Von Florian Goosmann aus London
Alexander Zverev hat in den vergangenen Tagen eine kleine deutsche Medienoffensive gestartet, er wartete hier mit einigen Aussagen auf, die für einen 20-Jährigen doch bemerkbar sind. Er würde am liebsten nur in Hamburg leben, verriet er der Süddeutschen Zeitung, und er hoffe nicht, dass ihn die Menschen nicht als Deutschen sehen würden. "Ich kann nur eben nicht mehr oft da sein." Außerdem wolle er ein guter Mensch sein und müsse auch unpopuläre Entscheidungen treffen, diese seien aber "wichtig für den langen Blick voraus". Und er lerne nun auch Französisch, es sei gut, dass er mehrere Sprachen könne, sein französischer Physio höre nie auf zu reden, egal, wie spät es sei.
Dass über seine Masters-Titel kleiner berichtet wurde als über die Davis-Cup-Absage fand Zverev schade, "und das hat gar nichts mit Beleidigtsein zu tun", sagte er dem Focus. "Ich habe das Gefühl, dass man sich in unserem Land lieber auf etwas Negatives stürzt". Und: "Natürlich möchte ich, dass man mich mag. Das ist doch eine ganz normale Reaktion. Gerade in Deutschland, wo ich aufgewachsen bin und fast mein ganzes Leben verbracht habe. Es wäre schön, wenn die Menschen mich verstehen, mich unterstützen würden. Wenn sie mich fair beurteilen. Ich glaube, viele kennen mich nicht richtig." Außerdem, ohne pathetisch sein zu wollen: "Ich versuche immer, ein guter Mensch zu sein."
Auch in London wirkte Zverev gesprächig, er gab - wie alle Kollegen im Übrigen - gute, ausführliche Antworten in seiner Pressekonferenz vor Beginn (übrigens ein großer Unterschied zu den Damen in Singapur, die oft nur Ein-Satz-Antworten, Platitüden oder Ein-Satz-Platitüden von sich gaben). Und auch wenn Zverev Premierengast in der o2-Arena ist - wie auch Grigor Dimitrov und Jack Sock: Zverev will es wie immer wissen. Am Samstag trainierte er mit Rafael Nadal, zwei engagierte Könner unter sich, die nur wenig Spaß im Training verstehen, geredet wurde hier eher wenig.
Gute Bilanz gegen Auftaktgegner Cilic
Gefühlt ist Zverev mit Roger Federer, Marin Cilic und Jack Sock in der schwierigeren Gruppe gelandet - im Head-to-Head liegt er gegen seine Gruppengegner aber mit 6:4 vorne: 2:2 steht's gegen Federer (sein Sieg beim Hopman Cup zu Beginn des Jahres nicht mal mit aufgenommen), 1:1 gegen Sock, 3:1 gegen Auftaktgegner Cilic, gegen den es natürlich darum gegen wird, in die Ballwechsel zu kommen, als Erster die Offensive zu übernehmen und sich nicht überpowern zu lassen.
Alle Matches gegen den Kroaten waren bislang umkämpft, das erste gewann Cilic 2015 in Washington in zwei Durchgängen, 2016 in Montpellier siegte Zverev zwei Mal im Tiebreak, danach folgten zwei Drei-Satz-Siege, 2016 in Shanghai und 2017 in Madrid, der einzigen Begegnung auf Sand.
Cilics Bilanz nach den US Open liest sich dennoch leicht besser: 11 Siege bei 4 Niederlagen, Zverev steht bei 7 zu 5, zuletzt war er gesundheitlich angeschlagen, "ich habe in Paris einen guten Satz gespielt und hatte dann keine Energie mehr", meinte er. Zverev hat das einzig Vernünftige getan im Anschluss, er hat pausiert, sich fünf Tage frei genommen und in Mailand, beim Next Gen ATP Finals, einen Schaukampf bestritten. In London fühle er sich "sehr gut auf dem Platz, eigentlich so gut wie seit dem US-Swing nicht mehr."
Etappenziel: Gruppenphase überstehen
Gute Aussichten also für dem Hamburger, der gegenüber der Süddeutschen Zeitung noch zwei Interessen verriet: Spaß am Spiel "Escape Room", in dem man einem Raum entfliehen muss (und das er überall spiele, wo es möglich sei). Und am Weltall, an der Entstehung, er sei ein bisschen verrückt in solchen Sachen, sagte er. "Es ist ein Spleen, den ich mir gönne."
Bezogen auf London kann Zverev seine Leidenschaften gut verbinden: Er mal positiv raus aus dem Cilic-Match kommen, dann der Gruppe entfliehen. Schafft er das, könnte es für ihn tatsächlich keine Grenzen geben.