Der Champion, der Titelverteidiger, er war längst geschlagen. Doch Dominic Thiem kannte keine Gnade, auch im dritten Satz des French-Open-Triumphzugs gegen Novak Djokovic haute er noch immer auf jeden Ball mit einer Inbrunst, als wäre es der letzte in seinem Leben. Thiem, der junge Österreicher, kann gar nichts anders, es ist sein Stil, sein Code, seine Identität als Tennisprofi: Immer volle Pulle, immer Wucht und Kraft, keine Kompromisse - so hat sich der 23-jährige Himmelsstürmer einen Namen im Wanderzirkus gemacht.
Bei den French Open, dem herausforderndsten aller Grand-Slam-Turniere, könnte der Kraftprotz schon jetzt vor einer sensationellen Siegmission stehen, es gibt jedenfalls keinen im großen Heer der Experten, der ihm nicht schon alles Mögliche in diesem frühen Karrierestadium zutraut. "Thiem ist ein Phänomen", sagt Ex-Superstar John McEnroe, "wie er es mit den Größten der Branche aufnimmt, ist atemraubend."
Herausforderung annehmen
Und genau mit jenem ganz auserlesenen Elitetrupp bekommt es der Youngster auch in geballter Konfrontation zu tun, bei diesen Internationalen Französischen Meisterschaften des Jahres 2017. Djokovic, den kriselnden König, hat er gerade in drei Sätzen abgewatscht, zuletzt in fast demütigender Art und Weise. Nun folgt Rafael Nadal, die spanische Tennismaschine, im Halbfinale am Freitag, der Rekordsieger von Paris, der im laufenden Wettbewerb seinen zehnten Titel holen will. Und sollte Thiem das Kunststück eines Nadal-Knockouts gelingen, würden im Finale entweder Stan Wawrinka, genannt "Stanimal", oder der Weltranglisten-Erste Andy Murray warten. Kein Wunder, dass Thiems Einschätzung nach dem Djokovic-Sieg auf ziemlich trockenen Humor hindeutete: "Bekanntlich wird es nicht einfacher."
Dominic Thiem oder Rafael Nadal - Ein Pro und Contra
Aber Thiem ist keiner, der sich vor der Schwere von Prüfungen herumdrückt und sie nicht annimmt. Seit er vor fast zwölf Jahren in die Obhut von Trainerfuchs Günter Bresnik wechselte, hat er sich zu einem der härtesten Malocher in der Branche entwickelt. Er sei überzeugt davon, sagt Thiem selbst, "dass ich mehr gemacht habe als 99 Prozent der anderen Spieler. Ich habe mein Leben dem Tennis untergeordnet, seit ich zu Günter gewechselt bin." Jener Günter, also Coach Bresnik, hatte Thiem damals auch das Motto für die sportliche Partnerschaft vorgegeben: "Wir arbeiten mehr. Und wir arbeiten richtig, gescheit. Nur so kann Gutes entstehen."
Mit Urgewalt und "voller Post"
Bresnik hat im letzten Jahr ein Buch veröffentlicht, es heißt "Die Dominic-Thiem-Methode", und es hat einen bezeichnenden, etwas provozierenden Untertitel: "Erfolg gegen jede Regel." Was das in der Praxis bedeutete? Umgangssprachlich gesagt: Thiem macht keine Gefangenen auf dem Centre Court. Es gilt ein alles überstrahlendes, im Grunde banales Motiv: Tennis mit Wumms, mit unbändiger Power, mit Urgewalt. "Volle Post" heißt das bei Bresnik. Und Thiem erklärt das in einem Vorwort zu Bresniks Buch so: "Volle Post! Das hieß: auf jeden Ball mit ganzer Kraft draufdreschen. Stundenlang." Als Thiem zuletzt in Rom den großen Nadal schlug, erstmals auf größerer Bühne, waren seine Schläge im Schnitt 20 Stundenkilometer schneller als die des Matadors.
Das schaffen nur wenige im Tennisbetrieb, bei Thiem ist es allerdings längst zum Markenzeichen geworden: Er schlägt härter, intensiver drauf, er nimmt auch keine Rücksicht auf diesen oder jenen Fehler, er geht rasch und unbarmherzig in die Offensive. Er hat zwar alle technischen Feinheiten auf Lager, ist durchaus mit den Tricks und Finten des Spiels vertraut, aber er ist kein ausgewiesener Taktierer, auch kein Künstler am Racket, will es auch gar nicht sein. Dem Mann, dem er am Freitag auf dem Hauptplatz der French Open gegenübersteht, dem bulligen Matador Nadal, ist er in der Unbedingtheit seiner Spielweise, in seiner zupackenden Konsequenz nicht ganz unähnlich. Nur kann Thiem nicht ganz so dicke Muskelpakete wie der Mallorquiner aufweisen, auch noch nicht die überragenden Erfolge.
Bereit für die Extrameter
Doch Thiem steht erst am Anfang einer Karriere, die immer glänzendere Perspektiven aufweist. Er hat es schon weiter gebracht als jeder andere in seinem Alter, sogar in seiner Generation. Im letzten Jahr nahm der Mann aus dem niederösterreichischen Lichtenwörth schon an der ATP-Weltmeisterschaft in London teil, ein Zeugnis der Konstanz und Gleichmäßigkeit auf hohem Niveau, die er über die Tennissaison hinweg gezeigt hatte. Thiem fühlt sich, anders als die meisten seiner Wegstreiter, dort wohl, wo er seine überragende Physis am nachhaltigsten ausspielen kann - bei den auszehrenden, zähen Rutschübungen im Sand. "Wenn du weißt, dass du auch nach vielen Stunden noch immer die Extrameter gehen kannst, ist es einfach ein gutes Gefühl. Und gibt dir Sicherheit", sagt Thiem.
Er war in diesem Jahr schon eine der bestimmenden Figuren in der Sandplatzserie, er wäre sogar die Nummer 1 in dieser Spezialdisziplin gewesen, gäbe es da nicht diesen Spiel- und Spaßverderber namens Nadal. In den Endspielen von Barcelona und Madrid gewann Nadal gegen Thiem, in Rom drehte der Österreicher die Hackordnung um, gewann im Viertelfinale, war dann aber so platt, dass er in der nächsten Partie gegen Djokovic ausschied. Und was erwartet er nun, in diesem French Open-Halbfinale, im größten Spiel seines Lebens? "Nadal in Paris zu schlagen, viel härter wird´s nicht. Aber ich gehe mit Mut hinein in die Partie. Ich weiß, was ich kann", sagt Thiem.
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