Auf seiner Ehrenrunde im ohrenbetäubenden Lärm des Wembley-Stadions verlor der sonst so coole Gareth Southgate plötzlich die Fassung. Seine Faust zuckte unkontrolliert nach vorne, er brüllte all seine Freude und Erleichterung heraus. Es schien, als falle in diesem historischen Moment die Anspannung der kräftezehrenden 120 Minuten ab. "Wir haben es verdient. Dass wir dem Land und den Menschen so viel Freude bereiten können, ist sehr speziell für uns", sagte der Teammanager, nachdem England erstmals überhaupt ins Finale einer EM eingezogen war.
"ENDLICH! Nach 55 Jahren voller Schmerz", schrieb die Zeitung Mirror und gab den englischen Helden um Torjäger Harry Kane einen klaren Auftrag für das Finale am Sonntag (21.00 Uhr im Liveticker) gegen Italien im Wembley mit auf den Weg: "Jetzt macht euch unsterblich wie das Team von 1966."
Der Traum vom ersten großen Titel seit dem WM-Triumph vor 55 Jahren lebt, im Stadion feierten 66.000 Fans, darunter Prinz Williams. "Ich habe noch nie eine solche Atmosphäre im neuen Wembley erlebt, es war noch nie so laut", sagte Southgate.
Im ganzen Land spielten sich Szenen ab, als hätte England bereits den Pokal gewonnen. Die Pubs und Bars durften länger öffnen, und auch der britische Premierminister Boris Johnson jubelte mit. "Englands Spieler haben ihr Herz auf dem Platz gelassen", schrieb er bei Twitter: "Was für eine fantastische Leistung von Southgates Team, jetzt auf zum Finale. Lasst uns das Ding nach Hause holen."
Kane war es, der in der 104. Minute mit einem sehr zweifelhaften Foulelfmeter zunächst an Kasper Schmeichel scheiterte, aber dann den Nachschuss zum 2:1 (1:1) gegen die tapferen Dänen versenkte. "Ich bin stolz, diese Jungs als Kapitän aufs Feld zu führen. Wir wissen, dass wir noch nichts gewonnen haben. Als Stürmer will man mit Toren helfen, und ich bin froh, dass mir das momentan gut gelingt", sagte der 27-Jährige.
England - Harry Kane freut sich auf "riesige Chance"
Das Finale sei eine "riesige Chance, dieses tolle Turnier zu krönen", betonte Kane: "Es wird ein besonderer Tag - aber es wird einen Sieger und einen Verlierer geben. Wir werden alles dafür geben, dass wir am Ende die Sieger sind."
Southgate hatte seinen kurzen Gefühlsausbruch derweil schon längst überwunden, und er richtete den Blick auf den kommenden Gegner Italien. "Sie haben Belgien und Spanien ausgeschaltet und stehen absolut verdient im Finale", sagte der Coach: "Im Vergleich zu ihnen haben wir einen Tag weniger, um uns vorzubereiten und zu erholen." Italien sei "die größtmögliche Herausforderung", aber zugleich "ist es wundervoll, diese Möglichkeit zu haben".
Aus dem starken englischen Kollektiv, das Southgate überschwänglich lobte, ragte neben Kane auch Raheem Sterling heraus. Der Wirbelwind erzwang das Eigentor von Simon Kjaer (39.) zum Ausgleich. Und auch der erste Gegentreffer Englands im gesamten Turnier durch Mikkel Damsgaards traumhaften Freistoß (30.) brachte das Team nicht aus der Fassung. "Wir waren zum ersten Mal hinten, aber wir sind ruhig geblieben und hatten die Kontrolle", sagte Kane.
Auch dass der Siegtreffer in seiner Entstehung sehr glücklich war - Schiedsrichter Danny Makkelie hatte zur Verwunderung vieler nach einem harmlosen Zweikampf gegen Sterling auf Foulelfmeter entschieden - trübte die Freude der Engländer nicht. "Ich habe die fragliche Szene noch nicht gesehen", behauptete Southgate: "Aber wir hatten mehr Abschlüsse, mehr Chancen und die Kontrolle. Ich glaube, dass der Sieg verdient ist."