3. Neue Matchup-Waffen: Ein Hinweis auf die Zukunft?
Überbewerten sollte man den Sieg der Falcons gegen die Jaguars mit Sicherheit nicht; insbesondere die Offense war keineswegs auf einem überzeugenden Level. Matt Ryan warf für nicht einmal 200 Yards, Jacksonville bewegte den Ball nur bedingt schlechter als Atlanta.
Und doch gab es in der Falcons-Offense einen klaren Lichtblick: Die Rückkehr von Cordarrelle Patterson half nicht nur, das Run Game wiederzubeleben - seine 108 Rushing-Yards (2 Rushing-Touchdowns) waren ein entscheidender Faktor in diesem Spiel. Patterson war auch wieder ein Faktor im Passspiel und die Matchup-Waffe, welche Atlantas Offense die Dimension gibt, die Atlanta ohne echte Wide-Receiver-Waffen und mit einer wackligen Offensive Line dringend braucht.
Was bei den Falcons im Laufe der Saison auffiel, ist, dass sie sich umgestellt haben. Dass sie als das Under-Center-Play-Action-Team in die Saison gestartet sind - also genau das, was man von Arthur Smith erwarten konnte und worin Matt Ryan und Teile dieser Offense bereits unter Shanahan große Erfolge hatten - und im Laufe der ersten Saisonhälfte einen Umbruch eingeleitet haben.
Weg von dieser vermeintlich klaren Identität, hin zu einer Offense, die mehr aus der Shotgun operiert, die mehr Motion einsetzt - und die eben darauf ausgelegt ist, Mismatches bereits vor dem Snap zu identifizieren und zu forcieren und dementsprechend auch mehr gewillt ist, aus Empty vertikal zu gehen, eine schwierige Aufgabe in der heutigen NFL.
Scheme + Matchups + Talent = Erfolg
Ich bin fest davon überzeugt, dass Schemes und Matchups zwei der drei kritischsten Treiber für Erfolg in der NFL sind. Individuelle Qualität macht das Trio komplett, und man könnte hier jetzt auch wunderbar diskutieren, welcher Faktor stärker zu gewichten ist. Für mich wäre vermutlich individuelles Talent auf Platz 1, aber ein in sich schlüssiges und effektives Scheme kann einen Talent-Nachteil mehr als nur ausgleichen.
Der Faktor "Matchups" ist etwas schwieriger zu greifen, und ein Stück weit auch mit den beiden anderen Teilen verknüpft. Aber wir sprechen so häufig darüber, jede Woche wieder, wenn es darum geht, auf Spiele vorauszuschauen und abzuschätzen, wer die Partie gewinnen könnte - und warum.
Ist der Star-Receiver ein noch größeres Problem für die Defense, wenn er in den Slot rückt? Wer übernimmt den Tight End, der zu groß für den Safety und zu athletisch für den Linebacker ist? Und so weiter, und so fort.
Eine Antwort sind Hybrid-Spieler, deren Anzahl in der NFL über die letzten Jahre gestiegen ist. Generell ist gerade die Linebacker-Position über die letzten zehn Jahre signifikant athletischer geworden.
Aber mich fasziniert hier die Weiterentwicklung. Was könnte der nächste Trend sein, welche Spieler präsentieren Defenses die nächste große Herausforderung, was wiederum in der Weiterentwicklung defensiver Spielertypen enden könnte?
Die Falcons bieten eine besondere Problematik
Die Atlanta Falcons sind in dieser Hinsicht das aktuell faszinierendste Team, weil sie gleich zwei solcher Spieler haben.
Kyle Pitts ist spätestens nach dem Ausfall von Calvin Ridley der de facto X-Receiver dieser Offense, und wird so auch aufgestellt. Mehrfach haben Teams ihn jetzt schon mit ihrem Nummer-1-Corner verteidigt, unabhängig davon, dass er eigentlich ein Tight End ist. Eine Taktik, die Defenses in vergangenen Jahren auch schon teilweise gegen Travis Kelce angewandt haben.
Gegen Cordarrelle Patterson - dessen am Sonntag gegen die Cowboys erlittene Knöchelverletzung ihn hoffentlich nicht allzu sehr beeinträchtigt - funktioniert diese Vorgehensweise ganz so einfach nicht; ein Cornerback gegen den Running-Back-Wide-Receiver-Hybrid könnte böse Folgen haben, wenn Patterson sich ins Backfield zurück bewegt und die Falcons plötzlich aus der Spread in eine I-Formation gehen und den Ball durch die Mitte laufen.
Patterson stand nach Woche 10 - in Woche 11 spielte er verletzungsbedingt nicht - bei den siebtmeisten Targets, den drittmeisten Catches, den meisten Receiving-Yards, den meisten Receiving-Touchdowns und den zweitmeisten Yards pro Catch (Minimum: 25 Targets) unter Running Backs.
Vor allem aber deutlich wird die Art und Weise, wie die Falcons ihn hier einsetzen, bei drei Statistiken: Patterson steht bei 3,33 Yards pro gelaufener Route, unter Running Backs mit mindestens 25 Targets stand vor Woche 11 einzig Christian McCaffrey (3,18) über 3 Yards pro gelaufener Route. Seine durchschnittliche Target-Tiefe von 4,7 Yards übertrumpft den Zweitplatzierten David Johnson (3,1) um mehr als eineinhalb Yards.
Und: Patterson wurde laut PFF über die ersten zehn Wochen bei 36,4 Prozent seiner Snaps Out-Wide, also als Outside-Receiver, aufgestellt. Kein anderer Running Back bewegte sich in diesem Zeitraum jenseits der 16 Prozent.
Receiving-Back oder Running-Receiver?
Natürlich ist das Konzept des Receiving-Backs nicht neu; aber selbst exzellente Receiving-Backs wie Alvin Kamara oder Austin Ekeler oder Nyheim Hines arbeiten letztlich auch im Passspiel in erster Linie aus dem Backfield und werden mehr im Screen Game und im sehr kurzen Kurzpassspiel eingesetzt.
Patterson stellt sich im Passspiel tatsächlich zusammenaddiert häufiger im Slot und Outside als im Backfield auf. Das ist eine absolute Kuriosität für einen de facto Starting-Running-Back. Und wir sehen, dass dieser Trend Fahrt gewinnt: Die 49ers mit Deebo Samuel in der "Receiver-Back"-Rolle und George Kittle als vielseitigem Tight End können ähnliche Probleme bereiten. Auch wenn Samuel (noch?) keine klassische Running-Back-Rolle besetzt, die Runs für ihn sind meist eher spezifisch designt, Sweeps, solche Dinge. Seit dieser Woche hat Deebo Samuel die meisten Rushing-Yards aller Zeiten für einen Wide Receiver mit 1.000 Receiving-Yards auf dem Konto
Aber der Trend ist erkennbar, zumal Receiver aus dem Backfield zusätzliche Matchup-Probleme bereiten können.
Patterson gibt Atlanta eine aktuell in der Liga scheinbar einzigartige Option, Matchups auszunutzen. "Scheinbar" ist hier bewusst gewählt, weil ich mir schon vorstellen könnte, dass andere Backs wie McCaffrey oder Ekeler ähnlich eingesetzt werden könnten - aber scheinbar trauen ihre Teams ihnen das nicht in diesem Ausmaß zu.
Mit Patterson können die Falcons in ihr Run Game gehen, wenn der Gegner leichte Boxes präsentiert oder in leichten Formationen rauskommt, und sie können Kapital daraus schlagen, wenn Defenses insbesondere auf Atlantas 12-Personnel-Package - nur Miami spielte über die ersten zehn Wochen mehr 12-Personnel als die Falcons (34 Prozent ihrer Snaps) - mit mehr Linebackern und weniger Sub-Package reagieren.
Es ist kein Zufall, dass Atlanta den Ball bei 69 Prozent seiner Plays mit den beiden Tight Ends und einem Back auf dem Feld den Ball wirft. Der Liga-Schnitt aus 12-Personnel liegt bei 46 Prozent Passing.
Ich bin gespannt, zu sehen, wie das vielleicht den Draft-Prozess über die kommenden Jahre prägen wird. Ob es Spieler geben wird, die mehr aus der Wide-Receiver-Ecke kommen und dann in der NFL eine Hybrid-Rolle einnehmen, in die Richtung wie Browns-Rookie Demetric Felton es im College angedeutet hatte.
Wer Personnel-Matchups kreieren kann, hat in der NFL einen massiven Vorteil. Ich sehe aktuell wenige Spieler individuell für sich betrachtet, die in dieser Hinsicht einen größeren Impact haben als Patterson; und wir alle wissen: Was in der NFL funktioniert, wird von der NFL kopiert.