In ihren ersten NHL-Jahren als Expansion-Team bezogen die Philadelphia Flyers jede Menge Prügel. Aus einem Team ohne Rückgrat und Identität formte Klub-Besitzer Ed Snider dann jedoch eine Legion des Zorns, die sich in den 70er Jahren die bedingungslose Liebe einer ganzen Stadt und den abgrundtiefen Hass einer ganzen Eishockey-Nation erkämpfte: Die Broad Street Bullies.
35 Jahre sind eine lange Zeit. Und genau so lang warten die Philadelphia Flyers inzwischen auf einen Stanley-Cup-Triumph. Unter Coach Peter Laviolette knüpften die Flyers in der vergangenen NHL-Saison beinahe an alte Erfolge an, doch die Chicago Blackhawks machten ihnen in den Finals einen kräftigen Strich durch die Rechnung. Dennoch Grund genug, einen Rückblick auf die glorreichste und zugleich wohl zwielichtigste Zeit der Flyers zu wagen.
Es war das Jahr 1969, als Ed Snider, Besitzer der Philadelphia Flyers, endgültig genug hatte. Das junge Team aus Philly war seit inzwischen zwei Jahren als Expansion-Team in der NHL unterwegs und bekam dort regelmäßig böse Abreibungen von etablierten Mannschaften wie den Boston Bruins oder den New York Rangers - kurz: den Original Six.
Dazu kam: Die als wenig weltoffen geltende Arbeiterstadt Philadelphia hatte ein eher kühles Verhältnis zum Eishockeysport, die Begeisterung für das rückgratlose Team hielt sich stark in Grenzen. Snider spürte, dass sich etwas ändern musste.
"Wenigstens wurden wir nicht mehr verprügelt"
"Wir hatten realisiert, dass wir größer, härter und stärker werden mussten. Wir wussten, dass wir in der Phase des Wachsens vielleicht nicht viele Spiele gewinnen würden, aber wenigstens wurden wir nicht mehr verprügelt", sagte Snider. Der Klubchef schwor damals nach einem blutigen Massaker gegen die St. Louis Blues, dass sein Team von nun an kein Opfer mehr sein sollte. Er bewirkte radikale Änderungen in der Draft-Strategie der Flyers.
ImagoNach und nach lotste man ungewöhnlich viele Cops, also extrem körperbetonte Spieler, die den wertvollen Akteuren den Rücken freihalten sollten, nach Philly. Der Bedeutendste unter ihnen kam 1972: Dave Schultz, genannt "The Hammer".
Eine weitere folgenschwere Verpflichtung tätigten die Flyers bereits zwei Jahre zuvor mit dem jungen Bobby Clarke. Kein Team der Liga wollte den an Diabetes erkrankten Center unter Vertrag nehmen. Ed Snider riskierte den Deal dennoch und zog damit einen kommenden Superstar an Land.
Wie Snider prophezeit hatte, hielt sich der sportliche Erfolg der umgebauten Flyers zunächst in Grenzen. Spätestens in der ersten Playoff-Runde scheiterte das Team aus Philly regelmäßig an den Original-Six-Teams. Dennoch hatten die Flyers im Laufe der Zeit gewonnen: und zwar ligaweiten Respekt und eine eigene Identität.
"Wir hatten das gefährlichste Tier im Hockey-Jungle"
Zu dieser neuen Identität trug Dave Schultz einen wesentlichen Teil bei. Abseits der Eisfläche wirkte der junge Left Wing schüchtern, bekam in Interviews kaum einen Satz stotterfrei heraus. Sobald er jedoch die Spielfläche betrat, änderte sich das schlagartig. Seine gnadenlos-brachiale Spielweise ließ das Spectrum an der Broad Street in Philadelphia beben. "Sein Mund zuckte und seine Augen wurden riesig", sagt US-Sportreporter Howard Eskin über den Hammer. Ed Snider blickt mit einiger Genugtuung auf die Taten seines Cops zurück: "Er nahm sich jeden Spieler von jedem Team, das uns früher verprügelt hatte, zur Brust und machte ihn fertig."
Schultz soll sich schon in der Nacht vor einem Spiel überlegt haben, mit welchem Gegenspieler es zum Kampf kommen könnte und spielte das Duell schon im Kopf durch, um sich mental darauf vorzubereiten. "Wir hatten das gefährlichste Tier im Eishockey-Jungle", sagte ein damaliger Mitspieler passend dazu.
Schultz selbst betrachtete seine brutale Spielweise als zielgerichtete Strategie: "Wenn jemand einen unserer Schlüsselspieler einschüchtern wollte, musstest du ihm klarmachen: 'Du drehst dich besser um, denn jemand ist hinter dir her'. Irgendjemand musste das tun - und ich tat es.'" Schnell war Schultz in der gesamten NHL gefürchtet. Wie ein Berserker brach er sämtliche Rekorde für Kämpfe und Strafzeiten (1042 Strafminuten in den Saisons '73/'74 und '74/'75).
Sein Team riss Schultz durch das stürmische Auftreten (Video-Kostprobe) mit: "Dadurch haben alle unsere Spieler mit größeren Eiern gespielt", erinnert sich Ed van Impe. Mit Bob "Machine Gun" Kelly (Snider: "Er konnte 30 Schläge machen, bevor du einen machtest") und Don Saleski hatte Schultz zudem Mitstreiter ähnlichen Kalibers an seiner Seite. Schnell erhielten die Flyers einen bezeichnenden Spitznamen: Broad Street Bullies.
Winning ugly: Einschüchterung als Strategie
Körperkontakt und Prügeleien waren auch im damaligen Eishockey natürlich nichts Neues. Das Ausmaß, in dem Philly beides zelebrierte, dagegen schon. Die gnadenlose Hau-Drauf-Mentalität machte schnell Schule bei den Flyers, wurde zum wirkungsvollen Game-Plan, der Siege brachte. "Sie taten, was noch kein Team zuvor getan hatte. Sie haben das Kämpfen zu ihrer Taktik gemacht", sagte der ehemalige NHL-Direktor Stu Hackel. "Wir gingen einfach raus und vernichteten die Leute. Dadurch wurden sie ineffektiv und wir gewannen", erklärt Flyers-Altstar Saleski trocken.
Doch es waren nicht bloß Aggression und Brutalität, die Philly endlich zum ersehnten Erfolg führten. Beide Komponenten ermöglichten einen nie zuvor dagewesenen Freiraum für die exzellente Tormaschinerie der Flyers: Bobby Clarke und Rick MacLeish.
Der durch sein zahnloses Grinsen unverwechselbare Clarke erfuhr schnell einen gewaltigen Aufstieg in der Hackordnung des Teams, das ihn nur noch den Don rief. Seine Mitspieler folgten Clarke bedingungslos, machten hingebungsvoll die Drecksarbeit für ihn. Ein Flyers-Rookie, der sich einmal mit ihm im Trainingslager angelegt hatte, fuhr danach eine Woche lang nach jeder Einheit ins Krankenhaus.
So formte sich eine eingeschworene Bruderschaft, die auch fernab der Arena wie Pech und Schwefel zusammenhielt. Mit Schnauzbart und Lederjacke ausgestattet, fast wie Porno-Stars daherkommend, ließen sich die Flyers-Spieler nicht selten geschlossen in ihrer Stammkneipe Rexy's blicken. Die Ehefrauen waren dabei im Gegensatz zu den inzwischen zahlreich vorhandenen Groupies tabu. Dave Schultz meint: "Wenn es zu dieser Zeit Reality-Shows mit laufenden Kameras gegeben hätte, hätten die Leute gesagt: 'Das kann nicht wahr sein.'"
Weiter zu Teil II: Grenzgänger zwischen Talent und Terror
Sportlich fehlte zum großen Wurf der Flyers aber noch eine letzte Zutat. Mit Goalie Bernie Parent holte Philadelphias Coach Fred Shero dieses fehlende Puzzlestück dazu. Parent, der schon in den 60er Jahren für die Flyers auf dem Eis stand, kam in blendender Verfassung zurück. "Er nervte uns jeden Tag beim Training. Man konnte gegen ihn einfach nicht treffen", erinnert sich Clarke.
Mit Parent war der ungewöhnliche Keeper für ein ungewöhnliches Team gefunden: "Er war vollkommen wahnsinnig", meint Mitspieler Bobby Taylor.
Sportlich erfolgte der endgültige Siegeszug der durch Parent komplettierten Truppe dann in der Saison 1973/74. Längst hatten sich die Grenzgänger zwischen Talent und Terror ins Herz von Philadelphias Bevölkerung gespielt. Die dreckige Spielweise schien das Heilmittel für eine Stadt zu sein, die nach Aufschwung lechzte.
Das Team personifizierte das damalige Philadelphia perfekt: Blut, Schweiß und harte Arbeit. Die euphorischen Fans gaben der Truppe im Spectrum noch ein Quentchen Extra-Biss.
Flyers fordern Bobby Orr und die Bruins
In der regulären Saison erkämpften die Flyers sich den Conference-Sieg. Den Weg dahin pflasterten 715 Strafminuten und 103 Faustkämpfe - mehr als doppelt soviel wie beim nächsthärtesten Team.
Diese Schreckensherrschaft dauerte auch in den Playoffs an, wo die Flyers im Halbfinale sensationell die New York Rangers rauswarfen. Nie zuvor hatte ein Expansion-Team einen etablierten Vertreter der Original Six in der K.o-Runde eliminiert. Bobby Clarke erinnert sich noch gut: "Es war Krieg."
ImagoIm Endspiel warteten schließlich die hochfavorisierten Boston Bruins. Die Big Bad Bruins mit ihren Superstars Bobby Orr und Phil Esposito ließen sich als eines der wenigen NHL-Teams nicht vom rohen Habitus der Flyers einschüchtern. Nach fünf engen Spielen lag Philly dennoch mit 3:2 in Führung, hatte Heimvorteil in Spiel sechs - der Titel war zum Greifen nah.
Und es wurde ein denkwürdiger Abend: Ein Treffer von Rick MacLeish und eine Sensationsleistung von Keeper Parent entfachten einen furiosen Jubelsturm im Spectrum. Die Flyers hatten den Stanley Cup gewonnen. Eine Sensation in der NHL.
Gehasst, verdammt, vergöttert
Zwei Millionen Fans feierten das Team um Bobby Clarke und Dave Schultz in den Straßen von Philadelphia. Die Stadt hatte endgültig neue Helden. Doch so sehr die mehrheitlich aus Kanadiern bestehende Mannschaft in Philadelphia geliebt wurde, so sehr hasste man sie an jedem anderen Ort Amerikas.
Der damalige NHL-Präsident überreichte den Cup nur äußerst widerwillig an die barbarische Horde. "Lasst eure Frauen und Kinder im Haus - die Flyers kommen" oder "Tiere auf Schlittschuhen", hieß es in amerikanischen Zeitungen.
In der nächsten Saison musste die Truppe oftmals unter Polizeischutz in die Arenen geführt werden. Ed van Impe erinnert sich noch bestens an die gefährlichen Auswärtsfahrten: "Sie haben uns vier oder fünf Blocks von einer Ampel zur anderen gejagt und wenn sie am Bus waren, haben sie uns die Fäuste entgegen gestreckt."
Der heftige Gegenwind stellte für die erschütterungsresistenten Flyers kein Problem dar. Bobby Clarke amüsiert sich noch heute darüber: "Man bekommt die üblichen Todesdrohungen und das war gut so - ich liebte das. Sie sollen dich ja auch hassen, du tust ja nichts, um das zu ändern." Konsequent blieben die Flyers ihrer Linie auch im nächsten Jahr treu und schafften das, was niemand für möglich gehalten hatte: die Titelverteidigung.
"Wir müssen uns bei niemandem entschuldigen"
Ein Jahr später, 1976, erreichten die Flyers nochmals das Finale. Es passt historisch genau ins Bild, dass dieses Finale gegen die Montreal Canadiens mit 0:4 verloren ging. Allmählich zollte das Team aus Philadelphia seiner aggressiven, körperlichen Spielweise Tribut. Die Mannschaft war sprichwörtlich verbraucht. Das visionäre, filigrane Spiel der Canadiens stellte das alte Wertesystem der NHL wieder her, die dunkle Seite des Eishockeys war besiegt. Eine Ära in Philadelphia neigte sich dem Ende zu.
So wurden die 70er Jahre für Eishockey gleichzeitig zum Höhe- und Tiefpunkt. Talentierte Spieler wie Bobby Orr leisteten Pionierarbeit, die sich noch heute im Sport niederschlägt. Und dann gab es da eben noch die Flyers, die den Sport völlig anders interpretierten. Doch selbst Phil Esposito, der '74 mit den Bruins im Finale gegen die Flyers antrat, respektiert die Leistung seiner Gegner: "Egal, ob man Broad Street Bully oder sonstwas ist - wenn man nicht das Talent dazu hat, gewinnt man nicht."
Inzwischen haben die Broad Street Bullies das Rentenalter erreicht. Noch immer werden die ergrauten Herren in Philadelphia als Legenden verehrt, noch immer bleibt die Anerkennung jenseits der Stadtgrenzen aus.
Im Juli sprach die "Sports Illustrated" den Flyers der Saison 74/75 Rang vier der meistgehassten Sportteams aller Zeiten zu. Und noch immer sind sich die Bullies einig: "Wir müssen uns bei niemandem entschuldigen."