SPOX-Redakteur Nino Duit reiste zwei Wochen lang durch Japan und Südkorea. Er besuchte Fußballspiele und ließ die lokale Fußballkultur auf sich wirken. Vier Beobachtungen.
Lieblingsspieler statt Lieblingsverein
Rund zwei Stunden vor Anpfiff des Freundschaftsspiels gegen Kolumbien Ende März ist im World Cup Stadium von Seoul irgendwie unklar, wer hier gleich auflaufen wird. Tatsächlich wie eigentlich angekündigt Südkorea? Oder doch Tottenham Hotspur? Die Dichte an Spurs-Trikots ist jedenfalls erstaunlich hoch und das liegt an einem Mann: Heung-Min Son. "Den Leuten ist Tottenham eigentlich egal, sie sind Son-Fans", erklärt Journalist Myeong-Su Lee von Naver Sports.
Als Son noch für Bayer Leverkusen spielte, kam er mit seinem Klub 2014 während der Saisonvorbereitung für ein Freundschaftsspiel gegen den FC Seoul in seine Heimat. "Obwohl die meisten Fans außer Son keinen einzigen Spieler kannten, schauten sie damals alle Leverkusen-Spiele im Fernsehen an. Natürlich war auch dieses Freundschaftsspiel ausverkauft", erinnert sich Lee. "Seitdem Son den Verein verlassen hat, interessiert Leverkusen hier aber keinen mehr." Die gleichen Fans schauen jetzt eben Tottenham-Spiele. Personenkult!
gettyEs muss aber nicht einmal der ganz große Fußball sein, Personenkult klappt in Südkorea auch im Kleineren. Hyeon-Uh Jo fristete lange Zeit ein recht unspektakuläres Dasein als Keeper des K-League-Vereins FC Daegu. Doch dann machte er bei der WM 2018 mit 26 Jahren in seinem erst achten Länderspiel, der abschließenden Gruppenspartie gegen Deutschland, das Spiel seines Lebens. Jo hielt beim 2:0-Sieg alles, wurde zum Helden und die zuvor eher spärlich besuchten Spiele seines Vereins sind laut Lee seitdem alle ausverkauft. Die Leute kommen nicht wegen dem FC Daegu, sie kommen wegen Jo.
Verfolgen Südkoreaner europäischen Fußball, ist das Verhaltensmuster identisch. Man ist Lionel-Messi- oder Cristiano-Ronaldo-Fan, nicht FC-Barcelona- oder Juventus-Turin-Fan. Wechselt der Lieblingsspieler den Verein, wechselt in Südkorea zumeist auch der Fan den Verein. Wegen dieses Personenkults funktioniert die klassische Fußball-Gesprächs-Eisbrecher-Frage in Südkorea anders als in Europa. Statt "Was ist dein Lieblingsverein?" heißt es: "Wer ist dein Lieblingsspieler?"
Kreischen für Heung-Min Son
Der nationale Lieblingsspieler Son gilt in Südkorea nicht nur als gut, sondern auch als überaus attraktiv - was in den vergangenen Jahren einen Boom des Fußballs unter Frauen auslöste. "Vor Son waren bei den Länderspielen nicht so viele Frauen im Stadion", erinnert sich Journalist Lee. "Seitdem er zum Star aufgestiegen ist, hat sich das gänzlich gewandelt. Viele junge Südkoreanerinnen interessieren sich nur deshalb für Fußball, weil sie Son so attraktiv finden." Lee erzählt von Freundinnen von ihm, die wegen Son auf einmal regelmäßig Länderspiele im Stadion verfolgen.
Son ist mehr Star und Trendsetter als Fußballer, er spricht eine andere Zielgruppe an als der vormalige Liebling Ji-Sung Park. Obwohl Park mit Manchester United reihenweise Titel gewann, galt er zuhause in Südkorea als langweilig. Er war eben ein erfolgreicher Fußballer - aber auch: nur ein erfolgreicher Fußballer. "Park hat trainiert, gespielt und geschlafen", erklärt Lee. "Son nutzt dagegen die sozialen Medien, um sich als coolen Typ zu inszenieren."
gettyDer Frauenanteil in den Stadien hängt in Südkorea also eng mit dem Personenkult zusammen. Und aktuell ist Hochkonjunktur, wie beim Freundschaftsspiel gegen Kolumbien bestens zu beobachten ist. "Bei den Länderspielen herrscht zur Zeit eine Stimmung wie bei Konzerten", sagt Lee. Als bei der Startelfverkündung kurz vor Anpfiff Sons Name verlesen wird, wird gekreischt als ob gleich Justin Bieber auftreten würde.
Oliver Kahn ist tatsächlich eine Legende
Im Museum des japanischen Fußballverbands in Tokio bekam exakt ein Fußballer die Ehre einer eigenen Einzelstatue. Kein Japaner, nein: Oliver Kahn. Es ist nur der offensichtlichste Beweis der Verehrung, die dem ehemaligen deutschen Nationalkeeper in Japan bis heute zu Teil wird. Ausgestellt sind unter anderem noch signierte Handschuhe aus dem Jahr 2004.
Zu jedem K.o.-Spiel der in Japan und Südkorea ausgetragenen WM 2002 gibt es im Museum kurze Berichte, worin man lernt: Es war nicht Deutschland, das Paraguay, die USA und Südkorea auf dem Weg ins Finale besiegte - nein, es war Oliver Kahn. Seine Fehler bei der 0:2-Niederlage im Finale gegen Brasilien bleiben dagegen geflissentlich unerwähnt.
gettyDie Japaner faszinierten nicht nur Kahns Reflexe, sondern auch "seine Persönlichkeit und Mentalität", wie Journalist Yuhei Yamaguchi von Goal-Japan erklärt. "Kahn stand damals über allen. Er war sogar bekannter als David Beckham." Das nutzte nicht nur Kahn selbst, der in der Folge am japanischen Markt mit mehreren Werbeauftritte Geld verdiente, sondern auch seinem Heimatland ganz generell. "Seitdem gibt es in Japan viele Fans des deutschen Fußballs", sagt Yamaguchi.
Auch im WM-Co-Gastgeberland Südkorea hinterließ er Eindruck. "Kahn ist Legende", sagt Journalist Lee fast schon ehrfürchtig. Selbst die Halbfinalniederlage der eigenen Nationalmannschaft gegen Kahns Deutschland nahmen ihm die Südkoreaner nicht übel. "Die italienischen und spanischen Spieler benahmen sich nach den Partien gegen uns daneben", erklärt Lee, "aber Kahn hat gute Manieren gezeigt. Deswegen haben wir ihm applaudiert." Und dieser Applaus gilt auch noch knapp 17 Jahre später.
Nach dem Spiel verbeugt man sich in Japan
Zunächst ist alles ganz genau so wie in Europa. Nach Abpfiff schlendern die Spieler Richtung Fankurve, stellen sich nebeneinander auf und nehmen sich an den Händen. Statt diese dann aber wie hierzulande zumeist unter lauten "Hey! Hey! Hey!"-Rufen nach oben schnellen zu lassen, neigen sie still ihren Kopf nach unten. Verbeugung vor den eigenen Fans.
So war es beim J-League-Spiel der Urawa Red Diamonds gegen den FC Tokyo Ende März - und so ist es auch bei jedem anderen Spiel mit japanischer Beteiligung. Egal ob Klubfußball oder Nationalmannschaft. "Die Verbeugung ist der japanische Gruß. Es ist Teil unserer Fußballkultur, dass ihn die Spieler nach Abpfiff machen", sagt Journalist Yamaguchi.
gettyZu dieser Ehre kommen aber nicht nur die Fans in der Kurve - nacheinander verbeugen sich die Spieler vor jeder Tribüne. Völlig egal ist dabei das Ergebnis, völlig egal auch die Reaktion der Fans. "Sogar wenn die Mannschaft schlecht spielt, verliert und von den eigenen Fans ausgepfiffen wird, verbeugen sich die Spieler vor den Rängen", erklärt Yamaguchi.