Kampfplätze statt Stammplätze

Florian Bogner
16. Oktober 200816:29
SPOXGetty
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Ein Stuhl hat vier Beine, ein handelsüblicher Esel auch. Ein solides Grundgerüst also, dieses Prinzip der vier Säulen. Ähnlich ergeht es der deutschen Nationalmannschaft anno 2008. Denn nach Abschluss des Pflichtspieljahres ist klar: Bei Bundestrainer Joachim Löw sind nur noch vier Spieler gesetzt.

Per Mertesacker, Philipp Lahm, Michael Ballack und Bastian Schweinsteiger heißen die einzigen vier Nationalspieler, die sich keine Sorgen um genügend Einsatzzeit im DFB-Dress zu machen brauchen. Mit Abstrichen gilt das auch noch für die Stürmer Lukas Podolski und Miroslav Klose, die derzeit noch knapp die Nase vor Mario Gomez und Patrick Helmes haben.

Alles WM-Helden, alles EM-Finalisten. Nur einer fehlt: Torsten Frings. Der Bremer war jahrelang neben Ballack im zentralen Mittelfeld gesetzt, nun verbrachte er 173 von 180 Spielminuten gegen Russland und Wales auf der Bank und schlich anschließend wie ein geprügelter Hund aus dem Stadion.

Der Wind wird rauer

Die Causa Frings ist das deutlichste Beispiel dafür, wie stark der Konkurrenzkampf in der deutschen Nationalmannschaft rund 20 Monate vor der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika zugenommen hat - und vor allem dafür, wie sehr Löw diese Konkurrenzsituationen mittlerweile forciert.

"Logischerweise sind Spieler unzufrieden, wenn sie nicht spielen", sagte Löw nach dem Wales-Spiel, "aber das ist eine Situation, die ich möchte". Schon vorher waren die zentralsten Aussagen des Bundestrainers folgende gewesen: "Ich bin nicht für einzelne Spieler verantwortlich, sondern für die Mannschaft." Und: "Es bildet sich im Moment eine neue Hierarchie."

Beide dürften sich im Kern auch an Frings gerichtet haben. Ihr Tenor: Der Wind wird rauer - auch für andere arrivierte Kräfte.

Wo toben die größten Konkurrenzkämpfe im DFB-Team? Ein Überblick:

Kampfplatz 1: Zentrales Mittelfeld

Der Tag hat 24 Stunden, Autos fahren in England auf der linken Seite, und im zentralen Mittelfeld der DFB-Elf spielen Michael Ballack und Torsten Frings. Das ist seit Jahr und Tag Gesetz. Bis jetzt. Der Grund ist knappe 183 Zentimeter groß und hört auf den Namen Thomas Hitzlsperger. Der Stuttgarter hat Frings den Rang abgelaufen und bot gegen Russland und Wales überzeugende Partien.

Löw hatte stets betont, nach dem Leistungsprinzip aufstellen zu wollen - und tat das nun erstmals rigoros, ohne an großen Namen festzuhalten. Das erstaunte selbst den Kapitän: "Es war für mich auch überraschend, dass Frings beide Spiele nicht gespielt hat", meinte Ballack.

Löw selbst suchte nach eigener Aussage den Dialog mit dem angefressenen Frings und drückte ihm seine Wertschätzung aus. Soll heißen: Torsten, bitte bleib ruhig, Du wirst vielleicht noch mal wichtig sein. "Jetzt muss er diese Pille eben auch mal schlucken", sagte Löw.

Gewinner: Thomas Hitzlsperger

Verlierer: Torsten Frings

Kampfplatz 2: Rechte Abwehrseite

Arne Friedrich ist ein guter bis sehr guter Verteidiger. Das weiß auch Löw. Gegen Russland schenkte er Friedrich rechts das Vertrauen, weil er dort eben das machte, was er kann: verteidigen. Gegen Wales war Friedrichs Manko dann aber wieder offensichtlich: die Vorwärtsbewegung.

Das Dilemma im DFB-Team: Solange Philipp Lahm auf der linken Seite verteidigen muss, bleibt die rechte Abwehrseite bei defensiv eingestellten Gegnern ein Ärgernis, weil auch Clemens Fritz seinen Formnachweis in letzter Zeit schuldig blieb. Ansonsten wäre Westermann - sollte er seinen Platz innen verlieren - die passabelste Alternative.

Gewinner: keiner

Verlierer: Clemens Fritz

Kampfplatz 3: Innenverteidigung

Mertesacker ist gesetzt - und daneben? Heiko Westermann hat in den Spielen gegen Russland und Wales Pluspunkte gesammelt, zuvor in Finnland aber auch gezeigt, dass er bei schnell vorgetragenen Angriffen Probleme mit dem Stellungsspiel hat. Sein größter Nachteil: Bei Schalke darf er so gut wie nie in der Innenverteidigung ran.

Die Alternativen heißen derzeit Arne Friedrich und Serdar Tasci - Christoph Metzelder ist als Reservist bei Real Madrid raus aus dem Rennen. Vor allem in Tasci sieht Löw den "kommenden Mann" im Deckungszentrum. Und dann gibt es da noch einen Benedikt Höwedes von der U 21, der bei Schalke öfter in der Verteidigung ran darf als Westermann...

Gewinner: Heiko Westermann

Verlierer: Christoph Metzelder

Kampfplatz 4: Angriff

Lukas Podolski tat, wie ihm geheißen. Tor gegen Russland, solide Partie gegen Wales. Miro Klose konnte indes seinen Leistungssprung gegen Finnland (drei Tore) nicht bestätigen.

Die übriggebliebenen Alternativen (Helmes, Gomez - in dieser Reihenfolge) scharren mit den Hufen und dürften im Testspiel gegen England im November eine weitere Bewährungschance erhalten. Nach Kuranyis Aus muss Löw zudem einen fünften Mann bestimmen.

Gewinner: Lukas Podolski

Verlierer: Mario Gomez

Kampfplatz 5: Tor

Rene Adler ist gesetzt - vorerst. "Wir haben uns kein Zeitlimit gesetzt. Wenn wir sicher sind, wer die Nummer eins ist, werden wir das bekannt geben und es mit allen Konsequenzen durchziehen", sagte Torwarttrainer Andreas Köpke nach dem Russland-Spiel. Auch hier gilt der England-Test als Bewährungschance für andere.

Gut möglich, dass dann Tim Wiese zu Länderspielehren kommt. Und von hinten drängt Manuel Neuer nach, der bei der U 21 zuletzt ein schwaches (weil Patzer) und ein bärenstarkes Spiel (weil Matchwinner) ablieferte. Nach der U-21--EM im nächsten Sommer wird man mehr wissen. Robert Enke muss nach seiner Verletzung erst mal schauen, dass er wieder fit wird.

Gewinner: Rene Adler

Verlierer: Robert Enke

Chance genutzt: Piotr Trochowski

Die linke Mittelfeldposition ist spätestens seit Mittwochabend erstmal kein echter Kampfplatz mehr. Piotr Trochowski zeigte mit seinem Siegtor gegen Wales eindrucksvoll, welch guten Weg er in den letzten Monaten beschritten hat.

"Er hat einen klaren Sprung nach vorne gemacht, auch in der Nationalmannschaft. Er ist ein absoluter Leistungsträger geworden", erklärte Löw. Und ein solches Lob ist in diesen Tagen fast noch mehr wert als ein bombensicherer Stammplatz.

Der Sieg gegen Wales in der SPOX-Analyse