Die Raute rockt wieder

Stefan ZieglmayerArne Pieper
03. Dezember 201522:19
Bruno Labbadia hat dem HSV eine klare Handschrift verpasstgetty
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Der Ruf des Hamburger SV wurde aufgrund der sportlichen Talfahrt in den vergangenen Jahren sehr in Mitleidenschaft gezogen. Zwei Jahre am Rande des Abstiegs machten den Bundesliga-Dino zur Lachnummer. Auch wenn sich an der finanziellen Schieflage des Klubs nichts geändert hat, geht es sportlich in dieser Saison steil bergauf. Der Aufschwung hat viele Gründe.

Der Retter mit Vision

Trainer Bruno Labbadia ist ohne Zweifel der Vater des derzeitigen Aufschwungs. Er hat dem krisengeschüttelten HSV neues Leben eingehaucht und es endlich geschafft, der Mannschaft eine klare spielerische und taktische Identität zu verpassen.

Nach zwei Jahren als eine der Schießbuden der Liga ist es dem 49-Jährigen gelungen, Stabilität in die Hamburger Defensive zu bekommen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen (0:5 in München, 0:3 in Berlin) steht das Team bei gegnerischem Ballbesitz deutlich kompakter, überzeugt durch taktisch cleveres Verschieben und bei Bedarf auch durch aggressives Pressing.

Bei allem sichtbaren Fortschritt wird Labbadia allerdings nicht müde zu betonen, dass man noch nichts erreicht habe und sich inmitten eines Prozesses befinde, der noch lange nicht abgeschlossen sei: "Es ist aus unserer Sicht nicht der Zeitpunkt, sich für irgendetwas bestätigt zu sehen. Für uns alle geht es doch nach den schweren Jahren erstmal darum, wieder mehr Substanz und Stabilität in den Laden zu bringen. Daran arbeiten wir alle jeden Tag richtig hart", erklärte er dieser Tage bei Sport 1.

Unverkennbar sind auch die spielerischen Fortschritte. War das Wort Spielkultur in Hamburg über viele Jahre ein Fremdwort, zeigt das Team jetzt durchaus ansehnlichen Fußball, ohne jedoch auf das kämpferische Element zu verzichten.

Zudem sind die Rothosen im Spiel nach vorne deutlich vielseitiger geworden und nicht mehr so leicht ausrechenbar, wie noch in den Jahren der häufig erschreckenden offensiven Harmlosigkeit. SPOX

In Spielen mit viel Ballbesitz findet das Team neue Lösungswege, unter anderem durch die Variabilität der Flügelspieler, denen Labbadia viele Freiräume bietet. Auch gegen den Ball arbeiten die Hamburger inzwischen deutlich effektiver, als Musterbeispiel dient dabei die taktische Meisterleistung im Heimspiel gegen den BVB (3:1).

Labbadia warnt allerdings davor, sich auf die ordentliche Ausbeute von 21 Punkten aus 14 Spielen zuviel einzubilden: "Wir wissen aber auch, dass wir nach wie vor in jedem Spiel an die 100 Prozent kommen müssen, um die Chance auf einen Sieg zu haben. Wenn wir das schaffen, können wir den Ausgang des Spiels aber auch selbst bestimmen. Das gibt uns ein gutes Gefühl."

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Von Angsthasen zu Mentalitätsmonstern

Auch in den Köpfen der Spieler hat sich einiges getan. Statt in entscheidenden Phasen "Angsthasenfußball" zu spielen, hat die Mannschaft eine Siegermentalität entwickelt. Drei Siege mit einem Treffer Unterschied hat der HSV bislang eingefahren, in allen drei Spielen fiel der entscheidende Treffer in den Schlussminuten.

Der fehlende Glaube an die eigene Stärke war für lange Zeit ein Hauptproblem der Hanseaten, statt hängender Köpfe und sichtbarer Ratlosigkeit ist nun Selbstvertrauen im Team eingekehrt. Ein klares Indiz für die neugewonnene mentale Stärke ist auch die Tatsache, dass sich die Mannschaft durch den völlig verpatzten Saisonstart mit dem Pokal-Aus in Jena und der Klatsche in München nicht hat verunsichern lassen.

Spätestens nach der hanebüchenen Rucksack-Affäre um Sportdirektor Peter Knäbel drohte das Chaos wieder seinen Lauf zu nehmen. Gerade erst von der dramatischen Vorsaison erholt, prophezeiten die Medien bereits die nächste Hamburger Horrorsaison.

Statt sich von der daraus resultierenden Panik im Vereinsumfeld zum wiederholten Mal anstecken zu lassen, behielt das Team jedoch dieses Mal die Ruhe und wird inzwischen dafür belohnt. Der neu entdeckte Siegeswille zeigte sich zuletzt eindrucksvoll im Nordderby, als dem HSV über die gesamte Distanz die größere Gier anzumerken war. Viele der zuvor noch gehemmt und verunsichert auftretenden Spieler wirken inzwischen wie von einer großen Last befreit.

Dass der HSV derzeit gleichzeitig so mannschaftlich geschlossen daherkommt wie seit Jahren nicht mehr, ist keine Selbstverständlichkeit. "Wir haben im Sommer insgesamt 24 Personalentscheidungen getroffen, hatten 15 Abgänge inklusive der Spieler, die wir ausgeliehen haben", erklärte Labbadia. "Veränderungsprozesse in diesem Ausmaß habe ich bei keiner anderen Mannschaft festgestellt. Uns war immer klar, dass wir nur eine Chance haben würden, wenn wir es gemeinsam angehen."

Angesichts der positiven Entwicklung des Teams ist es wohl auch nicht ketzerisch zu behaupten, die Abgänge arrivierter Spieler wie Rafael van der Vaart oder Heiko Westermann haben dem Neuanfang weniger geschadet als genutzt.

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Aus Sündenbock mach bockstark

Die Sündenböcke der vergangenen Saison sind wie ausgewechselt in die neue Spielzeit gestartet. Die Euphorie macht sich in den Leistungen bemerkbar, aber auch schon im Vorfeld des derzeitigen Erfolgs zeigten sich Spieler wie Pierre-Michel Lasogga stark verbessert.

Die Zahlen sprechen für sich. Während Hamburgs Top-Stürmer in der vergangenen Spielzeit in 28 Ligapartien mickrige vier Tore erzielte, zappelte in der laufenden Runde schon sechs Mal das Netz.

Der Gegenpol zu Lasogga knüpft an einstige Bestleistungen an. Rene Adler spielte bereits zum jetzigen Zeitpunkt schon öfter zu null (3 Mal) als im Krisenjahr 2014/15 (2 Mal). Mit Weltklasse-Paraden wie beim Sieg gegen Dortmund hat der frühere Nationaltorhüter nicht unerheblichen Anteil am Erfolg.

Als Herz der Mannschaft entpuppte sich indessen Lewis Holtby. Seine Kombination aus Kreativität und Kampfgeist lassen die unbefriedigenden Leistungen der vergangenen Spielzeit vergessen.

Mit Nicolai Müller und Ivo Illicevic bieten sich Holtby zwei schnelle, variable Außenspieler, die weite Wege - auch in der Defensive - gehen. Auch das war anhand der Leistungen in der Vorsaison nicht abzusehen.

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Einschlagende Neuzugänge

Auf dem Transfermarkt hat der Bundesliga-Dino in den letzten Jahren kein glückliches Händchen bewiesen. Vielversprechende Neuzugänge wie etwa Holtby und Müller brauchten zu lange, um sich zu akklimatisieren. Die Neuzugänge in diesem Sommer hingegen schlugen sehr schnell ein.

Emir Spahic, der Rüpel aus Leverkusen, bekam vom HSV eine zweite Chance. Ein riskanter Transfer hinsichtlich des Vereinsimages, ein überragender in sportlicher Sicht. Der Bosnier stabilisierte die Viererkette und überzeugt durch seine Zweikampfstärke.

Mit Albin Ekdal, Aaron Hunt und Michael Gregoritsch holten sich die Rothosen qualitativ gute Optionen für das Mittelfeld. Ekdal und Hunt sind erfahrene Profis, die beide sehr ballsicher und präsent sind. Beide sind derzeit zwar verletzt, spielten jedoch in der frühen Findungsphase des "neuen" HSV eine wichtige Rolle.

Der Ex-Bochumer Gregoritsch ist die Überraschungspersonalie bei den Hamburgern. Ballsicher, kopfballstark, torgefährlich, zweikampfstark - hinter den Spitzen eine echte Verstärkung, die zudem Perspektive hat. Der 21-Jährige unterschrieb einen Vertrag bis 2019.

Ein weiterer Youngster bestätigt derzeit, was schon Joe Zinnbauer gegenüber dem Abendblatt prophezeite: "Das ist einer, der wird kommen. Weil er sich Zeit nimmt, zu lernen." Und Gideon Jung kommt. Als Quasi-Neuzugang verdrängte der 21-Jährige mit seiner für sein Alter ungewöhnlich hohen Ballsicherheit zuletzt beispielsweise Copa-America-Sieger Marcelo Diaz.

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Konstanz trotz Verletzungspech

Viele sprachen dem Kader der Hamburger vor der Saison die nötige Qualität ab, um den Klub wieder in sicheres Fahrwasser zu führen. Nach nunmehr 14 Spieltagen steht der HSV allerdings nicht nur auf Platz sieben der Tabelle, sondern kann bislang auch die zunehmende Verletztenmisere ohne erkennbaren Qualitätsverlust auffangen.

Mit Emir Spahic, Aaron Hunt, Gojko Kacar, Dennis Diekmeier und Albin Ekdal fehlten Labbadia zuletzt gleich fünf Leistungsträger. Dafür sprangen jedoch Spieler wie Youngster Jung, der viel gescholtene Cleber und Neuzugang Gotoku Sakai in die Bresche und fügten sich zum Großteil nahtlos in das neue Teamgefüge ein.

Anlass zu Verbesserungen besteht dennoch: Da Sven Schipplock anders als die übrigen Neuzugänge bislang überhaupt nicht in Hamburg angekommen ist, liebäugelt der Verein offenbar mit dem Transfer einer Offensivkraft in der Winterpause. SPOX

Voraussetzung dafür wäre angesichts unverändert klammer Kassen der Verkauf des einen oder anderen "entbehrlichen" Spielers. Dazu gehören der längst ausgemusterte Artjoms Rudnevs, Routinier Ivica Olic, Zoltan Stieber und Gerüchten zufolge auch Marcelo Diaz.

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