American Football stellt für viele den ultimativen Teamsport dar: Erfolg ist einzig und allein gemeinsam möglich. Jeder Spieler ist direkt von einem Nebenmann abhängig. Egal, ob nun High School, College oder sogar auf dem NFL-Level - kein Coach wird jemals müde, dies seiner Mannschaft wieder und wieder einzubläuen.
Die Pass-Protection kann ausschließlich funktionieren, wenn alle fünf Offensive Linemen den korrekten Gegenspieler blocken. Ein Blitz kann nur dann erfolgreich sein, wenn jeder Rusher die richtige Gap attackiert. Und doch existiert eine klare Ausnahme von dieser Regel. Denn so groß Zusammenhalt und Teamgedanke auch geschrieben werden mögen, so bleibt Football eben auch immer der Sport mit der wichtigsten und wertvollsten Position: Quarterback.
Der Quarterback berührt den Ball nicht nur bei jedem Snap, er muss zuvor und währenddessen die Defense lesen und die eigene Offense anpassen. Er trifft Entscheidungen, er gibt Anweisungen. Mit ihm steht und fällt der Erfolg eines Teams. Und kaum ein Beispiel könnte dies besser verdeutlichen als Jimmy Garoppolo und die San Francisco 49ers 2017.
Ein anderes Team mit Garoppolo
Die Hintergründe sind bekannt: Die Niners schickten einen Second Round Pick nach New England und erhielten im Gegenzug mitten in der Saison ihren Quarterback für die Zukunft. Als Garoppolo nach kurzer Eingewöhnungszeit sein Debüt als Starting Quarterback der 49ers feiern durfte, hatte San Francisco zehn seiner elf Saisonspiele verloren. Mit dem neuen Hoffnungsträger Under Center gewann die Franchise alle fünf ausstehenden Begegnungen.
Die beeindruckende Siegesserie zum Saisonabschluss beinhaltete Siege über die Playoff-Teams Tennessee Titans, Jacksonville Jaguars und Los Angeles Rams. Mit Garoppolo als Signal Caller kamen die Niners auf fast 30 Punkte pro Spiel und zählten zu den fünf besten Offenses der NFL. Es war beinahe eine 180-Grad-Wende, schließlich hatte das Team mit Brian Hoyer und C.J. Beathard als Quarterbacks in fünf der elf Spiele nicht mal die Elf-Punkte-Marke knacken können.
Laut Pro Football Focus zählte Garoppolo in seinen fünf Starts in "Clean Pocket Passes", "Accurate Passes" und "Accurate Passes to Open Receivers" jeweils zu den besten Quarterbacks der NFL. Für die Niners genügte dies bereits als Bewerbung, um den 26-Jährigen trotz weniger als 300 gespielten Dropbacks mit einem 137,5 Millionen Dollar (74 Millionen Dollar garantiert) schweren Fünfjahresvertrag auszustatten und ihn zumindest kurzfristig zum bestbezahlten Spieler der Liga zu machen.
Für die Franchise stellt Garoppolo neben Head Coach Kyle Shanahan und General Manager John Lynch, die beide einen Sechs-Jahres-Vertrag bei den 49ers unterzeichneten, den nächsten Baustein im 2017 eingeleiteten Rebuild dar. Der Clou: Durch die besondere Vertragsstruktur belastet "Jimmy G" den Cap von 2019 bis 2022 durchschnittlich nur mit 25 Millionen Dollar - für einen Quarterback dürfte das in diesen Jahren ein Schnäppchenpreis sein.
Upgrades in der Offensive Line
Shanahan, der in den Augen vieler Experten mit Los Angeles' Sean McVay um den Titel des größten Offensiv-Genies der Liga buhlt, hatte somit das wichtigste Puzzleteil für eine Offense nach seinen Vorstellungen bekommen. Nun sollte es an die Feinjustierungen gehen.
Mit Center Weston Richburg und Tackle Mike McGlinchey steckten die 49ers ordentlich Cap- und Draft-Kapital in ihre Offensive Line. Vor allem Richburg dürfte in den Planungen Shanahans eine sehr prominente Rolle einnehmen, schließlich war es die Verpflichtung von Alex Mack, die die Atlanta Falcons und Shanahans Offense 2016 auf ein neues Level hob. Eine saubere Pocket genießt in San Francisco nun eine ebenso hohe Priorität wie damals in Atlanta. Dass Richburg über die vergangenen drei Saisons sogar ein besserer Pass-Protector als "Vorbild" Mack war, dürfte den Planungen seines Coaches dabei sehr gelegen kommen.
McGlinchey ersetzt derweil Trent Brown, der mit enormem Trainingsrückstand im Mini Camp aufgeschlagen sein soll, auf der rechten Seite der Offensive Line. Mit Laken Tomlinson, Joshua Garnett und Jonathan Cooper kämpfen außerdem gleich drei weitere ehemalige First-Round-Picks um die zwei verfügbaren Guard-Spots. Über Potenzial verfügt die Offensive Line somit ohne jeden Zweifel. Inwieweit die 49ers ihre ansprechende Form aus dem Saisonendspurt 2017 mit nur acht zugelassenen Sacks in Garoppolos fünf Starts erneut erreichen können, bleibt aber noch abzuwarten.
Wird McKinnon Shanahans neue Allzweckwaffe?
Richburg hin, McGlinchey her, die spannendste Personalie unter den offensiven Neuzugängen der 49ers dürfte trotz allem nicht in der Offensive Line zu finden sein. Running Back Jerick McKinnon hat in seiner Karriere noch nie die Marke von 600 Rushing Yards in einer Saison knacken können, kam über die vergangenen beiden Saisons gerade mal auf schwache 3,6 Yards per Carry - und unterschrieb im Sommer den mit Abstand fettesten Vertrag aller Running Backs auf dem offenen Markt.
Was erhoffen sich die 49ers von diesem kostspieligen Neuzugang? Kaum jemand vermochte es in den letzten Jahren seine Running Backs so flexibel und effektiv einzusetzen, wie es Shanahan in seiner überragenden Saison 2016 mit den Atlanta Falcons tat. Immer wieder attackierte er gegnerische Defenses gezielt auf dem Linebacker-Level, am Ende der Saison hatten Devonta Freeman und Tevin Coleman gemeinsam mehr als 2.500 Scrimmage Yards und 24 Touchdowns auf dem Konto. McKinnon soll nun der neue Mann für diese Mismatch-Rolle werden.
McKinnons Qualitäten als Runner dürften dabei nur sekundär gefragt sein. Aktuell scheint es wahrscheinlicher, dass Shanahan die Snaps bei Running-Downs gleichmäßig auf McKinnon, Matt Breida und Joe Williams aufteilen wird. Denn: Seine 30 Millionen Dollar über vier Jahre (18 Millonen Dollar garantiert) hat sich McKinnon vor allem durch seine Leistungen im Passing Game verdient.
Mit mehr als 75 Prozent gefangenen Pässen über die vergangenen beiden Saisons zählt er zu den besten Receiving Backs der Liga. Beinahe ebenso wichtig in der Evaluation der 49ers dürften allerdings McKinnons herausragende Fähigkeiten als Pass-Blocker gewesen sein. McKinnon wird in der kommenden Saison eine kritische Rolle bei Third Downs zukommen und könnte - angesichts der Abstinenz eines dominanten X-Receivers (Pierre Garcon bleibt in dieser Hinsicht wohl zunächst ein Fragezeichen) - tatsächlich zu Shanahans gefährlichster Waffe an der Seite von Garoppolo werden.
Drei große Fragezeichen
Während die Offense bereit für den nächsten Schritt zu sein scheint, bleibt noch abzuwarten, wie schnell und wie stark sich San Francisco defensiv weiterentwickeln und verbessern kann. Die Niners sind zwar auch in der Defense durchaus mit Talent gesegnet, allerdings steht hinter der tatsächlichen Leistung so manches Leistungsträgers derzeit noch ein Fragezeichen.
Fragezeichen Nummer eins: Solomon Thomas. Vergangenes Jahr noch an Position drei im Draft ausgewählt, sorgte Thomas in seiner Rookie-Saison nur äußerst vereinzelt für Begeisterung. Das größte Problem für Defensive Coordinator Robert Saleh stellt dabei weiterhin das Finden der richtigen Position für den D-Liner dar. 2017 bekam der 22-Jährige den Großteil seiner Snaps als "Leo", also als Edge Defender, und rückte meist nur bei Passing Downs in die Mitte, wo seine Qualitäten eigentlich am besten zur Geltung kommen sollten. Mit DeForest Buckner als Anker in der Mitte der Line dürfte sich Thomas' Rolle in der kommenden Saison wohl kaum grundlegend ändern. Inwieweit er 2018 als Outside Pass Rusher effektiver sein kann, wird sich zeigen.
Fragezeichen Nummer zwei: Reuben Foster. Anders als Thomas ist der zweite First-Round-Pick der 49ers aus dem vergangenen Jahr über fast alle Zweifel auf dem Feld erhaben. Foster verzeichnete trotz fünf verpasster Spiele die zweitmeisten Tackles des Teams und stellte neben Buckner den besten Spieler der Defensive Unit dar. In Fosters Fall stellt sich vielmehr die Frage: Wie viele Spiele wird er tatsächlich auf dem Feld stehen?
Nach Verletzungsproblemen (Schulter, Wade und Rippen) in der vergangenen Saison musste sich San Franciscos Mike Linebacker in der Off-Season sowohl aufgrund von Drogendelikten als auch wegen des Verdachts der häuslichen Gewalt verantworten. Auch wenn letztere Anschuldigungen letztendlich fallen gelassen wurden, wird Foster die ersten beiden Spiele der kommenden Saison aufgrund einer Sperre in jedem Fall verpassen.
Fragezeichen Nummer drei: Richard Sherman. Bekommen die 49ers tatsächlich den Richard Sherman, den zahlreiche NFL-Fans in den vergangenen Jahren schätzen und wahlweise lieben oder hassen gelernt haben? Den Richard Sherman, der in seiner Karriere nur in einer Saison bei mehr als 50 Prozent seiner Targets einen Catch zugelassen hat und der 94 Spiele in Serie kein 100-Yard-Spiel gegen sich zuließ? Falls ja, dürfte die Secondary mit sofortiger Wirkung an Qualität gewinnen, immerhin überzeugte auch Shermans Outside-Cornerback-Partner Akhello Witherspoon in seiner Rookie-Saison mit konstanten Leistungen. Falls nein, könnte das Experiment mit dem einstigen großen Rivalen aus Seattle nach nur einem Jahr schon wieder vorbei sein.
"Ihr wisst, welches Ziel wir uns vor jeder Saison setzen"
Die San Francisco 49ers gehen erst in das zweite Jahr ihres Rebuilds. Die Cap-Situation des Teams sieht rosig aus, eigentlich ist das Team 2018 alles, nur nicht zum Siegen verdammt. Und doch reitet die Traditions-Franchise schon wieder auf einer Welle der Euphorie. Die potenziell brillante Kombination aus Shanahan und Garoppolo lässt offensiv fast alles möglich erscheinen und mit Buckner, Thomas, Foster und Sherman verfügt nun auch die Defense über gleich mehrere Hoffnungsträger.
"Wir haben letztes Jahr viel an unserem Roster verändert, wir hatten viele Höhe und Tiefen, aber wir haben die Saison als ein besseres Team abgeschlossen", meint Shanahan selbst. "Wir haben bessere Spieler im Draft und in der Free Agency geholt. Wir haben uns in Position gebracht, um nochmal deutlich besser zu werden."
San Francisco hat die Grundbausteine, um schon in naher Zukunft wieder Erfolge feiern zu können. Die nächsten Schritte sollen nun so schnell wie möglich erfolgen - das sieht auch Shanahan nicht anders: "Ich werde es nicht aussprechen - aber ihr wisst, welches Ziel wir uns vor jeder Saison setzen."