Amtierender Europameister der U 17, U 19 und U 21, das schaffte bislang noch keine Nation. Dem DFB ist dieser Coup durch den jüngsten Titelgewinn in Schweden - dem einzigen seit 1982 - nun gelungen. Dabei war man jahrelang nicht mal mit dabei, wenn die besten Nachwuchsteams um Europas Krone kämpften.
Alles Zufall? Mitnichten: Für die aktuellen Erfolge des Nachwuchses hat man beim DFB vor allem nach der verkorksten EM 2000 der A-Nationalmannschaft vieles getan. SPOX zeigt Maßnahmen und Gründe des Aufschwungs auf.
Einführung von DFB-Stützpunkten: In den 90er Jahren lief nur etwa die Hälfte der debütierenden A-Nationalspieler schon im Alter von 15 oder 16 Jahren in einem U-Nationalteam auf. Die andere Hälfte gehörte zwar zu den regionalen Spitzentalenten, entwickelte sich aber erst später zu absoluten Top-Spielern - und verpasste dadurch oftmals eine zielgerichtete und qualifizierte Grundausbildung. Noch schlimmer: Viele Talente wurden gar nicht erst entdeckt.
Dem wollte man seitens des DFB entgegenwirken und führte mit Beginn der Saison 2002/2003 insgesamt 387 so genannte Stützpunkte ein, mit dem Ziel, möglichst viele talentierte und leistungsbereite Nachwuchsspieler zu erfassen und zu fördern. Die Chance, dass dem DFB ein Talent durch die Lappen geht, wurde dadurch deutlich minimiert.
Insgesamt trainieren derzeit rund 16.000 Jugendliche als Ergänzung zum Vereinstraining an DFB-Stützpunkten und werden dort von etwa 1200 Honorartrainern, die jährlich über 500.000 Arbeitsstunden leisten, geschult. Zudem beschäftigt der DFB 29 hauptamtliche Stützpunktkoordinatoren. Gesamtkosten des ganzen Projekts: 10 Millionen Euro pro Jahr.
Das Ergebnis: Mehrere Akteure, wie die U-17-Titelträger Lennart Thy und Yunus Malli oder U-19-Champion Deniz Naki, schafften über die Ausbildung an den Stützpunkten den Sprung zum Europameister.
Einführung von Leistungszentren: Mit der Einführung der Stützpunkte setzte der DFB an der Basis an, gleichzeitig trieb man allerdings auch die Nachwuchsförderung bei den Profi-Vereinen voran. Seit 2002 müssen Klubs der ersten und zweiten Liga im Rahmen des Lizenzierungsverfahrens ein Leistungszentrum für Junioren nachweisen, dessen Ausbildungsqualität regelmäßig vom DFB zertifiziert wird. Kaum ein Zweitligist hatte vorher eine vergleichbare Einrichtung und auch Klubs wie der VfL Wolfsburg, Hannover 96 oder der 1. FC Nürnberg zogen dann erst nach.
Rund 15.000 Euro gibt ein Klub für einen Spieler aus, der im vereinseigenen Internat wohnt - ohne Unterkunft und Verpflegung. Insgesamt wendeten die Bundes- und Zweitligisten in der Saison 2008/2009 rund 70 Millionen Euro für ihre Leistungszentren auf.
Zusätzlich zu den Leistungszentren startete der DFB in Zusammenarbeit mit den Vereinen Ende 2006 das Projekt "Eliteschulen des Fußballs". Dort genießen Spitzentalente, die nicht in Leistungszentren untergebracht sind, neben der schulischen auch eine gezielte, fußballspezifische Zusatzausbildung. Schalkes Manuel Neuer besuchte beispielsweise eine dieser Eliteschulen.
Verbesserte Trainerausbildung: Einen Teamchef a la Franz Beckenbauer wird es nicht mehr geben, auch auf einen Schnellkurs für verdiente Ex-Profis verzichtet man mittlerweile beim DFB. Wer Trainer werden will, muss die entsprechende Ausbildung durchlaufen und verschiedene Lizenzen erwerben.
Als Stützpunkttrainer oder Coach in einem Leistungszentrum muss man Inhaber des B-Scheins sein, als Oberliga-Trainer braucht man die A-Lizenz und für ein Engagement im Profi-Bereich muss man an der Sporthochschule in Köln in einem zehnmonatigen Lehrgang seinen Fußball-Lehrer-Schein erwerben.
"Wir haben sicher nicht weniger Talente als Spanien, Holland oder Italien. Deshalb muss es das Ziel sein, das vorhandene Niveau durch qualifizierte Trainer fortzuführen und zu verbessern", sagt U-17-Europameistercoach Marco Pezzaiuoli gegenüber SPOX. Dazu wurden mit Frank Wormuth (Fußball-Lehrer) und Bernd Stöber (A- und B-Lizenz) zwei Ausbilder installiert, die den Kurs und die Philosophie von Sportdirektor Matthias Sammer und Bundestrainer Joachim Löw verinnerlicht haben und umsetzen.
Professionalisierung beim DFB: Seit April 2006 ist Sammer der erste Sportdirektor in der Geschichte des DFB. Und seit der ehemalige Nationalspieler im Amt ist, hat sich einiges getan. Vor allem bei den Elitespielern in Deutschland, für deren Förderung Sammer ein Zehn-Punkte-Programm (siehe Faktenbox links) ausarbeitete. Für diejenigen also, die nun U-17-, U-19- und U-21-Europameister sind.
Mittlerweile finden in den U-Mannschaften fast bei allen Lehrgängen sportmedizinische Untersuchungen und Leistungstests statt. Die Ergebnisse werden, genauso wie die Erkenntnisse aus Spiel- und Spielerbeobachtungen, detailliert in Datenbanken eingepflegt. "Die Spieler sind dadurch mehr oder weniger gläsern für die Trainer", sagt Sammer. Die Folge: Mit den jungen Leuten kann weitaus gezielter gearbeitet werden.
Deshalb wurden auch die Trainerstäbe beim DFB deutlich erweitert. Mittlerweile hat jeder Jahrgang - angefangen bei der U 15 - drei Physiotherapeuten, einen Arzt, einen Psychologen, einen Fitnesstrainer, einen Torwarttrainer und sogar einen Videoanalysten bei jedem Lehrgang mit dabei. "Das sind sehr professionelle Strukturen, fast so wie bei einem Klub in der Bundesliga", sagt Pezzaiuoli und macht damit deutlich, welche Bedeutung man dem Nachwuchs beim DFB inzwischen beimisst.
Auf Seite 2: Persönlichkeitsentwicklung und Individualförderung
Persönlichkeitsentwicklung bei Nachwuchsspielern: Einer der zentralen Begriffe in der Eliteförderung nach Ansicht von Sammer, der sagt: "Wir teilen in bestimmte Kategorien ein, wir selektieren: Wer bringt Führungseigenschaften mit? Wer ist eher ruhig? Wer ist Individualist, aber kein Egoist? Wer ist ein mannschaftsdienlicher Spieler? Da bilden wir frühzeitig Hierarchien. Wir dürfen die Spieler nicht überfordern - aber auch nicht unterfordern."
Dementsprechend wird der Nachwuchs geschult, mal durch Medientraining, mal indem psychologische Aspekte in die tägliche Arbeit eingebaut werden. "Wir wollen das Verantwortungsgefühl der Spieler stärken, indem wir sie an Entscheidungen beteiligen", so Sammer.
Das Ziel: Starke Fußballer und starke Persönlichkeiten. Denn: "Unser Anspruch ist die Weltspitze. Wir brauchen diese Gier nach Titeln", sagt Sammer, der vor den jeweiligen Turnieren ganz bewusst den Titelgewinn als Ziel ausgegeben hatte. Bei den Spielern scheint es anzukommen. "Wir bekommen diese Siegermentalität tagtäglich eingeimpft", sagte U-21-Europameister Andreas Beck während des Turniers in Schweden.
Individualförderung: Individualität und Kreativität in geordneten Bahnen ist ein Credo von Sammer, das allerdings auch den Elitespielern erst vermittelt werden muss. Und zwar durch Leistungsdiagnostik, Videoanalysen und langfristige Trainingsplanung sowie individuelle Trainingssteuerung. Die Verbesserung der Fähigkeiten der einzelnen Spieler steht also im Vordergrund. Denn seit Sammer gilt beim DFB: Wenn man Spieler individuell fördert, steigert dies automatisch das Niveau der ganzen Mannschaft.
Wie das dann in der Praxis aussehen kann, erklärt Pezzaiuoli: "Wir haben eine gewisse Anzahl von Lehrgängen. Da ist dann zum Beispiel ein Techniktrainer dabei, der sich drei bis vier Spieler herausnimmt, mit denen positionsspezifisch oder auch allgemeine Grundtechniken geübt werden: Wie laufe ich mich frei, wie nehme ich den Ball an, wie ist mein Körperschwerpunkt zum Ball, wenn ich ihn annehme? Da geht es um ganz kleine Details, auf die besonders geachtet wird und die auch auf Video aufgenommen und den Spielern vermittelt werden." Klingt simpel, war aber Ende der 90er Jahre nie ein Ansatz im Nachwuchstraining des DFB.
Einheitliche Spielauffassung: "Matthias Sammer hat eine klare Vorgabe in Sachen Spielauffassung gemacht, die auch schriftlich festgehalten wurde", sagt Pezzaiuoli. Daran haben sich die DFB-Trainer zu halten, die wird auch den angehenden Coaches in den Trainerlehrgängen vermittelt. Wer dieser Philosophie nicht folgt, hat keine Chance beim DFB. So musste Dieter Eilts trotz erfolgreicher Qualifikation für die U-21-EM seinen Stuhl räumen, weil er Sammers Auffassung nicht in allen Punkten umsetzte.
Grundlage ist ein 4-4-2-System. Zusätzlich hat Sammer fünf zentrale Punkte formuliert: 1. Eine angriffsorientierte, dynamische Spielweise aus einer disziplinierten und kompakten Deckung heraus. 2. Variantenreiche, attraktive Spielgestaltung im Mittelfeld mit schnellem, flexiblem Umschalten auf Angriff und Verteidigung. 3. Variable Angriffsgestaltung durch einen gezielten Wechsel zwischen einem kontrollierten, sicheren Spielaufbau und überraschendem Tempospiel. 4. Offensives, "aktives" Verteidigen. 5. Eine zweikampforientierte, aber stets faire Grundeinstellung.
Fazit: Der DFB hat im Nachwuchsbereich den Fußball sicherlich nicht neu erfunden.
Aber er macht seit einigen Jahren endlich in professioneller Art und Weise das, was beispielweise in Frankreich schon Mitte der 90er Jahre eingeführt wurde und bei den Profi-Vereinen gang und gäbe ist.
Daran hat man sich orientiert. Schon vorhandene Strukturen wurden verbessert und spezialisiert, neue Schwerpunkte gesetzt (z.B. Individualförderung) und insgesamt die komplette Eliteförderung extrem auf Leistung und Erfolg ausgerichtet. Nun erntet man die ersten Früchte, die allerdings sicher nicht die letzten sein werden. "Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung. Wer jetzt denkt, wir seien bereits am Ende angekommen, hat nichts begriffen. Die Konzepte sind alle mittel- und langfristig angelegt", sagt Sammer.