Die Lehren der Vergangenheit

Marc-Oliver Robbers
11. Juli 201120:54
Mirko Slomka steht mit Hannover 96 vor einer richtungsweisenden SaisonGetty
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Die letzte Saison hatte zweifellos so einige Überraschungen zu bieten. Der vierte Platz von Hannover gehörte dabei sicherlich zu den größten. Doch der Erfolg weckt Begehrlichkeiten in vielerlei Hinsicht.

Kaum eine Mannschaft ging mit schlechteren Vorzeichen in die neue Saison. Im Vorjahr waren die 96er nur knapp dem Abstieg entronnen. Dazu lieferten sich Manager Jörg Schmadtke, Trainer Mirko Slomka und Präsident Martin Kind über lange Zeit ein Kompetenzgerangel über die Medien.

Slomka war sogar bei den Buchmachern der Topfavorit auf die erste Trainerentlassung und die Mannschaft schied wieder einmal sang- und klanglos in der ersten Runde des DFB-Pokals aus.

Doch am Ende stand die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte zu Buche. Platz vier in der Bundesliga und die zweite Teilnahme am Europapokal. Die Gründe für den Erfolg liegen allerdings schon ein bisschen zurück.

Mit aller Macht in die Spitzengruppe

In der Saison 2007/08 schnupperten die Niedersachsen schon einmal am internationalen Geschäft. Vor der Saison hatte Kind die Schatulle geöffnet und richtig investiert. Mike Hanke kam für über vier Millionen Euro aus Wolfsburg. Kind nannte den Transfer damals ein "Signal für die sportliche Entwicklung".

Der damalige Trainer Dieter Hecking wurde noch deutlicher. "Das sind die Schritte, die man machen muss, um dann auch wirklich Platz sechs erreichen zu können", unterstrich er bei der Vorstellung die ambitionierten Ziele der 96er. Werders Linksverteidiger Christian Schulz kostete immerhin noch 2,5 Millionen Euro.

Dazu gesellte sich das ehemalige Top-Talent Benny Lauth vom Hamburger SV und in der Winterpause kam der Langzeitverletzte Alt-Star Valerien Ismael vom FC Bayern. Fürstliche Gehälter inklusive. Hannover setzte alles auf eine Karte und verlor. Am Ende wurde es Platz acht.

Doch Kind gab nicht auf und nahm in der Folgesaison einen neuen Anlauf. Diesmal kamen Mikael Forssell, Jan Schlaudraff, Leon Andreasen und Mario Eggimann. Am Ende wurde es Platz elf. Lediglich Schlaudraff konnte, mit Verspätung von zwei Jahren, seinen Wert für die Mannschaft unter Beweis stellen. Der Großteil der namhaften Zugänge aber belastete in erster Linie das Budget.

Umdenken unter Schmadtke

Der Präsident zog die Konsequenzen. Sportdirektor Christian Hochstätter musste gehen. Jörg Schmadtke kam und mit ihm ein Umdenken in der Transferpolitik. Der knorrige Manager ließ sich nicht beirren. Fortan wurde weniger auf große Namen gesetzt. Mit der Verpflichtung von Didier Ya Konan von Rosenborg gelang dem ehemaligen Torwart der erste Coup.

Hannover spielte eine solide Saison, bis die Tragödie um Robert Enke alles veränderte. Erst am letzten Spieltag wurde, mit dem zwischenzeitlich neu verpflichteten Trainer Slomka, der Klassenerhalt gesichert.

Schmadtke und Slomka funkten nach kleinen anfänglichen Auseinandersetzungen auf einer Wellenlänge. Für kleines Geld kam aus Norwegen Stürmer Mohammed Abdellaoue.

Dazu holte man den jungen Ron-Robert Zieler und den Österreicher Emmanuel Pogatetz ablösefrei aus England. Ein weiterer wichtiger Transfer war Lars Stindl vom Karlsruher SC. Zudem wurden teure Altlasten weiter abgebaut.

Und doch geriet die sportliche Leitung schon vor Bundesligastart wieder unter Druck. In der ersten Runde des DFB-Pokal schied man beim Regionalligisten SV Elversberg im Elfmeterschießen aus. Schon waren die Gedanken an die Vorsaison wieder präsent, als Hannover sang- und klanglos in der ersten Runde bei Eintracht Trier mit 1:3 verlor und die Horror-Saison ihren Anfang nahm.

Slomkas Konzept geht auf

Aber das Konzept des Trainers ging auf. Hannover spielte Konterfußball in Perfektion. Slomkas viel zitierte "Zehn-Sekunden-Regel" (Zehn Sekunden von Balleroberung bis Torabschluss) beherrscht die Mannschaft mittlerweile im Schlaf.

Gleich zwölf Treffer fielen innerhalb dieses Zeitfensters. Überfallartige Konter und junge Spieler wie Konstantin Rausch, Manuel Schmiedebach und Ron-Robert Zieler schafften den endgültigen Durchbruch, erfahrene Profis wie Schlaudraff, Sergio Pinto oder Christian Schulz spielten eine starke Saison. Die Neuzugänge funktionierten.

Schmadtke und Slomka formten eine homogene Einheit. Rund um den Verein ist eine große Euphorie entstanden.

Der Zuschauerschnitt ist um rund 5000 Fans gestiegen. Das Umfeld fiebert der ersten Europapokalsaison seit 1992/93 entgegen, als der damalige Zweitligist als Pokalsieger ausgerechnet auf den deutschen Titelträger des Europapokals der Pokalsieger Werder Bremen traf und schon in der ersten Runde die Segel streichen musste.

Der Erfolg weckt Begehrlichkeiten

Aber mit der Begeisterung steigen auch die Erwartungen. Schon kurz nach Saisonende mussten die Verantwortlichen feststellen, dass der Erfolg auch eine Bürde mit sich bringt. Kostengünstige Neuverpflichtungen sind auf dem Niveau schwieriger zu finden.

Zudem wecken die eigenen Spieler Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen. Schalke 04 baggerte über Wochen an Torwart Zieler, bis dieser letztendlich seinen Vertrag zu stark verbesserten Konditionen bis 2015 verlängerte.

Zudem mussten die 96er bis zum 30. Juni um den Verbleib von Torjäger Didier Ya Konan zittern. Der ivorische Stürmer hatte bis zu diesem Stichtag eine Ausstiegsklausel über rund acht Millionen Euro für einen Wechsel zu einem anderen Verein.

Es dauerte lange bis Hannover den ersten Neuzugang präsentieren konnte. Schalkes Dauerpatient Christian Pander möchte unter seinem alten Trainer einen Neuanfang starten.

Allerdings kann Slomka den Linksverteidiger bei dessen Krankengeschichte nur schwer einplanen. "Er ist sehr positiv gestimmt und hofft, das Tal mit den Verletzungen durchschritten zu haben, sodass es bei ihm wieder aufwärts geht", sagte Schmadtke nach der Verpflichtung von Pander.

Schwierige Suche nach Verstärkungen

Auch die Suche nach einem zusätzlichen Stürmer gestaltete sich lange Zeit erfolglos. Der Israeli Itay Shechter zog den sicheren Stammplatz beim 1. FC Kaiserslautern vor. Stanislav Sestak blieb lieber bei Leihverein Ankaragücü in der Türkei und der Slowake Filip Sebo erhielt keine Freigabe von Slovan Bratislava.

So verpflichtete Schmadtke den polnischen U-21-Nationalspieler Artur Sobiech von Polonia Warschau, um den arrivierten Stürmern Druck zu machen.

Für etwas internationale Erfahrung sorgt die Verpflichtung von Henning Hauger. Der norwegische Nationalspieler kommt von Stabaek IF.

"Mit Henning Hauger erhöhen wir unsere taktischen Möglichkeiten im Mittelfeld. Gerade in der zentralen Position vor der Abwehr wollten wir noch einen Spieler, der für unsere Herausforderungen in der kommenden Saison auch schon über internationale Erfahrung verfügt", misst Slomka dem Transfer große Bedeutung bei.

Trotz aller Vorfreude auf den internationalen Wettbewerb. Präsident Kind bremst die Erwartungen. "Es beginnt wieder bei null, über allem in Hannover sind Realismus und Vernunft gefordert. Aber bei aller Wertschätzung für DFB-Pokal und Europacup - die Bundesliga hat Priorität", machte er unlängst im "Kicker" deutlich.

Die Träumereien der vergangenen Jahre sind dem Realismus gewichen. "Platz sechs bis zehn" gibt der Präsident als Zielsetzung vor.

Bei allen positiven Vorzeichen bleibt abzuwarten, wie das Team sportliche Rückschläge verkraftet. Dass 96 weiter mit ihrer Kontertaktik überraschen kann, ist unwahrscheinlich. Zudem wird die Doppelbelastung an den Kräften zerren. Kapitän Steven Cherundolo verletzte sich beim Gold Cup am Sprunggelenk und fällt mindestens vier Wochen aus.

Die erste Hürde gilt es am 31. Juli im DFB-Pokal zu nehmen - und die war in den vergangenen Jahren wissentlich zu hoch. Gegner diesmal: Oberligist Anker Wismar.

Der Sommerfahrplan von Hannover 96