Keine starken Außenverteidiger? Der fehlende Stoßstürmer? Mag sein. Bei der Niederlage gegen Polen wurden bei der deutschen Nationalmannschaft aber auch andere Probleme offenkundig. Die hatten kaum etwas mit der Qualität des Personals zu tun.
Das lahme Flügelspiel:
Der Respekt vor Robert Lewandowski und den Kontern der Polen führte zu überproportional vielen Versuchen der deutschen Mannschaft über die Flügel. Die nicht optimale personelle Besetzung entscheidender Positionen - mit dem Innenverteidiger Antonio Rüdiger auf der rechten Seite und den nicht eben kopfballstarken Thomas Müller und Mario Götze als Abnehmer im Zentrum - gepaart mit einigen anderen Dingen ließen fast alle deutschen Angriffe über die Seiten verpuffen.
Die Polen zogen ihre äußeren Mittelfeldspieler weit zurück, sodass es für Rüdiger und auf der anderen Seite Erik Durm schwer war, dynamisch anzulaufen und die entsprechenden Zuspiele mit Zug mitzunehmen oder sofort aus dem Lauf flanken zu können. Stattdessen kamen beide aus dem Stand und flankten entsprechend ungenau.
Erst gegen Ende der Partie, als die müder werdenden Polen sich immer noch mehr auf die Verteidigung des Zentrums konzentrierten, kamen Rüdiger und Durm auch mal bis zur Grundlinie durch.
Löw vertraute auf der linken Seite dem auf dem Papier etwas besser eingespielten Pärchen Durm und Schürrle. Beides Rechtsfüßer, die von der linken Seite kommend gefährlich zur Mitte ziehen oder die Flanke zum Tor hin schlagen sollten. Wobei auch da der entsprechende Spielertyp in der Mitte fehlte, der mit Wucht in so einen Ball hätte laufen können.
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Das schwache Gegenpressing:
Bei der U 21 gab es einen Tag vor dem Spiel in Warschau eine schöne Szene. Moritz Leitner kam in der gefährlichen Zone gegen die Ukraine zu Fall. Aber er beschwerte sich nicht beim Unparteiischen, sondern stocherte nach dem Ball und konnte den zu Jonas Hofmann leiten.
Der bediente sofort Philipp Hofmann und Deutschland führte in den Playoffs zur EM-Endrunde 1:0. Die deutsche Mannschaft holte dank des frühen, energischen Nachsetzens tief in der gegnerischen Hälfte noch das Optimum aus einem fast schon versandeten Angriff heraus.
In Warschau passierte das exakte Gegenteil. Mario Götze kam 25 Meter vor dem gegnerischen Tor zu Fall. Götze reklamierte ein Foulspiel, Schürrle wandte sich ebenfalls dem Schiedsrichter zu. Nach dem überflüssigen Monolog trabte Schürrle dann auf den ballführenden Gegner zu, um abzubrechen und sich alibimäßig nach hinten zu orientieren.
Die Polen konnten sich spielend einfach befreien, obwohl Deutschland in Ballnähe in Überzahl war. Drei Stationen und mindestens genauso viele deutsche Fehler später lag der Ball dann im deutschen Tor. Ausgangspunkt dafür war ein Fehlverhalten zweier deutscher Spieler 80 Meter entfernt.
Es war das negative Highlight vieler halbherzig durchgeführter Defensivaktionen im eigenen Angriffsdrittel. Deutschland hatte genug Chancen, sich des Stilmittels der frühen Balleroberung zu bedienen, es ließ die meisten davon aber fahrlässig liegen.
An der Zusammensetzung des Personals kann es in diesem Fall nicht gelegen haben, Müller, Schürrle und Götze spielten schon oft miteinander und kennen die Abläufe. Dass Karim Bellarabi der auffälligste Spieler war, wenn es darum ging, dem Gegner permanent zuzusetzen, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der Rest in dem Bereich geschlampt hat.
Bellarabi wurde dafür gelobt, den Gegner auch über 40, 50 Meter bis tief in die eigene Hälfte verfolgt zu haben. Das wiederum spricht nicht für ein einwandfreies gruppentaktisches Verhalten.
Es blieb auch deshalb das alte Leid, dass die deutsche Mannschaft anfällig ist für schnelle Gegenattacken des Gegners - weil man selbst in vorderster Linie nicht sauber und konsequent gegen den Ball arbeitet. Eine gewisse Zufriedenheit als Weltmeister sollte sich besser gar nicht erst breitmachen.
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Die fehlenden Verlagerungen:
Es wird in Zukunft noch sehr oft passieren, dass der deutschen Mannschaft ein Gegner wie die Polen gegenübersteht: Tief in der eigenen Deckung stehend, ab der Mittellinie erst attackierend, mit mindestens acht Feldspielern hinter dem Ball. Vermutlich bereits am Dienstag in Gelsenkirchen, wenn Irland der nächste Kontrahent sein wird (20.45 Uhr im LIVE-TICKER).
Dem DFB-Team fehlte es nicht unbedingt an der entsprechenden Breite im Spiel, um die Reihen des Gegners auseinanderzuziehen. Besonders in der Schlussphase, als sich vier Angreifer in vorderster Linie aufreihten, wurde der Platz in der Horizontalen komplett abgedeckt. Und trotzdem hatten die Polen oft leichtes Spiel mit den Attacken der Deutschen.
Die Verschiebebewegung der Gastgeber musste oft nur von einer Seite auf die andere stattfinden. Deutschland fehlte es an energischen Läufen in die Tiefe. Und um sich den entsprechenden Raum und die Zeit dafür zu schaffen, wurden zu selten die Seiten mit einem Diagonalball verlagert. Toni Kroos verdingte sich einige Male dabei, hatte aus seiner sehr zentralen Position aber keine besonders günstigen Winkel, um mit einem langen Ball den Gegner zu einer schwierigeren diagonalen Laufbewegung zu drängen.
Die deutsche Mannschaft kam auch deshalb - und weil natürlich Spieler wie Mesut Özil oder Marco Reus fehlten, die mit Tempo in die Mitte ziehen und den kurzen Pass in die Tiefe spielen können - kaum in den Rücken der polnischen Abwehr. Eigentlich ein Markenzeichen des deutschen Spiels.
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Die Sache der Ordnung:
Toni Kroos begann als tiefer Sechser, Christoph Kramer assistierte dabei aus einer etwas höheren Position und ging die Wege bis zum und in den gegnerischen Strafraum. Bei der WM zeigte Kroos auf der Halbposition im 4-3-3 seine besten Leistungen, unter anderem kam so sein Passspiel besser zum Tragen (siehe vorherigen Punkt).
Auch wenn Kroos nicht besonders dynamisch und auch kein ausgesprochen hartnäckiger Zweikämpfer ist und seine Stärken immer noch vorrangig im Offensivspiel liegen, war Löws Entscheidung für Kroos als Ballschlepper und Ausgangspunkt der deutschen Angriffe aber nachvollziehbar.
Besonders nach dem Rückstand hätte man sich den Madrilenen jedoch gut auch auf einer veränderten Position vorstellen können. Auf der Bank saß mit Sebastian Rudy ein Spieler, der das deutsche Spiel gegen immer tiefer stehende und in der deutschen Hälfte fast gar nicht mehr attackierende Polen ebenso problemlos hätte ordnen können.
Rudy als einziger Sechser und Kroos dafür auf eine Halbposition oder ins zentrale, offensive Mittelfeld vorziehen, wäre zumindest eine Option gewesen.
An der grundsätzlichen Statik des deutschen Spiels hätte sich nichts verändert, Kroos dagegen war so weit weg vom gegnerischen Tor mit zu vielen Gegenspielern dazwischen ziemlich verschenkt. Er kam selten in Abschlusssituationen, unter anderem deshalb ging der deutschen Mannschaft auch die Gefahr aus der zweiten Reihe komplett ab.
Dass Deutschland trotzdem zu einigen guten Möglichkeiten kam, war auch einigen polnischen Nachlässigkeiten und der schwindenden Kraft der Gastgeber geschuldet. Einen stabileren Gegner hätten die deutschen Versuche nicht vor so viele Probleme gestellt.
Die Statistiken sprachen eine eindeutige Sprache. Glasklare Chancen gab es aber gar nicht so viele. Und die wenigen wurden dann durch auffällig viele harmlose Abschlüsse vergeben. Lediglich der Kracher von Bellarabi zwang Wojciech Szczesny richtig zum Eingreifen, bei Lukas Podolskis Schuss fehlte auch das nötige Glück. "Die Konzentration im Torabschluss wird in den nächsten Tagen das Hauptthema bei uns sein", kündigte der Bundestrainer gleich nach dem Spiel an.
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