Mit Sebastien Haller verlässt nach Luka Jovic bereits der zweite Top-Angreifer Eintracht Frankfurt. Warum hat die Vereinsführung um Fredi Bobic dem Transfer zugestimmt? Droht nun auch ein Abgang von Ante Rebic und weiteren Leistungsträgern? Und warum entschied sich Haller für den Wechsel zu einem mittelmäßigen Premier-League-Klub? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum lässt Eintracht Frankfurt Sebastien Haller gehen?
Sollte man tatsächlich Jovic, Haller und Ante Rebic gehen lassen, so unkte Marketingvorstand Axel Hellmann vor einigen Wochen, "haben wir die Kasse voll, machen den Laden zu und setzen uns ab in die Karibik." Leer ist die Kasse aber schon jetzt nicht mehr: Der Verkauf von Luka Jovic an Real Madrid hat gute 45 Millionen Euro in die Kassen gespült, der Rest ging an dessen frühere Klubs. Es gab also keine dringlichen finanziellen Gründe dafür, Haller ziehen zu lassen.
Coach Adi Hütter hatte vor wenigen Tagen betont, dass man dem Spieler die Wahl geben wolle, bei der Eintracht zu bleiben oder eine neue Herausforderung zu suchen: "Wenn es Angebote gibt, muss der Spieler selbst entscheiden, ob er bei Eintracht Frankfurt bleiben oder eventuell die Chance nutzen möchte, in eine andere Liga zu gehen." Haller könne gehen, "wenn er sagt, ich möchte eventuell den Verein verlassen, weil das komplette Paket stimmt."
Der Klub wollte seinem Leistungsträger also keine Steine in den Weg legen, als es darum ging, die eigenen sportlichen Träume wahr werden zu lassen. "Sebastien ist jederzeit offen und fair mit seinen Ambitionen umgegangen", erklärte Fredi Bobic.
Rein altruistisch ist allerdings auch die Eintracht nicht unterwegs.
Bereits im vergangenen Winter hatte man versucht, den Vertrag mit dem Stürmer zu verlängern, natürlich gekoppelt mit einer beträchtlichen Gehaltserhöhung. Doch Haller hatte abgeblockt, schon damals den möglichen Wechsel nach England im Hinterkopf.
Sebastien Hallers Statistiken bei Eintracht Frankfurt
Wettbewerb | Spiele | Tore | Vorlagen | Minuten |
Bundesliga | 77 | 24 | 13 | 4.532 |
Europa League | 10 | 5 | 3 | 774 |
DFB-Pokal | 6 | 4 | 3 | 469 |
Sein Vertrag am Main lief also nur bis Juni 2021. Spätestens im kommenden Sommer hätte Fredi Bobic also verkaufen müssen, um Haller nicht ablösefrei zu verlieren. Ob dessen Marktwert jedoch weiter in die Höhe geschossen wäre, ohne Jovic und in einer Saison, in der nach dem Europa-League-Hoch von 2018/19 der Kater droht, ist nicht sicher. Die "Büffelherde" war ohnehin zerrissen und in ihren Einzelteilen womöglich weniger wertvoll als in ihrer Gesamtheit.
Bei einer Summe von rund 50 Millionen Euro - immerhin das siebenfache dessen, was 2017 an den FC Utrecht überwiesen worden war - wurde Bobic dann schwach: "Für uns gibt es natürlich wirtschaftliche Schmerzgrenzen." Zumal West Ham drei Viertel der Summe sofort überweist. Utrecht kassiert von der Ablöse lediglich zehn Prozent. Um einmal NBA-Jargon zu bemühen: Bobic entschloss sich, den "Rebuild" im Sturm ein Jahr vorzuziehen.
Ausverkauf? Was passiert nun bei Eintracht Frankfurt?
Zwei Drittel der "Büffelherde" im Sturm hat Fredi Bobic nun verloren. Dürfen die Fans zumindest auf einen Verbleib von Ante Rebic hoffen? Rebic, der schon im vergangenen Sommer umworben und mit einer Gehaltsaufstockung gehalten worden war, trainiert weiter mit dem Team. Der Topverdiener präsentierte sich zum Saisonstart lustlos, steigerte sich aber in den letzten Tagen.
Der 25 Jahre alte Vize-Weltmeister hat die Zeichen der Zeit natürlich erkannt. Ohne Jovic und Haller ist es fraglich, ob die Eintracht auf die vergangene Saison noch einen draufsetzen kann. Bei Rebic gilt ebenfalls: Kommt das passende Angebot auf den Tisch von Bobic geflattert, darf er gehen. Allerdings läuft sein Vertrag noch bis 2022, ein Verein müsste wohl eine Ablöse in ähnlicher Größenordnung auf den Tisch legen wie bei Haller.
Welches Wappen dieser Verein führt, das ist völlig unklar. Lange galt Atletico Madrid als Favorit, zumal dort Antoine Griezmann ersetzt werden muss. Doch Aletico hat bereits viele Millionen Euro ausgegeben, nicht zuletzt für Wunderkind Joao Felix. Auch aus Italien wurde Interesse kolportiert, etwa von Inter Mailand.
Wie auch immer der Rebic-Poker endet: Mit ihm dürfte das Abgang-Domino bei den Stars erst einmal beendet sein. Filip Kostic etwa, so vermeldet es die Frankfurter Rundschau, muss auf jeden Fall bleiben, selbst bei einem Angebot von über 40 Millionen Euro. Weitere Spieler wie Felix Wiedwald, Nicolai Müller oder Marc Stendera sollen gehen, schmerzen würde Hütter aber wohl nur ein Transfer des wechselwilligen Jetro Willems.
Die Frage für Bobic und Co. ist eher, wie man den Qualitätsverlust in der Offensive auffangen will. Dejan Joveljic soll der nächste Durchstarter werden, Rekordzugang Djibril Sow wird verletzt lange fehlen. Max Kruse und Marko Grujic hat man nicht bekommen.
Rekordzugang dürfte Sow nicht lange bleiben, jetzt wo Bobic weitere 40 bis 50 Millionen Euro ausgeben kann. Doch das hat sich international natürlich herumgesprochen: So rief Napoli für den kroatischen Mittelfeldspieler Marko Rog prompt 20 Millionen Euro auf.
Bobic könnte nun zwar mehrere Transfers in dieser Größenordnung stemmen, naheliegender ist jedoch, dass er sich weiter auf Rohdiamanten konzentriert - oder bei anderen Vereinen in Ungnade gefallene Spieler, die günstig zu bekommen sind. Nicht umsonst wurde der Name Andre Schürrle bei der SGE ins Gespräch gebracht.
Bobic muss dabei viele Bälle in der Luft halten. Da ist der nötige Ersatz für Jovic, Haller und womöglich Rebic. Da ist die Frage, ob Adi Hütter von seinem bevorzugten Spielsystem abrücken würde, oder ob die Büffel positionsgetreu ersetzt werden müssen. Rückkehrer Daichi Kamada etwa spielt eine ganz starke Vorbereitung, hat im System Hütter aber eigentlich keinen Platz. Und da sind Kevin Trapp, Sebastian Rode und Martin Hinteregger, die nach starken Saisons allesamt gekauft werden sollen.
Das Transferfenster ist noch bis zum 2. September geöffnet, doch so viel Zeit sollte sich der Vorstand Sport nicht unbedingt lassen. Schließlich sind vor der Deadline stolze zehn Pflichtspiele zu absolvieren, das Auftaktprogramm hat es in sich. "Konkurrenzfähigkeit steht über allem", betonte Bobic zuletzt. Dafür sind weitere Verstärkungen unabdingbar.
Warum entschied sich Haller für den Wechsel zu West Ham United?
"Ich werde mich verbessern. Ich weiß, dass ich mehr machen muss", sagte Haller am 7. Juli in einem Interview auf der Eintracht-Homepage, angesprochen auf seine Deutschkenntnisse. Dann schob er noch hinterher: "Englisch ist einfacher", und lachte.
Die Deutschstunden haben sich für den Angreifer nun erledigt. Stattdessen darf er sich mit dem Cockney-Slang beschäftigen, der ihm im Olympiastadion begegnen wird. Aber warum West Ham? "Ich würde nie in die Premier League wechseln, nur um dort gespielt zu haben", betonte er noch im November 2018 in der FAZ. "Es muss für mich Sinn machen. Und es muss der richtige Zeitpunkt für mich sein."
Dazu passt, dass er zu Beginn von einem Wechsel zu den Hammers nicht gerade begeistert gewesen sein soll. Schließlich ist der Hauptstadtklub aus London eher eine graue Maus, hat mit dem internationalen Geschäft nichts zu tun: Einmal Platz sieben im letzten Jahrzehnt, ansonsten immer deutlich schlechter, 2019 reichte es für Rang zehn. Die fantastische Europa-League-Atmosphäre von Frankfurt wird er bei West Ham nicht erleben.
Trotzdem lassen sich vier Gründe dafür nennen, warum Haller einem Wechsel zustimmte.
- Es könnte sich durchaus um den "richtigen Zeitpunkt" handeln, die Eintracht zu verlassen. Mit Jovic ist ein kongenialer Sturmpartner bereits gewechselt, ein Abgang von Rebic ebenfalls gut möglich. Nicht auszuschließen also, dass die Adler angesichts der Verluste und der anstehenden Dreifachbelastung sportlich einen Schritt zurück machen. Das könnte für Haller eine schwächere Torquote bedeuten und die Anzahl künftiger Interessenten verkleinern.
- Bei West Ham hat Haller alle Chancen, sich ins Rampenlicht zu spielen. Marko Arnautovic hat den Verein in Richtung China verlassen, Transferziel Maxi Gomez entschied sich für den FC Valencia. Trainer Manuel Pellegrini gehen also die Stürmer aus. Die Sun hat ausgerechnet, dass der Klub seit Januar 2010 stolze 38 Stürmer verpflichtet hat, die zusammen in 957 Spielen auf 203 Tore kamen. Haller würde also direkt Fixpunkt in der Offensive. Und könnte sich für größere Aufgaben empfehlen, in den direkten Duellen gegen die Uniteds, Arsenals, Liverpools und Manchesters dieser Welt. Denn eins ist klar: West Ham soll nur eine Durchgangsstation sein zu den "Top Six" der Liga. Nicht umsonst soll sich Haller eine Ausstiegsklausel gesichert haben.
- Die Nationalmannschaft: Die Jugendmannschaften der Equipe Tricolore hat Haller allesamt durchlaufen, doch auf eine Einladung von Didier Deschamps wartete er bislang vergebens. "Ich weiß, wie die Dinge laufen. Meine Zeit ist noch nicht gekommen", philosophierte er darüber. "Wenn ich weiter viele Tore schieße, wird sie aber kommen." In der besten Liga der Welt kann er sich weiter ins Rampenlicht spielen und für sein A-Debüt empfehlen. Schließlich ist Olivier Giroud fast 33. Für seinen Platz als Stoßstürmer zwischen Antoine Griezmann und Kylian Mbappe wäre Haller perfekt geeignet.
- Das liebe Geld: In Frankfurt soll Haller bisher rund zwei Millionen Euro verdient haben. Selbst bei einer stolzen Gehaltserhöhung im Falle einer vorzeitigen Vertragsverlängerung wären es wohl nicht mehr als fünf Millionen geworden. Bei West Ham kassiert er dagegen mindestens sechs Millionen Euro, mit Prämien können es sogar sieben Millionen Euro werden.