Erkenntnisse des 11. Bundesliga-Spieltags - Warum der VfB-Fußball einzigartig ist

Stefan Rommel
14. Dezember 202008:28
VfB Stuttgartgetty
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Die wichtigste Figur des Stuttgarter Höhenflugs sitzt auf der Bank, ebenso wie Dortmunds Hoffnungsträger - nur eben in ganz unterschiedlichen Rollen. Wolfsburg und Leverkusen freuen sich derweil über zwei unerwartete Leistungsträger. Die Talking Points.

Rino und die jungen Wirbelwinde aus Stuttgart

Bevor man - völlig zu Recht - die Leistung von Borussia Dortmund in ihre Einzelteile zerlegt, sollte man sich doch auch um den Gewinner des Spieltags kümmern. Wie der VfB Stuttgart über den BVB hinweggefegt ist, war teilweise atemberaubend. Fußballerisch, technisch, taktisch und in der Haltung zu diesem einen Spiel war der Aufsteiger dem Möchtegern-Titelanwärter eine Klasse überlegen, das Ergebnis am Ende noch viel zu niedrig. Aber wie kann das sein?

Es ist noch kein halbes Jahr her, da tappte Stuttgart eine Liga tiefer von einem Fettnapf in den nächsten und stieg am Ende als Einäugiger unter den Blinden auf. Und jetzt? Kommt einer wie Tanguy Coulibaly, der erst neulich noch in der 5. Liga gegen Rielasingen-Arlen oder Dorfmerkingen Probleme hatte, und mischt eine Champions-League-Abwehr zusammen mit ein paar anderen Halbwüchsigen auf.

Der Schlüssel dieser Entwicklung ist Pellegrino Matarazzo. Denn zur Wahrheit gehört neben ein paar offenbar ziemlich begabten Youngstern auch, dass der VfB einen unkonventionellen Fußball spielt, der in der Art einzigartig ist in der Liga. Das Stuttgarter Spiel zeichnet sich durch eine beeindruckende Variabilität aus, ohne dabei seinem Markenkern untreu zu werden. 24 Tore nach elf Spieltagen sind mit diesem Kader die eigentliche Sensation. Bei besserer Chancenverwertung oder mehr Glück - mit acht Pfostentreffern ist Stuttgart mit Abstand Ligaspitze - wäre die 30er-Grenze längst geknackt.

Und das kann, bei allem Respekt vor der Qualität der Einzelspieler, nur mit einem dem Gegner überlegenen Spielkonzept zu tun haben. Es werden Rückschläge kommen, die VfB-Idee alsbald auch mal auf Granit beißen. Aber auf Strecke sieht das erfolgversprechend aus - weil der VfB halt nicht einfach nur ein paar gute Kicker hat, sondern auch einen guten Trainer.

BVB: Kein Moukoko, keine Torgefahr

Die Geschichte des Spiels im Westfalenstadion war aber trotz des fulminanten Stuttgarter Auftritts der BVB - und dessen Hilflosigkeit, mit der das zweite Heimspiel in Folge vergeigt wurde.

Ex-Trainer Lucien Favre versuchte es in Abwesenheit von Erling Haaland mal wieder mit einer falschen Neun, diesmal mit Marco Reus ganz vorne drin. Es gab ja auch schon die Varianten mit Thorgan Hazard und Julian Brandt, situativ tauchten auch Jadon Sancho und Gio Reyna schon dort auf. Dabei wäre der einzige "echte" Mittelstürmer im Kader Youssoufa Moukoko. Aber der wurde von Favre geflissentlich übersehen.

Selbst bei Rückstand in der zweiten Halbzeit kamen erst Reinier, der wochenlang wegen einer Corona-Erkrankung gar kein Spiel machen konnte und dann Linksverteidiger Nico Schulz ins Spiel, während Moukoko draußen wartete. Dabei war einmal mehr offensichtlich, wie sehr es dem Dortmunder Spiel an Tiefe und Läufen in die Tiefe fehlte, etwas, das Moukoko freilich anbieten könnte.

Raumöffnende Laufwege können Reus, Hazard, Brandt zur Genüge liefern - was fehlt, sind diese Killer-Laufwege, die dem Ballführenden einen letzten Pass erst anbieten. Das Dortmunder Problem mit einer Alternative zum Angreifer Nummer eins schien mit Moukokos 16. Geburtstag endlich gelöst, nachdem Dortmund es jahrelang versäumt hatte, sich für diese neuralgische Position einen Backup zu leisten - so wie das früher der Fall war und womit die Verantwortlichen gute Erfahrungen machten.

Favre war offenbar anderer Meinung und man darf sehr gespannt darauf sein, wie Interimslösung Edin Terzic in Haalands Abwesenheit damit umgehen wird.

Uth und die Folgen: Muss das wirklich sein?

Augsburg gegen Schalke, das war Fußball zum Abgewöhnen und purer Zufall, dass in diesem Spiel überhaupt vier Tore fallen konnten. Augsburg rettet sich irgendwie noch zum Remis, Schalke verdaddelt in Überzahl kurz vor dem Ende den ersten Sieg seit Januar. So weit die Fakten, die sind relativ leicht zu erklären.

Warum diese Partie aber überhaupt zu Ende gespielt werden musste, ist nur schwer erklärbar. Mark Uths Verletzung war dramatisch, ein Schock. Offenbar gab es eine Aussprache zwischen Schiedsrichter Manuel Gräfe und beiden Mannschaften. Gräfe habe angeboten, die Partie abzubrechen.

Die Schalker hätten sich dafür ausgesprochen, weiter zu spielen. Diese Entscheidung gilt es zu respektieren, allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, wie schwer Uths Verletzung wirklich sein würde. Es gibt tatsächlich Wichtigeres als ein Fußballspiel, zumal beide Klubs nicht international tätig sind und die Partie hätte problemlos nachgeholt werden können.

Wolfsburgs Chef heißt Xaver Schlager

Stuttgart? Aufregend. Union? Überraschend. Wolfsburg? Unspektakulär. Aber eben auch überaus erfolgreich. Auf leisen Sohlen hat sich Wolfsburg nach oben herangeschlichen und nach einem knappen Drittel der Saison reift die Erkenntnis, dass diese Mannschaft erstmal einer bezwingen muss. Nicht zufällig ist Wolfsburg noch ungeschlagen und stellt mit elf Gegentoren die zweitbeste Defensive der Liga nach Leipzig.

Das Prunkstück ist Wolfsburgs Pressing, das in seiner Intensität und Prägung zum besten der Liga gehört. Der Schlüssel zur defensiven Stabilität der Mannschaft ist Xaver Schlager. Der Österreicher wird gerne übersehen, wenn Wout Weghorst mal wieder ein Spiel mit seinen Toren entscheidet oder Koen Casteels einen Elfmeter in der Schlussminute hält. Schlager ist das Herz der Mannschaft, ihr aggressiver Anführer, Ballklauer, Tempomacher, manchmal auch Vorbereiter und Torschütze.

Vertauschte Rollen bei Bayer Leverkusen

Der Spitzenreiter nach einem Drittel der Saison heißt nicht Bayern oder Dortmund oder Leipzig, sondern Bayer Leverkusen. Peter Bosz' Mannschaft spielt nicht ganz so spektakulär, aber eben sehr konstant und profitiert derzeit davon, dass trotz der hohen Belastung und einiger Ausfälle immer wieder neue Spieler zu großer Form auflaufen. So wie Leon Bailey auf dem rechten Flügel.

Zu Saisonbeginn galt der Jamaikaner als Wackelkandidat, hatte zwei eher durchwachsene Spielzeiten hinter sich und galt im internen Ranking hinter dem jungen Moussa Diaby als 1B-Variante, die sich mit dem ewigen Karim Bellarabi um einen Platz auf dem Flügel streiten sollte.

Derzeit ist Bailey aber die klare Nummer eins: der beste Umschaltspieler im Team, gefährlich bei seinen Dribblings, mit Fernschüssen und Flanken. Bailey stellt Diaby momentan komplett in den Schatten. Dem ist jene Leichtfüßigkeit abhanden gekommen, mit der Bailey überzeugt. Und von Karim Bellarabi redet derzeit kaum noch jemand.

Talking Points: Die Bundesliga-Tabelle nach dem 11. Spieltag

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayer Leverkusen1123:101325
2.Bayern München1135:171824
3.RB Leipzig1123:91424
4.Wolfsburg1118:11721
5.Borussia Dortmund1123:15819
6.1. FC Union Berlin1123:15817
7.VfB Stuttgart1124:17717
8.Borussia M'gladbach1120:17317
9.Eintracht Frankfurt1116:19-313
10.FC Augsburg1114:17-313
11.Hertha BSC1119:20-112
12.TSG Hoffenheim1119:21-212
13.Werder Bremen1114:19-511
14.SC Freiburg1114:22-811
15.1. FC Köln1113:17-410
16.Arminia Bielefeld118:22-147
17.1. FSV Mainz 051112:25-135
18.Schalke 04118:33-254