison, in welcher Philly bisher nur sechs von 15 Spielen gewann, die fünftmeisten Punkte pro Spiel (26,7) zuließ und in der zweiten Saisonhälfte in vier von acht Spielen mindestens 38 Punkte kassierte - so auch im (aus Eagles-Sicht) unrühmlichen NFC-East-Duell gegen die Washington Redskins in Week 16, als die Eagles mit einem Sieg ihre Saison noch hätten retten können. Gerüchte über eine mögliche Entlassung machten also schon vorher die Runde.

Lurie wollte aber, und dieses Timing überraschte dann doch, nicht bis nach Week 17 warten. Er war sich offenbar sicher, dass es mit Kelly nicht weiter gehen konnte, und so darf hinterfragt werden, wie viel ein Playoff-Einzug tatsächlich hätte ändern können. Lurie hat nicht gerade eine Vergangenheit als emotionaler Team-Boss, der seinen Coach aus einer Laune heraus feuert. Alleine an Andy Reid hielt er vor Kelly 14 Jahre lang fest.

Folgerichtig muss Lurie so fest entschlossen gewesen sein, dass er keinen Grund sah, Kelly das letzte (bedeutungslose) Spiel noch coachen zu lassen und sich stattdessen zu diesem Statement entschied. So konnte er eine Woche früher als die anderen Teams allen Coordinators, die als mögliche Head-Coaching-Kandidaten in Frage kommen, ein Signal senden: Der Job in Philadelphia wird frei. Und dafür gibt es Gründe.

Kein Quarterback, keine Ruhe: Chip "The Genius" Kelly hatte in Philly ganz menschliche Probleme, wie sie nahezu jeder Head Coach (vor allem jeder neue Head Coach) kennt: Er hatte zu keinem Zeitpunkt einen echten Franchise-Quarterback. Michael Vick sah, aufgrund seiner Fähigkeiten als Running Quarterback, auf dem Papier wie eine gute Lösung aus, unter anderem mehrere Verletzungen standen ihm aber im Weg.

Nick Foles hatte daraufhin 2013 eine statistisch unfassbare Restsaison: 2.891 Passing-Yards in 13 Spielen, 27 Touchdowns und nur zwei Interceptions. Kellys Scheme mit einfachen Reads und daraus resultierend sicheren Pässen für den Quarterback ebneten den Weg für den inzwischen 26-Jährigen - Foles' Saison war zu großen Teilen Kelly zu verdanken.

Doch die Defenses holten auf und passten sich an Kellys System an. Die Reads wurden so schwerer, 2014 spielte Foles um mehrere Level schlechter. Mark Sanchez sprang schließlich, wie auch in der laufenden Saison verletzungsbedingt zwischenzeitlich ein. Trotzdem gelangen den Eagles 2014 ebenfalls zehn Siege. Aber die Suche nach einem Quarterback ging weiter.

Zu viele Fehler in der Free Agency: Foles, Vick, Sanchez - Kelly wusste, dass er einen verlässlichen Quarterback braucht, um konstanten Erfolg zu haben. So ließ er sich auf einen Trade mit den St. Louis Rams ein, tauschte Draft Picks und Foles gegen Sam Bradford. Es ist eine Entscheidung, für die man Kelly mit Blick auf Bradfords bisherige Leistungen in der NFL kritisieren kann. Auch kann man hinterfragen, wie gut Bradford zu Kellys Offense passt. Gleichzeitig muss man ihm aber zugute halten: Er ließ nichts unversucht, um einen Franchise-Quarterback zu bekommen. Ein Unterfangen, das in der NFL via Trade nur sehr, sehr schwer zu schaffen ist.

Es war allerdings ohnehin nicht der Foles-Bradford-Trade, zumal Bradford in den vergangenen Wochen wenigstens einige positive Tendenzen zeigte, der Kelly angekreidet werden sollte. Es war vielmehr das wilde Umkrempeln auf zu vielen Skill-Positionen, das Kelly zum Verhängnis wurde. Er gab, seit Beginn dieses Jahres mit zusätzlichen Kompetenzen in der Kader-Zusammenstellung ausgestattet, LeSean McCoy angeblich aus finanziellen Gründen ab, nur um DeMarco Murray zu verpflichten und dem Ex-Cowboys-Running-Back mehr Geld zu geben, als McCoy bekommen hätte.

Zudem gab er Byron Maxwell, in Seattle immer ein guter Nummer-2-Cornerback, Top-Cornerback-Geld (10,5 Millionen Dollar pro Jahr) und musste zusehen, wie Maxwell Woche für Woche von gegnerischen Top-Receivern auseinander genommen wurde. Darüber hinaus ließ er, zusätzlich zu McCoy, unter anderem auch Guard Evan Mathis gehen und trennte sich in aufeinanderfolgenden Jahren von seinen beiden jeweiligen Top-Receivern DeSean Jackson und Jeremy Maclin. Die Folge: Die O-Line wackelte, das junge Receiving-Corps enttäuschte. Mit Jackson und Maclin auf dem Platz verzeichneten die Eagles 6,3 Yards pro Spielzug und verwerteten 42 Prozent ihrer Third Downs. Ohne die beiden explosiven Wide Receiver: Fünf Yards pro Spielzug, 37 Prozent Third-Down-Conversions.

Zu stures Coaching und Play-Calling: Fragt man Chip Kelly, was ihm beim Coaching wichtig ist, so wird man meistens die gleiche Antwort bekommen: Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung. Schon im College baute Kelly auf weniger Spielzüge, die dafür aber bis zur Perfektion einstudiert wurden, anstatt ein dickes, komplexes Playbook zu installieren.

Dabei ist er in seinen Schemes selbst aber inflexibel, wie anhand seiner beiden prominentesten Free-Agency-Verpflichtungen deutlich wird. DeMarco Murray kam als Top-Rusher der Vorsaison nach Philadelphia, ein Titel, der durch ein klares Rezept zustande kam: In 91 Prozent der Fälle war der Quarterback under Center, also direkt hinter dem Center, wenn der Snap erfolgte.

Der Week-16-Hangover: Ein Feigling im Punter-Kostüm

In dieser Saison kamen noch ganze 17 Prozent von Murrays Runs mit dem QB under Center zustande. Sieht man die Art und Weise, wie Philadelphias Running Game in diesem Jahr aufgebaut war, konnte man fast vermuten, dass Kelly Murray in eine Art LeSean McCoy umwandeln wollte - was die wilden Running-Back-Trades umso unverständlicher macht. Kelly passte sein System nicht den Spielern an, er hielt vielmehr an seinem System fest und baute darauf, dass sich die Spieler durch ständige Wiederholung daran gewöhnen würden.

Im Fall von Pocket-Passer Sam Bradford versuchte Kelly sich umgekehrt zwar anzupassen, nach 515 Zone-Read-Runs in den ersten beiden Jahren gab es in dieser Saison nur noch derer 60. Doch ohne dieses Element und die Bedrohung des laufenden Quarterbacks funktionierte seine Offense nicht, insbesondere galt das für das Running Game. Zudem gab Kelly so viele wichtige Spieler ab, dass irgendwann schlicht die Qualität fehlte - diese Spieler konnten in der Folge, aller vermeintlichen Einfachheit zum Trotz, seine Spielzüge nicht mehr in der gewünschten Perfektion auf den Platz übertragen.

Ausblick: Fehler oder richtige Reißleine? Die Entscheidung der Eagles lässt, wie eingangs bereits erwähnt, vermuten, dass Philadelphia mit Kellys ausgeprägten Kompetenzen nicht mehr einverstanden war. War Kelly nicht dazu bereit, Teile seiner Kompetenzen abzutreten, hatte das Team folgerichtig keine Wahl - zumal es wohl auch interne Spannungen gab.

Phillys Football-Vize-Präsident Howie Roseman war der wesentliche Leidtragende, als Kelly zu Beginn des Jahres mehr Macht und mehr Freiheiten in der Kader-Zusammenstellung bekommen hatte. Berichten zufolge brodelte es seither merklich zwischen den beiden und Kellys schroffe Art sorgte offenbar zusätzlich nicht dafür, dass er nach drei Jahren noch sonderlich viele Fürsprecher innerhalb der Organisation hatte. Als die Ergebnisse stimmten, wurde über all das hinweg gesehen. Als diese ausblieben, verlor Kelly langsam aber sicher auch Lurie und war schließlich ganz alleine.

Das Week-16-Roundup: Perfect no more...

Bedenkt man all das, musste Philadelphia so handeln. Aber es gibt auch andere Berichte. Vor allem gibt es jene Berichte, wonach Kelly bereit gewesen sein soll, einige seiner Kompetenzen wieder abzugeben. In diesem Szenario muss man die Entscheidung hinterfragen: Kelly hat den Kader über drei Jahre nach seinen Vorstellungen umgebaut, er hat dieses Team geformt, er hat ihm seinen Stempel aufgedrückt und musste gehen, lange bevor die Entwicklung abgeschlossen war.

In vielerlei Hinsicht muss ein neuer Coach somit wohl wieder ganz von vorne anfangen, die Entlassung von Chip Kelly könnte Philadelphia in einer aktuell starken NFC noch weiter zurückwerfen. Der Eagles-Job gehört damit mutmaßlich nicht zu den attraktivsten Stellen, die ab Januar zu haben sein werden.

Und Kelly selbst? Der 52-Jährige ist ein unfassbar ehrgeiziger Mann, bei dem sich alles um Football dreht. Er wird sich selbst und der Welt beweisen wollen, dass sein System in der NFL funktionieren kann. Er wird außerdem aus seinen Fehlern in Philadelphia gelernt haben, sowohl was die Kaderzusammenstellung, als auch was den Umgang mit NFL-Spielern angeht. Schon jetzt hat er mit mehreren Innovationen hinter den Kulissen, etwa wissenschaftlich ermittelte Trainingszeiten und -einheiten, Ernährungs- sowie Schlafvorschriften an die Spieler, durchgesetzt.

Neben den Indianapolis Colts werden vor allem die Tennessee Titans bereits als mögliche Interessenten gehandelt, Kelly könnte hier mit seinem College-Quarterback Marcus Mariota wiedervereint werden und eine seit Jahren strauchelnde Franchise zurück nach oben führen. Klar ist: Er wird sich umstellen müssen, will er in der NFL bleiben. Nur dann kann er seine Kritiker Lügen strafen und, wie schon so mancher große Coach vor ihm, die NFL im zweiten Versuch vielleicht doch noch im Sturm erobern.

Der Schedule: Week 17 im Überblick

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