SPOX: Herr Krueger, das Thema Kopfverletzungen ist in der NHL allgegenwärtig. Erst der zumindest fragwürdige Hit von Zdeno Chara gegen Max Pacioretty - und jetzt wurde Wiederholungstäter Matt Cooke mit einer langen Strafe belegt. Wie sehen Sie die Situation?
Ralph Krueger: In dieser Saison gibt es in der Tat ungeheuer viele Kopfverletzungen und Gehirnerschütterungen, deshalb reagiert man auch sehr extrem darauf. Was Chara angeht: Er ist kein Spieler, der so etwas absichtlich macht. Solche Checks sieht man jeden Abend mehrfach - wenn dort nicht die Plexiglaskante gekommen wäre, wäre auch nichts passiert. Das waren sehr unglückliche Umstände, eine Sperre hätte ich nicht für gerechtfertigt gehalten. Aber dass die Zahl der Verletzungen immens hoch ist, bleibt ein Fakt. Bei den Penguins sind bis vor kurzem vier Spieler gleichzeitig mit Gehirnerschütterungen ausgefallen.
SPOX: Haben Sie eine Erklärung für die Häufung?
Krueger: Ich sehe bis auf wenige Ausnahmen nicht, dass sich Spieler absichtlich gegenseitig verletzen wollen. Es geht viel mehr darum, dass in der NHL viele Spieler jeden Tag unglaublich hart um ihren Platz kämpfen. Es sind pro Team nur zehn bis zwölf Mann, die ihren Platz sicher haben und immer wissen, dass sie dabei sind. Die anderen Jungs müssen jeden Tag fighten. Und das sind genau die Kämpfertypen, die nur in der NHL bleiben, wenn sie physisch spielen. Tun sie das nicht, gehen sie sofort in die Minor Leagues. Die physische Komponente ist in der NHL noch sehr stark ausgeprägt. Dazu kommt, dass das Fitness-Niveau der Spieler enorm hoch ist. Ein Teil des Problems ist auch die Geschwindigkeit.
SPOX: Heißt das auch, dass die neuen Regeln in gewisser Weise zum Problem geworden sind?
Krueger: Genau so ist es. Die neuen Regeln sind nicht nur gut. Man hat mehr Geschwindigkeit zugelassen - mit der Folge, dass man die Spieler gar nicht mehr richtig aufhalten kann. Verteidiger in der NHL zu spielen, ist nicht einfach. Ein Christian Ehrhoff oder Dennis Seidenberg werden das bestätigen. Die Stürmer kommen mit so einem gewaltigen Speed auf die Verteidiger zu. Früher konnte man die Forechecker noch besser aufhalten, das geht heutzutage nicht mehr. In dieser Hinsicht sollte man die Regeln vielleicht noch einmal überdenken.
SPOX: Mit Rookie Taylor Hall trainieren Sie in Edmonton selbst einen der aufregendsten Jungstars der Liga, leider hat er sich vor einiger Zeit unglücklich verletzt und fällt bis Saisonende aus. Nur die wirklich eingefleischten NHL-Fans kennen Hall in Deutschland schon sehr gut. Wie würden Sie ihn beschreiben?
Krueger: Taylor Hall ist ein Spielertyp, wie es Mark Messier früher war. Er ist ein absoluter Powerflügel. Wenn er sich auf dem Eis eine Bahn gesucht hat und unterwegs ist, ist er nicht mehr zu stoppen. Er ist sehr geradlinig und geht ohne Furcht und mit viel Dynamik in jede Situation hinein. Er ist so eine Art Mischung aus Sidney Crosby und Alexander Owetschkin. Es ist wahnsinnig schade, dass er so früh ausgefallen ist. Er war schon mit 19 Jahren jeden Abend eine Attraktion, er hat in jedem Spiel Akzente gesetzt und war ein Führungsspieler bei uns. Die Fans hätten auch bei der WM in der Slowakei ihre Freude an ihm gehabt, er war für das kanadische Team vorgesehen.
SPOX: Die Oilers sind gespickt mit Nachwuchsstars. Es gibt ja nicht nur Hall, sondern zum Beispiel auch einen Jordan Eberle. Um wirklich in den Playoffkampf eingreifen zu können, ist man aber noch zu grün. Wie bewerten Sie die Saison in Edmonton?
Krueger: Es ist natürlich keine einfache Saison, weil wir viele Führungsspieler im Tausch gegen höhere Draftpicks weggetradet haben. Dennoch spielen wir gut mit. Es gibt eigentlich kaum Spiele, in denen wir nicht konkurrenzfähig sind und keine Chance haben. In Detroit haben wir letztens bis kurz vor Schluss 1:0 geführt, obwohl sechs Spieler verletzt gefehlt haben. Am Ende fehlt uns einfach noch die Erfahrung. Das Gute ist, dass Edmonton eine Stadt ist, die viel Geduld aufbringt. Die Oilers-Fans wissen, dass es einige Jahre dauert, um eine Mannschaft aufzubauen. Sie stehen voll hinter uns, die Halle ist bei jedem Spiel voll. Es ist nicht so, wie in anderen Städten, wo schnell Panik aufkommt und der Trainer sofort unter Druck steht. Wir haben die Chance, eine sehr gezielte Aufbauphase zu gestalten.
SPOX: Aber Sie sind ein Coach, der so viele Niederlagen nicht gewöhnt ist. Wie gehen Sie damit um?
Krueger: Das ist richtig, ich bin ein Typ, der nicht gut verlieren kann. Aber wir machen jeden Tag viele gute Sachen mit den Spielern, die Entwicklung stimmt. Der Weg ist zwar noch hart, aber in der nächsten Saison müssen wir zumindest soweit sein, dass wir in der jetzigen Saisonphase noch im Playoffkampf dabei sind. In die Playoffs zu kommen, wird auch in der nächsten Saison noch sehr schwierig, aber wenn wir eine Entwicklung machen und nicht so weit davon entfernt sind, wären die Fans auch zufrieden.
SPOX: Sie waren sehr lange Nationaltrainer in der Schweiz. Wie kam es dazu, dass Sie in den Trainerstab der Oilers gewechselt sind? Sie sind als sogenannter Associate Coach hinter Tom Renney der zweite Mann.
Krueger: Mehrere NHL-Mannschaften haben mich in den letzten Jahren gefragt, jetzt hat es mit Edmonton ideal gepasst. Das Entscheidende für mich war, dass ich nach 13 Jahren in der Schweiz unbedingt noch einmal besser werden wollte als Headcoach. Ich wollte aus der Komfortzone heraus und mit 50 noch einmal eine Art Ausbildung machen. Ich möchte in näherer Zukunft wieder als Headcoach arbeiten, dann will ich ein besserer Trainer sein, als ich es zu meinen Schweizer Zeiten gewesen bin. Ich lerne hier von morgens bis abends, ich studiere die Mannschaften, die gegnerischen Trainer - und mit Renney arbeite ich ganz eng mit einem erfahrenen Coach zusammen, der auch international bekannt ist. Ich habe die Möglichkeit, überall mitzusprechen und auch das Training zu leiten. Ich werde als besserer Trainer zurückkommen, darum geht es mir.
SPOX: Sie zieht es also zurück nach Europa? Haben Sie keine Ambitionen, Headcoach in der NHL zu werden?
Krueger: Das muss nicht sein. Ich bin auch sehr glücklich, wenn mich mein nächster Job als Headcoach wieder nach Europa bringt. Ich bin wirklich nur hier, um zu lernen und einen Insider-Blick in die NHL zu bekommen. Das Wichtigste ist nicht, ob es dann mal für einen Job als Headcoach in der NHL reicht. Das Wichtigste ist, dass ich mich weiterentwickle. Es sind maximal zwei Jahre Edmonton geplant, danach werden meine Frau und ich schauen, wie die Situation ist. Europa bleibt auf jeden Fall unser Zuhause. Das ist ganz klar.
Ralph Krueger über den Bundestrainer-Job und ungewöhnliche Coaching-Methoden