SPOX: Wie sieht denn das Training für Sie aus? Pat McAfee von den Colts hat mir zuletzt ausführlich erklärt, dass er pro Woche nur eine bestimmte Anzahl an Punts im Training macht, um das Bein nicht zu überlasten. Ist das bei Ihnen auch so?
Santos: Über die Zeit habe ich zunehmend gelernt, auf meinen Körper zu hören und die richtige Belastung zu finden, sowie die Erholungsphasen ernst zu nehmen. Ich kann im Training nicht einfach ein Field Goal nach dem anderen versuchen, ich muss meine Kraft einteilen. Qualität über Quantität, sozusagen. Wenn ich an einem Tag sagen wir mal zehn perfekte Kicks in Folge verwandle, dann höre ich auf und wende mich anderen Einheiten zu. Entscheidend ist es, am Sonntag mental und physisch bei 100 Prozent zu sein.
SPOX: Und wie läuft dann das wöchentliche Programm für einen Kicker in der NFL ab?
Santos: Wenn wir am Sonntag spielen, haben wir den Montag zunächst frei. Am Dienstag stehen dann Bein-Training und Film-Studium auf dem Programm, sowie Eisbäder und dergleichen, damit die Beine wieder frisch werden. Mittwoch bis Freitag sind die wichtigen Trainingstage, Field Goals allerdings gibt's nur am Mittwoch und am Donnerstag, rund 30 pro Einheit. Ansonsten werden dann auch Kick-Offs geübt, aber an keinem der beiden Tage kicke ich mehr als 45 Mal, würde ich sagen. Freitag ist physisch der ruhigste Tag, da geht es um Stretching, kleinere Übungen. Außerdem natürlich um den Game Plan. Dann ist schnell auch schon wieder Sonntag, da lässt du alles hinter dir. Beim Aufwärmen kicke ich so viele Field Goals, wie ich brauche, um meinen Rhythmus zu finden. Wichtig: Gekickt wird auf beide Field Goals, mit und gegen den Wind, um ein Gefühl für den Platz zu bekommen.
SPOX: Wenn Sie dann mal frei haben - verfolgen Sie gelegentlich noch Fußball-Teams? Bei Ihnen in Kansas City gibt es ja sogar ein MLS-Team.
Santos: Ja, und sie haben den Titel gewonnen, kurz bevor ich hierher gekommen bin, und sind jedes Jahr in den Playoffs! Die haben eine tolle Atmosphäre, ich gehe gerne hier zu Fußball-Spielen. Die Zuschauer sind ähnlich wie in Europa nahe dran am Feld, es macht Spaß. Mein Lieblingsteam aber ist der FC Chelsea. Als wir letztes Jahr in London gespielt haben, war ich am Tag davor an der Stamford Bridge und habe mir das Chelsea-Liverpool-Spiel angeschaut - das war fantastisch! Fußball ist meine oberste Leidenschaft, das war wirklich cool. Zuhause in Brasilien ist mein Team Flamengo, die ich auch verfolge. Man könnte also durchaus sagen, dass ich sehr viel meiner Freizeit mit Fußballschauen verbringe!
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SPOX: Bleiben wir kurz in London: Wie war es für Sie als Fußball-Fan, in Wembley zu spielen?
Santos: Das war unfassbar. Ich bin vor dem Spiel im Stadion herum gelaufen und in meinem Kopf sind tausende Filme von Spielen, die ich im Wembley-Stadion gesehen habe, abgelaufen: FA-Cup-Endspiele, Länderspiele, und so weiter. Viele Dinge kannte ich auch aus FIFA! (lacht) Wir waren in der Kabine, in der sonst auch die englische Nationalmannschaft ist, mit meinem Idol Frank Lampard! Es war für mich wie ein einziger Traum.
SPOX: Konnten Sie denn einige ihrer Chiefs-Mitspieler zu FIFA-Fans machen? Oder gibt's überhaupt kein Interesse an Fußball?
Santos: Oh doch! Tatsächlich ist FIFA bei uns im Team ziemlich beliebt - jeder behauptet, er wäre der beste FIFA-Spieler. Aber bisher bin ich ungeschlagen! (lacht) Fairerweise muss man natürlich sagen, dass ich mehr Freizeit habe als die meisten, und somit mehr üben kann. Nein, die Jungs lieben es, viele spielen FIFA und natürlich will jeder dann immer unbedingt gewinnen.
SPOX: Und wer ist der Beste nach Ihnen?
Santos: Jeremy Maclin! Der ist wirklich gut und fordert mir alles ab, aber noch bin ich der Chiefs-FIFA-Champion! (lacht)
SPOX: Nächstes Jahr werden dann ja erstmals vier NFL-Spiele in London ausgetragen. Was ist Ihr Eindruck, wie geht ein Team mit dem London-Trip um, wie groß ist der Unterschied zu einer anderen längeren Auswärtsreise wirklich?
Santos: Es ist schon eine Herausforderung: Zunächst natürlich der lange Flug, damit einhergehend der Zeitunterschied, auf den man sich einstellen muss - und das in kürzester Zeit, die meisten Teams kommen erst am Donnerstag oder Freitag an, also zwei oder drei Tage vor dem Spiel. Alles passiert unglaublich schnell. Aber: Nach unserem Spiel haben quasi alle gesagt, dass es eine tolle Erfahrung war - so viele Menschen im ausverkauften Stadion, der Wembley-Faktor, und einfach zu sehen, wie populär unser Sport in einem anderen Land ist.
SPOX: Was halten Sie dann von der Idee, ein NFL-Team permanent in London zu haben?
Santos: Man müsste natürlich viele Details drum herum klären. Beispielsweise müsste der Spielplan für die Teams, die auswärts in London spielen, angepasst werden - hat man etwa davor immer ein Spiel an der Ostküste, um die Distanz zu verkürzen? Da gibt es viele logistische Herausforderungen, ganz klar. Aber das ganze Konzept klingt für mich wirklich toll. Die NFL will den Sport weltweit weiter verbreiten, und für mich wäre eine Franchise in London der nächste Schritt auf dem Weg dahin. Ich denke, in den nächsten Jahren wird es sicher viele, viele Gespräche darüber geben, aber sollte es klappen, fände ich es super.
SPOX: Letzte Frage: Das eingangs erwähnte Spiel gegen Denver steht am Sonntagabend auf dem Programm, die Chiefs könnten ihr Playoff-Ticket buchen. Wie groß ist der Unterschied für einen Kicker, wenn in der Postseason nochmals mehr auf dem Spiel steht und jeder Kick noch kritischer wird?
Santos: Für mich ist es dabei wichtig, mir nicht noch zusätzlichen Druck zu machen. Als wir letztes Jahr in den Playoffs waren, hat man überall von dem erhöhten Druck gehört. Die Leute schreien noch lauter, all das. Aber ich habe mir selbst währenddessen die ganze Zeit gesagt: Es ist immer noch das gleiche Spiel. Wir setzen uns im Training stark unter Druck, damit sich das Spiel ähnlich anfühlt wie das Training. Diese Mentalität muss man als Kicker haben - es ist einfach ein weiteres Spiel, und man hat schon so viele Kicks verwandelt. Ruhig bleiben, und auf sich selbst vertrauen, darum geht es. Das Schöne beim Kicking ist doch: Es ist immer der gleiche Ball, die gleichen Hashmarks, die gleichen Torstangen. Man muss es einfach wie einen Kick im Training angehen.