NFL

Pistol, Formationen, Blitzgewitter: Die Scheme-Entwicklungen in der NFL

SPOX blickt auf die offensiven Trends in der NFL.
© imago images
Cookie-Einstellungen

Ein neuer Quarterback-Typ

Insgesamt passt das in ein übergreifendes Thema: Der Quarterback-Prototyp in der NFL verändert sich. Jackson ist dabei das Extrem, mit Murray und Josh Allen dann dahinter - doch auch Wentz, Mahomes, Watson, Herbert, Burrow und Daniel Jones: Schaut man auf die Quarterbacks, die über die letzten Jahre in die Liga gekommen sind, fällt auf, dass Mobilität ein zunehmend großer Faktor ist.

Man muss noch immer aus der Pocket gewinnen können, doch die Fähigkeit, zu improvisieren, außerhalb der Play-Struktur zu gewinnen und zumindest vereinzelt auch als Runner eine Gefahr zu sein wird immer wichtiger. Der Super-Bowl-Run der Chiefs hat das abermals unterstrichen, mehrfach war Mahomes hier zu Fuß ein Dosenöffner für die Offense.

Das gibt einer Offense nicht nur zusätzliche Möglichkeiten, im Idealfall kann ein Quarterback eine Defense dann auch bestrafen, wenn sie Man Coverage spielt; einerseits mit präzisen Pässen, andererseits aber auch mit seinen Beinen. Lamar Jackson etwa war mit 0,5 Expected Points Added pro Dropback der beste Quarterback in der NFL gegen Man Coverage.

So lässt sich eine Medaille mit zwei Seiten feststellen. Einerseits ist es ein Kernelement für die besten Offenses der Liga, ihrem Quarterback die Arbeit möglichst zu erleichtern. Das kann durch Spread-Formationen passieren, bei denen die Defense in die Breite gezogen, Matchups isoliert und vor dem Snap mögliche Coverage-Hinweise entlockt werden, wie es die Chiefs oftmals machen. Es kann durch Run Pass Options, Play Action und spezifisch auf Yards nach dem Catch ausgelegte Offenses funktionieren.

Die andere Seite der Medaille? Der Quarterback muss auf einer Play-für-Play-Basis weniger komplexe Reads mit tiefen Dropbacks durchführen; gleichzeitig sollte er, damit die Offense auch über einen längeren Zeitraum auf Elite-Level funktioniert, auf die eine oder andere Art zusätzlichen Value mit seiner Athletik mitbringen. Auch wenn die Offense nicht wie die der Ravens maßgeblich um diese Qualität herum aufgebaut ist.

NFL Offenses: Wie reagieren die Defenses auf all das?

Wohin führt all das? Über die letzten Jahre vor allem dazu, dass Offenses mehr und mehr dominieren. Defenses sind nicht nur in ihrer Entwicklung von Jahr zu Jahr deutlich inkonstanter als Offenses, sie sind auch innerhalb einer Saison anfälliger für größere Schwankungen - abhängig unter anderem vom jeweiligen Gegner - und sind zunehmend in eine Art Komplementär-Rolle zu Offenses gerutscht, wenn man das Gesamtbild unter der Frage, wie man Spiele gewinnt, betrachtet.

Welche Antworten finden Defenses darauf? Ein Trend ist, sich mit Aggressivität wieder ein Stück weit aus der Rolle des stets reagierenden Parts herauszubewegen. Auch hier sind die Ravens weit vorne mit dabei: Baltimore blitzte bei 54,9 Prozent der defensiven Passing-Snaps - eine enorme Zahl und über zehn Prozentpunkte vor den Zweitplatzierten Tampa Bay Buccaneers (43,4 Prozent). Auch New England ist hier seit Jahren vorne mit dabei, die Buccaneers haben ebenfalls schnell die Identität von Todd Bowles in der Hinsicht angenommen.

Der direkte Zusammenhang damit ist Man Coverage. New England, Baltimore, Tampa Bay - all das sind Defenses die deutlich über dem Liga-Schnitt stehen was Man Coverage angeht, um dann daraus möglichst aggressiv blitzen zu können. Und insbesondere New England und Baltimore sind Sub-Backage-Defenses, heißt: Es wird bevorzugt mit mehr als vier Defensive Backs gleichzeitig auf dem Feld gespielt.

Defensive Flexibilität: Die Zukunft für die NFL?

Das hilft dabei, gegen unterschiedliche Matchups bestehen zu können - und es gewährt kreative Freiheiten. Insgesamt zehn Spieler mit über 100 Pass-Rush-Snaps hatten die Ravens in der vergangenen Saison; die Patriots mit derer elf toppen Baltimore sogar noch. Zum Vergleich: Teams, die in ihrem Pass-Rush-Ansatz eher traditioneller vorgehen wie die 49ers (acht Spieler mit mindestens 100 Pass-Rush-Snaps), Steelers (6), Bills (8) oder Colts (8) rangieren merklich dahinter.

Baltimore war in puncto Expected Points Added pro Dropback die ligaweit beste Defense in Man Coverage, wie The Athletic jüngst herausgearbeitet hat. Insgesamt waren die Patriots und Ravens was Expected Points Added bei gegnerischen Dropbacks angeht beide in den Top 4.

Bei den Patriots sind insbesondere Linebacker maßgeblich in den Pass-Rush eingebaut, bei Baltimore hatten mit Chuck Clark und Earl Thomas zwei Safeties über 60 Pass-Rush-Snaps. Beide setzen auf eine Art positionslosen Ansatz, die Ravens noch extremer. Spieler tauchen überall auf dem Feld auf, sodass die Offense aus Pre-Snap-Formationen oftmals keine Schlüsse ziehen kann, was sie nach dem Snap erwartet. Das weiter auszubauen könnte die Defense wieder mehr in eine agierende Rolle befördern.

Die Dolphins haben mit ihrer Cornerback-intensiven Offseason gezeigt, dass sie auf einem ähnlichen Weg sind, die Lions dürften auch noch deutlich mehr in diese Richtung gehen und die Giants könnten ebenfalls diesen Weg einschlagen. Gleichzeitig waren die 49ers und Steelers in der vergangenen Saison mit ihren über die Front aufgebauten Defenses ähnlich erfolgreich.

Das führt letztlich zu einer weiteren Debatte: Ist es lohnenswerter, seine Defense primär über Secondary und Coverage, oder aber über Front und Pass-Rush aufzubauen? Schaut man auf die Trends, scheint zumindest eine kleine Entwicklung in Richtung der Coverage-Denkweise stattzufinden. Aber um das Blatt im konstanten Duell mit den Top-Offenses auch langfristiger wieder wenden zu können, wartet noch ein langer Weg.