Er verteilt miese Beinschüsse, war für Mitspieler der neue Zidane, galt dann als gescheitert. Doch bei Benfica Lissabon, Gegner von RB Leipzig in der Champions League (Dienstag, 21 Uhr LIVE auf DAZN ), hat sich Adel Taarabt zurückgekämpft.
Fast auf den Tag genauf fünfeinhalb Jahre war es her, dass Adel Taarabt letztmals das Nationaltrikot Marokkos trug, als er sich Anfang September in Marrakesch zur Einwechslung bereit machte. Testspiel gegen Burkina Faso, ein für die Nordafrikaner durchwachsenes 1:1. Doch für Taarabt, der in der 62. Minute aufs Feld kam, war es ein ganz besonderer Tag. Der Lohn dafür, dass er sich zurückgekämpft hat.
Bei Benfica ist der 30-Jährige, der einst als Supertalent galt, inzwischen auf dem Sprung zum Stammspieler. Eigentlich nicht ungewöhnlich, bedenkt man sein Potenzial. Doch Taarabt hat einen steinigen Weg hinter sich. Teilweise ihm selbst geschuldet, teilweise dem fehlenden Glück in den richtigen Momenten. Aber irgendwie vor allem Ersteres.
Vor rund zwölf Jahren stand Taarabt die Tür zur ganz großen Fußball-Welt scheinbar sperrangelweit offen. Anfang 2007, mit 17, wechselte er vom RC Lens, seinem Jugendklub, zu Tottenham. In die Premier League. Dahin, wo die besten Spieler der Welt zaubern. Dahin, wo auch Taarabt nach eigenem Selbstverständnis hingehörte.
Bei den Spurs machte er zunächst Eindruck. Und wie. Jermaine Jenas, seinerzeit englischer Nationalspieler und Stammkraft in Tottenhams Mittelfeld, erinnerte sich gegenüber BBC Radio 5 Live an Taarabt. "Als er zu den Spurs kam, dachte ich mir nur: 'Wir haben Zidane gefunden, wir haben ihn, ich kann es nicht glauben. Wir werden unfassbar gut sein'", so Jenas.
Ex-Kollege über Adel Taarabt: "Die unmöglichsten Dinge mit einem Fußball angestellt"
Die Art und Weise, wie Taarabt mit dem Ball umging, nahm ihn gefangen. "Ich habe ihn die unmöglichsten Dinge mit einem Fußball anstellen sehen, die ich je in meinem Leben gesehen habe", schwärmte Jenas. Und nicht nur er war begeistert. Die Vergleiche mit Zidane hatte Taarabt desöfteren erfahren.
In Frankreich galt er, der mit seinen Eltern aus deren Heimat Marokko im Alter von neun Monaten ins Land von Les Bleus kam, als der prägende Spielmacher der nächsten Jahre. Er, der mit 15 von der Cote d'Azur in den rauen Norden Frankreichs ging, weil ihn die Talentspäher des RC Lens entdeckten.
In der Akademie blieb er dort aber nicht lange. Schon mit 17 debütierte er für die Profis in der Ligue 1, ein halbes Jahr später für Tottenham in der Premier League. Der Weg zur Weltkarriere schien vorgezeichnet. Weil er den Ball so schön streichelte wie kaum ein anderer, seine Bewegungsabläufe so sehr an den großen Zidane erinnerten, Taarabt in punkto Kreativität und Eins-gegen-Eins-Intelligenz neue Maßstäbe setzen konnte.
Seine Spezialität: Beinschüsse. Instinktiv weiß er, wann und wie er die Kugel berühren, welchen Touch er ihr geben muss, um den Gegner zu tunneln, ihn im besten Fall bloßzustellen. Resultat der unzähligen Stunden, die er tagtäglich damit verbrachte, an seinen fußballerischen Fähigkeiten zu feilen. Er kickte nicht gegen einen Gegenspieler, am liebsten waren Taarabt gleich drei, vier oder fünf Jungs, die ihm den Ball abluchsen wollten.
Taarabts Potenzial war enorm, schier unerschöpflich. Was er daraus machte, gleicht jedoch einer Verschwendung. So richtig sollte seine Karriere niemals Fahrt aufnehmen. 2009/10 und vor allem 2010/11 hatte er zwei gute Spielzeiten in Englands zweiter Liga für QPR, behauptete sich später auch in der Premier League. Der damalige Trainer der Rangers, Neil Warnock, konnte mit dem zuweilen schwierigen Charakter Taarabts gut umgehen, schenkte ihm Vertrauen und auf dem Platz alle Freiheiten. Doch irgendwann klappte es auch mit Warnock nicht mehr - und als dieser ging und neue Trainer kamen, tat sich Taarabt noch schwerer.
gettyAdel Taarabt: Leihe zu Milan, doch der Absturz geht weiter
Immerhin: 2013/14 erzielte er während eines Leihgeschäfts vier Serie-A-Tore für den ruhmreichen AC Milan. Offenbar gab er sich damit aber schon zufrieden. Obwohl er zu so viel Höherem berufen war. Taarabt stand sich lieber selbst im Weg. So imposant, wie er Gegenspieler narren konnte, narrte er viel zu oft auch seine eigenen Ambitionen.
"Ich hoffe, dass ich bald für einen der Topklubs in Spanien spielen werde - Real, Barcelona, Valencia oder Sevilla", sagte Taarabt während seiner Zeit bei QPR. Um derlei Ziele zu realisieren, tat er jedoch viel zu wenig. Er ließ sich gehen, ernährte sich nicht angemessen, feierte statt zu trainieren, genoss das "süße Leben".
2014 gab ihn Harry Redknapp, damals Coach bei den Queens Park Rangers, entnervt auf. Taarabt habe Übergewicht, klagte er. "Leider ist er nicht fit genug, um Fußball zu spielen", so Redknapp. Taarabt machte dem Trainer daraufhin Vorwürfe, gab sich trotzig. Das Tischtuch war zerschnitten.
Das Sprungbrett QPR hatte sich zur Zwischenstation auf der Leiter nach unten gemausert. Für Marokko blieb es für den früheren französischen Junioren-Nationalspieler bis vor einigen Tagen bei 16 Länderspielen, für QPR bestritt Taarabt 2014/15 nur noch acht Pflichtspiele.
Adel Taarabt bei Benfica: Das schlampige Genie scheint geläutert
Benfica nahm ihn auf, ablösefrei. Im Sommer 2015 war das. Statt für die Profis kickte er aber nur für die zweite Mannschaft in der zweiten Liga, oft irgendwo in der portugiesischen Provinz. Sein Debüt fürs erste Team sollte Taarabt erst im März diesen Jahres feiern, fast vier Jahre nach seiner Ankunft in Lissabon. Eine eineinhalbjährige Leihe zum FC Genua war zuvor ordentlich verlaufen, 2017/18 machte der Edeltechniker 22 Partien in der Serie A, traf dabei sogar zweimal.
Mittlerweile ist Taarabt bei Benfica wieder gefragt. In fünf der sechs Pflichtspielen der laufenden Saison kam er zum Einsatz, zuletzt sogar zweimal von Beginn an. Dabei profitierte er zwar auch von Verletzungen seiner Konkurrenten - aber dennoch: Taarabt hat sich zurückgekämpft. Im August unterschrieb er einen neuen Dreijahresvertrag, verzichtete dabei angeblich auf 30 Prozent seines alten Gehalts. Er hat wohl dazu gelernt. "Jetzt heißt es: Weiter hart arbeiten und fokussiert bleiben", schrieb Taarabt auf Instagram nach seiner Vertragsverlängerung. Das schlampige Genie scheint geläutert.