NHL

"Finde mich besser als vor 25 Jahren"

Von Interview: Dirk Sing
Jaromir Jagr anno 2006 in der Kabine der New York Rangers
© getty
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SPOX: Wir haben das Thema Mentor bereits angesprochen. Als Sie bei den Pens angefangen haben, war Mario Lemieux dort der große Superstar. Würden Sie Ihn als Ihren damaligen Mentor bezeichnen?

Jagr: Klar, wenn du das große Glück hast, mit einem Spieler wie Mario Lemieux, der zu diesem Zeitpunkt schon eine richtige Legende war, in einer Mannschaft zu stehen und du nicht dumm bist, dann kannst du davon nur profitieren. Du kannst ihn in jedem Training, bei jeder Spielvorbereitung und natürlich auch bei jedem Match sehen und beobachten, wie er gewisse Dinge macht. Ich habe sehr viele Dinge von ihm gelernt.

SPOX: Ihre Zeit in Pittsburgh hat sich zu einer echten Erfolgsgeschichte entwickelt. Sie haben mit den Pens zwei Stanley Cup-Triumphe gefeiert und gewannen darüber hinaus zahlreiche persönliche Auszeichnungen. Ein Ende fand die "Traumehe Pittsburgh/Jagr" jedoch im Juli 2001, als Sie zu den Washington Capitals getradet wurden. Über die Hintergründe gab es damals viele Geschichten und Gerüchte. Können Sie uns verraten, was der wahre Grund war?

Jagr: Ehrlich gesagt möchte ich darüber heute nicht mehr sprechen, da es einfach schon zu lange her ist. Es war damals für alle Seiten ein neuer Start. Auch für mich.

SPOX: Sie haben anschließend für die Caps (2001 bis Januar 2004) und die New York Rangers (bis 2008) gespielt und sich danach entschieden, die National Hockey League in Richtung Avangard Omsk zu verlassen. Was hat Sie am Wechsel von der NHL in die KHL gereizt?

Jagr: Nun, ich hatte ja bereits einen Großteil des NHL-Lockouts in der Saison 2004/2005 in Omsk verbracht. Dort hat es mir wirklich sehr, sehr gut gefallen. Die Leute waren immer enorm freundlich und haben sich extrem um mich gekümmert. So etwas vergisst man nicht. Als ich dann nach New York zurückkehrte, hatte ich bereits während meines letzten Vertragsjahrs ein Gespräch mit dem General Manager der Rangers, in dem er mir mitgeteilt hat, dass sie meinen Kontrakt nicht verlängern wollen. Ich wurde daraufhin Free-Agent und konnte mir mein neues Team aussuchen. Und aufgrund der tollen Erfahrungen aus der Vergangenheit habe ich mich dann für Omsk entschieden.

SPOX: Unter dem Strich standen drei Spielzeiten in Omsk, ehe Sie im Jahr 2011 doch wieder in die NHL, genauer gesagt zu den Philadelphia Flyers, zurückgekehrt sind. Welche Punkte waren für Ihre Rückkehr nach Nordamerika ausschlaggebend?

Jagr: Letztlich war es ein Mix aus mehreren Gründen: Wie schon erwähnt liegt mir die kleine Eisfläche aufgrund meiner körperlichen Konstitution doch etwas mehr als die große. Naja, und auch die Atmosphäre in den NHL-Hallen ist eine ganz andere als in der KHL. Wenn man wie in Russland beispielsweise hin und wieder vor 2000 Zuschauern oder wie in der NHL vor 20.000 Zuschauern spielt, dann ist das schon ein riesengroßer Unterschied. Und das wollte ich einfach wieder erleben.

SPOX: Wenn Sie die vergangenen rund 25 Jahre in der NHL einmal Revue passieren lassen: Wie hat sich das Eishockey-Spiel in diesem Zeitraum verändert?

Jagr: Grundsätzlich ist es natürlich viel schneller geworden. Das Verrückte an dieser Sache ist: Ich finde mich heutzutage - insgesamt betrachtet - besser als noch vor 25 oder 15 Jahren. Nur entwickeln sich eben auch die anderen Spieler ständig weiter und werden immer besser. Wenn du 2000 der beste Spieler in der NHL warst, dich aber nicht weiterentwickelt hättest, dann wärst du im Jahr 2010 oder 2015 mit Sicherheit nicht mehr gut genug für diese Liga. Das ist schon der Wahnsinn. Im Grunde sind Eishockey-Spieler wie Computer. Bietest du ein 10 oder 15 Jahre altes Gerät an, winkt jeder dankend ab und fragt, was du denn mit dem alten Zeug willst. Ohne den entsprechenden Fortschritt hast du einfach keine Chance.

SPOX: Eine weitere Veränderung gibt es seit dieser Saison: In der Verlängerung wird "Drei-gegen-Drei" gespielt. Was halten Sie davon?

Jagr: Wenn ich die NHL-Verantwortlichen das nächste Mal sehe, muss ich sie wirklich fragen, warum ihnen das nicht schon vor 15 oder 20 Jahren eingefallen ist, als ich noch jung und wesentlich schneller war. Ich glaube, das machen sie heute nur, um einen älteren Mann wie mich zu ärgern. Aber für die Zuschauer ist es natürlich sehr attraktiv, weil es permanent hin und her geht und ständig Torchancen gibt. Als schneller und technisch guter Spieler hat man in diesen fünf Minuten definitiv große Vorteile.

SPOX: Sie haben in der All-Time-Torschützenliste der NHL den bislang viertplatzierten Marcel Dionne (731) überholt. Mindestens genau so beeindruckend sieht Ihre Bilanz in der All-Time-Punktewertung aus: Mit 1830 Zählern rangieren Sie auf Platz vier und können die vor ihnen platzierten Gordie Howe (3./1850) und Mark Messier (2./1887) noch überholen. Wäre gerade Letzteres für Sie nicht so etwas wie der "ultimative individuelle Ritterschlag"?

Jagr: Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mir über diese sogenannten "Meilensteine" eigentlich gar keine Gedanken mache. Momentan liebe ich es einfach, immer noch zu spielen und achte daher gar nicht auf irgendwelche Rekorde. Sich darüber groß Gedanken zu machen oder Ziele zu setzen, bringt nichts. Durch eine Verletzung kann beispielsweise von heute auf morgen alles vorbei sein. Solche Rekorde sind nach einer Karriere mit Sicherheit sehr schön. Doch ich genieße aktuell noch meine Zeit auf dem Eis.

SPOX: Die Frage, die Ihnen in den vergangenen Jahren sicherlich am häufigsten gestellt wurde, dürfte lauten: Wie lange haben Sie vor, noch aktiv Eishockey zu spielen?

Jagr: Vielleicht können Sie mir diese Frage ja in fünf Jahren nochmal stellen. Ich habe vor drei, vier Jahren noch nicht darüber nachgedacht und werde es auch jetzt nicht tun. Diese Energie spare ich mir lieber. Auch die ebenfalls oft gestellte Frage, was ich möglicherweise nach meiner aktiven Karriere machen werde, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Ich beschäftigte mich ausschließlich mit der Gegenwart. Ich fühle mich blendend, meinem Körper geht es gut. So lange das der Fall ist, brauche ich nicht an die Zukunft zu denken.

SPOX: Dann lassen Sie uns abschließend nochmals einen Blick zurück in die Vergangenheit werfen: Im Januar 1995 haben Sie während des NHL-Lockouts eine Partie für die Schalker Haie in der 1. Liga Nord gegen den damaligen Lokalrivalen Herner EV absolviert. Nach 60 Minuten standen auf Ihrem Konto ein Treffer und zehn (!) Assists. Können Sie sich noch an diesen Auftritt erinnern?

Jagr: Oh ja, definitiv. Das war eine lustige Sache. (lacht)

SPOX: Wie kam es überhaupt dazu?

Jagr: Nun, mein guter Kumpel und ehemaliger Mitspieler aus Kladno, Vladimir Kames, hat damals bei Schalke gespielt. Er hat mich kontaktiert und gemeint, dass sie ein enorm wichtiges Match vor sich hätten, das sie unbedingt gewinnen mussten. Er hat mich gefragt, ob ich da nicht aushelfen könnte, da ja momentan ohnehin der NHL-Lockout sei. Naja, und nachdem ich nichts Besseres zu tun hatte und man in dieser Zeit auch ohne einen unterschriebenen Vertrag mitspielen durfte, habe ich eben zugesagt. Ich weiß noch, dass ich das erste Tor selbst erzielt und im weiteren Verlauf des ersten Drittels Vladimir vier oder fünf Treffer aufgelegt habe. Wir hatten auf alle Fälle unseren Spaß - er noch mehr als ich.

Jaromir Jagr im Steckbrief

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