Borussia Mönchengladbachs Leistungen auf fremdem Platz wecken Erinnerungen an eine katastrophale Serie in den Saisons 2005/06 und 2006/07. Dabei ist die Situation gar nicht so bedrohlich und, wie die nackten Zahlen belegen, kein reines Schubert-Problem. Der Trainer der Fohlen muss gegen den FC Bayern München (Sa., 15.30 Uhr im LIVETICKER) aber erneut ein Meisterwerk abliefern.
Vor zehn Jahren brachte Borussia Mönchengladbach das seltene Kunststück zu Stande, aus insgesamt 34 Auswärtsspielen genau dreimal als Sieger hervorzugehen. Dem gegenüber standen 24 Niederlagen und ganze 16 von 102 möglichen Punkten. Unter den Fans der Borussia verbreitete sich nach etlichen erfolglosen Trips in die Fremde ein T-Shirt mit der Aufschrift 'Auswärts-Depp'. Auf dem Rücken der umgewandelte Schlachtruf 'Wir fahren weit, wir fahren viel, und wir verlieren jedes Spiel', nebst einer Aufreihung der letzten Pleiten auf fremdem Platz.
Nach dem Verlauf der aktuellen Saison, vor allem aber nach den jüngsten Auftritten in Ingolstadt und Hannover könnte mancher Gladbach-Fan schon geneigt sein, das eigentlich längst tief verstaute Shirt aus irgendeiner Kiste zu kramen. Die Fohlen drohen in der Ferne die Qualifikation für die Champions League zu verspielen. Dabei ist die Situation nicht so düster, wie die nackten Zahlen suggerieren - und schon gar nicht vergleichbar mit der Zeit der Auswärts-Deppen.
Probleme mit den Kleinen
Sicherlich ließen vor allem die Leistungen in Ingolstadt und Hannover jegliches Herzblut, jeglichen Einsatz und den Willen vermissen, unbedingt die Punkte mitnehmen zu wollen. Gladbach tut sich auf fremden Platz besonders dann schwer, wenn die Borussia gegen einen vermeintlich leichten und tiefstehenden Gegner das Spiel machen muss.
Gegen Hannover suchte der Zuschauer vergebens eine wirkliche Spielanlage oder Idee, die keinesfalls sattelfeste Defensive der 96er zu durchbrechen. Eine halbe Torchance in 90 Minuten beim schon zu dem Zeitpunkt fast sicher als Absteiger feststehenden Tabellenletzten ist zu wenig für eine Mannschaft, die den Anspruch hat, im nächsten Jahr international zu spielen.
Ähnliches gilt für die Auftritte in Ingolstadt (0:1), Hoffenheim (3:3), Hamburg (2:3), Augsburg (2:2) und Köln (0:1). In diesen sechs Partien holte Gladbach zwei Punkte. Gemessen an der individuellen Klasse der Teams hätte die Borussia hier mindestens zehn, wenn nicht sogar zwölf Zähler mitnehmen müssen und würde längst als sicherer Champions-League-Teilnehmer feststehen.
Viel Pech in "Sechs-Punkte-Spielen"
Wesentlich bitterer sind allerdings die Ergebnisse in den Stadien der direkten Konkurrenz um die internationalen Plätze. Die Fohlen gingen beim BVB und in Leverkusen unter, verloren auf Schalke, in Wolfsburg und in Mainz. Unter den Top-Teams wurde einzig die Hertha in Berlin geschlagen.
Im Gegensatz zu den Partien bei den vermeintlich kleineren Gegnern hinterließ Gladbach in diesen Spielen aber meist einen guten Eindruck. Das 2:1 auf Schalke Mitte März war einer der glücklichsten Bundesliga-Siege in den letzten Jahren, in Wolfsburg und Mainz war Gladbach klar besser, scheiterte aber an der eigenen Chancenverwertung und letztlich ein Stück weit am Glück.
Der Elf vom Niederrhein kommt es entgegen, wenn der Gegner selbst aktiv am Spiel teilnimmt und den Weg nach vorne sucht, statt sich hinten einzuigeln und auf Konter zu lauern. Nur so kann Gladbach seine größte Stärke, das Umschaltspiel über die pfeilschnellen Außen, zur Geltung bringen. Steht der Gegner tief und lässt die Fohlen kommen, ist das Team von Andre Schubert auf Ideen und Kreativität aus dem Zentrum angewiesen. In Ingolstadt musste Granit Xhaka gelb-rot-gefährdet nach 45 Minuten raus, gegen Hannover fehlte der Kapitän gesperrt komplett. Mahmoud Dahoud vermochte es nicht, dem Spiel alleine entscheidende Impulse zu geben und wurde nach 54. Minuten ausgewechselt. In Mainz fehlten sogar beide.
Dazu kommt ein mentaler Aspekt. Die Schubert-Elf verfällt nach Gegentreffern oftmals in einen Kurzschlaf oder eine Phase des Nachdenkens und der Unkonzentriertheit, die schon mehrfach einen direkten zweiten Gegentreffer zur Folge hatte. In Wolfsburg, Hamburg, und Augsburg fing Gladbach je zwei Tore binnen drei Minuten, in Hannover lagen knapp zehn Minuten zwischen den 96-Treffern.
Warum Gladbach in dieser Regelmäßigkeit zwei Wirkungstreffer einstecken musste, können selbst die Spieler nicht wirklich erklären. "Das darf so nicht passieren. Wir müssen nach einem Gegentor insgesamt ruhiger agieren. Wenn wir nach dem ersten Gegentor immer direkt das zweite hinterher bekommen, können wir auch nicht oben mitspielen", sagte Xhaka gegenüber dem Kicker.
Ein Grund ist das sehr junge Mannschaftsgerüst Gladbachs. Besonders in anspruchsvollen Auswärtsspielen ist das lange, verletzungsbedingte Fehlen von Routiniers wie Martin Stranzl, Alvaro Dominguez und Tony Jantschke spürbar. In der Viererkette verfügen daher einzig Oscar Wendt und Havard Nordtveit über ausreichende Bundesliga-Erfahrung. Andreas Christensen, Nico Elvedi und Martin Hinteregger sind sehr jung und spielen ihre erste Saison in Deutschland. Dahoud schnupperte zwar schon seit zwei Jahren am Profi-Team, ist aber in dieser Spielzeit erstmals gesetzt.
Kein Schubert-Problem
Zuletzt war immer wieder zu hören, dass die aktuelle Auswärtsschwäche Gladbachs ein Schubert-Problem sei, zumal die Borussia unter Lucien Favre im letzten Jahr mit 27 Punkten auf Platz zwei der Auswärtstabelle lag.
Was dabei vergessen wird: Alle elf Zähler Gladbachs, die auf fremdem Platz in der laufenden Saison holte, gehen auf Schuberts Konto. Favre verlor die drei Auswärtsspiele vor seinem Rücktritt allesamt.
Die spektakulären Auftritte Gladbachs in Stuttgart (3:1), Frankfurt (5:1), Berlin (4:1), sowie im Pokal auf Schalke (2:0) und in Turin (0:0) belegen Schuberts Fähigkeit, auch außerhalb des Borussia-Parks die richtige Spielidee und Taktik zu finden. Betrachtet man dazu die Spiele, aus denen Gladbach nur mit Pech ohne Zählbares heimkehrte, ist die Situation zwar alarmierend, aber längst nicht so bedrohlich, wie sie von manchem dargestellt wird - und keinesfalls vergleichbar mit der Zeit der "Auswärts-Deppen".
Meisterstück gegen die Bayern
Favre gelang es in den vergangenen Jahren, mit seinen Fohlen eine positive Bilanz in der Allianz Arena vorzuweisen. Aus den letzten vier Spielen in München holte Gladbach unter dem Schweizer zwei Siege bei einem Unentschieden und nur einer Niederlage - die beste Bilanz aller Bundesligisten.
Am Samstag soll nun Schubert die Bayern knacken und ihnen die Meisterschaftsfeier vermiesen. Dass er das kann, hat er schon bewiesen. Im Hinspiel gegen den Rekordmeister coachte der 44-Jährige mit einer so noch nie in Gladbach gespielten Dreierkette und einem wahnsinnig hohen Pressing Pep Guardiola aus. Die Borussia schlug den FCB 3:1.
Schubert stellte erstmals wirklich unter Beweis, dass er die nach dem Rücktritt Favres verunsicherte Mannschaft nicht nur moralisch aufgebaut und ihre Köpfe befreit hatte. Er zeigte, dass er eigene taktische Konzepte und Vorstellungen vom Spiel Gladbachs hat, die über die hohe Position der Außenverteidiger und das noch energischere Pressing hinausgehen.
Der Kader braucht internationalen Fußball
Weil auch die Konkurrenz im Schneckenrennen um den verbleibenden vierten CL-Platz, der zur Teilnahme an der Qualifikation berechtigt, zuletzt regelmäßig patzte, hat die Elf vom Niederrhein weiterhin gute Chancen, am Ende doch noch in der Königsklasse aufzulaufen.
Dafür muss das Heimspiel gegen Leverkusen allerdings zwingend gewonnen werden, auch am letzten Spieltag in Darmstadt braucht Schubert Zählbares. Da Berlin am kommenden Spieltag in Leverkusen ein schweres Spiel vor sich hat, kommt es für Gladbach aber zunächst und vor allem auf die Partie in München an.
Ein Punkt und das Ausbauen der Serie beim FCB könnte für die Borussia in der Endabrechnung Gold wert sein. Das weiß Schubert: "Wir fahren nicht nur nach München, um das schöne Stadion zu genießen."
Zwar ist die Marschroute Gladbachs weiterhin ein einstelliger Tabellenplatz, wie Max Eberl im Interview mit SPOX erklärte, der aktuelle Kader wäre aber qualitativ und besonders in der Breite zu gut besetzt, um die Spieler in einer Saison bei Laune zu halten, in der die Mannschaft nur in der Liga und im Pokal spielt. Ohne internationalen Fußball würde es zudem wahnsinnig schwer, Spieler der Marke Xhaka, Dahoud oder Christensen am Niederrhein zu halten.
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