Eishockey in der Wüste? Klingt komisch, doch für Tobias Rieder gehört das zum Alltag. Im Interview spricht der Youngster über sein NHL-Debüt bei den Arizona Coyotes, einen ominösen Zettel und Duelle mit Leon Draisaitl.
SPOX: Tobias, die NHL-Welt dreht sich schnell weiter, trotzdem müssen wir natürlich mit dem 1. Dezember 2014 beginnen. Arizona gegen Edmonton. Zweites Drittel. Und 58 Sekunden, die Ihr Leben ziemlich verändert haben dürften.
Tobias Rieder: Das stimmt, der Doppelpack in Unterzahl war einfach fantastisch. Mir wurde erst nach der Partie so richtig bewusst, was gerade passiert war. Auf dem Eis ist man so fokussiert, dass man nur Gedanken an den Puck und den Gegner verschwendet.
SPOX: Sie haben mit den beiden Treffern sogar einen neuen NHL-Rekord für Rookies aufgestellt. Wie haben die Kollegen reagiert?
Rieder: Beim ersten Treffer bin ich ganz normal zur Bank zurückgefahren. Natürlich habe ich mich gefreut, aber ich habe in meiner Karriere schon das eine oder andere Tor erzielt, deswegen war das nichts Weltbewegendes. Beim Zweiten wurde ich dann doch ein wenig stutzig, weil mich meine Teamkollegen ziemlich komisch angeschaut haben. Da konnte man schon eine Vorahnung haben, dass so etwas nicht jeden Tag passiert.
SPOX: Bei Ihrem zweiten Tor halten Sie kurz vor dem Schuss mit einer Hand den Schläger Ihres Gegenspielers fest und verhindern so, dass er Ihnen den Puck abluchst. Geschieht so ein Move intuitiv?
Rieder: Ich würde das mal auf meine Instinkte schieben.Ich habe in der Szene gemerkt, dass ein Verteidiger mit seinem Schläger von hinten heranrutscht. Hätte ich mit meiner Hand nicht seinen Schläger festgehalten, hätte er mir den Puck wegschießen können. Das klappt aber auch nicht immer.
SPOX: Haben Sie überhaupt schon mal in Ihrer Karriere zwei Treffer in Unterzahl erzielt?
Rieder: Ja, sogar in dieser Saison. Das war allerdings noch in der AHL bei Portland. Ansonsten kann ich mich noch an ein Spiel vor drei Jahren in einer Juniorenliga erinnern, da ist mir so etwas auch schon mal gelungen. Aber das war natürlich noch auf einem ganz anderen Niveau.
SPOX: Durch Ihren Eintrag in die Geschichtsbücher standen Sie zumindest für kurze Zeit im Scheinwerferlicht der NHL. Wie sind Sie mit dem Rummel umgegangen?
Rieder: Das war schon verrückt. Als ich danach auf mein Handy geschaut habe, hatte ich unglaublich viele SMS und Facebook-Nachrichten. Es war ein schönes Gefühl, so viele Menschen haben an mich gedacht und mir gratuliert. Manch einen würde das vielleicht nerven, aber ich habe das einfach nur genossen.
SPOX: Der Doppelpack war der vorläufige Höhepunkt Ihrer letzten Monate, nachdem Sie Anfang November Ihr NHL-Debüt gegeben hatten. Hand aufs Herz: Können Sie das Ganze eigentlich schon begreifen?
Rieder: Mittlerweile schon, aber ich wache jeden Tag mit einem Lächeln auf. In die Halle zu fahren und mit der Mannschaft in der Kabine zu sitzen, das ist ein Traum, den ich jetzt leben darf. Diese Zeit samt den Eindrücken und Erlebnissen nimmt mir niemand mehr.
SPOX: Wie haben Sie von Ihrer ersten Berufung in den NHL-Kader der Coyotes erfahren?
Rieder: Ich war gerade in Albany mit der AHL-Mannschaft und saß im Hotelzimmer. Gegen 23 Uhr rief mich mein AHL-Trainer aus einem anderen Zimmer an und sagte, ich solle morgen in der Früh ein Taxi zum Flughafen nehmen, weil ich nach Washington fliege.
SPOX: Und Ihre Reaktion darauf?
Rieder: Ich habe mich riesig gefreut und war so aufgeregt, dass ich nachts kaum schlafen konnte. Das erklärt vielleicht auch die Abreise, die ziemlich überstürzt ablief.
SPOX: Inwiefern?
Rieder: Als ich nach Washington geflogen bin, hatte ich nur den Trainingsanzug der AHL-Mannschaft und eine Zahnbürste dabei. Nach dem Spiel gegen die Capitals bin ich sofort zum Einkaufen gefahren. Das hört sich vielleicht komisch an, aber ich habe wirklich den ersten Monat mit ein paar T-Shirts und kurzen Hosen überbrücken müssen, bis meine Sachen aus Portland angekommen sind.
SPOX: Das konnten Sie wohl verschmerzen, immerhin erzielten Sie in Ihrem ersten Spiel gleich Ihr erstes Tor, und dann auch noch gegen Alex Ovechkin und Co. War danach ein Einstand fällig?
Rieder: Nein, das Team hat nichts Großartiges gefordert. Allerdings ist es Brauch, dass man beim ersten NHL-Einsatz ein wenig Geld auf den Tisch legt. Wenn man das Spiel dann gewinnt, wandern die Dollar in die Mannschaftskasse. Aber damit konnte ich leben.
SPOX: Mit gerade einmal 22 Jahren spielen Sie nun an der Seite von Stars wie Antoine Vermette oder Routinier Shane Doan. Wie groß ist die Ehrfurcht?
Rieder: Ach, das ist nicht so schlimm. Das Team hat mich perfekt aufgenommen. Außerdem kannte ich fast alle Spieler bereits aus dem Training Camp im Sommer, das gegenseitige Beschnuppern, wie der eine oder andere tickt, fiel also aus. Die anderen Spieler haben sich eher für mich gefreut, dass ich den Sprung in die NHL geschafft habe.
SPOX: Und das dürfte sich erst mal auch nicht ändern. Anfang Dezember haben Sie einen ominösen Zettel von den Coyotes bekommen. Was hat es damit auf sich?
Rieder: Ja, dieser Zettel war Gold wert. In meiner Anfangszeit habe ich noch im Hotel gewohnt. Das wird zwar vom Klub bezahlt, aber die komplette Saison dort zu wohnen, ergibt ja keinen Sinn. Deswegen bekommt man von der Franchise einen Zettel, wenn langfristig mit einem geplant wird. Das ist quasi die Aufforderung, sich eine eigene Wohnung zu suchen.
SPOX: Wussten Sie denn von der symbolischen Bedeutung?
Rieder: Ja, ich habe ihn nicht weggeworfen, wenn Sie das meinen (lacht). Marco Sturm hat mir vor ein paar Jahren davon erzählt. Nicht nur deswegen bin ich ihm sehr dankbar. Marco hat mir einige Tipps gegeben, als ich mich entschlossen habe, den Schritt nach Amerika zu wagen. Wir sind auch jetzt immer noch häufig in Kontakt.
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SPOX: Lange dauerte Ihre Wohnungssuche nicht. Sie haben relativ schnell ein Zimmer bei Ihrem Teamkollegen Connor Murphy bezogen. Wie ist das Zusammenleben unter NHL-Profis?
Rieder: Ich kann mich dran gewöhnen. Aber es ist nicht so, dass wir die ganze Zeit aufeinander hocken. Wir teilen uns ein großes Appartement, jeder hat sein eigenes Zimmer und sein eigenes Bad. Wir kommen uns also nicht oft in die Quere. Für mich ist es sowieso keine komplett neue Situation, ich habe bereits in der letzten Saison mit einem Teamkollegen zusammengewohnt. So wird es nie langweilig und man hat immer jemanden, mit dem man ein bisschen Xbox zocken kann.
SPOX: Oder abends die Stadt unsicher machen kann.
Rieder: Das passiert eher weniger (lacht). Die meisten Kollegen haben Familie und verbringen ihre freien Tage mit Frau und Kindern. Und ich muss ganz ehrlich zugeben, wenn mal kein Spiel ansteht, bin ich ganz froh, auch mal auf der Couch zu sitzen und fernzusehen.
SPOX: Was bei der Hitze in Arizona vielleicht gar keine so schlechte Idee ist. In Deutschland stellt man sich den "Grand Canyon State" häufig als eine große Wüste vor. Wie passt das eigentlich mit Eishockey zusammen?
Rieder: Das eine schließt das andere ja nicht aus. An die Umgebung muss man sich allerdings schon gewöhnen.Es gibt sehr wenig Gras zu sehen, dafür viel Sand und Steine. Besonders auffällig ist das, wenn man den Highway entlangfährt. Dort wimmelt es nur so vor roten Bergen, Kakteen und Palmen.
SPOX: Lassen Sie uns wieder zum Eishockey zurückkommen. Seit dem historischen Doppelpack ist etwas Zeit vergangen. Fühlen Sie sich mittlerweile als fester Bestandteil der Coyotes?
Rieder: Auf jeden Fall. Es kann sich in der NHL natürlich schnell ändern. Von dem einen auf den anderen Tag wird ein Spieler zurück in die AHL geschickt oder ein Verein geht einen Trade ein. Derzeit bekomme ich allerdings viel Eiszeit und werde in Über- und Unterzahl eingesetzt, das gibt mir Selbstbewusstsein.
SPOX: Spricht der Coach mehr mit Ihnen als mit den etablierten Spielern?
Rieder: Nein, in Amerika ist das anders als in Deutschland. Hier sprechen die Trainer weniger mit den Spielern. Am Anfang wurde mir nur gesagt, ich solle einfach das spielen, was ich in der AHL gezeigt habe. Das war es dann auch. Man erkennt die Wertschätzung des Coaches eher an der Eiszeit.
SPOX: Das haben Sie in Ihrer Karriere auch anders erlebt. Sie wurden 2011 von den Oilers gedraftet, wurden dort aber nicht glücklich. Warum?
Rieder: Damals hatten die Oilers viele gute und junge Spieler, die denselben Spielstil hatten wie ich. Bereits in den Camps habe ich gemerkt, dass die Konkurrenz auf meiner Position sehr groß war. Das habe ich dann ganz nüchtern zusammen mit meinem Berater analysiert. Wir sind zum Entschluss gekommen, dass ich bei einem anderen Verein größere Chancen hätte, den Durchbruch zu schaffen.
SPOX: Leon Draisaitl erlebt in Edmonton momentan ebenfalls eine schwere Zeit und wurde zuletzt in die WHL versetzt. Wie schwer ist der Sprung von einer Nachwuchsliga in die NHL?
Rieder: Ich kann nur für mich sprechen, aber es ist ein großer Unterschied. Man spielt gegen die besten Spieler der Welt, wenn man einen Fehler macht, dann wird das knallhart bestraft. Andererseits ist es leichter, weil diese Spieler immer wissen, wann sie einen Pass spielen können.
SPOX: Stehen Sie mit Draisaitl eigentlich regelmäßig in Kontakt?
Rieder: Nein, nicht großartig. Jeder von uns hat viel Stress mit den Reisen und Spielen, da bleibt oft nicht viel Zeit.
SPOX: Auf dem Eis haben Sie sich in dieser Saison viermal getroffen, viermal hieß der Sieger Tobias Rieder. Ist Ihnen da mal ein Spruch rausgerutscht?
Rieder: Das gehört doch dazu (lacht). Wenn man auf dem Eis steht, sagt man kurz "Servus" oder bringt einen Spruch. Es heißt zwar, dass es auf dem Eis keine Freunde gibt, aber man merkt schon, dass man gegenseitig besser aufeinander aufpasst.
SPOX: Sie haben wie Draisaitl früh den Weg in die USA gewagt. Ist das der Weg, den der Nachwuchs einfach gehen muss?
Rieder: Das kann man nicht pauschal sagen. Bei mir war es so, dass ich unbedingt nach Amerika wollte. Mein Gedanke war, dass ich jederzeit zurückkehren kann, wenn ich es nicht schaffe. Es läuft mir in Deutschland nichts davon. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass jeder die Chance nutzen sollte, wenn sie sich ihm bietet.
SPOX: Aber es gab in Ihrer Anfangszeit sicherlich die eine oder andere Hürde?
Rieder: Mein Vorteil war, dass ich bereits ein Jahr zuvor vor Ort war und mir alles angeschaut habe. Das war sehr wichtig, ich habe auch meine Gastfamilie kennengelernt. So wusste ich sofort, was mich erwartet. Grundsätzlich hat man sich sehr gut um mich gekümmert. Einer der Trainer hat mich zum Beispiel vom Flughafen abgeholt, danach stand mir das komplette Team mit Rat und Tat zur Seite.
SPOX: Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft. Glauben Sie, dass die Coyotes noch eine Chance auf die Playoffs haben?
Rieder: Natürlich, die Chance ist immer da. Wir haben auch mal gegen die Ducks gewonnen, und Anaheim ist immerhin das beste Team der Liga. Sollten wir dieses Niveau gegen andere Mannschaft abrufen können, dann ist alles möglich.
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