Der FC Bayern München wird nach dem 1:1 gegen Union Berlin die Fragen nach Robert Lewandowski nicht los. Doch die eigentliche Problemstelle im Kader liegt woanders. Union Berlin entwickelt sich zudem zur deutschen Version von Atalanta Bergamo. Die Thesen zum Remis des FCB am 5. Spieltag der Bundesliga.
1. FC Bayern: Die Frage nach Lewandowski wird bleiben - leider!
Zum zweiten Mal hintereinander hat der FC Bayern München in der Bundesliga nur 1:1 gespielt, zum zweiten Mal hintereinander ließen einige Offensivspieler des Rekordmeisters mehr oder weniger viele hochklassige Chancen liegen. Das führte nicht nur zum Verlust der Tabellenführung am fünften Spieltag, was freilich nicht nur Trainer Julian Nagelsmann "scheißegal" sein dürfte. Sondern es führte eben zum zweiten Mal hintereinander zu den unvermeidlichen, aber größtenteils nicht befriedigend beantwortbaren Fragen nach Robert Lewandowski, der für den FC Barcelona am Samstag sein fünftes Saisontor erzielte.
Aber fürs Protokoll:
- Hat Lewy gefehlt gegen Union Berlin? Kann schon sein. Sadio Manés Leistung jedenfalls war nicht so berühmt.
- Wäre es mit Lewandowski anders gelaufen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Auch Lewandowski hat nicht in jedem Spiel für den FC Bayern getroffen.
- Braucht es nicht doch einen Weltklasse-Mittelstürmer? Nicht, wenn Bayerns Offensiv-Quartett in Berlin effektiver gewesen wäre.
Sicher, im Gegensatz zum Unentschieden gegen Mönchengladbach, als die Münchner das Kunststück fertigbrachten, aus 33 Schüssen nur ein Tor zu erzielen, aber spektakulär gut spielten, kann die bayerische Torflaute diesmal nicht nur mit Künstlerpech oder einem überragenden gegnerischen Keeper erklärt werden.
Es brauchte, wie Julian Nagelsmann richtig anmerkte, nur einmal eine wirkliche Glanztat von Unions Keeper Frederik Rönnow, um die vier sehr hochkarätigen Chancen der Münchner zu vereiteln.
Das größte Problem in Berlin war nicht die mangelnde Effektivität der Stürmer vor dem Tor. Viel problematischer waren neben dem von Nagelsmann angemahnten niedrigen Energielevel und der Tatsache, dass die Angreifer bei den Großchancen die falschen Entscheidungen trafen, auch die vielen Unkonzentriertheiten der gesamten Mannschaft beim Kreieren der Chancen. Und noch dazu ein gewisser Hang zum komplizierten Spiel im Angriffsdrittel.
Julian Nagelsmann hat seinen Bayern über den Sommer einen weniger wilden und geduldigeren Spielaufbau verordnet, von dem auch in Berlin die Defensive profitierte. Doch im Angriffsdrittel schlich sich ein gewisser Schlendrian ein, unter dem die Münchner in der vergangenen Saison etwa auch beim 0:1 beim FC Villarreal in der Champions League litten. Der Mittelstürmer Robert Lewandowski stand damals übrigens 90 Minuten auf dem Platz.
FC Bayern München: Schussstatistik in der Bundesliga
Spieltag | Gegner | Schüsse FC Bayern | Tore |
1. | Eintracht Frankfurt | 23 | 6 |
2. | VfL Wolfsburg | 24 | 2 |
3. | VfL Bochum | 22 | 7 |
4. | Borussia Mönchengladbach | 33 | 1 |
5. | Union Berlin | 21 | 1 |
2. FC Bayern München: Die Problemposition ist links hinten
Auch wir bei SPOX haben uns nach den ersten Wochen der Saison, wenn die Frage nach der Defensive des FC Bayern aufkam, eher mit Matthjis de Ligts Fitnesszustand, mit Dayot Upamecanos Fehler beim 1:1 gegen Borussia Mönchengladbach und vor allem mit dem schwierigen Start von Rechtsverteidiger Noussair Mazraoui beim deutschen Rekordmeister beschäftigt.
Doch spätestens das 1:1 bei Union Berlin offenbarte Bayerns momentane wirkliche Problemstelle in der Defensive.
Denn während de Ligt in Berlin alles tat, um sich dauerhaft für die Planstelle als Abwehrchef in der Startelf zu empfehlen und der verhinderte Innenverteidiger Benjamin Pavard auch sich selbst erneut zeigte, dass er ein sehr guter offensiv orientierter Rechtsverteidiger sein kann, war Alphonso Davies Leistung links hinten eine eher enttäuschende. Wie schon in der Vorwoche gegen Borussia Mönchengladbach gehörte Davies zu den schwächsten Bayern.
Zwar zeigte Davies in Berlin ein paar ganz ansehnliche Vorstöße nach vorne und hatte in der 58. Minute auch Pech, dass Sadio Mané - der einzige noch schwächere Bayer bei Union - mit Davies' schönem Pass in den Strafraum nicht allzu viel anfangen konnte. Doch alles in allem schien bei Davies der Wurm drin. Im direkten Duell mit Unions Christopher Trimmel sah er oft schlecht aus, Davies verlor viele einfache Bälle, gewann nur drei seiner acht Zweikämpfe. Vor allem im Vergleich mit Rechtsverteidiger Pavard sahen Davies' Werte richtig schlecht aus.
Pavard war fast doppelt (!) so oft am Ball (122 zu 62), schlug mehr Flanken (4 zu 0), gewann fast alle seine Zweikämpfe (9 von 10, Davies 3 von 8) und gab mehr Schüsse ab (3 zu 1). Zugegeben: Pavard stand 90 Minuten auf dem Platz, Davies wurde ausgewechselt, doch eben erst in der 85. Minute, viel besser wären seine Werte bis zum Schluss nicht geworden.
Sollte der Durchhänger von Davies, dem in der Rückrunde der vergangenen Saison eine Corona-Infektion mit anschließender Herzmuskelentzündung zusetzten, sich nun zu einer echten Schwächeperiode ausweiten, könnte das für den FC Bayern auch deswegen problematisch werden, weil er auf seiner Position im Grunde konkurrenzlos ist. Der in Berlin geschonte Lucas Hernández kann zwar links spielen, sollte aber wegen der gewissen Fehleranfälligkeit von Dayot Upamecano eher im Zentrum spielen und Josip Stanisic ist vor allem Rechtsverteidiger.
3. Union Berlin kann das deutsche Atalanta Bergamo werden
Julian Nagelsmann war nach dem 1:1 ziemlich genervt, beantwortete die meisten Fragen eher einsilbig, fast schnippisch. Doch als die Sprache auf den Gastgeber aufkam, hellte sich die Laune des Bayern-Trainers doch auf. "Das Stadion ist cool. Die Fans sind cool. Der Club ist cool. Urs Fischer ist cool. Ich komme nächste Saison gern wieder her", sagte Nagelsmann.
Dann womöglich gar zu einem Champions-League-Teilnehmer? Klar, die Saison ist noch lang, aber Unions Entwicklung in den vergangenen drei Jahren ist noch beeindruckender als die vom SC Freiburg. Im Gegensatz zum neuen Tabellenführer pflegt Union einen eher defensiv orientierten und einfachen Spielstil, doch die kompakten Köpenicker sind eben auch keine plumpen Zerstörer. Trainer Urs Fischer begreift Fußball zwar als einfaches Spiel, aber eben nicht destruktiv.
Kaum eine Mannschaft wirkt so eingespielt wie Union, bei kaum einer Mannschaft wirkt das Spiel so herrlich automatisiert wie bei Fischers Jungs.
Spieler und Trainer profitieren da natürlich auch von der durchdachten und strukturierten Transferpolitik der Verantwortlichen. Sport-Geschäftsführer Oliver Ruhnert muss zwar jede Saison einen runderneuerten Kader bauen, doch er schafft dies seit seinem Amtsantritt 2018 jedes Mal beeindruckend früh. Auch diesen Sommer wusste Urs Fischer schon sehr früh, welche Spieler er zur Verfügung haben würde. Diese strukturierte und frühe Kaderpolitik führt eben zu dem hohen und unverwechselbaren Automatisierungsgrad Unions.
Der Vergleich mag ein wenig hinken, weil die Italiener natürlich spektakulärer spielen und die Qualität der Einzelspieler höher ist. Aber das Vorgehen Unions erinnert durchaus ein bisschen an die europäische Überraschungsmannschaft der vergangenen Jahre Atalanta Bergamo. Auch Atalanta kam quasi aus dem Nichts, spielte zwei Jahre in der Europa League, ehe man drei Saisons hintereinander sogar in der Champions League randurfte. Für Union beginnt am Donnerstag mit dem Heimspiel gegen Union Saint-Gilloise in der Europa League das zweite Jahr im Europapokal ...