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Third and Long: Überraschung des Jahres - und düstere Aussichten für die Rams?

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt in seiner wöchentlichen Kolumne zurück auf Woche 10 in der NFL.
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So schockten die Falcons die Saints in New Orleans

Als 14-Punkte-Underdog hatten die Buchmacher Atlanta im Vorfeld der Partie in New Orleans ausgemacht - die Falcons drehten den Spieß um und gewannen ihrerseits mit mehr als 14 Punkten Vorsprung. 17 Zähler trennten die beiden Teams am Ende.

Das ist historischer als es vielleicht klingt: Ein 14-Punkte-Außenseiter der mit mehr als 14 Punkten Vorsprung gewinnt, das hat es in der NFL seit 1970 erst fünf Mal gegeben. Da passte es schon fast ins Bild, dass der zahnlose Falcons-Pass-Rush eine der besten Offensive Lines der Liga dominierte und gegen New Orleans seine Saison-Sack-Ausbeute bis dato (7) mit sechs Sacks fast verdoppelte. Mehr hat Brees noch nie in einem Spiel kassiert.

Es war ein kurioses Spiel, das mal wieder zeigte, wie unberechenbar diese Liga sein kann. Auch wenn man bei den Saints einen alarmierenden Trend - nämlich das langsame Starten in Spiele - einmal mehr beobachten konnte. Drew Brees adressierte das Thema nach der Partie ebenfalls kritisch.

Doch die große Frage ist natürlich: Wie konnten die Falcons dieser Offensive Line derartige Probleme bereiten? Und reden wir hier von weitreichenden Schwierigkeiten für die Saints, oder von einer einmaligen Sache?

Saints: Drew Brees in ungewohntem Terrain

Exakt bei einem Drittel seiner Dropbacks hatte Brees Druck durch die Falcons-Defense; zum Vergleich: Vor dieser Partie hatte Brees eine Pressure-Quote von 25 Prozent gegen sich, der zweitniedrigste Wert aller Quarterbacks mit mindestens 90 Dropbacks.

Noch eindrucksvoller wird der Auftritt der Falcons, wenn man weiter in die Statistiken gräbt. Die Saints-Offense ist primär auf kurze, schnelle Pässe und dann Yards nach dem Catch ausgelegt. Im Schnitt wurde Brees vor dieser Partie den Ball in 2,44 Sekunden los, bei nur 44 Prozent seiner Pässe hielt er den Ball 2,5 Sekunden oder länger. Beides jeweils der siebtniedrigste Wert in der NFL.

Gegen die Falcons unterbot er seinen Schnitt sogar noch (2,36 Sekunden, 40,8 Prozent). Doch der Einfluss der Plays, bei denen er den Ball länger hielt, war viel gravierender. 20 Mal hatte Brees den Ball nach 2,5 Sekunden noch in der Hand - in diesen Situationen kassierte er fast so viele Sacks (alle sechs) wie er Pässe an den Mitspieler brachte (8).

"Ich habe mehrfach gesehen, wie Drew durch seine Reads gegangen ist und es nicht bis zu den letzten beiden Optionen geschafft hat", verriet Falcons-Safety Ricardo Allen nach der Partie. Und das Tape bestätigt Allens Aussage.

Die hier dargestellte Szene zeigt den zweiten Sack der Falcons. Atlanta attackierte - wie meistens in diesem Spiel, die Falcons blitzten bei 51 Brees-Dropbacks nur elf Mal und hatten damit auch fast nie Erfolg - mit seinem 4-Men-Rush.

In dem Fall spielten die Falcons jeweils zwei Stunts, das heißt: Zwei Verteidiger tauschen im Pass-Rush gewissermaßen ihre Positionen, der Defensive Tackle attackiert nach dem Snap nach außen und der Edge-Rusher zieht nach innen. Adrian Clayborn, der rechte Defensive End (links aus Sicht der Offense) kam so letztlich auch zu Brees und erwischte ihn zehn Yards im Backfield.

Falcons-Pass-Rush: Schockierend simpel

Überrascht hat mich allerdings am meisten, wie simpel die Falcons in ihrem Pass-Rush waren. Der dritte Sack der Partie war ein 4-Men-Rush sogar ohne Stunts, angetäuschte Rusher oder dergleichen, Grady Jarrett gewann schlicht sein Matchup und war blitzartig bei Brees. Der vierte Sack kam gar im 3-Men-Rush, als Brees aufgrund guter Coverage den Ball sehr lange halten musste.

Beim fünften Sack, aus individueller Matchup-Sicht vielleicht der größte Schocker, schlug Clayborn - ein wirklich bestenfalls durchschnittlicher Edge-Rusher - Left Tackle Terron Armstead, seines Zeichens einer der ligaweit besten Spieler auf seiner Position, Eins-gegen-Eins und kam so zu Brees durch. Jarrett gewann hier ebenfalls sein Eins-gegen-Eins-Matchup, wieder war es ein 4-Men-Rush ohne verrückte Pressure-Looks oder dergleichen.

Atlanta gewann wieder und wieder Matchups an der Line of Scrimmage, die sie - Jarrett mal ausgenommen - eigentlich niemals mit dieser Häufigkeit hätten gewinnen dürfen. Deshalb hatten die Saints auch bei ihren vereinzelten Rushing-Versuchen wenig Erfolg.

25 individuelle Quarterback-Pressures verzeichneten die Falcons am Sonntag, davon gingen sieben auf das Konto von Jarrett und sechs auf das von Clayborn. Jarrett alleine hatte fünf Quarterback-Hits.

Ein einziger Falcons-Blitz funktionierte so richtig, und das war gleich der erste Sack des Spiels bei Third-and-Goal:

Wenn es nicht der "komplexeste" Pass-Rush-Call des Spiels aufseiten der Falcons war, dann sicher in der Top-3. Atlanta blitzte zunächst mit fünf Spielern und brachte dann noch einen Delayed-Blitzer (blau markiert), der also erst kurz nach dem Snap ebenfalls Richtung Quarterback losging.

Das Design isolierte Linebacker De'Vondre Campbell (gelb markiert) Eins-gegen-Eins mit dem Fullback, Campbell gewann das Matchup relativ klar und erwischte Brees neun Yards im Backfield.

Der letzte Falcons-Sack der Partie kam mit 5:31 auf der Uhr bei Fourth Down:

Auch hier ist es ein Four-Men-Rush mit einem kleinen, spät im Play eingebauten Stunt, auch dieses Mal gewannen mehrere Defensive Lineman für Atlanta ihre Eins-gegen-Eins-Duelle.

Immer wieder war es das gleiche Thema, nämlich die überraschende Einfachheit. Die Falcons verfolgten dabei im defensiven Play-Calling eine neue und ungewöhnliche Aufteilung: Assistant Head Coach Raheem Morris, der unter der Woche von der offensiven Seite wieder in die Defense beordert wurde und für die Secondary verantwortlich ist, übernahm das Play-Calling bei Third Down - wo drei der sechs Sacks kamen - und in der 2-Minute-Defense, während Linebacker-Coach Jeff Ulbrich für First und Second Down verantwortlich war. Diese Aufteilung soll jetzt weiterhin so umgesetzt werden.

Was sagt uns das Spiel über die Saints?

Die große Frage aber lautet natürlich: War es ein einmaliger Ausrutscher? Oder der Anfang eines Trends für New Orleans?

Die Saints hatten viel zu viele Strafen (zwölf akzeptierte Strafen für 90 Yards!), sie verloren defensiv Cornerback Marshon Lattimore, der bis dahin Julio Jones ausgeschaltet hatte und sie beendeten das Spiel 0/3 in der Red Zone. Das sind viele Anomalien auf einmal, die zu dieser deutlichen Niederlage zweifellos beitrugen.

Die Frage, die ich mir am ehesten mit Blick auf langfristigere Takeaways für die Saints stelle, betrifft Brees. Letztes Jahr bereits wurde darüber diskutiert, ob sein Arm nachlässt und ob das die Saints-Offense eindimensionaler macht. Bei seinem Comeback gegen Arizona vor zwei Wochen funktionierte das Kurzpassspiel mit gewohnter Effizienz - doch was ist, wenn das nicht so rund läuft?

Brees wirft ganze 5,1 Prozent seiner Pässe 20 Yards oder weiter Downfield, das ist mit weitem Abstand der geringste Wert aller Quarterbacks mit mindestens 100 Dropbacks. Um das einzuordnen: Der zweitniedrigste Wert gehört - ganz im Stile der Offense - Saints-Backup Teddy Bridgewater (7,2 Prozent), ansonsten ist kein Quarterback mit mindestens 100 Dropbacks unter acht Prozent. An der Liga-Spitze steht Matt Stafford, der fast 20 Prozent seiner Pässe 20 Yards oder weiter feuert.

Den Saints fehlen die Waffen im Receiving-Corps neben Michael Thomas, und ihnen fehlt die Explosivität im Passspiel - sei es aufgrund des Schemes oder aufgrund der Tatsache, dass Brees' Arm doch nachlässt. In der Folge ist New Orleans extrem von Thomas und von der Offensive Line abhängig. Und das könnte sich spätestens in den Playoffs gegen die Top-Teams der Liga rächen.

Ob es ein überraschend guter Auftritt der Falcons gewesen sei, wurde Saints-Pass-Rusher Cam Jordan anschließend noch gefragt. "Absolut", gab Jordan offen zu. "Man weiß, dass der Gegner in einem Division-Spiel alles gibt. Wenn man sich ihre acht Spiele davor anschaut, waren sie nicht gerade gut. Wir standen uns heute selbst im Weg."

Am Ende aber müsse man "das Tape analysieren und dann so schnell wie möglich besser werden. Es gibt keinen Spielraum für Fehler, keinen Spielraum für Nachlässigkeiten. Das heute war nicht der Standard, den wir uns selbst setzen."

Das sind viele Phrasen, aber in gewisser Weise stimme ich Jordan zu: Die Saints wirkten nachlässig und fahrig, womöglich mit der klaren Favoritenrolle zu deutlich im Hinterkopf. Anders gesagt: Die Offensive Line wird sich wieder fangen, davon gehe ich fest aus.

Und gleichzeitig darf man, die hohen Ambitionen der Saints berücksichtigt, das Spiel absolut auch als Warnsignal verstehen was die anderen Bereiche der Offense anbelangt.