"Mit Sightseeing hat das wenig zu tun"

David Kreisl
11. November 201515:19
Chefscout Ralf Becker ist auf der ganzen Welt auf der Suche nach den neuen VfB-Starsimago
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Wo findet der VfB Stuttgart interessante Spieler? Was sind die Hauptaufgaben eines Scouts? Und wie läuft die Spielersichtung der Bundesligisten heute? VfB-Chefscout Ralf Becker über tausende Kilometer im Auto, gläserne Märkte und die Arbeit im unruhigen Umfeld Stuttgart.

SPOX: Herr Becker, wo in der Welt erwischen wir Sie denn gerade?

Ralf Becker: Ich bin gerade wieder in Stuttgart gelandet und auf dem Weg ins Büro. Ich war gestern im Ausland und habe mir ein Spiel in der Youth League und eins in der Champions League angesehen.

SPOX: Wie viel fährt und fliegt der Chefscout des VfB wöchentlich durch die Weltgeschichte?

Becker: Gerade haben wir unseren Fokus im Ausland, deshalb verbringe ich aktuell viel, viel Zeit in Flugzeugen. Es gibt aber auch Phasen, in denen man tage- und wochenlang im Auto sitzt und tausende Kilometer fährt. Das ist extrem, gehört aber zum Job. Mit Sightseeing oder Vergnügen hat das eher wenig zu tun.

SPOX: Gibt es Haupteinsatzgebiete, in denen Sie am häufigsten unterwegs sind?

Becker: Das hat mit geographischen Einordnungen wenig zu tun. Wir haben uns über die Jahre eine gute Marktkenntnis geschaffen und wissen, in welche Länder wir für welche Positionen und Spielertypen gehen müssen. Es macht einen großen Unterschied, ob wir einen Spieler suchen, der direkt funktionieren muss, oder einen, dem eine gewisse Zeit zugesprochen wird, sich einzuleben und durchzusetzen. Es ist wichtig zu wissen, wo man was finden kann.

SPOX: Wollen Sie das erklären?

Becker: Nehmen wir Filip Kostic, der vom FC Groningen kam. In den unterschiedlichen Ligen gibt es unterschiedliche Schwerpunkte, zum Beispiel was das Fußballerische, das Tempo oder die Athletik angeht. Wenn man einen Spieler aus den Niederlanden holt, muss man ihm in der Regel eine gewisse Zeit geben, sich zu akklimatisieren. Wenn ich einen Spieler will, der ohne Wenn und Aber direkt funktioniert, dann muss ich weg aus der Eredivisie und direkt in die großen Fußballländer gehen. Oder - was uns natürlich am liebsten ist - wir finden die Spieler direkt in der Bundesliga oder 2. Liga.

SPOX: Sie kennen das Fußballgeschäft aus fast allen Perspektiven - haben in der Bundesliga und international gespielt, waren Co- und Cheftrainer und haben im Juniorenbereich gearbeitet: Ist das Scouting dennoch die zeitraubendste Tätigkeit, die sie im Fußball kennengelernt haben? SPOX

Becker: Es ist auf jeden Fall der Bereich, in dem man sehr selten im eigenen Bett schläft. Natürlich bringt jede Tätigkeit auf jeder Ebene viele Besonderheiten, Prioritäten und vor allem Arbeit mit sich. Zeitlich gesehen ist Scouting allerdings am intensivsten.

SPOX: Wie kam es, dass Sie sich nach den Trainertätigkeiten in Karlsruhe und Ulm für diesen gefühlten Schritt zurück entschieden haben?

Becker: Der Kontakt zum VfB kam eigentlich dadurch zustande, dass man mich zu meiner Ulmer Zeit als U19-Coach wollte. Als ich wegen der Insolvenz dort früher frei war, wollte ich die Zeit nutzen und habe den VfB in der Scoutingabteilung unterstützt. Nach zwei oder drei Monaten wurde ich dann gefragt, ob ich die Abteilung nicht übernehmen wolle. Ich habe lange alle Seiten abgewogen, bin aber froh, mich für diesen Weg entschieden zu haben. 2011 kam dann zusätzlich die Leitung des Junior-Teams hinzu.

SPOX: War es in irgendeiner Form einschränkend, für zwei so elementare Bereiche verantwortlich zu sein?

Becker: Das ist eine gute Frage. Diese zwei Jahre waren, was die Jugend betrifft, sehr erfolgreich. Die Ergebnisse der Nachwuchsteams haben gestimmt. Das Entscheidende in der Jugendarbeit ist aber die Durchlässigkeit in den Profibereich. Da hatten wir uns zu dieser Zeit auf sechs Toptalente der "Kategorie eins" konzentriert - und mit Joshua Kimmich, Timo Werner, Timo Baumgartl, Arianit Ferati und Mart Ristl haben fünf dieser Spieler bereits Bundesligaeinsätze absolviert oder sind gestandene Bundesligaprofis.

SPOX: Also keine Komplikationen?

Becker: Nun ja, bei einer externen Bewertung unseres Nachwuchsleistungszentrums wurde diese Doppelfunktion als gute Konstellation gelobt. Wir konnten auch gute Ergebnisse vorweisen. Aber da muss man auch ehrlich sein: In der Praxis war es einfach kaum möglich, beide Bereiche zu 100 Prozent optimal abzudecken. Nach zwei Jahren haben wir die Situation zusammen mit Fredi Bobic und Armin Veh wieder aufgelöst.

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SPOX: Veh und Bobic wurden mittlerweile durch Alexander Zorniger und Robin Dutt ersetzt. Letzterer sorgte mit einer denkwürdigen Pressekonferenz in der Sommerpause für einen Knall. Vieles im Klub wurde auf links gedreht, doch Sie durften bleiben, obwohl der Bereich Scouting stark in der Kritik stand.

Becker: In so einer Phase, in der wir uns seit einiger Zeit befinden, ist das Vorgehen doch genau das Richtige. So muss das sein, alles zu hinterfragen und auf den Kopf zu stellen. Provokativ formuliert: Uns Scouts wäre es auch lieber gewesen, Spieler wie Filip Kostic und Daniel Ginczek hätten so eingeschlagen und dafür wäre die Saison erfolgreicher verlaufen. Oder noch besser: Beides zusammen wäre eingetreten

SPOX: Sie hatten nie Angst, auch gehen zu müssen?

Becker: Wenn du im Fußball arbeitest, musst du jeden Tag mit allem rechnen. Ich arbeite so seit 20 Jahren. Ob als Trainer, Spieler oder Scout - im Profifußball hast du nie Sicherheit. Wenn man damit ein Problem hat, dann ist man hier falsch. Das Einzige, was man tun kann, ist, sich voll auf die Arbeit zu konzentrieren und diese so gut wie möglich abzuliefern.

SPOX: Dennoch war die Kritik, auch explizit gegen Sie, teils heftig. Von "völlig ineffizienten" Methoden war die Rede.

Becker: Grundsätzlich gesprochen: Es gibt Scouting-Abteilungen, die sehr viel und andere, die extrem wenig direkten Einfluss auf Transferentscheidungen ihrer Vereine haben. Deshalb ist es, ohne das böse zu meinen, von außen oft schwierig zu beurteilen - weil meistens das Wissen über die internen Abläufe fehlt. Wir können unsere Empfehlungen abgeben, und da bin ich absolut überzeugt von meinem Team. Wir haben aber nicht das letzte Wort.

SPOX: Aus Ihrer Sicht war die Kritik also unberechtigt? Wie stufen Sie die Scouting-Arbeit des VfB im Vergleich zu anderen Klubs ein?

Becker: Wir haben uns in den Märkten, in denen wir uns bewegen, ein sehr gutes Netzwerk aufgebaut. Durch die Professionalisierung des Fußballs mitsamt der medialen Unterstützung ist es ohnehin nicht mehr unsere entscheidende Aufgabe, Spieler wirklich zu entdecken. Der Markt ist mittlerweile derartig gläsern, dass alle Vereine in Europa alle interessanten Spieler kennen. Das Entscheidende ist, frühzeitig Kontakte aufzubauen. Wenn der VfB einen Spieler verpflichtet, kann man davon ausgehen, dass alle anderen Vereine in der Bundesliga den Spieler auch gekannt haben. Was ich von meiner Abteilung in der Hinsicht erwarte: Wir müssen alle Spieler, die im Sommer in die Bundesliga wechseln, gekannt und im Vorfeld bewertet haben.

SPOX: Hat Ihr persönliches Verhältnis zu Robin Dutt unter dem Rundumschlag im Mai gelitten?

Becker: Nein, das ist gut! Das war aber auch bei Fredi Bobic, bei Armin Veh und bei allen Trainern, die ich hier erlebt habe so: Ich hatte mit allen ein gutes bis sehr gutes Verhältnis. Die Problematik ergibt sich einfach aus der hohen Fluktuation der Verantwortungsträger. Es gab zu viele unterschiedliche Ideen und Vorstellungen. Ich bin aber guter Hoffnung, dass der Verein jetzt seinen Weg gefunden hat, den er gehen will. Einen Fußball, den er durchziehen möchte. Dass man eine stabile Mannschaft zusammenstellt, von der alle überzeugt sind und mit der man an einer langfristigen Spielphilosophie arbeiten kann.

SPOX: Sie haben selbst gesagt, den Fußball mittlerweile aus vielen Winkeln sehr gut zu kennen. Reizen Sie die letzten Bastionen, die höheren Positionen, die Sie noch nicht bekleidet haben?

Becker: Das Dasein als VfB-Scout macht mir unfassbar viel Spaß, es ist aber klar, dass ich irgendwann den nächsten Schritt machen möchte. Zeitlich ist dieser Schritt auch nicht definiert. Klar ist aber: Ich würde mein Know-How, das ich mir in vielen, vielen Bereichen angeeignet habe, gerne bei einem guten Verein mit einer klaren Philosophie einbringen.

SPOX: Vielleicht irgendwann einmal beim VfB?

Becker: Der VfB ist sehr gut aufgestellt. (lacht) Es herrscht wieder Ruhe in der Führungsebene, der Klub ist klar strukturiert, hat eine Philosophie und nimmt eine Entwicklung in die richtige Richtung. Sich da hineinzudrängen, ist gar kein Thema.

SPOX: Und die Trainerlaufbahn ist bereits beendet?

Becker: Man muss sich für einen Weg entscheiden. Und ich habe mich sehr bewusst für die strategischen Positionen im Geschäft entschieden. Etwas aufzustellen, aufzubauen und mit einem Trainer zusammenzuarbeiten - das sind die Themen, die mich interessieren. Der Trainerjob ist kein Thema.

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